Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

25 - Als Beispiel dafür, daß auch außerhalb Deutschlands die mittelalterliche Stadtgeschichte nirgendwo durch echte berufs– ständische Tendenzen ausschlaggebend bestimmt wird, mag Florenz dienen 1 . Und zwar Florenz deshalb, weil gerade hier die zünftlerische Durchgliederung in ungewöhnlichem Umfange fast die ganze große Stadtbevölkerung, mit alleiniger Ausnahme des hohen Adels, erfaßte, mithin die äußeren Vorbedingungen für ein berufsständisches Zusammenwirken außergewöhnlich günstige waren. Aber das Ziel jahrhundertelanger erbitterter inner– städtischer Kämpfe ist auch hier kein anderes als die Erringung der Gleichberechtigung seitens der politisch zurückgesetzten oder völlig rechtlosen proletarischen Arbeiterzünfte. Ein aus– gesprochenes Bourgeoisieregiment, eine kleinbürgerliche und eine kurzlebige proletarische Demokratie folgen aufeinander, um dann wiederum der Aristokratie Platz zu machen. Um berufsständische Fragen und Ziele kümmerte man sich dabei so wenig, daß eine der wichtigsten Aufgaben dieser Art, die Her– stellung eines einigermaßen erträglichen Verhältnisses zwischen den kapitalistischen oberen Zünften und den furchtbar ausge– beuteten Massen des „popolo minuto", nicht einmal in Angriff genommen wurde. Ja, es gebe wohl keine Periode in der Welt– geschichte, urteilt Alfred Doren 2 , in der die natürliche Übermacht des Kapitals über die besitz- und kapitallose Handarbeit rücksichts– loser, freier von sittlichen und rechtlichen Bedenken, naiver in ihrer selbstverständlichen Konsequenz gewaltet hätte, als in der Blütezeit der Florentiner Tuchindustrie im Jahrhundert der Mediceer. Auch in den deutschen Städten wird man bei aller Aner– kennung eines lebendigen Berufs- und Standesbewußtseins innerhalb der einzelnen gewerblichen Gruppen, des Handwerks und der Kaufmannschaft, doch kaum irgendwelche Spuren einer planmäßigen Zusammenarbeit von Stand zu Stand entdecken. Nicht nur die Stadt als solche stand bis zu ihrer Befreiung vom dischen Selbstverwaltung in Deutschland, in: Zeitschrift f. d. ges. Staatswissen– schaft 76 (1921) 440 ff. 1 Alfred Doren, Das Florentiner Zunftwesen im 14.-16. Jahrhundert, Stuttgart und Berlin 1908, 720 ff. ; K. Schall<, Soziale Momente in der Verfassungs– geschichte der florentin. Republik (Mitteilungen des Instituts f. österreichische Geschichtsforschung 6. Erg.-Bd., Innsbruck 1901, 293 ff.). 2 Die Florentiner Wollindustrie vom 14.-16. Jahrhdt. (Studien aus der Florentiner Wirtschaftsgeschichte 1), Stuttgart 1901, 458.

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