Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 37 - Kap. 15 des 19. Buches seines „Gottesstaa'tes" enthält das ganze Gedankenmaterial, . mit dem die kommenden Jahrhunderte immer wieder und vielfach in wörtlicher Entlehnung die auf– tauchenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit irdischer Herrschaft und Knechtschaft beschwichtigen. Ohne die Sünde würden vernunftbegabte Menschen nie über ihresgleichen, sondern nur über die vernunftlose Kreatur eine Herrschaft ausüben. Nur die Sünde oder widriges Schicksal (aut iniquitas aut adversitas) haben diesen glücklichen Urzustand ändern können. Gottes Strafurteil aber wird trotzdem manchem zum Heile werden, der in zügelloser Freiheit vielleicht der schlimmeren Sklaverei der Sünde anheimgefallen wäre, nun aber äußerlich gebunden der Seele nach ein Freier bleibt. Isidor v. Sevilla 1 spricht das mit besonderer Deutlichkeit aus, und der wohl von ihm geprägte Satz „melior subjecta servitus, . quam elata libertas" nimmt im Einklang mit Augustinus die Gedanken auf, mit denen einst Paulus (1. Kor. 7, 21 f.) in großartig-gelassener Überlegenheit über alle irdische Vergänglichkeit dem christlichen Sklaven Trost zugesprochen hatte. Später, als die gärende Unzufrieden– heit der bedrückten unteren Volksschichten sich wohl nicht mehr so leicht mit religiösen Gründen niederhalten ließ, muß das Ver– nunftargument nachhelfen, daß ohne Über- und Unterordnung schlechterdings kein menschliches Zusammenleben möglich sei. Aber diese Beweise wie auch die von Rolevinck gesammelten Aussprüche berühmter Männer über die Würde des Ackerbaus nehmen sich neben der gewaltigen, an den Gottesglauben appel– lierenden Theodicee der früheren Zeit doch schon recht schwäch– lich aus 2 • b) Diese religiöse Rechtfertigung der herrschaftsständischen Gliederung der menschlichen Gesellschaft erhielt schon sehr früh dadurch eine fast unzerbrechliche Stütze, daß in der überirdischen Welt der himmlischen Geister gleichfalls eine Ordnung sichtbar war, die geradezu als Urbild und Vorbild für die Gestaltung des Diesseits erscheinen mußte, nachdem einmal mittelalterliche Gläubigkeit allenthalben Himmel und Erde in einer einzigen umfassenden Einheit aufeinander bezogen sah. Hier trifft das in vollem Umfange zu, was Max Scheler 3 einmal von der „sozio- 1 Sententiarum 1. III c. 47 „De subditis" (a. a. 0. 717). 2 Libellus de regimine rusticorum (Köln 1480 u. ö.). 3 Versuche w einer Soziologie des Wissens, München und Leipzig 1924, 58.

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