Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 40 - (populares) sind auch ihm die drei Stände, die in ihrer Überein– anderordnung gottgewollt sind1, weshalb vollkommene Armut nur Rat, nicht Gebot sein kann. überdies setzen aber auch die erleuchtenden Strahlen des göttlichen Lichtes, die nach dem Areopagiten zuerst die Engel der ersten Hierarchie erreichen, dann erst und durch sie die der zweiten und dritten, in gleicher Weise ihren Weg auch in die Menschenwelt hinein, schrittweise sich abwärts neigend, fort. Wie die aufgehende Sonne zuerst die Bergspitzen erhellt, dann die mittleren Höhenlagen und zuletzt erst die Talgründe , so wird auch das Licht der Weisheit zuerst den im Range am höchsten stehenden Vorgesetzten zuteil, dann den mittleren Ständen und endlich den Untergebenen. Und nicht nur die ihm zuteilgewordene Erkenntnis gibt der Höhere an den Niederen weiter, sondern auch die ihm verliehene sittliche Güte teilt er dem Untergebenen, wiederum in dem seinem Range ent– sprechenden Maße, durch Belehrung und Erziehung mit. Gute Fürsten haben daher gute Berater, gute Fürsten und ihre Rat– geber gute Untertanen: denn auch hier wieder vollzieht sich Geben und Nehmen nach dem Urbilde der Fürstentümer, Erzengel und Engel in der himmlischen Ständeordnung. In einer Predigt auf den 12. Sonntag nach Pfingsten führt es Bonaventura dann weiter aus, wie diese himmlische Lehre von Christus, dem „princi– palis instructor, magister et doctor", über die neun Engelchöre abwärts auch allen irdischen Ständen und Berufen, die er in großer Ausführlichkeit aufzählt, vermittelt wird 2 • c) Behält man fest im Auge, daß die mittelalterliche Gesell– schaft in dieser Herrschaftsordnung ihren festen Rahmen hat, so erscheint auch die Unbekümmertheit nicht mehr weiter verwun– derlich, mit der diese Zeit ihre Idealbilder ständischer Ordnung entwirft. Nirgendwo findet sich ein anerkanntes und festliegendes Schema einer „berufsständischen" Gliederung. Sondern mit sehr viel Phantasie und mit der dem Mittelalter eignen Kühnheit der Textauslegung wird alles, was man in der Heiligen Schrift als Urbild und Vorbild irdischer Ordnung glaubt deuten zu dürfen, auf diese angewandt und als Modellform benutzt, in die man sie hineinzwängt. Gibt es neun Chöre der Engel, dann auch 1 „quos in Ecclesia universali Deus esse decrevit" 0pusc. XI, Apologia pauperum, a. a. 0. VIII, 297. Zur Ständelehre des hl. Bonaventura auch: A. Dempf, Sacrum Imperium, München und Berlin 1929, 371 ff. 2 a. a. O. IX, 402 f.

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