Anton Rolleder - Heimatkunde von Steyr 1894

162 Schiffweg) Kanonen auffahren. Die Beschießung dauerte bis 5 Uhr abends; da zogen die Österreicher, welche bloß 1 Kanone auf der hohen Ennsleite hatten und nur mit Gewehren auf die Franzosen feuern konnten, thalaufwärts dem Gebirge zu. Die Feinde stellten jetzt die Ennsbrücke wieder her und verlangten von der Stadt 10000 Paar Schuhe, 100 Ochsen und 300 Eimer Wein. Steyr war soviel aufzubringen nicht im Stande, außerdem musste es noch vielfach leiden, als in den folgenden Tagen Wrede mit den Skiern, Bernadotte mit Franzosen und Marmont mit 20000 Holländern eingerückt waren. Erst am 1. Marz 1806 zogen die Feinde von hier ab, und auch jetzt durfte man keine bleibende Ruhe erwarten; die Gewalt- und Willküracte Napoleons, sowie die gekränkte Ehre und das verletzte Recht bewirkten im Herzen des Volkes eine heilige Begeisterung für Vergeltung. Allerwärts traf man Vorbereitungen; in Steyr wurde 1808 die Bürgermiliz ganz neu organisiert, schön montiert und gut bewaffnet, sogar ein Cavalleriecorps wurde gebildet. Am 9. April 1809 erfolgte die Kriegs­ erklärung ; am 3. Mai tobte ein blutiger Kampf bei Ebelsberg; am gleichen Tage gieng die österreichische Arriüregarde unter den Generälen Nordmann und Meerveldt durch die Stadt, welche am folgenden Tage vom Marschall Lannes und am 10. Mai von einer Abtheilung Würtemberger besetzt und erst am 3. Jänner 1810 wieder geräumt wurde. Ungeheuer waren die Kosten der Einquartierung und der Lieferungen aller Art und unerschwinglich die Kontributionen, welche diese Invasionen verursacht hatten; die Industrie und der Handel Steyrs lagen tief darnieder; die Stadt­ gemeinde musste vieler Schulden halber sogar die als Kausschilling für ihren Ge­ werkschaftsantheil erhaltenen Staatsobligationen nothgedrungen billigst veräußern. Nach mehrjährigem Ringen für Selbsterhaltnng und Errettung aus misslichsten Verhältnissen trat 1816 und 1817 die durch Missernte und Wucher erzeugte Theuerung ein, verbunden mit Arbeits- und Handelsstockung. Am 1. Mai 1817 kostete auf dem Wochenmarkte ein Metzen Weizen 44 fl.; die Preise fielen bald wieder, die Regsamkeit der Bewohner erhielt neuen Ansporn; ein allerhöchstes Privilegium bewilligte der Stadt die Abhaltung von Viehmärkten am 19. März und 10. October jeden Jahres, was einen bedeutenden Zuzug der Landbevölkerung und damit einiger­ maßen Umsatz und Erlös verbürgte. Im Sommer des Jahres 1819 besichtigte Erzherzog Johann die Höhen um Steyr herum, weil eine Ennsbefestigung geplant war; im Herbste beglückte Erzherzog Ferdinand, der damalige Kronprinz, die Stadt mit höchst Seinein Besuche, und da bot Steyr schon einen lieblicheren Anblick; eine herrliche Stadtbeleuchtung ivurde insceniert, Cavallerie und Infanterie paradierte; der Stadtgraben ward ausgefüllt und somit die Anlage einer städtischen Promenade vorbereitet. Hierher wurden int Frühlinge 1821 aus Losensteinleiten schöne Kastanien­ bäume verpflanzt. Die gegenwärtige Promenade wurde jedoch erst 1875 angelegt. Steyr begann die beengenden Fesseln zu durchbrechen und neuem Streben Raum zu schaffen, obwohl es in den letzt vergangenen Decennien und auch in der Folge harte Schicksalsschläge zu erdulden hatte. Vier große Überschwemmungen und der Brand vom 18. Juni 1824, welcher 103 Wohnhäuser einäscherte, haben der Stadt einen Schaden von fast 2 Millionen Gulden verursacht. Die Zwanzigerjahre waren überhaupt durch abnorme Witterungsverhältnisse, auf­ fallende Naturerscheinungen und erschütternde Ereignisse bemerkenswert. Die Kälte zur Sommersonnenwende 1821 war so groß, dass man allerwärts die Zimmer heizte, dann folgte monatelanger Regen von Juni bis October und darauf eine Überschwemmung, welche wieder großen Schaden anrichtete. In der letzten Woche des Jahres trat große Wärme bei Südwind ein; die Wiesen grünten um Weihnachten, und die Andächtigen giengen in Sommerkleidern zur Christmette. Das nächste Jahr war wieder fruchtbar und warm, und fleißig regten sich die Hände; neue Brücken wurden erbaut, die Enge wurde gepflastert und ein Bürgersteig zu beiden Seiten des Stadtplatzes gelegt, auch durch die Pfarrgasse bis zur Kirche und über den Grünmarkt bis zum Neuthore.

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