Stand und Ständeordnung im Weltbild des Mittelalters

- 9 - ein „echter" und alle freiheitlich-genossenschaftliche Stände– hildung in der „Organisation" steckenzubleiben verurteilt sei. In der soziologischen Literatur, in der das Kapitel „Stand" sich ohnehin im allgemeinen nicht durch allzugroße Klarheit aus– zeichnet, kann man hier allerlei Verzeichnungen begegnen, die keineswegs nur von nebensächlicher Bedeutung sind. Ein stich– l1altiger Grund für eine solche Einschränkung ist nicht abzu– sehen. Wenn man nicht dem echten Freiheitsgedanken alle Zukunftsmöglichkeiten von vorneherein abspricht und nicht etwa grundsätzlich nur geschichtlich legitimierte GeseIJschafts– formen gelten läßt, muß ständische Ordnung auch im Rahmen freiheitlich-genossenschaftlicher Gesellschaftsstrukturen möglich sein, wobei dann freilich das autoritäre Element ebensowenig auszuschließen ist, wie die autoritativ-herrschaftlichen Ordnungen jemals radikal und ohne jeden freiheitlichen Spielraum durch– geführt waren. Auf dem Wege bloßer äußerer Organisation ist allerdings ein solcher freiheitsständischer Aufbau nicht zu schaffen, sondern Voraussetzung wäre auch hier, daß er sich von innen her seinen Sinn gibt; daß er „in Form" kommt; daß das soziale Denken und Handeln sich an der VorsteIJung, dem Wunschbild einer legitimen Ordnung orientiert, die auf Bestand und Dauer gegründet ist. Auch heute noch würde ein solcher Glaube - das zeigt mit voller Deutlichkeit gerade das gegenwärtige Ge– schehen - auf den Ordnungsaufbau selbst festigend zurückwirken, und neue Ansatzpunkte für die Wiederbelebung des fast ge– schwundenen Standesbewußtseins, ständischen Rechts und stän– discher Ehre wären geschaffen. 3. Daß jede Gesellschaftsbetrachtung mit solchen Wand– lungen auch der scheinbar „für die Ewigkeit" gebauten ständischen Ordnungen rechnen muß, will die nachfolgende Untersuchung des mittelalterlichen Ständebegriffs und der Schicksale der mittelalterlichen Ständeordnung nachweisen. Sie will weiter in etwa auch die Entwicklungslinien aufdecken, die aus dieser klassischen Zeit ständischer Bildungen in die Zukunft hinaus– zuweisen scheinen. Auch Stände, die, mit allen erdenklichen sozialen Bindemitteln durchwirkt, inneren und äußeren Angriffen einen ungewöhnlich zähen Widerstand entgegensetzen, ,,über– leben" sich, indem zerstörende Kräfte in ihr Ordnungsgefüge eindringen, ihren Aufbau unterwühlen, aushöhlen, zum Einsturz bringen und neuen Formen den Weg freimachen.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2