Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 47 - innerhalb weniger Jahrzehnte die bescheidene Arbeit des fremden Predigermönches durch ganz Deutschland gewandert. In mehreren Kapiteln bringen auch die vielgelesenen „ Gesta Romanorum", gleichfalls um 1300 wahrscheinlich in England entstanden1, diese allegorische Verarbeitung des allbekannten Spiels, so in der Gestalt eines Gemäldes, das ein weiser Mann an die Wand malt, als ihn der König um einen Rat bittet, wie er sich selbst und sein Volk gut zu regieren vermöge. Die weltliche Kurzweil wird hier sogar zum Sinnbild höchster religiöser Ge– heimnisse: Christus der barmherzige König steigt aus seiner himmlischen Herrlichkeit, in der er jetzt mit Maria der Königin thront, zu dem winzigen „ Quadrat dieser jämmerlichen Welt" herab, ,,um die Herde und Zahl seiner Bauern wieder zu er– obern." Auch der Predigt des späteren Mittelalters muß das Schachspiel zur Veranschaulichung ständischer Ordnung und Berufsmoral dienen 2 ; noch bei Melanchthon, Thomas Murner und Sebastian Brant finden sich Anklänge; ja bis ins 18. Jahr– hundert hinein sind die letzten Spuren zu verfolgen 3 • Hernach ist auch aus diesen Schachbüchern noch einiges zur Kennzeichnung der mittelalterlich-christlichen Berufsethik herauszuholen. Im vorliegenden Zusammenhang sei zunächst wie– derum darauf hingewiesen, daß auch sie eine unwiderruflich fest– stehende, an bestimmte Geburtsstände ein und für allemal gebundene Regel des Herrschens und Dienens vorausset1.en . überall ist die Gruppierung in große und kleine, ,,edle" und „gemeine" Schachfiguren, in „nobiles" und „populares" üblich und der Einteilung zugrundegelegt. Wohl sind auch die Bürger und Bauern, die das Fußvolk bilden, von verschiedenem Rang und Geschlecht. Aber gemeinsam ist ihnen die Pflicht des Ge– horsams gegen die Könige, Machthaber, Edelleute und Vornehmen, die zwischen ihnen stehen, um sie zu regieren. Selbst die Auf– stellung auf dem Schachbrett und die Spielregel bekräftigt diese auf Gottes Willen beruhende, weil für die Gesellschaft notwendige Anordnung. Mögen in früheren Zeiten einmal die Fußgänger in der zweiten Linie gestanden haben, dafür die 1 c. 166, 178, 257. Mehrere Neudrucke und Übersetzungen, so von Herm. Oesterley, Berlin 1872. 2 Hermann von Fritzlar in: Franz Pfeiffer, Deutschr Mystiker des 14. Jahr– hunderts 1, Leipzig 1845, 164. 8 A. van der Linde a. a. 0. Beil. II, 32 ff.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2