Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
- 35 - von SeviJla schon um 600 in seinen „Sentenzen" andeutet1, wie sie Alanus von Lille (t um 1203) in der Dreiteilung der „imperantes" (der Fürsten), der „operantes" (der Krieger!) und der „obtempe– rantes" (der „plebaei homines") darstellt:, und Vincenz von Beauvais sie um 1250 in sein „Speculum" übernimmt3, steht diese Herrschaftsordnung noch bis weit über das Mittelalter hinaus unerschüttert da. Kein Volksprediger, von Berthold von Regensburg im 13. bis zu Jakob von Soest, Felix Fabri von Ulm u. a. im 15. Jahrhundert, keiner der scharfsichtigen Kenner des gesellschaftlichen Lebens ihrer Zeit, von Jakob v. Vitry (t 1240) bis zu dem Kölner Karthäuser Werner Rolevinck (t 1502) läßt einen Zweifel daran aufkommen, daß sie von Gott gewollt ist und hingenommen werden muß. In seiner „ Gemma animae" gibt um 1120 der immer noch umstrittene Honorius Augusto– dunus eine Symbolik des Kirchengebäudes, die für das Gesell– schaftsbild des Mittelalters ungemein bezeichnend ist. Die Fenster, die den Sturm abhalten und das Licht hereinlassen, sind die Lehrer; die Säulen, die das Gebäude tragen, die Bischöfe; die verbindenden Balken die weltlichen Fürsten; die Dachziegel, die den Regengüssen wehren, die Ritter, denen die Verteidigung der Kirche gegen die äußeren Feinde anvertraut ist. Der Boden– belag aber, über den die Füße hinschreiten, versinnbiJdet das Volk, dessen Arbeit die Christenheit trägt und erhält4. Völlig unbefangen erkennen Thomas von Aquin und mit ihm die anderen mittelalterlichen Theologen die Zweiteilung der Menschheit in Herrschende und Dienende auf Grund natürlicher Vorausbestimmung an und zählen die Möglichkeiten auf, durch die rechtsgültige Unfreiheit entsteht 5 • Mit einer Ruhe, die uns fast wie Gefühllosigkeit anmutet, schildern selbst Schriftsteller geistlichen Standes das schwere aber unabänderliche Schicksal der dienenden Stände und insbesondere das überaus harte Los der unfreien Frau 6 • Von Ratherius von Verona (nach seiner 1 Sententiarum III, c. 47 (Migne PL 83, 717). 2 Summa de arte praedicatoria c. 42 „Ad principes et judices" (Migne PL 210, 188). a Speculum Doctrinale 1. V u. VI. 4 Gemma animae 1. I (Migne PL 172, 586). Vgl. Jos. Ant. Endres, Honorius Augustodunus, Kempten und München 1906. 5 Summa1theol. I qu. 81 a 3 ad 2; De regimine principum II, c. 9, 10. (Zusatz des Herausgebers: Diese Stelle stammt nicht aus der Feder des hl. Thomas von Aquin, sondern von dem Autor, der die Schrift De regimine principum vom 4. Kapitel des 2. Buches an fortgesetzt hat. Höchstwahrscheinlich war das Tolomeo von Lucca. Vgl. M. Grabmann, Die echten Schriften des hl. Thomas von Aquin. 3. Aufl. Münster 1949) 6 Belege bei Jarret, a. a. 0. 106.
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