Steyrer Ausstellungs Zeitung, Nr. 46, 28. September 1884

Seite 6 finden — ein Ahasver unter den Bäumen. In der That entspricht diese Symbolik allen Eigenthum¬ lichkeiten der Espe: sie ist heimatlos, kommt und verschwindet in den Schlägen, der Forstmann stellt wissen. Betrachten Sie, meine Herren, die Rechts¬ ihr nach und mag von ihrem Heimatsrecht nichts gebräuche des deutschen Volkes, so finden Sie nicht Bäumen im Freien, unter altehrwürdigen Linden, Rüstern und Eichen hielten die Alten Gericht. Der Stab, ein Theil des Baumes, war das Symvol der höchsten, richterlichen Gewalt. Den Stab über Jemanden brechen, heißt noch heute ihn verur¬ theilen, verdammen, für unverbesserlich erklären. So haben Wald und Baum den Gottes¬ minder zahlreiche Beziehungen zum Walde. Unter mildert, seine Begierden gezugelt. In seiner „Ur¬ gedanken im Menschen erweckt, seine Sitten ge¬ geschichte der germanischen und romanischen Völker¬ schaften“ sagt Dahn mit vollem Rechte: „Es hat der Wald unser Volk nicht nur gerettet, er hat es guch frisch, urwüchsig, gesund an Leib und Seele erhalten, so daß es den abgelebten Römern in der That als jugendlicher Erbe der Weltherrschaft, als Trager der Zukunft entgegenschreiten tonnte. Bald ist auch die Heimstatte jener gewaltigen Er¬ Ich bin damit noch nicht am Schlusse. Der terielle Cultur von Grund aus umschaffen hat. sich bedient, Buchstaben, d. i. Stäbe, nennen, werden wir täglich daran erinnert. Die Lesung der Runen war ein Geheimniß der Alten. In die abgebrochenen Zweige eines fruchttragenden Baumes, als welcher besonders die Buche galt, wurden gewisse Zeichen geritzt oder geschnitten. Man Indem wir die Zeichen, deren unsere Schrift findung, welche unsere gesammte geistige und ma¬ streute diese auf den Boden, las sie wieder auf oayer lesen). und deutete ihren Sinn., Bis weit in das Miltelalter herein wurden, besonders in kandinavien, Runen in Holz und Stein gehauen. m Zusammenhange damit war es die Holz schneiderei, welche Gutenberg zu der epochalen Ent¬ deckung leitete. Auf holzerne Stäbchen grub er ie einzelnen Buchstaben ein und fügte sie zu Vorten und Zeilen. Mit diesem Satz wurde 1456 die „Vulgata“ gedruckt, nachdem die Metallarbeiter Faust und Schäffer die hölzernen Lettern in Metall ich zunächst an zwei architettonische Formen er¬ innern, die man in berechtigter Weise mit Baum und Wald in Verbindung gebracht hat: an die Säule und den Spitzbogen. Wenn wir die Palme als das Urbild der Säule bezeichnen, so bedarf es nur einer Vergleichung des schlanken Palmenschaftes und seiner sich im Wipfel ent¬ faltenden Krone, um die Berechtigung des Aus¬ spruches anzuerkennen. Dafür spricht überdies der Umstand, daß die, ältesten uns bekannten Säulen aus den Grabdenkmälern Egyptens stammen, einem Formen besaß Waldes zurückzuführen, mag zwar mancherlei Widerspruch begegnen. Thatsache aber ist es, daß gewiegte Kunsthistoriker diese Annahme gewurdigt haben. Im keltischen Westen Europa's und bei en alten Deutschen stand ja der Cultus der Wälder, wie ich schon gezeigt, in hoher Blüthe. Wenn Sie an die Wandlungen denken, welche die heil. Haine durchgemacht haben, werden Sie viel¬ Die Grundformen der Gothik auf Urbild des Lande, welches das Urbild in den mannigfachsten leicht auch der Annahme zuneigen, daß die Bilder des alten Cultus sich in die christliche Baukunst verwoben, welche in den herrlichen gothischen Domen mäler besitzt. Frankreichs und Deutschlands unvergleichliche Denk¬ Wer jemals die mächtigen Hallen eines Buchen¬ erbaut und die Aexte noch nicht durchklungen haben, hochwaldes durchwandelte, welchen Jahryunderte dem wird die Verwandtschaft der Runen alsbald klar werden. Hoch in den schlanten Schäften der Bäume zweigen die Aeste ab, indem sie einander in richtigen Bögen durchkreuzen und uns nothigen, ihrer Vereinigung mit hoch erhobenem Blicke zu folgen. — So streben die mächtigen Pfeilerbundel des gothischen Domes empor, und erst hoch im das Auge seinen Ruhepuntt. welche Bäume und Wälder uns bieten und er¬ wecken; hier eine gleichklingende Seite berührend, dort einen Mißton versohnend, — diese Mannig¬ Der Reichthum der Bilder und Stimmungen Gewölbe der harmonisch sich einenden Bogen findet faltigteit ist auch in der Lanoschaftsmalerei mit yergestellt hatten. Auf das Gebiet der Kunst übergehend, möchte „Stcyrer Ausstellungs-Zeitune“ die Maler wie zu den Galerien der alten Meister in unsere Berge und Wälder, zu den Eichen des Albaner=Gebirges, des Gansbruch, zu den Pinien des Pompejus=Grabes oder den Kastanien des Aetna, zu den Tannen des Thuringerwaldes, zu den Buchen und Fichten unserer heimatlichen Alpen. auch den Tondichter, den Dichter an diesen Zauver¬ Heimat des Liedes. „Der Wald hat sein Mysterium" — sagt Ma¬ sius —, „in ungestorter Ursprunglichkeit schafft und webt die Erdenkraft; blühendes und weltendes Leben, Licht und Duntel, die kuhnsten und weichsten Ge¬ stalten mischen sich labyrinthisch, ein unsichtbares Sausen und Flüstern zieht durch die stillbewegte Wildniß; der klare, herrschensgewohnte Sinn des Auges fühlt sich uverwaltigt in der verworren drän¬ zenden Fülle, — das Ohr wird von den leise schwe¬ ort der Romantik. Der Wald ist ja die eigentliche Und endlich: was den Maler vegeistert, lockt und hundert Faden spinnen geheim um's Herz. So sind denn alte Phasen und Formen, nament¬ benden Stimmen wie in einen Traum gesungen lich der deutschen Dichtung, von der Poesie des Waldes durchklungen, das alte Götter= und Helden¬ lied, das Volksepos ebensowoyl, wie die Legende und die Fabel, der Minne= und Meistergesang bis zur Lyrik der neuesten Zeit. Ich kann mich leider auf Citate nicht mehr einlassen und erinnere Sie nur an die Götter=, und Heldensagen der Edda, an Siegfried's Tod und Parcival's Jugend, an Reinete und Isegrimm, an die herrlichen Waldbilder, die ein Eichendorff, Uhland, Schiller, Gothe, die die ist, tiefer in dieses dankbare Thema einzugehen. Die Poesie des Waldes ware ja an und fur sich ein Stunde einer Vorlesung zu fullen. Walofrage nennt, ist — wie ich jetzt woyl sagen darf — eine unseren materiellen und geistigen In¬ teressen bis in das Tiefste berührende Angelegen¬ Ich eile zum Schluß. Was man heute die Thema, reich genug, um ein Buch, nicht um die heit. Sie haben gesehen, daß die egoistischen Ein¬ griffe in das Nationaleigenthum des Waldes die Ordnung im Haushalte der Natur empfindlich genug stören, um die Zukunft ganzer Lander in Frage zu stellen. Sie haben gesehen, daß der Wald der prä¬ destinirte Erhalter unserer Binnengewasser ist, daß Menschheit dienstbar zu erhalten vermag. Sie haben sich vielleicht auch überzeugt, wie er allein die Ausschreitungen dieses Elementes zu fesseln und dasselbe den großen Interessen der innig unser ganzes Fuhlen und Denken mit dem Walde verwoben ist, wie sehr wir seiner zur Er¬ wärmung unserer Herzen, als eines unerschopflichen delsten Sinne des Wortes bedurfen. Kommt mit — sagt Pfarrius Komm mit, verlaß das Marktgeschrei, Verlaß den Qualm, der sich Dir ballt Um's Herz, und athme wieder frei, Komm' mit mir in den grünen Wald! Wir geh'n auf thaubeperltem Pfad Durch frischer Lüfte stärkend Bap, Dem grunen Dickicht in den Schooß; Geh'n in der Hallen weite Pracht, Wo endlos Säul' an Säule steht, Des. Unsichtbaren Schauer weht! Und durch der Schatten hehre Nacht Durch schlankes Gras, durch duftges Moos, Bornes der reinsten Genusse, der Auferbauung im unserm Berufe nicht angehoren, nach einem flüch¬ Was Ihnen allen, hochverehrte Anwesende, die tigen Rückblicke auf meine Ausführungen als eine Pflicht der Dankbarkeit erscheinen wird: immer und überall zum Schutze der Walder mitzuwirten, — das ist, im Grunde genommen, nur ein Gebot die Existenz der Walder! Forst: Hrulttelon. Thantasie uno Währheit aus, dem Reiche der Elektricital von Ernst Hromada. stellung sagt, ist teine Pyrase: „Keine Cultur oyne Und was das Spruchband in unserer Aus¬ der Selbsterhaltung; denn mit geyeimen Ban¬ den knupft die Natur das Wohl der Menschen an Schluß.) Marietta ging sonst zu jener Stunde meist zur vach uns geschaffen. österreichischen Dichter Lenau, Grun, Stifter, Baum¬ Ich bedauere, daß es mir nicht meyr vergönnt Richard's stehen, auf jeden seiner Athemzuge lau¬ Nr. 40 schend. Richard nahm rasch eine seiner Karten und den liegen, bin ich schon fort von dieser Erde, schrieb darauf: Treuer Charles! „Wenn diese Zeilen in Deinen lieben Hän¬ in weite unerforschte Fernen. Wenn es dort noch Gedanken gibt und ein Erinnern, so sind sie bei Dir, Du treuester aller Freunde. Irene Den Brief versiegelt er rasch und legt ihn in seinen Schreibtisch. Darauf nimmt er die beiden Schalltrichter des Telephons zu seinen Ohren und Zeit. Lebe wohl — Lebe wohl ist gerächt, mit den Marquis v. Vadez wirst Du sie in den Trümmern ihrer Villa finden. Mein Gift ist stark, der Tod mir leicht, es eilt die Dein Richardo." lauscht und lauscht. Er hört im Zimmer die Schritte der Irene. Sie ist noch allein — sie wartet auf Jemanden, er hört es an dem Rauschen ihres Kleides, er fühlt daraus die Ungeduld. Sie erwartet und glaubt sich unbelauscht, weiß nichts davon, daß Richard jedes Wort hört, daß unter dem kleinen Divan ihres Empfangssalons das schreckliche Dy¬ namit in einem Augenblick ihr Leben zerstören, ihre Schönheit mit Trümmern von Mauerwerk und Steinen begraben kann. Sie ahnt Nichts in Erwartung des Freundes, der ihr versprochen hatte, ie heute noch zu besuchen. Im Kopfe Marietta's puken wilde Gedanken umher, — Irene, sie muß ja sterben, die ihr im Wege stand, ist nun unschäd¬ lich, aber Richard, wird er fliehen? — Nein, er wird gefangen und gerichtet werden! Unmöglich! durch das Telephon gerade die sonore Stimme des Richard vernimmt in seinem Zimmer nun Marquis; ein unsagbarer Schmerz, der sich in ein verzweiflungsvolles Auflachen verwandelt, läßt ihn zum Taster greifen. — Ein Druck! nun lauscht er in die Ferne, um den Knall des Dynamits zu in diesem Momente erst bemerkte Richard, wie wunderschön Marietta war. In ihren Blicken spielte ich der Triumph, daß sie im Stande gewesen, ihre Drähte durchschnitten, die Leitung unterbrochen. Thur und steht vor ihm. jören. In diesem Augenblicke offnet Marietta die „Verzeihung: Signor Richardo, ich habe die „Unglückselige“, „was hast Du gethan?“ Jetzt, den sie liebt. Nicht lange konnte sie sich freuen.: Feinde zu retten und mit ihr zugleich Denjenigen, Marietta's Mutter bemerkte, daß sie zu so später Mein Gott, warum nahmst Du mich nicht früher fort aus dieser Welt, um diese Schande nicht an Stunde nicht in ihrer Kammer war und sah sie in dem Zimmer des Malers. „Fort mit Dir, ich habe keine Tochter mehr!“ Das mußte ich erleben. Beschwichtigung Marietta's. Arme Marietta, nun meinem eigenen Kinde zu erleben! Da half keine stehst Du allein in der Welt. Wird der rechte Untersuchung. Seine Frau Irene Villmer wird entlassen, sie wußte nicht, daß dieser falsche Marquis einer darauf verschwand sie spurlos aus Italien. der gefährlichsten Anarchisten war und nun sein Leben in einer Strafanstalt beenden muß. Bald Draußen aber in der Umgebung Mailand's im Hülgellande Brianza liegt ,ein kleines Landhaus im Schatten von Maulbeerbäumen, alles ist so zierlich eingerichtet, wirklich ein trautes Heim. Wer bewöhnt es? Ein Maler, Richard Verdi, jetzt noch allein; aber nicht für immer. Bald holt er sich von der Stadt ein treues Weib — — Marietta. sitzt auf den weichen Polstern der ersten Classe ein Freund sich noch für Dich finden? Im Eilzuge zwischen Peskiera und Verona junges Ehepaar. Die junge Frau ist wunderschön, ihr Gemahl nicht minder. Sie blickt hinaus in die vorbeifliegende Gegend mit glückstrahlenden Augen. In der anderen Ecke des Coupes sitzt ein älterer Herr, ihren Gemahl fortwährend fixirend. Die Station Verona ist bald erreicht, schon hört man den Schaffner den Namen Verona rufen, als der ältere Herr mit den Worten sich erhebt: „Erlauben Sie, habe ich das Vergnügen mit Herrn Marquis von Vadez zu sprechen?“ „Bitte, so ist mein Name.“ „Dann mein lieber Herr, ersuche ich um Verzei¬ hung, Sie sind im Namen des Gesetzes verhaftet!" Eine Leichenblässe bedeckte das Antlitz des Mar¬ Polizeibeamte, die den Marquis mit einem Wagen in das Stadtgefangniß führen und sein Weiv zur quis, nicht minder jenes seiner jungen Frau, die einer Ohnmacht nahe ist. Am Perron stehen schon

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