Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 29 - gerade die reiche Entwicklung des mittelalterlichen Genossen– schaftslebens allzuleicht über den wahren Sachverhalt hinweg und verleitet, darin ist wieder Freyer 1 zuzustimmen, zu der romantisch– idealisierenden Vorstellung, als ob deshalb die damaligen Stände von sozialem Einfügungswillen und Pflichtbewußtsein über– geflossen seien und nur immer das eine im Sinne gehabt hätten, ihre notwendige Funktion im gesellschaftlichen Ganzen zu er– füllen. In diesem Sinne ist im Verlauf des ganzen Mittelalters das Genossenschaftsprinzip nie über das Herrschaftsprinzip Herr geworden. Und wie eng waren erst die Grenzen, innerhalb derer sie!! diese berufständische Betätigung abgespielt hat, um dann sofort wieder an die starren Schranken der umfassenderen Herrschafts– ordnung zu stoßen! Selbst v. Gierke, der warme Freund und ausgezeichnete Kenner des mittelalterlichen Genossenschaftswesens und Ge– nossenschaftsrechtes, gibt ohne Bedenken zu, daß die Wirksamkeit der ländlichen Berufsverbände auf den sehr kleinen Kreis gemein– samer wirtschaftlicher Interessen der Dorf- und Markgenossen und der im hofrechtlichen Bereich zusammengeschlossenen Bauern und Handwerker beschränkt blieb. Erwähnt man die ihnen obliegende Ordnung des Gemeinbesitzes an Weide, Wald und Wasser, ihre Mitwirkung bei der Rechtsfindung und dem Gericht unter dem Vorsitz des Grund- oder Gerichtsherrn, ihre Not– gemeinschaften zu wehrhafter Verteidigung der Dorfmark und zu nachbarlicher Hilfe, so ist damit ihr Wirkungskreis bereits umschrieben. Zur Ausbildung einer wirklichen gemeindlichen Selbstverwaltung reicht das ihnen zugestandene Selbstver– fügungsrecht nicht; noch weniger zur Schaffung von größeren, über die eigne Mark hinausreichenden Verbänden, obwohl schwache Ansätze da sind. Herrschafts- und Besitzverhältnisse beherrschen nach wie vor die Lage und bestimmen die Entwicklung. Das gilt für die agrarsozialen Zustände und erst recht für die späteren Landstände, in denen das Land fast ausnahmslos nur durch die grundbesitzende Herrenklasse vertreten war. Ebenso ist im städtischen Zunft- und Gildewesen zu unter– scheiden zwischen der gewiß sehr bemerkenswerten Entfaltung genossenschaftlicher Gesinnung und solidarischer Verbundenheit, 1 Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, a. a. 0. 276. Schwer Stand und Ständeordnung.

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