Aktuell im Betrieb - Heft 1/1970

Nach Arbeitsschluß In den Werkshallen und Büros verlöschen die Lichter, Männer und Frauen treten aus dem Fabrikstor und zerstreuen sich in alle Richtungen. Nicht alle von ihnen kehren in die Geborgenheit ihrer Familie zurück, werden von einem Ehepartner, Kindern oder Eltern erwartet. Ein Teil der Mitarbei ter jedes Betriebes ist allein. Sperrt der ,,alleinstehende",richtiger müßte es heißen: der ,,alleinlebende" Mensch nach Arbeits schluß die Tür zu seiner Wohnung auf, ist diese leer, kalt und dunkel. Die überwältigende Mehrheit der allein stehenden Menschen sind Frauen. Da trotz der (scheinbaren) Gleichberechtigung noch immer der Mann es ist, der die entschei dende Frage nach dem ,,Ja fürs Leben" stellt, hat der Mann sein Los, als ,.Solist" durchs Leben zu wandern, nahezu aus nahmslos selbst und bewußt gewählt; für die Frau bedeutet Alleinsein oft ein ihr auferzwungenes, unerwünschtes Schicksal. Wir wissen, daß die beiden großen Kriege unseres Jahrhunderts zwei Generationen von Frauen hart mitgespielt und einen schockierenden Frauenüberschuß verur sacht haben. Die Lebenserwartung der Frau ist heute größer als die des Mannes, so daß es ungleich mehr Witwen als verwitwete Männer gibt, und nur zu oft zieht die Frau das Alleinsein einer unglücklichen Ehe vor. Dies alles und die Auflösung der ,,Groß familie", in der früher auch alleinstehende Frauen gewissermaßen ,,aufgingen", haben die Gestalt und die Probleme der alleinste henden Frauen in den letzten Jahren beson ders in den Vordergrund gedrängt. Beden ken wir, daß allein in Österreich etwa zwölf Prozent der Bevölkerung aus allein stehenden, ledigen, verwitweten und ge schiedenen Frauen über Vierzig bestehen. Ein Großteil der alleinstehenden Frauen ist heute berufstätig. Die „Alleinstehenden" haben sich in der Gesellschaft, im Arbeits prozeß inzwischen einen festen, anerkann ten Platz erobert. Mag die Alleinstehende früher einmal Zielscheibe unangebrachten Spottes oder scheinheiligen Mitleids gewe sen sein, so ist sie heute fast ausnahmslos ein Begriff für hervorragende berufliche Leistung und Lebenstüchtigkeit. Durch Familiensorgen viel weniger abgelenkt von der Erfüllung ihrer beruflichen Pflichten, zu Mehrarbeit und Überstunden durchwegs gerne bereit, ist die alleinstehende Frau als Arbeitskraft geschätzt und begehrt. Außerdem ist sie ja von sich aus bestrebt, gute Arbeit zu leisten, da sie in ihrer Exi stenz ganz auf sich selbst gestellt ist und nicht auf den Rückhalt einer Familie, eines verdienenden Ehemannes zählen kann. Für die berufstätige alleinstehende Frau ist der Betrieb, der Arbeitsplatz gewissermaßen der Lebensraum, ja manchmal sogar der ganze Lebensinhalt. Hier ist sie unter Men schen, hier findet — im Gegensatz zu ihrem Zuhause — ihre Stimme Widerhall, hier kann sie etwas leisten, Erfolg haben, hier findet sie Anerkennung, und selbst die Mißhelligkeiten, die bisweilen unweigerlich mit einer Berufstätigkeit verbunden sind. erträgt sie leichter als die häusliche Iso lierung. Natürlich gibt es unter den alleinstehenden berufstätigen Frauen auch ausgesprochene „Karrierefrauen", die, mit ganz besonderer Zähigkeit, Energie und Härte ausgestattet, in Spitzenpositionen vorstoßen und darin die Erfüllung ihres Lebens finden, die ihnen in ihrem Privatleben versagt geblieben ist. Solche betont zielbewußte Frauen stoßen durch ihre Lebensart und ihr Verhalten bei den Arbeitskollegen oft auf Ablehnung und flößen sogar männlichen Mitarbeitern zu weilen mehr als Respekt und Bewunderung, nämlich Angst, ein. Wer aber soviel Tole ranz aufbringt und sich die Mühe nimmt, die ,,eiserne Fassade" einer so gefürchteten Mitarbeiterin zu durchdringen und ihr mit gleichmütiger Freundlichkeit begegnet, wird entdecken, daß meist hinter diesem (als Selbstschutz) zur Schau getragenen energischen Wesen ein „feiner Kerl" steckt, mit dem es sich prächtig arbeiten läßt. Mit weniger Erfolg und Schwung und mehr Schwierigkeiten bewältigt die alleinste hende berufstätige Frau, wie gesagt, manch mal ihr privates Leben. Zu keiner Zeit war die Gefahr größer als in unseren Tagen, daß aus dem Alleinsein auch Einsamkeit, Isolierung wird. Das liegt nicht immer und nicht nur an der alleinstehenden Frau selbst, das liegt in der Situation und im Verhalten unserer menschlichen Gesell schaft im allgemeinen. Der Mensch unserer Tage wehrt sich gegen die (von der Tech nik geförderte) Vermassung, Gleichschal tung und Uniformität, indem er sich von den anderen abschließt. Wenn also die alleinstehende Berufstätige von der Arbeit nach Hause zurückkehrt, ist sie an vielen Tagen des Jahres auf sich selbst, auf ihre eigene Gesellschaft ange wiesen. Sie hat sich an das Alleinsein ge wöhnt, sie hat gelernt, es „bei sich" und „mit sich" auszuhalten — denn auch das Alleinsein läßt sich lernen. Nur manchmal packt und überwältigt sie das Bewußtsein ihrer Einsamkeit, und dann ist sie mit sich und der Welt zerfallen. Zorn, Selbstmitleid, Enttäuschung, all das, Tag für Tag unter drückt, kommt dann an die Oberfläche und setzt ihr hart zu. überwinden lassen sich solche „seelischen Tiefs" nicht immer so schnell, wie man möchte, und ohne daß die anderen es merken. Zugegeben, manch mal werden sie auch an den Arbeitsplatz mitgebracht, zweifellos zum Mißvergnügen der Mitarbeiter. Aber wie bei jedem Zusam menleben, also auch beim betrieblichen, liegt es an beiden „Teilen", solche Krisen nicht zu ernsten Konflikten werden zu las sen. überlegen wir doch: Sollten nicht wir, die anderen, ein klein wenig Rücksicht und Verständnis für die ünausgeglichenheit einer alleinstehenden Berufskollegin haben, sollten wir ihr nicht einen Mangel an Selbstbeherrschung verzeihen, ein brummi ges Gesicht übersehen, ein weniger freund liches Wort überhören, schlechte Laune mit einer besseren beantworten? Und die Alleinstehende: Sollte sie nicht hinwiederum daran denken, daß auch ihre im Familienverband lebenden weiblichen (und männlichen) Arbeitskollegen genug Sorgen und Kümmernisse haben, und zwar zuweilen mehr und größere als sie, die Alleinstehende. Sicherlich, das ist nur ein schwacher Trost für sie und ändert nichts an der eigenen Lage, aber es wird ihr die der anderen viel weniger beneidenswert er scheinen lassen. Wenn sie nämlich die Augen offen hält, wird sie bei so manchen Mitarbeitern niedergeschlagene Mienen be merken, und wenn sie den Problemen ihrer Kollegen ihr Ohr leiht, wird sie begreifen, daß auch diese Menschen von ihren Sorgen in die Arbeit begleitet werden und viel leicht sogar das Alleinsein, wenigstens eine Zeitlang, erstrebenswert finden könnten: Nicht alle Ehen ,,stimmen", die Erziehung der Kinder, ihre Gesundheit, ihre Leistun gen in der Schule geben so manche harte Nuß zu knacken. Muß also die Alleinste hende die Geborgenheit und die unbestreit bar vorhandenen Freuden des Familien lebens entbehren, bleiben ihr aber auch des sen Schattenseiten erspart. Alleinsein muß aber durchaus nicht völlige Isolierung von der Umwelt bedeuten. Ge rade für die berufstätige alleinstehende Frau gibt es heute eine Unzahl von Mög lichkeiten, sich auch nach Arbeitsschluß, an Wochenenden, an Sonn- und Feiertagen einen Lebenskreis zu erschließen, der ihren Interessen, Neigungen und Fähigkeiten entsnricht. Zugegeben, der Anschluß an andere Ehepaare und Familien (vor allem, wenn es um Mitarbeiter aus dem Betrieb geht), ist nicht einfach, es sei denn, man ist bereit, nur in der Rolle der ,,guten Tante", des Dauer-Baby-Sitiers, aufzutreten. Hat man aber eine eigene, feste Persönlichkeit und ausgeprägte Interessen, wird das Problem schwierig. Bekanntlich riskiert es ein Ehe paar nur ganz selten, eine alleinstehende Frau mehr als zweimal einzuladen oder sie gar in seinen Gesellschaftskreis aufzuneh men, wahrscheinlich sogar weniger um sei nes Hausfriedens als um des nachbarlichen Geredes willen. Dabei haben es wirklich die wenigsten Frauen darauf angelegt, als ,,Störenfriede" einer Ehe zu fungieren, son dern die meisten sind dankbar, wenn man sie in eine freundliche, häusliche Atmo sphäre einbezieht und an einem Gedanken austausch teilnehmen läßt. Rundfunk, Fernsehen und Kino brauchen aber nicht zum alleinigen Lebensinhalt der alleinstehenden Frau nach Arbeitsschluß zu werden. Die für die Berufstätige ganz besonders kostbare Freizeit soll ja nicht ,,totgeschlagen", sondern, im Gegenteil, zum Leben erweckt, zum Kräftesammeln ausgenützt werden. So groß die Gefahr, die Versuchung ist, träge oder menschenscheu zu werden,so vielfältig sind heutzutage die Möglichkeiten, das Beste aus seinen Muße stunden zu machen. Fast haargenau gilt dies auch für die Frau im Ruhestand, der ihr übertritt vom Berufsleben in die schein bare Leere und Inhaltslosigkeit des Pensio nistendaseins am Anfang besonders schwer

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