Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 38 - logisch beruhigenden Wirkung" aller OffenbarungsreJigionen gesagt hat. Nachdem die unter dem Namen des Paulusschülers Dionysius Areopagita gehende vielgelesene Schrift „Von der himmlischen Hierarchie" die zuerst bei Paulus (Kol. 1, 16 ; Eph. 1, 21 ; Röm. 8, 38) deutlicher hervortretende biblische Engellehre in neuplatonisch gefärbter mystischer Spekulation theologisch ausgebaut1, und die Karl d. Kahlen zugeeignete Über– setzung des Johannes Scotus Erigena ihr den Weg ins Abendland gebahnt hatte, geht das Kapitel von der in drei Hierarchien gegliederten Rangordnung der Engelchöre als fester Bestand– teil in die großen theologischen Summen über 2 • Das nächste Abbild dieser im Reiche der seligen Himmelsgeister in unerreich– barer VoJJendung durchgeführten Ordnung ist das nach Weihe– stufen, Ämtern und geistlichen Ständen aufgegliederte Reich Christi auf Erden, die Kirche. Pseudodionysius hatte diese Par– allele in seiner weiteren Schrift „Von der kirchlichen Hierarchie" selbst gezogen. Da aber diese Kirche im dreifachen ordo cleri– calis, monasticus und laicus (Bonaventura) auch das ganze Christenvolk mitumfaßt ~ mittelhochdeutsche Predigten geben das Wort „ecclesia" ihrer lateinischen Vorlagen vielfach schon ganz richtig durch „Christenheit" wieder 3 - muß folgerichtig auch dessen Ordnung dem himmlischen Vorbild nachgebildet, also ständisch gegliedert sein. Wiederum ist es die dem Leben zugewandte erbauliche und moralisierende Literatur, insbeson– dere aber die Volkspredigt, die von den hier eröffneten und der ausschmückenden Phantasie weiten Spielraum bietenden Mög– lichkeiten den ausgiebigsten Gebrauch gemacht hat, allen anderen voran die in ihrer Lebensnähe und plastischen Anschaulichkeit unerreichte Beredsamkeit des Bruders Berthold von Regensburg. Die sehr eingehende Verarbeitung dieses Vorwurfes in der berühmt gewordenen Rede „Von den zehn Chören der Engel und der Christenheit", zu der sich übrigens auch in den lateinisch 1 Migne PGr 3, 4; deutsch von Jos. Stiglmayr in: Bibliothek der Kirchen– väter, Kempten und München 191 l. 2 Isidor, Hugo v. St. Viktor, Petrus Lombardus, Petrus v. Poitiers, Alber– tus M., Thomas, Bonaventura. Zum Ganzen: Berth. Vallentin, Der Engelstaat, in der Schmoller-Festschrift „Grundrisse und Bausteine zur Staats- und Gesell– schaftsgeschichte", Berlin 1908, 41 ff. 3 So die von Joh. Kelle (München 1858) herausgegebene Sammlung „Specu– lum Ecclesiae", die sich eng an den „Sermo generalis" in der gleichnamigen Schrift des Honorius Augustodunus (Migne PL 172, 862 ff.) anlehnt.

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