Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
.. - 36 - Heimat auch R. von Lüttich, t 974) bis zu dem vorhin genannten Alanus ab lnsulis (Lille, Ryssel) und darüber hinaus muß eine gänzlich aus dem Zusammenhang gerissene Schriftstelle, wie ,,Menschen hast du über unsere Häupter gesetzt" (Ps. 65, I2) oder der biblische Bericht über den Segen und Fluch Noes (Gen. 9) als Schriftbeweis für die Rechtmäßigkeit aller beste– henden Abhängigkeitsverhältnisse dienen. Wie im menschlichen Körper (terra, quam gerimus) alles nach Herrschaft und Dienst geordnet ist, so auch in der äußerlich-sichtbaren Welt (terra. quam terimus): nur in gläubiger Unterwerfung unter diese göttliche Fügung, ohne Übermut hier und ohne Auflehnung dort, wird das ewige Ziel (terra, quam quaerimus) erreicht1. Wie selbstverständlich dem Denken selbst der geistig Höchststehenden diese Stufung nach dem Geburts- und Herrschaftsstand war, veranschaulicht wohl am besten die öfter zitierte Antwort, die Hildegard von Bingen der Äbtissin von S. Maria und Thomas in Andernach a. Rh. auf die Frage gab, weshalb sie in ihre neue Gründung auf dem Rupertsberg bei Bingen (um 1150) nur vor– nehme und hochgeborene Jungfrauen aufnehme, während die Heilige Schrift (Apg. 10, 34; 1. Kor. 1, 26 ff.) doch so vernehmlich betone, daß es vor Gott keinen Unterschied der Person gebe. Hildegard erwidert darauf, das sei eben der Wille Gottes, daß der geringe Stand über den höheren nicht aufsteige, wie es Satan und der erste Mensch getan. Wer vereinige denn auch woh.1 Ochsen, Esel, Schafe und Böcke in einem Stalle? Müsse nicht alle Ehrbarkeit der Sitten dabei zugrundegehen 2 ? Dieser be– zeichnende Vergleich erinnert an eine Äußerung des Anselm– schülers Eadmer (t II 24), Gott habe die irdischen Berufe an die Stände der Beter, der Ackerbauer und der Krieger so verteilt, wie ein Hausvater den Schafen, den Ochsen und den Hunden ihre Aufgaben zuteile, damit es dem Ganzen wohlergehe, indem jeder einzelne die Pflichten seines ordo erfülle 3 • Die peinliche Frage nach der Herkunft der Knechtschaft und Sklaverei, die so viele unverschuldet ins Elend bringt, wird schon von Augustinus mit dem Hinweis auf den Sündenfall beantwortet, von dem alle Gewalt, aller Zwang und alle Unter– werfung unter Menschen ihren Anfang genommen. Das berühmte 1 Alanus ab Insulis, a. a. 0. 188. 2 Migne PL 197, 336. 3 Liber de S. Anselmi Similitudinibus c. 127, 128 (Migne PL 159, 679).
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