Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
- 46 - bekannt ist, bei dem aber die Vertrautheit mit der Eigenart der oberitalienischen Stadtstaaten und ihres Gewerbes auffallen muß, ist nach der kurzen Vorrede vermutlich zwischen 1275 und 1300 aus Predigten hervorgegangen, die ihn seine Ordensbrüder hernach aufzuzeichnen baten, und stellt eine eigentümliche Ver– bindung von praktischer Spielanweisung und berufsethischer Aus– deutung dar. In späteren Bearbeitungen treten die Spielregeln aber immer weiter hinter der moralisierenden Auslegung zurück. Die Anpassung der Spielsteine an die ständische Ordnung der abendländischen Gesellschaft ist hier restlos vollzogen. Alphil und Roch, die bisher unverstandenen Figuren, treten als Statthalter und Richter, also als Vertreter zweier weiterer stän– discher Gruppen, neben den König, die Königin und die Ritter, und die Aufteilung der „populares" auf die einzelnen bürgerlichen Berufe ist zum erstenmale vollständig durchgeführt. In ihrem Berufskleid und mit ihrem Arbeitsgerät, in den Händen charakte– ristische Symbole und Abzeichen ihres Standes, stehen sie neben– einander: der Bauer, der Handwerker, die Richter und Notare, der Kaufmann, die Ärzte und Apotheker, die Herbergswirte, die Stadtwächter, die Gaukler und Spieler. Jedem werden seine Pflichten und Fehler vorgehalten, bei den bäuerlichen und bürger– lichen Berufen mit eindringender Lebens- und Menschenkenntnis, bei den höheren bis zum König und seinen Ministern hinauf mit stellenweise sehr fein formulierten Anmerkungen zur Fürsten– ethik und Amtsmoral. Auf deutschen Boden wurde das Büchlein aus seiner italie– nischen Heimat verpflanzt durch die umfangreichen Bearbei– tungen des Konrad von Ammenhausen (1337), Heinrichs von Beringen (um 1300), des Pfarrers zu dem Hechte (1355) und des Meisters Stephan (zwischen 1350 und 1375), die insbesondere die Reihe der !deinen Schachfiguren je nach der Heimat der Verfasser und den dort vorherrschenden Gewerben bald ver– kürzen, bald erweitern 1 • Vom Bodensee und vom Oberlauf des Rheins bis nach Dorpat im fernen Nordosten hinüber war so 1 Paul Zimmermann, Das Schachgedicht Heinrichs von Beringen (Bibliothek d. Literar. Vereins in Stuttgart Bd. 166), Tübingen 1883. - E. Sievers, Mittel– deutsches Schachbuch, in: Zeitschrift für Deutsches Altertum, Bd. 17, Berlin 1874. - Meister Stephans Schachbuch, in: Verhandlungen der gelehrten Est– nischen Gesellschaft zu Dorpat Bd. 11 u. 14, Dorpat 1883 und 1889.
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