Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
22 - schwer drückende Unfreiheit unter dem Einfluß zunehmender christlicher Gesittung sich milderte, persönliche Abhängigkeit vielfach in vertragliche Bindungen und persönliche Dienste in sachliche Leistungen übergingen, stieg der Stand der Unfreien und Hörigen langsam auf. Da sich gleichzeitig aber auch die Lage der ehedem freien Bauern durch wiederholte wirtschaftliche Krisen, durch Übervölkerung des Landes nach Abschluß der Stadtbesiedelung und durch Wertminderung der menschlichen Arbeitskraft merklich verschlechterte, ist das Ergebnis eine An– gleichung beider Gruppen und eine Vereinheitlichung, die es allerdings erlaubt, in gewissem Sinne von einem Bauern„stande" zu sprechen. G. Schnürer glaubt sogar in dem Übergang des römischen Sklaven zum Ackerknecht und in der Annäherung des Hörigen an den freien Bauern ein erstes Zurückweichen des geburtsständischen Prinzips zugunsten sozialer Einschätzung nach der Berufsleistung erblicken zu dürfen 1 . Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn lediglich festgestellt werden soll, daß gemein– sam ertragenes Schicksal, Verurteilung zur gleichen Arbeit und gleiche Achtung oder besser gesagt Mißachtung im geseJlschaft– lichen Ganzen ein gewisses ständisches Gemeinschaftsbewußtsein erzeugten. Mehr noch als für das Land trifft das ja auch für das gewerbliche und kaufmännische Stadtbürgertum zu, das sich vom 11. und 12.Jahrhundert ab ebenfalls beruflich gliedert, und, durch gemeinsame Interessen und Lebensnotwendigkeiten aneinander– gedrängt, sogar ein starkes Selbstgefühl und eine echte berufs– ständische Selbstverwaltung ausbildet. Damit allein ist aber noch gar nichts darüber ausgemacht, was diese Ansätze zu berufs– ständischen Gebilden für das struktureJle Gefüge bedeutet haben, das den Gesellschaftsbau als Gerüst trägt. Denn nur dann, wenn diese Entwicklung nicht lediglich „nach innen" gewandt blieb, sondern tragendes Glied einer neuen, auf Leistung und Beruf beru– henden Gesamtordnung geworden wäre, könnte, wie schon ein– leitend bemerkt, von einer ernsthaften Umgestaltung der über– kommenen Herrschaftsordnung oder wenigstens von ihren An– fängen die Rede sein. Gerade dieses Ziel aber haben ~ wenn sie es überhaupt jemals sahen! - weder die Bauern noch die kleinen Stadtbürger erreicht. Beide sind „dienende" Stände und bleiben es bis zum 1 a. a. O. I, 194.
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