Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 55 - Jitas", der Adel der Tugend und der Tüchtigkeit, gegenüber– gesteJJt, eine Umwertung, die einst bestimmt sein sollte, die trennenden Unterschiede der Abstammung und des Geblütes endgültig zu beseitigen. In origineller Weise weiß eines der Schachkapitel der „Gesta Romanorum" diese im Anzug befindliche Überflügelung der ererbten Privilegien durch die persönliche Tüchtigkeit aus der Spielregel herzuleiten. Wenn die durch die „großen Steine" versinnbildeten Könige, Machthaber, Edelleute und Vornehmen ihre Pflichten nicht nach Gesetz und Vernunft ausüben, büßen sie den Vorzug des Adels ein und treten in die Lage und Stellung der Bauern. ,,Denn wir sind alle von einem Vater Adam gezeugt, wobei die durch Tugenden Ausgezeichneten mit Recht die Namen von Königen und Edelleuten erhalten. Wenn also die Bauern, das heißt die gemeinen und einfältigen Leute, nach den Rat– schlägen ihrer Beichtväter lebend und den Befehlen der Kirche gehorchend die Linie des richtigen und geraden Lebenswandels erreichen, erlangen auch sie mit Recht durch die Pflichtmäßigkeit ihres vervollkommneten Lebens im Himmelreiche den Titel von heiligen Königen und Edelen. Niemand verachte also die Bauern, denn wir lesen, daß sie zu Herrschaft und sogar päpst– licher Würde, wenn sie voller Vorzüge und Gnaden waren, ge– langt sind. " 1 In einem Zeitalter, das den modernen Gedanken der Gleich– heit aller vor dem Recht nur in erheblich eingeschränktem Um– fange kannte, und dessen unglaublich schwerfälliges und lang– wieriges Rechtsverfahren vielfach gerade im kleinen Manne das bittere Gefühl vollkommener Minderwertigkeit und Recht– losigkeit mußte aufkommen Jassen, war es von kaum zu über– schätzender Bedeutung, daß wenigstens der christliche Glaube einen Boden hersteJJte, auf dem aJie Stände gleichwertig und gleichberechtigt nebeneinander standen. Diese Gleichordnung in Menschenwert und Menschenwürde mußte als erste Voraus– setzung anerkannt sein, bevor eine neue auf persönlicher Arbeit und Leistung beruhende Ordnung an die Stelle der älteren macht– und besitzständischen treten konnte. Daß eine solche künftige große Wandlung aber überall da schon durchschimmert, wo christliche Vorstellungen und Wertungen die wenn auch noch 1 Kap. 166, herausgeg. v. Joh. Georg Th. Grässe, 3. Ausgabe, Leipzig 1905.

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