Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

• - 11 - aber heißt werden, wachsen, reifen. Vor allem kann jene gewal– tige Entwicklung von naturhaft-unreflektierter Gemeinschafts– gebundenheit zu bewußtgewordener persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung, die sich als eine Geschichte des Menschen innerhalb der Geschichte der Menschen vollzogen hat und voll– zieht, nicht ohne tiefgehende Rückwirkung auf jedes System ständischer Bindungen bleiben. Denn jede Form geselJschaft– licher Ordnung kann eben theoretisch und praktisch von beiden Polen her konstruiert werden: von oben her, von der Autorität und Bindung aus, und von unten herauf, aus dem Gemeinschafts– willen freier sittlicher Menschenpersönlichkeiten heraus. Und wenn zudem Sigmund Rubinstein1, wie ich annehmen möchte, richtig urteilt, daß nach kleinen und primitiven Anfängen die ins Große wachsenden Gesellschafts- und Wirtschaftsgebilde zuerst einmal in herrschaftlichen Formen gebändigt und ge– ordnet werden mußten, bevor die Menschenpersönlichkeit reif wurde, sie in freiheitlich-demokratischer Verfassung zu meistern, so wäre damit eine zweite Kurve der geschichtlichen Entwicklung des Ständegedankens sichtbar geworden. Und nun als Letztes und vielleicht Wichtigstes die Kräfte, die aus dem Reich des Geistes, der lebenbeherrschenden und lebengestaltenden Ideen und Ideologien über den Häuptern der Menschen stammen. Für die ständische Gesellschaftsform, die eine alles Einzelne und Individuelle überragende und einbe– greifende Ordnung voraussetzt und sich an einem Ordnungs– gebilde zurechtfindet, das, allem Streit der Meinungen entrückt, unveränderlich über der kleinen Welt menschlichen Lebens und Schicksals steht, muß es von geradezu entscheidender Be– deutung sein, wie dieses Idealschema menschlicher Vergemein– schaftung aussieht, und ob die Kraft des Denkens und Glaubens überhaupt noch zu einer solchen universalen Konzeption aus– reicht, oder ob sie zu versagen beginnt. Der Übergang von ,,prälogischen" Frühstufen widerstandsloser Hingabe an über– menschliche Gewalten und Ordnungen zu einem Wirklichkeits– sinn, dem das Unsichtbare immer mehr verblaßt, ist hier ebenso folgenschwer, wie die Ablösung der von Max Scheler so genannten „biomorphen" Denkart, der die ganze Welt noch ein Organismus und eine „stabile Macht- und Daseinshierarchie" ist, durch die kausal-mechanische Betrachtungsweise. Und nicht etwa nur 1 Herrschaft und Wirtschaft, München 1930.

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