Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
- 54 - Leibe ihren irdischen Vorgesetzten zu .leisten haben, sagt Berthold von Regensburg den Adeligen, geht der Herrendienst vor, den ihre Seele Gott schuldet. Wer sich darüber hinwegsetzt - und mag ihm hienieden auch keiner die Wahrheit zu sagen wagen-, wird dem furchtbaren Gerichte dessen nicht entgehen, der nicht nur gleich macht, was auf Erden hoch und niedrig war, sondern auch alle Menschenordnung umkehrt und die untenan setzen wird, die „jetzt die armen Leute bedrücken mit ungerechter Steuer, ungerechter Vogtei, mit Zwangsabgaben, Raub und ungerechter Gewalt". Auch der Dienende und Unfreie kann nicht arbeiten wie das Tier; hat Anspruch auf Nahrung und Lohn, auf menschenwürdige Behandlung und Pflege in der Krankheit1. Ja, die Armen, so spinnt um 1300 Bruder Ludwig, wohl einer seiner Schüler, den Gedanken fort, gehören in ganz besonderer Weise zur engeren Gottesfamilie, da der Erlöser in seinem Erden– leben ihnen so nahe gestanden; ,, Gottes Augapfel" (Zach. 2, 8) rührt an, wer sie anzutasten wagt. Freilich auch dies alles nur dann, wenn sie auch Arme im Geiste (Matth. 5, 3) sind. Denjenigen, die stehlen, nicht für ihre Wohltäter beten, keiner Bruderschaft beitreten, Gott verunehren, wird ihre zeitliche Armut und Un– freiheit nur der Weg zu ewigem Elende werden 2 • Umgekehrt werden jedoch auch die Adeligen an das Pauluswort erinnert, daß es vor Gott kein Ansehen der Person (Röm. 2, 11) gibt. Ihnen, die sich so oft „ihres adeligen Blutes hochmütig rühmen", hält Rather von Verona vor Augen, daß alle Menschen von einem Vater und einer Mutter stammen, und daß in Christus vollends alle eins geworden sind, die Herren und die Knechte 3 • Und Bischof Jonas von Orleans, dieser ausgezeichnete Zeitge– nosse Ludwigs d. Frommen, sagt dem vornehmen Herrn, der sich dieser Wahrheit nicht erinnern will: ,,Durch sein irdisches Los ist der Sklave dein Knecht, durch die Gnade aber dein Bruder. Denn auch er hat Christum angezogen, nimmt an den– selben Sakramenten teil, hat in Gott seinen Vater, wie du. Warum also soll er in dir nicht seinen Bruder sehen dürfen ?" 4 Dem Adel der Geburt wird auch in der Folge immer wieder die „ vera nobi- 1 A. E. Schönbach, a. a. 0. Bd. 155, 33, 40 f., 55; Berthold v. R. Von den '7 Planeten (Pfeiffer, a. a. 0. 1. 58). 2 Ad. Franz, a. a. 0. 89. 3 Praeloquiorum libri VI (Migne PL 136, 146 ff.). ' De institutione laicali I, c. 22 (Migne PL 106, 214).
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