Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters
- 19 - auch dieser jüngere Adel bleibt nicht lange auf der bald sich verschmälernden Grundlage des „Berufes" stehen, sondern auch er sucht und findet schließlich seinen Platz im Gehäuse der alten Rang- und Besitzordnung. Ein vererbbares Familiengut wird erworben, wozu die im 12. Jahrhundert beginnende Auflösung des Großgrundbesitzes und die Umwandlung der Fronhöfe in Herrensitze manche Möglichkeit bot. Eine „Burg" wird gebaut, die errungene geseJlschaftliche Stellung durch eine wachsende Zahl von Gerechtsamen und Privilegien gesichert. Am herren– ständischen Aufbau wird also auch hier nichts geändert. Es schiebt sich vielmehr nur ein neues Zwischenglied in die Reihe ein, das trotz aller oft drückenden Ärmlichkeit über seinen Vorrang gegenüber dem Gemeinfreien ebenso eifersüchtig wachte und ihn durch Wappen und Schild nach außen hin dokumentierte, wie ihm gegenüber der alte echte Hochadel, auf das edle Blut und die Ahnenprobe gestützt, sorgfältig Abstand hielt. Die neu „iurivierten" Adeligen bilden also nicht nur in keiner Weise eine Gefährdung der alten Standesordnung, sondern sie werden, wie Freyer richtig bemerkt1, bald sogar die eifrigsten und treuesten Hüter der Traditionen des Standes, der sie aufgenommen hat. Frankreich und andere Länder zeigen übrigens eine ganz ähn– liche Entwicklung. In noch weit höherem Sinne ist der geistliche Stand, den die mittelalterliche Kirche mit starker Betonung seines Vorranges in der Ordnung des Christenvolkes den Laienständen gegenüberstellte, seinem Begriff und Wesen nach ein Berufs– stand. Von Jahrhundert zu Jahrhundert, insbesondere seitdem die um 1100 einsetzende innerkirchliche Reformbewegung Boden gewann, sind die Bemühungen der mittelalterlichen Kirche zu verfolgen, ihm diese seine Bestimmung und Würde auch immer wieder vor Augen zu führen. Aber auch er entging seinem Schick– sal nicht, sondern mußte der Ordnung, auf die er sich stützte, gleichfalls seinen Tribut zahlen. Als Herrenstand mit Grund– besitz, Herrschaftsrecht und Hörigen, ganz zu schweigen von ihrem unvergleichlichen geistigen Einfluß, gehörte auch die Kirche den führenden und repräsentativen Schichten der dama– ligen Gesellschaft an. Ja, man darf sagen, daß die Besetzung der hohen Kirchenämter durch Mitglieder des hohen Adels - die 1 Soziologie als Wirklichkeitswissenschc1ft, a. a. 0. 270 f.
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