Schloss Vogelsang in Steyr

SCHLOSS VOGELSANG IN STEYR Ulla Weich Juni 1990

INHALTSVERZEICHNIS 1 Geschichte des Baus 2 Josef Werndl, der Bauherr von Schloß Vogelsang 3 Beschreibung des Baus 3.1 Das Äußere 3.2 Die Pläne 12 3.2.1 Souterrain, Keller und Fundamente 12 3.2.2 Erdgeschoß 14 3.2.3 1. Stock 3.2.4 Dachgeschoß 17 3.2.5 Unterschiede im Aufriß zwischen Einreichplan und Ausführung 18 3.3 Das Innere 19 4 Schloß Vogelsang im Stilvergleich 4.1 Zu Beginn: Renate Wagner-Rieger 4.2 Allgemeines Vorbild: England 24 4.3 Etwa gleichzeitige Vergleichsbeispiele in Österreich ... 25

4.4 Böhmen, Mähren und Ungarn 25 4.5 Schlösser und Villen in Bayern 27 4.6 Die Ähnlichkeit mit Militär- und Nutzbauten 28 5 Schloß Vogelsang als Industriellenvilla Anmerkungen Abbildungen Abbildungsverzeichnis

Kapitel 1 Geschichte des Baus Am 3. Mai 1877 stellt Josef Werndl, Generaldirektor der Osterreichischen Waffen fabriksgesellschaft an die Stadtgemeinde von Steyr den Antrag auf Erteilung des Baukonsenses für die Errichtung eines Neubaus auf einem Grundstück, das er 1873 erworben hatte^, den sogenannten ,,Hallerfeldern" im Stadtteil Vogelsang^. Am 5. Mai 1877® wird in einer Gurrende von Bürgermeister Moritz Crammer für den 8. Mai eine Baukomission einberufen, der Stadtingenieur Johann Bogacki, Gemein desekretär Leopold Igelseder, Baumeister Anton Plochberger^ und Oberingenieur Karl Chronek angehören®. Die baubehördliche Bewilligung der Pläne datiert vom 9. Mai 1877®, laut Manfred Brandl erfolgt der Baubeginn jedoch bereits am 7. Mai des Jahres^. Aus den Aufzeichnungen des Steyrer Bürgers Jakob Kautsch® (1845-1920; Bankdi rektor) geht hervor, daß die Villa ,,im Spätherbsteunter Dach gebracht" ist, Werndl den Bau daraufhin jedoch aus privaten Gründen® einstellen läßt. Werndls Wunsch ist nun (Anfang 1878), daß die Stadtgenieinde den Bau durch eine allgemeine Subskription erwerben und als Armenhaus adaptieren möge. Ein Wunsch, dem die Stadt nicht nachkommt, worauf sich — in einer Zeit des Konjunk turtiefs und der Arbeitslosigkeit — ein regelrechter ,,Streit um die Armenhausfrage" entspinnt: Werndl zeigt sich erbost über die Ablehnung seines Vorschlages, und als die schließlich doch durchgeführte Subskription nichts einbringt, reagiert er mit dem Entzug der Benützungserlaubnis des durch ihn finanzierten Bahndirektions gebäudes, eine Verfügung, die er jedoch am 5. April 1878 wieder zurückzieht^^. Auch ein Kaufangebot vom 1. April 1879 um die Hälfte des von Werndl zunächst geforderten Betrages von 104.000 Gulden wird von der Stadt endgültig abgelehnt^®.

1. Kapitel Geschichte 2 Im Jahr 1880 findet anläßlich der 900-Jahr-Feier der Stadt Steyr eine industrielle und landwirtschaftliche Ausstellung mit Volksfest statt^®. Jakob Kautsch berich tet, daß Werndls Villa dabei als Ausstellungshalle für den landwirtschaftlichen Teil diente und die unmittelbare Umgebung des noch nicht fertiggestellten Baus als Fest platz einbezogen war^^. Der Höhepunkt des Festes ist der Besuch von Kaiser Franz Josef 1. in Steyr am 23. August^®, wobei anzunehmen ist, daß er dabei auch die Wem dl-Villa besuchte. 1882 wendet sich die Osterreichische Waffenfabriksgesellschaft auf Initiative ihres Generaldirektors Josef Werndl dem gerade entstehenden Wirtschaftszweig der Elek troindustrie zu^®. Am 4. Juli 1883 findet zum 1. Mal eine Probebeleuchtung mit elek trischem Licht unter anderem an der Werndl-Villa und dem benachbarten Glashaus statt^'. Im Zusammenhang mit der Wiener Internationalen Elektrischen Ausstellung 1883 faßt Werndl den Plan, im nächsten Jahr in Steyr eine elektrische Ausstellung durchzuführen. In einem Brief vom 21. November 1883 schreibt er unter anderem: ,, [...] und habe ich, um die Ausstellung zu fördern, oder richtig gesagt, um sie zu ermöglichen, meine Villa, welche zu diesem Behufe ausgebaut wird, samt dem umliegenden Parke zur Verfügung gestellt"^®. Das Ausstellungsgelände umfaßt Gründe aus dem Besitz Josef Werndls und der Stadtgemeinde Steyr^®. Im Hinblick auf ihre Verwendung als Hauptausstellungs gebäude muß die Werndl-Villa nun rasch fertig ausgebaut werden: Nun erst wer den der Park angelegt und die Brunnen installiert. Ende Juni berichtet die Steyrer Zeitung bereits von einem ,, [...] Zauberpalast inmitten eines wunderschönen Parks. Es ist wahrscheinlich, daß das Palmenhaus im Park links neben der Villa im Zuge dieser Arbeiten errichtet und ausgestattet wird: Am Plafond der erhöhten Mittelhalle dieses Baus werden Bilder der 4 Jahreszeiten von den Wiener Dekorationsmalern F. Heiserer und F. Pruzsizsky angebrachte^. Am 2. August 1884 eröffnet Erzherzog Carl Ludwig im fertigen ,,Ausstellungspalais" die ,,Elektrische, Landes-lndustrie-, Forst- und culturhistorische Ausstellung" Am 15. August wird die Ausstellung und damit die Werndl-Villa — möglicherweise schon zum zweiten Mal — von Kaiser Franz Josef besucht Mit dem Ende der Ausstellung am 30. September 1884 schließt auch die Villa ihre Pforten und bleibt jahrelang unbewohnt. Ab 1885 gibt Werndl seinen Park während der Sommermonate zur öffentlichen Be nutzung frei. Auch das Glashaus ist gegen ein geringes Eintrittsgeld zu besichtigen, die Einnahmen dienen wohltätigen Zwecken^''. Im Zusammenhang damit ersucht Werndl die Stadtgemeinde in einem Brief vom 3. August 1885 um die Korrektur des Grundstückes zugunsten eines geraden Verlaufs seiner Grenze im Westen entlang der Redtenbachergasse^®. Nach dem Tod Josef Werndls am 29. April 1889 geht die Villa in den Besitz seiner Tochter Caroline, die mit Baron Max von Imhof^® verheiratet ist, über^^.

I. Kapitel Geschichte 3 Am 25. November 1890 zeigt Baumeister Franz Plochberger^® die Vollendung des Baus an und ersucht um Vornahme der Collaudierung und Erteilung des Benützungskonsenses^®. Jakob Kautsch schreibt dazu: „Die Villa wurde nun vollständig aus gebaut, durch hervorragende Kunst-Kräfte ebenso geschmackvoll als wohnlich ein gerichtet, und zu Weihnachten 1890 versammelte sich das erste Mal die gesamte Familie des Baron Max Imhof um den Weihnachtsbaum"^". Im Jahr 1909 erwirbt Ludwig von Sachsen-Koburg-Gotha die ,,Villa Imhof""^. Am II. August 1909 trifft er in Begleitung seines Sekretärs in Steyr ein, um die Villa zu besichtigen und bezüglich deren Einrichtung die nötigen Anordnungen zu treffen®^. Er ist der ranghöchste in Steyr ansässige Adelige"". Er ist Hausherr als die Villa während des 1. Weltkrieges neu gedeckt werden muß. Jakob Kautsch: ,,22. August 1916: Es wurde die Entfernung des Kupferdaches von dem Hoheit Prinzen Ludwig von Sachsen-Coburg-Gotha gehörigen Schlosse Vogel sang in Steyr und die Ersetzung desselben durch ein Blechdach beendet. Es konn ten hiedurch rund 4000 Kilogramm Kupfer der Kriegsmetallsammlung zugeführt werden.""^ Infolge der Inflation und wohl auch der gesundheitlichen Verfassung Prinz Ludwigs"" bricht das Haus Sachsen-Koburg-Gotha in Steyr in der Mitte der 20er Jahre zusam men"". Für Prinz Ludwig bedeutet dies die Zwangsverwaltung und zwei Jahre später schließ lich die Zwangsversteigerung seines Besitzes"^: ,,Zunächst kamen die Einrichtungs- und Wertgegenstände, bestehend aus den ver schiedenartigsten Luxus-, Kunst- und Gebrauchsgegenständen in einem Schätzwert von weit über eine Milliarde, darunter seltene und kostbare Sachen, zur Verstei gerung. [...] " Die erste derartige Versteigerung vom 12. bis 14. Dezember hatte ein Erträgnis von 130.000 Schilling, eine darauf folgende 2. Versteigerung vom 4. bis 6. April 1927 ergab 81.000 Schilling. Damit war der einstige Fürstensitz ausgeräumt. Für den 7. Juli des Jahres war die Versteigerung des Schlosses samt Park und Ne bengebäuden angesetzt worden, jedoch erfolgte hinzu kein Angebot, weshalb dieser Termin um 6 Monate verschoben wurde.""" Am 10. Mai 1928 wird die Villa mit herabgemindertem Schätzwert von 343.424 Schilling versteigert. Die Tiroler Franziskanerprovinz erwirbt die Liegenschaft um die Hälfte des Schätzwertes, um 171.712 Schilling"". Im Herbst 1928 eröffnen die Franziskaner das Knabeninternat ,,Konvikt Vogel sang" mit einer Hauptschule, die Anfang 1932 das dauernde Öffentlichkeitsrecht erhält. Im Zuge der Adaptierung zu einem Schülerheim wird 1929 das Dachgeschoß ausgebaut^". Im Jahre 1938 zu Beginn des nationalsozialistischen Regimes in Osterreich wird das Schülerheim geschlossen. Die Wehrmacht richtet darin das Wehrbezirkskommando,

1. Kapitel Geschichte das Wehrmeldeamt und die Heeresstandortverwaltung ein. Der Schule wird zunächst das Offentlichkeitsrecht entzogen, dann muß sie überhaupt schließen. Durch das Vermieten des Geländes an die Wehrmacht wird ein Verkauf an die NSDAP, auf die deren Kreisleiter drängte, verhinderte^. Von Mai bis Juli 1945 sind Flüchtlinge in Schloß Vogelsang untergebracht. Danach erhalten die Franziskaner ihr Eigentum zurück. Im Herbst 1945 können sie das Konvikt wieder öffnen. Die Hauptschule wird nicht mehr aktiviert^^. Die Zöglinge besuchen seither die für ihre Alterstufe zur Verfügung stehenden Schulen in Steyr. 1967 wird an der Nordwestseite ein Hallenbad an das Konvikt angebaut"^®. Diesem Ausbau fällt die rückwärtige Terrasse zum Opfer. Heute bewohnen 70 Schüler aus Oberösterreich und den angrenzenden Bundesländern, 4 Präfekten und 7 Hausan gestellte während der Schulzeit das Konvikt

Kapitel 2 Josef Werndl, der Bauherr von Schloß Vogelsang Abgesehen von der Bedeutung, die dem Bauherrn in der Architektur des 19. Jahr hunderts im allgemeinen zukommt^, wird sie gerade in einem Fall wie dem unse ren umso größer, da wir es bei Baumeister Plochberger mit keiner bedeutenden Künstlerpersönlichkeit zu tun haben. Darüber hinaus muß dieses Gebäude unbedingt auch als Villa eines Großindustriellen gesehen werden. Deshalb soll hier kurz der Lebenslauf ihres Bauherrn Josef Werndl skizziert werden^: Josef Werndl wird am 26. Februar 1821 in Steyr geboren. Die Werndls waren eine schon seit 1661 in Steyr nachweisbare Handwerkerfamihe. Sein Vater Leo pold Werndl besitzt einen Armaturenbetrieb. Später errichtet er in Letten an der Steyr mehrere Objekte zur Erzeugung von Gewehrteilen®. Sein Sohn, ältestes von zahlreichen Kindern, wächst also automatisch in die Steyrer Tradition der Eisen verarbeitung hinein. Nach dem Abschluß der Kreishauptschule in Steyr und der Büchsenmacherlehre in Wien bleibt er allerdings nur wenige Jahre im väterlichen Betrieb^. Es kommt nämlich zu Unstimmigkeiten zwischen dem Vater, der an den althergebrachten Handwerkstraditionen festhält, und dem Sohn, der neue maschi nengestützte Techniken einsetzen möchte®. Josef Werndl geht wiederholt auf Wan derschaft: nach Prag (1847), nach Wien (1849), meldet sich freiwillig zum Militär, gegen den Willen seines Vaters, dem es schließlich gelingt, ihn wieder vom Mi litärdienst zu entheben. Doch schon 1852 ist Werndl wieder auf Wanderschaft nach Thüringen®. Nach der Rückkehr macht er sich in Steyr selbständig, im Wehrgraben, dem Standort

2. Kapitel Josef Werndl 6 von eisenverarbeitenden Betrieben in der Stadt. Nach dem Tod Leopold Werndls im Jahr 1855 leitet er — bis 1862 zusammen mit seiner Mutter Josefa — auch die väterlichen Betriebe^. In den folgenden sechs Jah ren baut Werndl den größten Industriebetrieb Oberösterreichs auf®. 1862 legt er mit der Errichtung eines neuen Fabriksgebäudes im Wehrgraben den Grundstein für die Werndl'sche Waffenfabrik. 1863 reist er zusammen mit Karl Holub®, dem Werkmeister seines Betriebs über Eng land nach Amerika, wo während des Sezessionskriegs die Waffenproduktion blüht, und er in Betrieben in Hartford und in Illinois wertvolle Erfahrungen und Ideen sammelt^®. 1864 schreitet Josef Werndl zusammen mit seinen Brüdern zur Neukonstituierung des Betriebs unter dem Namen ,,Josef und Franz Werndl & Comp., Waffenfabrik und Sägewerk" 1867 kommt der Durchbruch für das Unternehmen: Es erhält einen kaiserlichen Großauftrag zur Lieferung eines von Werndl und Holub gemeinsam entwickelten Hinterladegewehrs^^. Die folgenden Finanzierungsschwierigkeiten durch den Druck, nun stark zu expandieren, kann durch die Umwandlung der Werndl-Fabrik in eine Aktiengesellschaft abgewendet werden: Am 1. August 1869 wird die ,,Osterreichische Waffenfabriksgesellschaft" gegründet^®. Deren Hauptsitz ist Wien, und ihr General direktor heißt Josef Werndl, technischer Direktor ist Karl Holub^^. 1871 übersiedelt Werndl mit seiner Frau Garoline Antonia, mit Sohn und Töchtern in die sogenannte ,,Wasservilla" im Wehrgraben^®. Die Auslastung der Fabrik mit Aufträgen und somit auch der Beschäftigtenstand schwanken ständig^®. Die ökonomische und soziale Gesanrtsituation der Stadt ist mit diesen Schwankungen eng verbunden. Josef Werndl wird aber neben seinem Einsatz als Industrieller stets soziales Engagement und Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Beschäftigten der Osterreichischen Waffenfabriksgesellschaft, die er sicher nach wie vor als ,,sein Werk" begriff, attestiert^^. 1874 läßt er unweit seiner ,,Wasservilla" im sogenannten ,,Eysnfeld" 21 ebenerdige Arbeiterwohnhäuser^® errichten und ganz in der Nähe die neue ,,Schwimmschule"^®. Die Bauarbeiten verlaufen parallel zu den Arbeiterunruhen, die am 31. August aus gebrochen sind®°. Die Baumaßnahmen waren offenbar nicht nur für die Arbeiter, sondern auch wegen des Betriebsklimas in Werndls Werk von großer Dringlichkeit. Als es 1884 zu umfangreichen Entlassungen kommt, verfügt Werndl eine Arbeitslo senunterstützung®^ . Auch Baumaßnahmen, die nicht nur der Waffen-AG, sondern auch der Stadt insge samt zugute kommen, finanziert er®®. Seit 1873 liefert die Gesellschaft auch an die preußische Armee, und im weite ren Laufe der 70er Jahre erlangt das Werk Weltgeltung, mit Aufträgen auch aus

2. Kapitel Josef Werndl 7 Ubersee^^; was allerdings keineswegs mit einem konstanten Beschäftigtenstand in den Fabriken einhergeht Zu Problemen mit der Auslastung des Betriebs kommt für Josef Werndl um diese Zeit privates Unglück hinzu: Seine Frau wird mit Depressionen in eine Anstalt bei Wien eingeliefert, wo sie am 29. Oktober 1878 stirbt^®. Ein Tief in der Waffenproduktion in den frühen 80er Jahren versucht Werndl durch die Arbeit auf elektrotechnischem Gebiet auszugleichen^®. Als Mitarbeiter gewinnt er Siegmund Schuckert und andere Fachleute^^. Bald beginnt man in Steyr mit der serienmäßigen Herstellung von Dynamos und Glühlampen. Höhepunkt der Werndl'schen Aktivitäten in der Elektroindustrie ist die ,,Elektrische, Landes-Industrie-, Forst- und culturhistorische Ausstellung" von 1884 in Steyr^®. Eindeutiges Ziel Werndls ist aber die die Massenproduktion elektrischer Maschinen und Lampen durch die Waffenfabrik^®. Die Aktionäre der Gesellschaft können sich jedoch nicht dazu entschließen, den neuen Industriezweig auszubauen. Als nach einer Großbestellung von Repetiergewehren (Vorläufer der heutigen Maschinengewehre) der Zweig der Waffenproduktion ab der Mitte der 80er Jahre wieder ausgelastet war, muß die elektrische Abteilung dafür Platz machen, war ab dann ein eher unbedeu tender Nebenzweig der Produktion des Werks und wurde nach Werndls Tod sehr bald ganz eingestellt®®. Josef Werndls letzte Lebensjahre sind von dem Bemühen, die zahlreichen Waffen aufträge termingerecht zu erfüllen geprägt®^. Werndl stirbt 58-jährig völlig unerwartet am 29. April 1889®®. Sein Sterbehaus ist das ,,Petzengütl", wo er in seinen letzten Lebensjahren direkt neben seiner Villa gewohnt hat®®. Josef Werndl besaß den gründerzeitlichen uneingeschränkten Fortschrittsglauben, war liberaler und antiklerikaler Geisteshaltung®^. In den 70er und 80er Jahren war Werndl zweifellos die bedeutendste Persönlichkeit in der Stadt. Er wurde auch als ,,König von Steyr" apostrophiert®®, doch soll er den ihm angebotenen Adelstitel ab gelehnt haben®®. Seine Töchter allerdings heirateten Adelige®^. Werndls Lebensstil war der eines Großbürgers und damit an dem der Aristokratie orientiert®®: Zunächst ließ er sich zwei kleinere Villen im Stadtteil Wehrgraben in der Nähe seiner Fabriken errichten, und dann die große Villa im Voglsang, auf dessen Grundstück sich auch das viel kleinere jedoch ebenfalls schloßartige ,,Petzengütl" befindet. Außerdem besaß er das ,,Kammerhubschlößl" nicht weit von Steyr und das alte Schloß Englsegg in unmittelbarer Nachbarschaft von Schloß Vogelsang. In den beiden letztgenannten Schlössern wohnten später zwei seiner Töchter mit ihren Familien®®. Abgesehen davon soll er nicht versucht haben, seine Lebensführung nach den gesell schaftlichen Gepflogenheiten seiner Standesgenossen auszurichten, das von Soirees

2. Kapitel Josef Werndl 8 und Empfängen geprägt war^°. In seiner Freizeit ging er jagen, fischen oder reiten und unterhielt sich am Stamm tisch. Er verhielt sich also großbürgerlich einerseits und volksnah andrerseits. Wichtig scheint mir, zum Schluß zu erwähnen, wie sehr Josef Werndl die Stadt Steyr insgesamt, zum Teil bis heute nachhaltig prägte; Zuallererst natürlich als Gründer des Vorgängerunternehmens der Steyr-DaimlerPuch AG, die noch heute die wirtschaftliche und soziale Gesamtsituation der Stadt weitgehend bestimmt. Dann durch die Errichtung zahlreicher Bauten: So der Objekte der Waffenfabrik im Wehrgraben und in Letten, derArbeitersiedlung und der Schwimmschule^^ und des Bahndirektionsgebäudes^^. Er finanzierte die Regulierung des Leitnerbergs, ei nes wichtigen Verkehrsweges in der Stadt, 1870/71 wurde der alte Stadtgraben auf seine Kosten zugeschüttet^® und die ,,Promenade" erweitert^^. Der Bau seiner großen Villa und ihre Anlage schließlich ist das für den Kunsthistori ker interessante architektonische Denkmal des Selbstverständnisses des Großbürgers und Industriepatriarchen Josef Werndl.

Kapitel 3 Beschreibung des Baus 3.1 Das Äußere Schloß Vogelsang ist ein Bau über annähernd rechteckigem Grundriß. An jeder Ecke befindet sich ein achteckiger Turm (Abb. 1). Die Fassaden im Nordwesten und im Südosten erstrecken sich entlang der Breitseiten dieses „Rechtecks". Sie verlau fen aber nicht wirklich als eine gerade Linie, da der Mittelteil der Fassade etwas zurückggestuft ist. Dagegen haben die Seitenfassaden eine gerade Grundrißlinie. Diese beiden Seiten (Nordost- und Südwestseite) sind beinahe identisch: Nur die leicht geböschte Sockelzone in Bossenmauerwerk aus Sandstein ist heute an der Nordostseite nach einer Abtragung von Erdreich in unserem Jahrhundert^ höher als auf der anderen Seite (Abb. 4). Im Südwesten schmückt in der Mitte des ersten Stocks ein Balkon die Fassade (Abb. 3). Ansonsten haben beide Seiten über der Sockelzone zwei Geschoße mit sechs Fensterachsen. Nach oben werden diese beiden Fassaden mittels eines geraden, stark profilierten Gesimses abgeschlossen, das über einer Art Zahnschnittprofil vorkragt^. Ein wenig hinter der oberen Gesimslinie an setzend bekrönen Zinnen das Gesimse. Dahinter verborgen liegt der Dachansatz. Abgesehen vom unverputzten Sockelgeschoß ist Schloß Vogelsang ein Ziegelbau und heute mit hellem, leicht ins Grau-Grün gehendem Anstrich versehen^ (Abb. 2) Die Fcktürme mit einem ähnlichen oberen Abschluß überragen die an sie anschliessenden Bauteile um etwa 1.5 Meter. Sie umfassen drei Geschoße, wobei das oberste knapp unter der Linie der Zahnschnittreihe der Fassaden ansetzt. Ihr Zinnenkranz unterscheidet sich etwas von dem des übrigen Gebäudes: Es folgt immer eine kleine auf eine größere Zinne, während jene der Fassaden alle gleich groß sind. Die Nordwestseite ist die Fassade zu den Stadtteilen Wehrgraben, Aichet und zum

3. Kapitel Beschreibung 10 Dachsberg hin. Blickt man aus dieser.Richtung auf das Gebäude, so erscheint zuerst der den Mittelteil überragende (Schein-) Dreiecksgiebel (Dieser ist nicht mit Zinnen versehen) (Abb. 5 und 6). Links und rechts davon ist die Silhouette dieses Mittel teils zwei Mal abgetreppt. Zusammen mit dem Abschlußgesims der zweigeschoßigen Bauteile neben den Türmen ergeben sich also drei zinnenbekrönte Stufen, die die Nordwest- und die Südostfassade nach oben abschließen. Die Fassade im Südosten ist die Schauseite zur Steyrer Altstadt hin. Die Preuenhueberstraße führt geradewegs auf das Eingangstor des Grundstücks zu und fluchtet optisch im Eingang von Schloß Vogelsang selbst (siehe Abb. 7). Vor allem durch den Eingangsbereich und den darüberliegenden Erker unterscheidet sich die Südostvon der Nordwestfassade (Vgl. Abb. 8 mit Abb. 6 und 9). In den großen Zügen sind auch diese beiden Hauptfassaden gleich aufgebaut; Sie um fassen neun Fensterachsen, wobei die zweiachsigen Bauteile neben den Ecktürmen gleich hoch wie die Seitenfassaden und ebenso gestaltet sind und in gleicher Weise an die Ecktürme anschließen. Der mittlere Bauteil ist ihnen gegenüber um etwa 1 Meter zurückgestuft. Dabei ist dem Bau an dieser Stelle eine breite Terrasse, ebenso hoch wie das Untergeschoß und auch in Bossenmauerwerk ausgeführt, vorgelagert. Uber die Terrasse, auf die in der Mitte eine breite Ereitreppe führt, gelangt man zur Haupteingangstür, die, von zwei Wandleuchten flankiert, den Mittelpunkt des Ein gangsbereichs darstellt (Abb. 10). Der heute nicht mehr bestehenden rückwärtigen Terrasse (Siehe Kapitel 1, S. 4) war eine zweiläuflge Treppe vorgelagert. Der Mittelteil der Fassade ist trotz seiner Verklammerung durch die Terrasse in sich differenziert gestaltet und auf die Mitte zu orientiert. Nach jeweils einer Fensterachse links und rechts folgt wieder ein — wenn auch nun fast unmerklicher — ,,Sprung" der Grundrißlinie nach vorne. Dieser dreiachsige Bauteil ganz in der Mitte der Fassade ist durch einige Gestaltungsmittel zu einer Einheit zusammengefaßt: Zunächst durch die gerade erwähnte Lage all ihrer Bestandteile in derselben Fassa denebene. Dann durch die andersartige Gestaltung der Fenster. Im Eingangsbereich im Erdgeschoß haben die Fenster und die Tür Tudorbogenform und Bekrönungen mit Serviettenblendmaßwerk (Abb. 11 und 12). Ebenso die Fenster bzw. die ehe malige Terrassentür an der Rückseite (Abb. 1.3). Die Bekrönung ist über der Tür natürlich niedriger, da der Erker des darüberliegenden Stockwerks dort ansetzt. Von diesen beiden Fenstern abgesehen sind die Fenster des Mittelteils der Villa höher und rücken näher zusammen als die der ,,Seitenrisalite" und der Seitenfassaden. Sie sie sind an der Vorderseite eng um den Erker im 1. Stock gruppiert (Abb. 10). Der Erker erhebt sich mit trapezförmigem Grundriß über einer Konsole. Er wird unten und oben mit einem Steingeländer umrahmt, was ihm trotz seiner drei Fenster etwas von der Wirkung einer kleinen Loggia gibt. Darüber bildet er den Boden eines kleinen Balkons im Dachgeschoß. Die Fenstertür dieses Balkons ist beiderseits von

3. Kapitel Beschreibung 11 niedrigeren, nur halb so breiten einteiligen Fenstern flankiert. Offenbar hatte auch die Nordwestfassade früher im Dachgeschoß einen Balkon (Abb. 6), da sich dort in der Mitte eine, heute durch ein Fenster ersetzte Fenstertüre befand. Darüber schließt eine einmal abgetreppte Bekrönung diese mittlere Fenstergruppe zusammen (Abb. 14). Der dreiachsige Mittelteil des Gebäudes findet seinen gestalterischen Gipfelpunkt in jenem schon erwähnten Scheindreiecksgiebel, dessen schräge Firstlinien unten an beiden Seiten nach oben gebogen sind, sodaß formal auf die Waagrechte der Gesimse darunter übergeleitet wird (Abb. 15). In der Wandfläche zwischen dem Zahnschnitt des Blendgiebels und der Fensterbekrönung des mittleren Fensters des Dachgeschoßes befindet sich eine Blendmaßwerkrose. Sie ist die einzige kreisrunde Form an diesem Bau und trägt noch etwas zur Betonung der Mittelachse bei. Entlang der Mittelachse sind die linke und die rechte Seite des Baus völlig kongru ent. Es herrscht absolute Symmetrie der Erscheinung. Durch die unterschiedlichen Höhen der Bauteile und durch eine — wenn auch beschränkte — Variation der For men (Abtreppung, Dreiecksgiebel, etc.) wird die Gesamterscheinung vor der Mo notonie bewahrt. Besonders in der Ansicht schräg von vorne wirkt der Bau formal erstaunlich differenziert und die Fassade aufgelockert (Abb. 16). Der obere ,,Kontur" des Baus ist durch die verschiedenen Höhen der Bauteile, die Dreiecksform des Blendgiebels und die Zinnen ein recht belebter. Dahinter setzt das Dach an. Ich kann nicht mit vollkommener Sicherheit angeben, wie die Dachlandschaft von Schloß Vogelsang im Originalzustand aussah, da das Dachgeschoß und das Dach durch den Ausbau von 1929 stark verändert wurden^. Eine ungefähre Vorstellung geben jedoch alte Aufnahmen wie Abb. 17. Der höchste Teil des Daches ist aber nach wie vor das in Glas-Eisen- Konstruktion errichtete Walmdach des den übrigen Bau überragenden ,,Lichthofes" für das Stie genhaus in der Mitte des Gebäudes (Abb. 18). Dieses kleine ,,Haus auf dem Haus" unterbrach praktisch den Lauf eines hohen Walmdaches, das die beiden flacheren Walmdächer des linken und des rechten Gebäudeflügels überragte, und das in deren Mitte emporwachsend diese beiden Seitendächer, über den Mittelteil hinweg, optisch verband. Durch die Scheingiebel verborgen, liegt hinter und vor dem ,,Lichthaus" ein niedriges Satteldach. Abgesehen vom Glas und Eisen für den höchsten Teil des Daches, wurde für den Dachstuhlbau Holz und zur Deckung Kupferblech verwendet®. Zahlreiche Rauchfänge und Fahnenstangen auf den Anfallspunkten der Dächer bevöl kerten früher das Dach und auf den, gegen den erhöhten Mittelteil stoßenden First kämmen befanden sich Schmuckzäune aus Eisen, so wie ein solcher auch das Licht hofdach umgab. Dieser Zaun und zwei der Firstzäune sind noch erhalten, ebenso

3. Kapitel Beschreibung 12 wie die beiden phantasievollen Wettervögel, die auf der Spitze der Scheingiebel an gebracht sind. Zu deren Füßen stehen zwei Störche Rücken an Rücken (Abb. 10). Die Vielteiligkeit und der Schmuck des Daches waren nicht zuletzt Statussymbol, war doch ein so großes, kupfergedecktes Dach nur für finanzkräftige Bauherren wie Josef Werndl erschwinglich. 3.2 Die Pläne Alle 5 Planzeichnungen (Anhang IV) sind im metrischen System im Maßstab 1:100 angefertigt®. Sie sind mit ,,Anton Plochberger" signiert. Bestimmend für den Grundriß in allen vier Geschossen sind die 4 oktogonalen Ecktürme (mit 5 Metern Breite), zwischen die die Gebäudeseiten eingespannt sind. Die Schmalseiten messen 18.5 Meter zwischen den Türmen, die vordere und die rückwärtige Fassade sind 25.5 Meter breit. Die Türme selbst sind achteckig, und haben innen einen Durchmesser von 3 Metern. 3.2.1 Souterrain, Keller und Fundamente Aus dem Aufrißplan(Anhang IV, Blatt 1 und 2) geht hervor, daß die Fundamente etwa 1.7 Meter unter dem Niveau des Erdbodens fußen. Der Grundriß des Untergeschoßes (Blatt 5 und 6) ist gegliedert in: 1. Einen rechteckigen Fundament block in der Mitte (ihn sieht der Planbetrach ter hochrechteckig: 10 x 14 Meter), er besteht aus einem starken Mauer riegel entlang der Vorder- (Südost-) Fassade, einer U-förmigen Mauerklam mer in der Mitte, die mit den Seitenmauern verbunden ist, und pfeilerartigen Verstärkungen an mehreren Punkten. Die Zwischenräume wurden mit für den Bau ausgehobenem Erdreich gefüllt. 2. Den Gang, der den Fundament block in der Form eines U umläuft und links und rechts an der südöstlichen Front endet. Er ist 3 Meter breit und durch Einziehungen in mehrere vorraumähnliche Abschnitte gegliedert. 3. Eine ,,Speis" und einen Raum mit dem Speiseaufzug an der Nordwestseite des Ganges und anschließend daran das Fundament für die rückwärtige Ter rasse, deren zweiläufige Treppe ein freiliegender Fundamentriegel trägt. Links vom Speiseaufzug liegt das kleine zweiteilige Fundament für die Toiletten der

3. Kapitel Beschieibung 13 Stockwerke darüber, über das auch die Abflußrohre nach außen geleitet wer den. Rechts der ,,Speis" liegt die Treppe, über die Keller und Erdgeschoß verbunden sind. Hinter ,,Speis" und Aufzug liegt die jedoch offenbar nicht begehbare und ungenützte Unterkellerung eines Teils der Räume des Erdgeschoßes bzw. eines Teils der Terrasse. Trotzdem erhielten sowohl ,,Speis" und Aufzugraum als auch der im Nordwesten anschließende Raum Fenster (und zwar je eines nach links und nach rechts). Dies ist der Teil der Planung, dessen spätere Umsetzung und Nutzbarkeit (zumal ohne Beschriftung) am wenigsten klar ist, weil er auf Grund von Umbauten nicht mehr vorhanden ist^. 4. Eine Flucht von Räumen links und rechts vom Gang (entlang der Südwestund Nordostseite des Gebäudes), wobei die beiden Eckzimmer neben den Türmen an der Südostseite nicht begehbar sondern mit Erdreich gefüllt sind und als Fundamente dienen. Die geplante Nutzung der Räume ist angegeben: An der Südostseite befindet sich die Küche, in 2 durch einen breiten Durch gang verbundene Räume geteilt, und das Eßzimmer daneben, durch das ein ,,Wäschezimmer" zu begehen ist. Auf der rechten Seite befinden sich folgende Räume: Die Waschküche im nördlichen Eck, die durch Mauereinziehungen ein zweiteiliger Raum ist, und die man über einen Vorraum betritt, der auch Vorplatz für die 2 anschließenden Toiletten ist. Es folgt ein kleiner Eiskeller, danach das Bügelzimmer und ein gleich großer als ,,Holzlage" bezeichneter Raum. Im Osteck befindet sich die sogenannte ,,Pasage": Das Unter geschoß war früher — außer über die Stiege von oben — gleich durch eine Tür im Ostturm begehbar, das heißt die ,,Pasage" war ein Durchgangszimmer zum Gang®. Ein Fehler unterlief dem Planzeichner, als er vergaß, einen Zugang für den Eis keller oder dessen kleinen Vorraum einzuzeichnen. Ansonsten haben alle Zimmer eine Türe zum Gang, bis auf die Wäscheküche, die über einen Vorraum, und das Wäschezimmer, das — nicht sehr zweckmäßig — nur über das Eßzimmer begehbar ist. Alle Räume sind mit flachen Tonnen gewölbt, die Eckzimmer haben laut Plan Seg mentgewölbe. Die Mauern und Wände sind in roter Farbe eingezeichnet und mit Maßangaben versehen. Ebenso ist die Größe der Räume eingetragen. Die Mauern sind mit bis zu über 1 Meter sehr dick, das gesamte Untergeschoß wirkt überaus massiv, was natürlich vor allem bautechnische Gründe hat, da das Fundamentmauerwerk alle darüberliegenden Geschoße, die dann abnehmende Mau erstärken aufweisen, trägt. Vom Grundrißplan könnte man auf eine Anlage schließen, die aus 2 Seitenbauteilen und einem Mittelteil, der nach hinten verschoben ist, besteht, da der nordwestliche

3. Kapitel Beschreibung 14 Teil des Fundaments ebenso als Raum ausgewiesen ist, wohingegen das Terrassen fundament der Vorderseite lediglich in den Umrissen angegeben ist. 3.2.2 Erdgeschoß Im Erdgeschoßplan (Anhang IV, Blatt 7 und 8) ändert sich die Grundrißanlage: Der rückwärtige Mittelteil tritt etwas mehr in die (gedachte) ,,Linie" zwischen den Ecktürmen zurück und gliedert sich so in eine durch die Türme geprägte rechteckige Erscheinungsform des Grundrisses ein. Die Lösung mit einer zimmerfluchtartigen Raumfolge in den Seitenflügeln wurde beibehalten. Dazwischen liegt nun zentral das Stiegenhaus, in das das Vestibül, von 2 gleich großen Vorräumen flankiert, offen übergeht. Der Antritt der nach oben führenden Treppe (2-armig, 3-läufig) ragt frei in das Vestibül herein. Diese Lösung ist eine sehr repräsentative und großzügige, zumal bereits in den Dimen sionen: Das Vestibül ist über 60, das Stiegenhaus gute 170 Quadratmeter groß. Es liegt genau in der Mitte der Anlage, erstreckt sich in der ganzen Breite zwischen den Zimmerfluchten links und rechts davon und übernimmt so natürlich auch die Rolle, die der Verbindungsgang im Keller erfüllt. Das Stiegenhaus ist in 15 gleich große quadratische Raumteile gegliedert, deren 4 im Zentrum liegende von der Treppe eingenommen werden. Diese Quadrate ähneln zwischen Pfeilern und Wandvorlagen eingespannten Jochen. Wendet man sich im Stiegenhaus nach links, so gelangt man zu den Räumen der Familie: Der äußerst westliche Raum in dieser Zimmerflucht ist das mit dem Turmzimmer verbundene Schlafzimmer. Es ist aber nur über das anschließende Badezimmer vom Gang aus zu begehen, eine wohl nicht nur für heutige Begriffe nicht eben praktisch erscheinende Lösung. An das Badezimmer schließt ein Kinderzimmer an. Diese bei den mittleren Räume sind, was wegen des Badezimmers erstaunlich ist, gleich groß. Der südlichste, wieder mit einem Eckzimmer (beschriftet: ,,Cabinet") verbundene Raum ist ein weiteres Kinderzimmer. Es ist über den Vorraum neben dem Vestibül zu betreten und Durchgangszimmer zum anderen Kinderzimmer. Alle 4 Zimmer sind in einer Enfilade durch breite (1.4 Meter) Türen miteinander verbunden. Skur rilerweise ist das Badezimmer als einziges direkt vom Gang begehbar. An die Breitseite des Stiegenhauses schließen die Toiletten (neben dem Schlafzim mer), ein mit 62 Quadratmeter saalartiger ,,Salon" (durch den der Speiseaufzug® vom Keller zum 1. Stock geführt wird), und rechts das zweite, kleinere Stiegenhaus, das vom Keller zum Dachgeschoß führt, an.

3. Kapitel Beschreibung 15 Unterschiede in der Ansfiihrimg und Konsequenzen für die rückwärtige Fassade; An der Nordwestseite weicht die endgültige Ausführung vom Plan deutlich ab, wodurch die rückwär tige Fassade stärker der Vorderseite ähnelt: Die Außenwände werden links und rechts vom Salon (bei den ,,Aborten" urrd dem kleinen Stiegenhaus) etwas nach außen versetzt und liegen nun nur noch ganz leicht vom Mittelteil der Fassade nach hinten gestuft annähernd in einer Ebene damit, analog zu dem entsprechenden Bauteil an der Stadtseite. Nur die Fenster des Stiegenhauses und der ,,Aborte" sind hinten im Erdgeschoß und im 1. Stock jeweils um die halbe Höhe des Stockwerks nach oben versetzt (Abb. 6). Rechts, im Nordostflügel, liegen die Dienstbotenzimmer. Die 2 größeren sind die mit den Türmen verbundenen Eckzimmer, dazvsrischen liegen 4 schmälere Zimmer. Bis auf das (von Osten her gesehen) 2. und .3. Zimmer sind alle miteinander durch Türen verbunden, nur jedes zweite Zimmer ist direkt vom Gang aus zu begehen, das Eckzimmer im Osten ist über den Vorraum rechts vom Vestibül erreichbar. Im diesem Gebäudeflügel ist im Gegensatz zum Südwestteil der durchgehende Lauf der Enfilade durch eine Wand unterbrochen. Offenbar werden hier aus praktischen Gründen zwei Einheiten von Zimmern gebildet; möglicherweise entsprechend der unterschiedlichen Stellung und Tätigkeit der Dienstboten im Haushalt, bzw. um männliches und weibliches Personal getrennt unterzubringen. Im gegenüberliegenden Gebäudeflügel wurde das Schema der Enfilade, das aus dem Schloßbau kommt, für die Räume der Familie des Hausherrn verwendet, der entspre chenden Repräsentation wegen. Dabei mußte das Praktische gegenüber der noblen Strenge des Grundrisses zurückstehen (siehe Badezimmer !). Heutige Wünsche der Bewohner nach Intimsphäre im eigenen Zimmer waren um 1880 offenbar zweitrangig gegenüber ihrem Anspruch darauf, deutlich vom Personal getrennt und vor allem repräsentativ zu wohnen. Auch die beiden großen Terrassen hatten vor allem Vorzeigecharakter und dienten wohl weniger dem angenehmen Aufenthalt der Bewohner im Freien, was besonders auf die Eingangsterrasse zutrifft. 3.2.3 1. Stock Das querrechteckige zentrale Stiegenhaus in der Mitte wird einerseits von 9 jochähn lichen Raumteilen (von derselben Gestalt wie jene im Erdgeschoß), wie von einem Arkadenumgang, umgeben und andererseits an der Südostseite vom sogenannten ,,Herrensalon" begrenzt (Anhang IV, Blatt 9 und 10). Dieser wird wie das Vestibül darunter von 2 Vorräumen flankiert, bis zu deren Türen der Gang führt. Die Trakte

3. Kapitel Beschreibung 16 links (im Südwesten) und rechts (im. Nordosten) davon folgen im Umriß denen in Keller und Erdgeschoß. Im Nordwesten liegt an der Rückseite des Hauses zwischen dem kleineren Stiegenhaus und den „Aborten" ein Frühstückszimmer und daneben ein kleiner Raum mit dem Speiseaufzug. Vom Fühstückszimmer aus betritt man einen Balkon, der, vergleicht man den Plan mit jenem des Erdgeschosses, eigentlich eine Terrasse auf dem Dach des Salons gewesen wäre, was unwahrscheinlich ist und daher ein Hinweis auf einen Zeichenfehler im Erdgeschoßplan zu sein scheint. Es wurde nun eine nur mehr ganz leicht gestufte Grundlinie des rückwärtigen Mit telteils erreicht. Das Frühstückszimmer hätte ursprünglich der absoluten Symmetrie des Grundrisses wegen gleich groß wie der kleine Nebenraum werden sollen, was aus der Korrektur der Zwischenwand nach links zu ersehen ist, wobei hier das Praktische siegte. Un bedacht ist dagegen die Planung eines Frühstückszimmers (mit Balkon !) im Nord westen. Die Raumfolge an der Südwestseite ist die vom Rauchzimmer im Westen (mit Turm zimmer) über den großen Speisesaal (dessen heutiger Balkon nicht eingezeichnet ist) zum Damenboudoir mit dem Eckzimmer. Der Speisesaal ist direkt vom Gang zu betreten, seine Nebenräume nur über ihn. Der Herrensalon ist nur über die längsrechteckigen Vorräume, die ihn flankieren, aber dadurch beidseitig begehbar. Er hat einen kleinen Erker mit trapezförmigem Grundriß, der ganz durchfenstert ist. Seine andere, dem Stiegenhaus zugewandte Breitseite ist mit Wandvorlagen (ausgeführt sind sie als Blendarkaden) gegliedert (Abb. 19 und 20). Der rechte Gebäudetrakt besteht aus einer Reihe von 4 ,,Fremdenzimmern", in Enfilade miteinander verbunden. Trotz der verbindenden Türachse entstehen 2 Zwei ergruppen von jeweils einem Eckzimmer und dessen Nachbarzimmer, da nur jedes zweite Zimmer über eine direkte Kommunikation mit dem Stiegenhaus bzw. dem Vorraum verfügt. Im 1. Stock bilden nicht nur die Räume im Südwest- bzw. im Nordosttrakt eine Enfilade, auch im Südosten sind alle Räume durchgehend verbunden (Damenboudoir - Herrensalon - Fremdenzimmer): Schließlich handelt es sich bei den Bewohnern der Schlafzimmer hier ja nicht um Dienstboten wie im Erdgeschoß, sondern um Gäste des Hauses, die eine gute Verbindung zum gesellschaftlichen Leben in den weiter entfernten Räumen haben sollten. Im übrigen wird das Schema der Enfilade, das hier so konsequent angewendet ist, dem Baumeister aus Gründen der herrschaftlichen Selbstdarstellung des Hausherrn als eines noblen Gastgebers einfach verpflichtend erschienen sein: Die Bei etage der Werndl-Villa ist einzig den Gästen und dem gesellschaftlichen Leben des Hauses in großem Stil gewidmet. Für diese eindeutige ,,Repräsentationsebene" ist die strenge Symmetrie besonders wichtig.

3. Kapitel Beschreibung 17 3.2.4 Dachgeschoß Im linken und rechten Seitentrakt des Gebäudes liegt nun im Dachgeschoß je ein großer Dachbodenraum (Anhang IV, Blatt 11 und 12). Das Rechteck in der Mitte des Plans ist kein Raum in dem Sinn, sondern — gleich einem Lichthof — olfener Durchlaß für das Licht, das durch die Glasdecke darüber die Haupttreppe erhellt, eine Tatsache, die natürlich nur in der Zusammenschau des Grundrisses und des Schnitts ersichtlich wird. Seine Wände sind mit Wandvorlagen gegliedert^®. Zwischen dem Mittelteil und den Dachbodenräumen befindet sich je ein Gang, der zu den Vorräumen (bezeichnet als ,,Cabinets") des Salons an der Südostseite führt. Auf der anderen Seite liegt — zwischen den Toiletten und dem Stiegenhaus — ein großer, nur mit ,,Zimmer" beschrifteter Raum, durch den man, möchte man vom Stiegenhaus in den Dachboden auf der linken Seite gelangen, durchgehen muß. Zwei freihändig, schwach eingezeichnete Linien, die parallel zu der Breitseite des ,,Lichthofs" verlaufen, deuten aber an, daß in Betracht gezogen wurde, hier einen Gang einzuziehen. Vom Westturm kann man über eine Wendeltreppe auf das Dach steigen, worauf die Beschriftung ,,Turm Passage" hinweist. Die Grundrißeinteilung ist im Vergleich zu den anderen Stockwerken natürlich eher einfach. Beachtenswert ist jedoch die Planung zweier großer Räume (von denen einer sogar als ,,Salon" bezeichnet wird) mit sehr großzügiger Fensterkonfiguration^^ (Abb. 6, oben, und Abb. 14); zwischen Dachböden sicher eine ungewöhnliche Lösung. Sehr großzügig für ein Dachgeschoßist auch die Ausstattung mit Toiletten. Mittels einiger Linien im Grundriß wird auch eine Andeutung der vorgesehenen Dachgestaltung^^ gemacht, ohne daß dabei allerdings eine wirkliche Vorstellung von deren Gesamtkonfiguration vermittelt wird. Für alle Grundrißpläne gilt allerdings gleichermaßen eines: Da es sich um Ein reichpläne handelt, sind alle Beschriftungen nur kursorisch, und die Bezeichnungen der Räume haben oft nur Platzhalterfunktion. Ihr Charakter ist, vor allem was die Details und die Angaben zur Verwendung der Räume betrifft, vorläufig und manchmal ungenau.

3. Kapitel Beschreibung 18 3.2.5 Unterschiede im Anfriß zwischen Einreichplan und Ausführung Vergleicht man den fertigen Bau auf alten Fotos mit dem Aufriß auf dem Einreich plan (Anhang IV, Blatt 1 und 2), so bemerkt man einige wenige Veränderungen^^. Grundsätzlich bestehen diese in der Hinzufügung von Gliederungs- und Schmuck elementen, die laut Plan nicht vorgesehen waren. Dies betrifft besonders die Fenster. Im Dachgeschoß bekamen diese — bis auf die beiden kleineren Zwickelfenster links und rechts — zwischen Rahmen und Bekrönung ein querrechteckiges Feld von vier Quadraten, die ein flaches florales Ornament tra gen, das auf dem Plan noch nicht eingezeichnet ist. Dabei sind diese Ornamente stockwerkweise bzw. am Erker des 1. Stocks leicht unterschiedlich gestaltet (Abb. 22 und 23). Außerdem wurden die hochgeknickten unteren Enden der Bekrönungen sämtlicher Fenster mit Hängezapfen versehen. Ein Schmuckdetail ist an der Eingangstür und an den Tudorfenstern der vorderen und hinteren Fassade gleichermaßen zu finden: Oben auf dem Fenster- bzw. Türpfos ten ist ein kleiner geschnitzter MännerkopP^ zu sehen (Abb. 11). Die Eingangstüre und die breiteren Fenster daneben und an der Rückseite bekamen schließlich eine andere Form als auf dem Plan vorgesehen: Sie erhielten Tudorbögen und als Füllung des sie bekrönenden Winkelgiebels englisches Blendmaßwerk, wobei die Bekrönung der Tür natürlich niedriger gemacht werden mußte, da die Erkerkonsole darüber Platz beansprucht (Abb. 11 und 12). Der Erker bekam zusätzlich ein steinernes Geländer vorgeblendet, ähnlich wie es auch für die Terrasse und den kleinen Balkon darüber verwendet wurde; am Erker aber als reine Dekorationsform. Ein Eensterkreuz mit nur einem Querholz unterteilt nun alle größeren Rechteckfen ster; auch eine kleine Änderung gegenüber dem Einreichplan. Auch die Hinzufügung der einzigen als Bauplastik zu bezeichnenden Dekorations elemente ist zu erwähnen: In den Zwickeln zwischen dem zurückgestuften Mittelteil der Villa und den Bauteilen daneben befindet sich auf der Höhe des Solbankgesimses je eine kleine Chimäre, die aus dem Eck hervorlugt (Abb. 24). Das runde Blendfenster unter dem Dreiecksgiebel ist ein Mittelding zwischen Rad fenster und Maßwerkfensterrosein Blendform (Abb. 15). Es wurde schließlich etwas feiner und reicher (12-teilig statt 10-teilig) ausgeführt, als auf dem Plan eingezeich net. Diese Blendform und die Chimären sind die einzigen, der mittelalterlichen Baudekoration — wenn auch nicht in genauer Kopie — entnommenen Elemente; Sieht man von den Zinnen einmal ab, die hier ihrer ursprünglichen wehrtechnischen Funktion entbunden sind und zur Baudekoration gehören. Anstatt der eigenartigen großen Knöpfe auf den Terrassen- und Treppengeländern

3. Kapitel Beschreibung 19 wurden (wie auch auf kleinen Podesten entlang der Wege zum Eingang) später Blu mengefäße in Kraterform aus Stein aufgestellt (Abb. 29). An dieser Stelle soll auch der Neptunbrunnen^® erwähnt werden, der auf alten Auf nahmen bzw. Darstellungen von Schloß Vogelsang zu sehen ist^®: Auf einem kleinen Felsen über dem künstlichen Teich, von dem aus das Wasser über die drei Stufen einer Kaskade nach unten floß sitzt ein Neptun; wahrscheinlich aus Bronze. Er ver harrt in einer weit ausholenden Geste, wie vor einem Stoß mit dem Dreizack, den er in beiden Händen hält. Paßt diese Gartenskulptur von barocker Wirkung auch nicht zu den für die Fassade gewählten Formen, so fügt sie sich doch in das Gesamt bild der Anlage ein. Heute befindet sich an seiner Stelle ein anderer Brunnen mit mehreren Figuren am Sockel und einem Amor ganz oben (Abb. 27). Zum Gesamtbild der Anlage gehören natürlich auch der große Park und der schmie deeiserne Zaun, der das Grundstück noch heute umgibt und auf das Gebäude abge stimmt ist (Abb. 2). Früher gab es auch ein Palmenhaus im Westen des Grundstücks (Abb. 52). Abschließend muß auf die frühere Differenzierung in der Färbelung des Baus hinge wiesen werden, auf die alte Postkartenaufnahmen der Villa schließen lassen: Auf ei nem Bild von 1906 sind die Zinnen dunkler koloriert, als die Mauern selbst (Abb.25). Ein Bild von 1910 zeigt die Zahnschnittprofile unterhalb der Zinnen und am Drei ecksgiebel, sowie die Umrahmungen und Bekrönungen der Fenster und Türen heller gefärbelt (Abb. 28). Noch heute zeigt sich an den umlaufenden Solbankgesimsen ein leichter farblicher Unterschied zum übrigen Anstrich. Dadurch dürfte der Bau früher lebendiger und stärker aufgelockert erschienen sein als heute. 3.3 Das Innere Josef Werndl hat seine Villa selbst nie bewohnt^''^. So haben wir den eigenartigen Fall eines Baus vor uns, der Ende 1877 zwar weitgehend fertiggestellt war, der aber erst 12 Jahre später bezogen wurde. Ich gehe davon aus, daß die Villa bis auf das kurze Intermezzo der Ausstellung von 1884 leer stand und noch nicht möbliert war. 1890 zog Karoline von Imhof, die Tochter Josef Werndls, mit ihrer Familie in die Villa ein. Vom Mobiliar der damaligen Ausstattung ist ebensowenig erhalten wie von den Möbeln derer von Sachsen-Koburg-Gotha (Besitzer des Schlosses ab 1909). Deren Ausstattung der Villa wurde Ende der 20er Jahre zwangsversteigert

3. Kapitel Beschreibung 20 (Siehe Kapitel 1, S. 3); es kann sein, daß bei dieser Versteigerung auch Stücke der Erstausstattung veräußert wurden. Heute ist jedenfalls kein einziges Möbelstück einer der alten Ausstattungen von Schloß Vogelsang mehr dort erhalten. So muß ich mich auf die Betrachtung der innenarchitektonischen Gestaltung des Stiegenhauses (Wände, Fußböden, Decke) und einiger weniger Räume beschränken. Im Stiegenhaus und in den Gängen bestimmt der gleichzeitige Einsatz von Tudorgotikelementen und allgemein gotisierenden bzw. altertümelnden Formen einer seits und typisch gründerzeitlichen, dem Barock und der Renaissance entlehnten, Prunkformen andererseits das Bild. Eine solche Prunkform ist das Geländer der Treppe und des sie umlaufenden Stiegenhauses im 1. Stock (Abb. 30). Es ist aus graugeädertem Marmor mit einem breiten Handlauf über dichtstehenden Balustern. Die einzelnen ,,Joche" des Stiegenhauses im Erdgeschoß und im 1. Stock täuschen mit seichten Tudorbögen an der Decke ein flaches Kreuzrippengewölbe vor. Als Schlußstein fungiert eine kleine, etwas hängende Phantasieblüte. Die Tafeln der Kasettendecke des Vestibüls (Abb. 31) zeigen ebenfalls eine große Phantasieblume in der Mitte auf blauem Grund, umgeben von geometrischen und Rankenmustern in den Ecken. Sie sind quadratisch und um ein großes Feld in der Mitte gruppiert, auf dem eine große Blume aus Gips, von arkanthusartigen Blättern umringt, prangt (Abb. 32). Auch an den Eckpunkten der Felderrahmungen sind plastische Blüten angebracht. Die Füllornamentik scheint eine freie Nachbildung römischer bzw. Renaissance-Flachornamente^® zu sein, wobei aber die Kombina tion floraler und geometrischer Formen in den Quadratfeldern eine historistische Eigenschöpfung darstellt. Die Gesamtwirkung der Decke ist eine sehr bunte. Zwischen weiß und beige, Ton in Ton bleibend, ist die übrige Gestaltung des Stie genhauses farbig zurückhaltend. Nur die Fußbodenfliesen (Abb. 33 und 34) ha ben ein farbiges Muster. Die Türen (Abb. 35) werden von eckigen dienstartigen Säulchen gerahmt und von einer Art Gesims mit 3 kapitellartigen Gebilden und Zinnen dazwischen bekrönt. Zwischem 1. und 2. Stock läuft im Treppenhaus ein Fries (Abb. 36) rundum, dessen hochgestellte arkanthusähnliche Blätter in der Form den Gipsblättern der Vestibüldecke ähneln. Die Pfeiler und Pilaster im Erdgeschoß und im 1. Stock sind aus beigem, hellbraun geädertem Stein. Die Pilaster des Dachgeschoßes darüber sind gemauert und stehen einzeln oder doppelt zwischen den Fenstern und Blendnischen, deren Tudorbögen nur mehr leicht angedeutet sind (Abb. 37 und 38). Die Pilaster, auch die geknickten im Eck, tragen an Stelle eines Kapitells eine kleine Rosette^®. Darüber läuft über einer einfachen Simsleiste ein kräftiges Konsolgesims rundum, und ganz oben, wieder über einer schlichten Sims leiste, zieren abwechselnd verschiedene Arten von Rankenmotiven eine Hohlkehle (Abb. 39). Diese Blattranken sind Weinreben ähnlich, nur sind die Blätter schmäler und krautiger^" und nur jede zweite trägt Trauben. Sie sind das am stärksten italianisierende Ornament der Ausstattung^^.

3. Kapitel Beschreibung 21 Darüber befindet sich noch ein schmales (nun wieder lotrechtes) Band mit — so weit dies für den Betrachter erkennbar ist — einem umlaufenden Fries mit Ranken (Abb. 40 oben). Den Deckenspiegel bildet die dem Treppenhaus Licht spendende Glastafeldecke^^. Zu betonen ist der hofartige Eindruck, den das Steigenhaus vermittelt. Obwohl an den Längsseiten dieses ,,Hofes" nur Blendarkaden und im Dachgeschoß mehr Blend nischen als Fenster eingesetzt sind, so ergibt sich als Gesamteindruck doch der eines einen Hof umlaufenden Arkadenganges (Abb. 19 bis 21). Als vertikale Verbindung der Geschoße wirken die Fortsetzungen der Wandsäulen über die Kämpfer der ,,Arkadenbögen" hinaus (im Erdgeschoß in das Podest des Pilasters des 1. Stocks übergehend, im 1. Stock bis zum Gesims) (Abb. 21). Die Treppenhauslösung von Schloß Vogelsang ist insgesamt eine eigenständige Pla nung. Zu den Räumen mit Resten der Originalausstattung: Es sind dies der Speisesaal, der Herrensalon und das Damenboudoir, alle .3 Räume im 1. Stock. Der Herrensalon: Die Wände und die Decke sind mit Holzvertäfelung versehen, die ebenso wie die beiden Türen (mit deutschen Renaissancetürbändern nachempfundenen Messingbeschlägen^^) und deren Rahmungen noch heute erhalten sind. Die Kasettendecke besteht aus verschieden großen, auf ihre Spitzen gestellten Quadratfeldern. Beim Erkerfenster ist der Name des Tischlers ins Holz geschnitzt: WAECHTLER^"^ INV. Es existiert ein altes, um 1930 entstandenes Foto (Abb. 41), das im einen Eck einen schönen Kachelofen wohl mit Formen der nordischen Renaissance zeigt. Heute ist nur mehr das Wandstück dahinter gekachelt. Ebenfalls auf diesem Foto sieht man die Bilder, mit denen der Herrensalon früher ausgestattet war (Abb. 42 bis 46): mit 5 Kohlezeichnungen in monumentalem Querrechteckformat von Franz August Pausinger^® (der Raum heißt deshalb heute Pausinger-Saal). Sie zeigen verschiede nes Wild (Hirsch, Auerhahn, etc.) in staffagehafter Wald- oder Gebirgslandschaft. Die Bilder befinden sich heute in einem Schloß Vogelsang benachbarten Gebäude. Sie gaben dem Herrensalon den Charakter eines Jagdzimmers. In der Jahreszahl 1890, die die Bilder tragen, sehe ich einen weiteren Anlaß zu meinen, daß die innere Ausstattung des Baus erst mit dem Einzug der Familie von Inihof erfolgte. Das Damenboudoir: Die Supraporte des Türrahmens gemahnt an Rokokoeinrichtungen, nicht allerdings die relativ dunkle Farbe des Holzes der Tür und der 1 Meter hohen Wandvertäfelung. Die Wandfelder sind mit zierlichen Leisten, die an den Ecken kleine Blüten und Blätter tragen, gerahmt. Die lorbeerähnlichen Blätter der Festons an den Wänden oben zeigen eine leichte Ahnung von Jugendstil, ein einziges Mal in Schloß Vogel sang. Die Hohlkehlen zwischen Wand und Decke und die runden Felder um die

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