Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 33 - hätte. Erst als auf der Höhe des Mittelalters die ersten Anzeichen beginnender Reifung und Entfaltung der Persönlichkeit sich einstellen und in der Folge in beschleunigtem Zeitmaß auf allen Lebensgebieten sich mehren, unterstützt auch sie diese sich vorbereitende geistige und soziale Wendung mit Gedanken– gängen, die der christlichen Gleichheits- und Freiheitsidee ent– stammen. Das gilt es zunächst ohne Voreingenommenheit zu verstehen. a) Alle Ordnung stammt von Gott; Gottes Anordnung widersteht, wer sich der Gewalt widersetzt, und diejenigen holen sich selbst ihr Urteil, die ihr Widerstand leisten. Dieses PauJus– wort (Röm. 13, 1 ff.) steht unerschüttert über dem ganzen Mittel– alter. VonAugustinus und den Kirchenvätern bis zu den Theologen und Predigern des ausgehenden Mittelalters, also über ein volJes Jahrtausend mit allen seinen umstürzenden Wandlungen hin, gibt es darüber keine Meinungsverschiedenheit. Vor dieser Einstimmigkeit mußte auch jeder Zweifel an der Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit der überkommenen Herrschaftsordnung verstummen wenn er überhaupt sich ernsthaft geregt hätte. Aber die Frage, ob es auch anders sein könne oder gar müsse, wird eben vom mittelalterlichen Durchschnittsmenschen selbst gar nicht gestellt. Sein Bewußtsein, ganz auf die Hinnahme des Gegebenen eingestelJt, ,,revoltiert", wie v. Martin 1 sagt, ,,noch in keiner Weise gegen die vorgefundene Seinslage, sondern be– findet sich mit ihr in Deckung". Und was ihm die Kirche in Predigt und Schriftauslegung zur Rechtfertigung und Befestigung der bestehenden Ordnung sagte, verlor für ihn auch dadurch nicht an Beweiskraft, daß sie, wie sogleich ein näheres Eingehen auf ihre Ständelehre zeigen wird, immer wieder in naiver Unbe– denklichkeit die gegebenen Tatsachen zuerst in die Offenbarungs– urkunden selbst hineinprojizierte, um sie alsdann in ihnen bestätigt zu finden. Im Gegenteil: diese gegenseitige „ Widerspiegelung' · der irdischen und überirdischen Welt wolJte und suchte man. Sie kam dem starken Bedürfnis statischen Denkens, überall Einheit und Ordnung zu sehen, entgegen und mußte so doppelt überzeugend wirken. Gott hat die Herrschaft gewollt und sie denjenigen über– tragen, die er dazu ausersah; menschlicher Vorwitz hat hier 1 Kultursoziologie des Mittelalters, a. a. 0. 377.

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