Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
- 34 - nichts mehr zu fragen und zu bemäkeln. Derselbe souveräne Gott hat aber auch gewollt, daß andere dienen, und diese „ser– vih.ts " ist daher als sozialer Stand ebenso berechtigt und ebenso unabänderlich. Kein mittelalterlicher Theologe, so kennzeichnet neuerdings noch eine englische Studie 1 die Haltung der mittel– alterlichen Kirche gegenüber den unfreien Leuten, läßt je einen Zweifel darüber, daß die Menschenseele im Christentum freige– worden ist und nie mehr fremder Willkür bedingungslos unter– worfen sein kann. Im Bereich des Geistes und der Seele ist hier die Antike völlig überwunden. Aber keinem fällt es auch ein zu bestreiten, daß in sozial-rechtlicher Beziehung der eine, wie Thomas von Aquin 2 erklärt, ,,sui juris", der andere „juris alterius", daß auch der Stand der Knechtschaft ein Bestandteil der gott– gewollten menschlichen Ordnung und für ihre Erhaltung not– ,ivendig ist. Vereinzelte Stimmen, die auch dagegen im Namen der christlichen Freiheit bereits Einspruch erheben, dringen noch nicht durch 3 • Die Formen dieser Unfreiheit wechseln und das Wort „servus" wird ungemein vieldeutig; erst im späteren Mittelalter tritt wieder eine gewisse Vereinheitlichung unter dem Einfluß der sich weiter ausbauenden Gesetzgebung ein. Die kirchliche Sittenlehre der späteren Zeit ~ man vergleiche etwa Antoninus von Florenz 4 - bemüht sich ehrlich, diesen Wand– lungen zu folgen und in sorgfältigen Unterscheidungen die mo– ralischen Rechte und Pflichten der Herren und Hörigen aus der konkreten Rechtslage abzuleiten. Sie versucht, Härten zu mildern und die Starre der Rechtssatzungen durch die Forderungen der christlichen Liebe und Barmherzigkeit aufzulockern 5 • Ohne Frage geht auch die allgemeine Tendenz auf eine Erleichterung der persönlichen Unfreiheit, indem die förmlichen Freilassungen zunehmen, persönliche Dienste durch dingliche Leistungen abgelöst oder auf bestimmte Arbeiten beschränkt werden. Aber nach wie vor bleibt die Masse des unfreien und dienenden Volkes das unentbehrliche Fundament des gesellschaftlichen und wirt- schaftlichen Aufbaus. Zweistufig oder dreistufig, wie sie Isidor 1 Jarrett, a. a. 0. 99 ff. 2 Summa theol. II, 2, qu. 183 a 1. Der Ausdruck „servus juris mei" er– scheint schon in den Freilassungsformeln Marculfs (MGLeg Sect. V, Nr. 22). 3 So, worauf schon Carlyle, a. a. O. 199 ff. hinweist, der Abt Smaragdus von St. Mihiel (t um 830) in seiner„Via regia" c. 30 (Migne PL 102, 967). 4 Summa theol. 111 Tit. 3 c. 6. s So schon das Konzil von Mainz 847 (MGLeg Sect. II, P. 2, 181 f.).
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