4. Kapitel Stilvergleich 29 an beiden Bauten nur wenige Details, finden, die man zu Vergleichszwecken neben einander stellen könnte, doch in der großen Gesamterscheinung ergibt sich deutlich so manche verwandte Wirkung zwischen der Kaserne in Wien und Schloß Vogelsang in Steyr. Aber nicht nur an die Kasernen in Wien kann man denken. Auch ein anderer Bau, der für das Militär errichtet wurde, ist mit Schloß Vogelsang vergleichbar: Das Militärkasino in Komärom®^ in der heutigen CSFR von 1858-63 ist wegen der po lygonalen Ecktürme und einem betonten (weil etwas erhöhten) Mittelteil für einen Vergleich zulässig. Hier wird im Gegensatz zu den vorher erwähnten Wiener Bauten ein der Steyrer Villa näher kommender gotischer Baumodus gewählt. Interessant an Schloß Vogelsang ist überhaupt die Vergleichbarkeit mit monumenta len Nutzbauten^® und öffentlichen Bauten der Gründerzeit. Sie sind meiner Meinung nach eine wichtige Quelle für die historistische Komponente von Schloß Vogelsang, die sich bei diesem Bau mit der romantischen verbindet, was dessen gewisse Ei genständigkeit ausmacht. Die strenge und regelmäßige Grundrißform ist hier nicht aus der Schloßarchitektur oder den Villen der Renaissance gewonnen wie in anderen großbürgerlichen Bauten der Zeit: etwa in der Villa Hahnenburg in Hamburg um 1870=^®. Es scheint mir vielmehr so zu sein, daß Architektur im öffentlichen Bereich, wie eben die genannten Militärkasernen, wie Rathäuser der Zeit (zumal das Wiener), ja selbst Bahnhöfe (die alten Bahnhöfe in Wien^^, aber auch international finden sich Beispiele, etwa St. Pancras Station®® in London 1868-74 von Sir George Gilbert Scott, die ebenfalls — wenn auch abgetreppte — Dreiecksgiebeln mit Blendrosen im Giebelfeld ausweist), den Auftraggeber bzw. den Baumeister inspirierten, und das sowohl für den Grund- als auch den Aufriß. Es ist sicher ungewöhnlich, daß sich ein Privatbau von öffentlichen Profan- und Zweckbauten Anregungen holt®®, doch glaube ich, ist dies zu sagen bei Schloß Vo gelsang aus zwei Gründen zulässig: Erstens haftet dem Bau insgesamt etwas Öffentliches an: Er liegt sehr zentral in der Stadt, und ursprünglich umgaben noch keine hohen Bäume die Villa, sodaß sie von überall gut sichtbar war, er ist ,,Sitz" des Generaldirektors der Österreichischen Waffenfabriksgesellschaft, der, nach allem, was wir wissen, aufs engste mit dem Un ternehmen verbunden und im Grunde nie Privatmann war^°. Im Inneren ist das Glasdach des Stiegenhauses ebenfalls dem Repertoir von öffentlichen Nutzbauten entnommen. Zweitens dürfte dies vielleicht auch mit dem Baumeister zusammenhängen: Es ist zu vermuten, daß ein lokaler Baumeister wie Anton Plochberger nur selten mit so großen repräsentativen Bauaufgaben betraut wurde wie mit der Villa für Josef Werndl. Da raus schließe ich — zugegebenermaßen ohne die Möglichkeit eines Beweises dafür zu haben —, daß er versuchte, diesem Bau, innerhalb bestimmter Vorgaben natürlich.
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