Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
- 59 - der gesamten Lebens- und Arbeitsauffassung von dem durch die Erlösung innerlich neugewordenen Menschen ihren Ausgang nahm, ist sie zugleich die unmittelbare Auswirkung der im Christentum wiederhergestellten Freiheit und Würde derMenschen– persönlichkeit. Was deren Sein und Wert so im tiefsten erfaßt und umgeschaffen hatte, mußte eben auch jegliche Lebensbe– tätigung mit einem neuen Geiste erfüllen. Die Arbeit wieder mit der Seele und der Persönlichkeit verknüpfen und sie mit neuem Sinngehalt erfüllen hieß aber, sie aus dem niederen Bereich untermenschlich-physischer Mühsal in die Sphäre menschlich– sittlichen Tuns hinaufheben; hieß die verantwortungslose Un– gebundenheit und die Willkür selbstherrlicher Launen und Neigungen wiederum einer ethischen Gesetzlichkeit unterwerfen. Beides zielt auf die Erweckung eines „Berufs"ethos auf allen Rangstufen der geseJ!schaftlichen Lebens- und Arbeitsordnung hin. Hier setzt der Gegenstoß gegen die entartete herrenständische Ordnung ein, die, wie W. Wundt1 richtig bemerkt, einst auch mit einer Entwertung und Degradation der Handarbeit begonnen hatte. War durch den Sündenfall des ersten Menschen und als Sündenstrafe die Knechtschaft und die stumpfe Mühseligkeit der Arbeit in die Welt gekommen - so las man es ja schon auf den ersten Seiten der Schöpfungsgeschichte -, dann mußte im Weltalter der neuen Schöpfung und im Reiche Christi, des zweiten Adam, auch das rohe Herrschen und Dienen einer besseren und menschenwürdigeren Auffassung weichen, wennschon es als Sündenfolge den Menschen dauernd auferlegt bleibt. Von der Verpflichtung zu arbeiten ist niemand ausgenommen. Aus dem Menschsein folgt unmittelbar die Aufgabe, sich mensch– lich-sittlich und menschlich-nützlich zu betätigen. Ohne Unter– schied gilt das für die herrschenden und die dienenden Stände. Unbedenklich billigt es Jakob von Vitry, daß manche Städte die Nichtstuer und Possenreißer ebenso rücksichtslos beseitigen, wie die Bienen die arbeitsscheuen Drohnen 2 , und Berthold von Regensburg 3 verweist sogar alle in den zehnten Chor der ver– worfenen Engel, die als Gaukler und Spielleute nützlicher gesell– schaftlicher Arbeit sich entziehen. Ebenso freimütig müssen es 1 Elemente der Völkerpsychologie, Leipzig 1912, 319 ff. 2 Sermones vulgares 61 (J. B. Card. Pitra, Analecta novissima Spicilegii Solesmensis, Typis Tusculanis 1888, II, 436). s Von den 10 Chören der Engel (Pfeiffer, a. a. 0. I, 155 f.).
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