Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
- 41 - neun Stände der Menschen. Werden (4. Mos. 17, 7) zwölf Stäbe der zwölf Stämme Israels in die Bundeslade gelegt, so dehnt man auch die Zahl der Stände auf zwölf aus, um sie ebenso unbe– denklich wieder auf fünf oder sechs einzuschränken, wenn irgend– ein symbolisch ausgelegter Text, etwa die Erzählung von den fünf Königen der Madianiter (4. Mos. 31) oder eine ganz harmlose Aufzählung im Buche Job (1, 2), dazu Anlaß gibt1. Dabei werden Herrschaftsstand, Berufsstand, Lebensstand der natürlichen und übernatürlichen Ordnung wahllos nebeneinander gestellt; an vielen Einzelbeispielen ließe sich zeigen, bis zu welchem Grade die jeweilige biblische Vorlage Anlage und Ausarbeitung dieser „ Ständeordnungen" bestimmt. Offenbar ist das alles eben nicht Rahmen und Gerüst, sondern nur Füllwerk. Es ist der rein ideologische Überbau über einer anderen, sehr realen Grundlage, der in keiner Weise gestaltend auf diese zurückwirkt, sondern nur dem Zwecke dient, sie mit dem Glauben an eine gerechte göttliche Weltregierung einigermaßen in Einklang zu bringen, sie ethisch zu verklären und der christlichen Berufsauffassung, so gut es gehen mochte, zu unterwerfen 2 • Dieses Grundschema aber, dessen Linien anfangs noch sehr deutlich hervortreten, später mehr oder minder verdeckt sind, ist von Rather von Vero11a im 10. Jahrhundert bis zum Ausgang des Mittelalters eben die Ordnung von Herrschaft und Dienst in allen ihren zahl– losen Abstufungen und Übertragungen auf die verschiedenen Lebensgebiete. Äußerst bezeichnend ist dafür die Ständelehre des hl. Thomas von Aquin, von der schon Ernst Troeltsch meinte, es sei er– staunlich, daß ein so stark ethisch empfindender Mann wider– spruchslos den aristotelischen Herren- und Junkerstandpunkt als Konsequenz der Natur sich gefallen lasse 3 • Nachdem Thomas eben noch den Gedanken ausgesprochen, daß in demselben Gemeinwesen . die Verschiedenheit der officia - der Richter, Krieger, Feldarbeiter - verschiedene „ordines" begründe, führt er sie fast im gleichen Atemzuge doch allesamt wieder auf 1 Ant. E. Schönbach, Studien z. Geschichte der altdeutschen Predigt 8 (Sitzungsberichte d. Wiener Akademie der Wissenschaften, Bd. 155); Adolf Franz, Drei deutsche Minoritenprediger aus d. 13. und 14. Jahrhdt., Freiburg 1907, 86 ff. 2 So ganz richtig Karl Dunkmann, Die Lehre vom Beruf, Berlin 1922, 76, und Heinz Brauweiler, a. a. 0. 30. 3 Die Soziallehren d. christl. Kirchen und Gruppen, Tübingen 1912, 316.
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2