Aktuell - Heft 3/1969

Es war ein bescheidener Frühjahrsmorgen, als sich vor 70 Jahren zwei Männer vor einer alten Mühle in den Grazer Murauen einfanden. Der knapp 37jährige Mechanikermeister Johann Puch aus Pettau war gekommen, die Mühle zu kaufen. Er wollte eine Fabrik daraus machen. Schon zehn Jahre zuvor hatte er mit dem Grazer Rentier Viktor Kalmann in der Annenstraße eine kleine Werkstatt zur Herstellung und Reparatur von Fahrrädern eröffnet. Die Werkstätte war bald zu klein geworden und mußte in die aufgelassene Gärtnerei von Puchs Frau in die Strauchergasse übersiedelt werden. Mit einem Gesellen und einem Lehrling hatte Puch sich darangemacht, seine Fahrräder praktischer, schöner und vor allem besser zu bauen, als es die Erzeugnisse seiner Konkurrenten waren. Dem Keuschlersohn aus-der Südsteiermark war das Unwahrscheinliche gelungen. Obwohl damals allein in Graz sechs andere Fahrradfabriken bestanden, wurde nur der Name Puch weltweit bekannt. Er allein hatte es geschafft, die bislang immer siegreichen englischen Fahrräder zu schlagen. In wenigen Jahren war auch das Glashaus der Gärtnerei zu eng geworden. Puch hatte ein Objekt in der Karlauerstraße erworben - die „Styria-Werke". Ein Auftrag war dem anderen gefolgt, ein Sieg dem anderen, Puchs Gesundheit hatte bei dieser Hektik jedoch Schaden genommen. Nachdem 1896 die Deutschen Dürkopp-Werke mit 600.000 Gulden in seine Firma eingetreten waren, hatte Puch sich entschlossen, sich mehr und mehr zurückzuziehen. 1897 war er als offener Gesellschafter ausgeschieden. Mit einer finanziellen Abfertigung und der Bedingung, zwei Jahre lang kein Konkurrenzunternehmen aufzubauen. Johann Puch war jedoch nicht der Mann, der seine Hände in den Schoß legen und untätig zusehen konnte, wie sich rund um ihn die erstaunlichsten Dinge taten. Ein neues Jahrhundert kündigte sich an. Man schrieb das Jahr 1899. Ganz Europa war in Erregung über Frankreichs Dreyfuss-Affäre. Am 24. Juni war der Luftschiffer Merighi bei einer „Auffahrt" in der Steiermark verunglückt. Der „Kinematograph", die Urform des Kinos, schlug die Menschen in Bann. Im „Wilden Mann" in 30 DIE MÜHLE AN DER Graz konnte man von 15 bis 20 Uhr „Vorstellungen des völlig ungewöhnlichen und mit gänzlich neuen Bildern ausgestatteten Kinematographen Excelsior" bewundern. Graz, damals eine Stadt von rund 120.000 Einwohnern, war als Metropole der Steiermark Mittelpunkt der Ereignisse. Anfang Mai des Jahres „brach in den hiesigen Ziegeleien ein großer Streik der Ziegelarbeiter aus", berichtet das Jahrbuch der Stadt. Am 24. Juni „begann auf sämtlichen Strecken der elektrische Betrieb der Grazer Stadtbahn". Im November des Jahres hatte die k. u. k. Hofschauspielerin Adele Sandrock ein Gastspiel gegeben. 360 Dienstmänner standen den Grazern für Dienste in der Stadt bereit. ,,Gänge aller Art ohne Gepäck" kosteten 10 Kreuzer, mit Gepäck bis 20 kg zahlte man 20 Kreuzer, für Gepäck bis zu 50 kg wurden 30 Kreuzer verrechnet. Der Einspänner verlangte für eine Stunde Zeitfahren 80 Kreuzer, ein halber Tag kostete zweieinhalb bis drei Gulden, ein ganzer Tag fünf Gulden. Rund um die Stadt, die ihre Grenzen schon längst gesprengt hatte, standen die Häuschen der „Bestellten", denen es oblag, die „Verzehrsteuer" einzuheben. Fußgänger, Radfahrer u1d Fuhrwerke wurden genau kontrolliert, ob sie nicht etwa Fleischwaren mit sich führten. Wer solches nach Graz brachte, mußte eine Abgabe zahlen. Das war Graz anno 1899. Johann Puch wußte, daß mit Handwerksmethoden nichts mehr auszurichten war - Maschinen waren nötig, Kapital mußte her. Die alte Mühle mit der 60 PS starken Wasserkraft des Mühlgangs war bloß ein Anfang. Johann Puch gründete eine Aktiengesellschaft. Mit Genehmigung des k. k. Ministeriums des Inneren vom 17. Juli 1899 berief er für den 27. September eine Generalversammlung der Aktionäre ein und ließ sein neues Unternehmen mit

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