Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
- 44 - schon im 12. und 13. Jahrhundert auftreten, hat zwar in den Forschungen und Darstellungen zur Geschichte des Schachspiels längst ihren Platz gefunden1, ist aber merkwürdigerweise in ihrer Bedeutung für die mittelalterliche Berufsethik und Ständelehre bisher noch kaum beachtet worden. Wie lockte auch diese auf den Feldern des Spielbretts aufgebaute fremdartige Welt zum Grübeln und Deuten, zumal man Jahrhunderte lang einzelne dieser geheimnisvollen Gestalten weder dem arabisch-persischen Namen noch der figürlichen Ausführung nach verstand! Dann aber wurden langsam auch die bisher dunkel gebliebenen Spiel– steine der abendländischen Wirklichkeit angepaßt, und nun stand mit einem Male im König und in der Königin, in ihren Dienern, Reitern und Läufern, und in den wohlgeordneten Gliedern des Fußvolkes das Abbild der ständischen Gesellschafts– ordnung leibhaftig da. Man brauchte nur noch die „Bauern" (lat. populares, mhd. ,,venden" 2 ) auf die bäuerlichen und bürger– lichen Berufe aufzuteilen, und das Spie] auf dem Spielbrett, das die Welt bedeutete, konnte angehen, wobei die durch die Spielregel vorgeschriebene Bewegung der einzelnen Figuren weiteren fast unerschöpflichen Stoff zu symbolischer Ausdeutung gab. Man kann in der Tat mit Ferd. Vetter 3 hier von einer Art „ Ehrenret– tung" eines Unterhaltungsspieles sprechen, das sich bei den vorneh– men Ständen, trotz mancher kirchlichen Warnungen, besonderer Beliebtheit erfreute, dem Klerus aber, ebenso wie das Würfel– und Kartenspiel, verboten war. Nur den geistlichen Ritterorden gegenüber sah man sich zu gewissen Zugeständnissen genötigt. Die Behandlung des Spiels 4 als einer bald erlaubten Art der Erholung, bald bedenklichen Gelegenheit zum Müßiggang, Zank und Betrug war es daher auch, die zuerst dem Schachspiel einen 1 Zum Folgencten: Ant. van der Linde, Geschichte und Literatur des Schach– spiels, Berlin 1874, 146 ff.; T. von der Lasa, Zur Geschichte u. Literatur des Schachspiels, Leipzig 1897, 68 ff. Später behandelte man auch das Kartenspiel ähnlich. 2 Matth. Lexer, Mittelhochdeutsches Wörterbuch III, Leipzig 1878, 63. 3 Das Schachzabelbuch Kunrats von Ammenhausen (Bibliothek älterer Schriftwerke d. deutschen Schweiz, Ergänzungsbd.), Frauenfeld 1892, Einleitung XL. Zabel = tabula, Tafel, Brett. ' Der Policraticus des Johannes von Salisbury (1159) enthält bereits ein Kapitel über das Würfelspiel (1, c. 5: Joannis Saresberiensis Policratici libri VIII ed. Clemens C. J. Webb, Oxonii 1909). An dieser Stelle fügen auch Alexander Neckam und Johannes Guallensis ihre Auslegung des Schachspiels ein.
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