Schloss Vogelsang in Steyr

5. Kapitel Die Industriellenvilla menade (das heißt: in Richtung Altstadt) sanft abfällt und im Norden einen recht steilen Abhang zum Wehrgraben und Eisenfeld aufweist. Im Wehrgraben, durch den die Steyr in zahlreiche Arme geteilt fließt, befanden sich die Werndl'schen Fa briksobjekte (Abb. 50 und 51). Durch diese Lage entsteht trotz der geographischen Nähe eine optische Distanz zu den Fabriksanlagen. Der Herrschaftsanspruch und die Kontrolle des Fabriksherrn über die eigenen Werke® werden visualisiert^. Werndl re sidiert in seinem ,,Schloß" über ,,seinen" Arbeitern. Dazu kommt überdies, daß sich der Reproduktionsbereich, das heißt die Wohnungen eines Großteils der Arbeiter, unmittelbar neben dem Produktionsbereich befinden. Westlich des Wehrgrabens nämlich ließ Werndl im Stadtteil Fisenfeld ab 1874 ebenerdige Arbeiterwohnhäuser errichten®. So wissen die Arbeiter der Osterreichischen Waffenfabriksgesellschaft also ihren ,,Herrn" ständig über sich wachend. Werndls Villa wird also der Funk tion der Industriellenvilla gerecht. Sie ist das Steyrer Äquivalent der Villa Hügel des Alfred Krupp in Fssen. Werndls Villa erfüllt aber noch einen weiteren Zweck: So ähnlich einander die Nordund die Südfassade nämlich formal sind, so unterschiedliche Ansprüche verkörpern sie: Dem Wehrgraben und dem Fisenfeld zu ist die Villa der architektonische Aus druck der Herrschaft eines Industriellen über seinen Betrieb und dessen Arbeiter. Auf der anderen, der Stadtseite, von wo aus niemand die große Waffenprodukti onsstätte dahinter erahnen kann, ist die Villa Selbstdarstellung eines Großbürgers, der sich — reich und mächtig geworden — den übrigen Bürgern gegenüber als primus inter pares präsentiert. Fr wohnt in einem Haus, das wie ein Schloß aussieht, umgeben vom Grün eines englischen Gartens, in der Nähe seiner Mitbürger und gleichzeitig auf Distanz zu ihnen.

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