Mitteilungsblatt des Pfadfinderkorps St. Georg, Kolonne Steyr, 4. Folge, Oktober 1935

2 Das Pfadfindertum soll eine Brücke bilden zwischen Schule und Leben. Die Schule bemüht sich in der Erziehung und im Unterricht, die für das praktische Leben notwendigen Kenntnisse zu vermitteln und die Fähigkeiten zu steigern. Aber auch hierin sind der Schule Grenzen gezogen, die nicht überschritten werden können. Der Schule wird immer etwas Lehrhaftes anhängen. Der Hinweis „das braucht ihr für das Leben“ läßt viele Schüler kalt, denn das Kind ist in vielen Fragen noch viel zu sorglos und sieht die Anwendung des Gehörten für das prak¬ tische Leben in weiter Ferne. Das Pfadfindertum geht da einen Schritt weiter. Die Kenntnisse aus Naturgeschichte werden durch die Beobachtungen in der Natur ver¬ tieft und dadurch wird wieder die Liebe zur Natur geweckt. Der Pfadfinder wird dauernd angehalten, mit offenen Augen durch die Schöpfung zu gehen und Tiere und Pflanzen zu schützen. Was die Schule im Unterricht vorträgt, übt der Pfadfinder vielfach praktisch. Die Schule lehrt in Erdkunde den Aufbau und die Beschaffenheil des heimatlichen Bodens, der Pfadfinder bewegt und übt sich im heimatlichen Ge¬ lände. Die Schule spricht von den alten Volksbräuchen, der Pfadfinder beobachtet die lebenden Volksbräuche, sammelt sie und pflegt sie. Die Schule ist immer bestrebt, die Geschicklichkeit und den Erfindersinn zu fördern, der Pfadfinder stellt den Jungen vor praktische Aufgaben, wo es heißt sich selber helfen. Die Schule bespricht den menschlichen Körperbau und das Skelett, berührt auch die Regeln für erste Hilfe¬ leistung, der Pfadfinder wird eingehend geschult im Rettungsdienst. Es ließe sich noch eine lange Reihe von Beispielen anführen, wie sich Schule und Pfadfindertum in der Erziehung ergänzen. Das Erziehungswerk der Pfadfinder ist von einer gesunden Romantik umgeben, die den Jungen in diesem Lebensalter so sehr lockt. Die Uniform, das Ritual, die Patrouillennamen, der Gruß, das Lagerfeuer tragen in verständnisvoller Form dem Hang nach dem Geheimnisvollen Rechnung, ohne dabei krankhaft zu sein. Ein Pfadfinderversprechen am Lagerfeuer ist für den Jun¬ gen immer ein tiefes Erlebnis, das veredelnd auf ihn wirkt. Ein guter Pfadfinder¬ führer weiß auch immer die Uebertreibungen fernzuhalten. Gerade durch den Zauber der Romantik im Pfadfindertum wird der Junge vielfach abgehalten, vor ungesunder Abenteurer= und Verbrecherlektüre, die sonst viele Jungens zum Ar¬ beiten und Lernen unfähig macht und gegen die sonst die Schule vielfach vergeblich kämpft. Ein Junge, der sich mit Hingabe an einem gesunden Pfadfinderleben be¬ teiligt, wächst oft unversehens über eine kritische Zeit hinweg. Das Pfadfindertum ist kein fremder Einfuhrartikel, weil es nicht bei uns ent¬ standen ist. Der richtige Pfadfinder ist immer heimattreu und vater¬ ländisch gesinnt, wenn auch die Bewegung ursprünglich von England ausgeht Im Rahmen der Richtlinien für eine vaterländische Jugenderziehung wurde in den neuen Lehrplänen der österreichischen Schulen auch für die „vormilitärische Aus¬ bildung“ vorgesorgt. Man ist sich wieder bewußt, daß die Jugend wieder Achtung bekommen muß vor dem Heldentum und Opfermut. Die Durchführung der vor¬ militärischen Ausbildung ist dem Lehrer anvertraut. Was in dieser Hinsicht von den Schulen jetzt gefordert wird, haben die Pfadfinder vielfach schon längst geübt. Es sei nur hingewiesen auf die Weg= und Geländekunde, auf den Gebrauch des Kompasses, auf das Marschieren, auf die Meldung, auf das Signali¬ sieren, auf den Unterricht im Sanitätswesen usw. Die Liebe zur Heimat und zum Vaterland wird durch nichts so sehr gestärkt, wie durch ein gründliches Kennen¬ lernen der Heimat. Die Schule kann von den Schönheiten der Heimat sprechen, kann Lichtbilder und Filme zeigen, kann auch sparsame Wanderungen unter¬ nehmen, der Pfadfinder aber hat Gelegenheit durch das Wandern und Lagern in der Ferienzeit die Heimat in ihrer ganzen landschaftlichen Schönheit, in ihrer Ge¬ schichte und in ihrem Brauchtum gründlich zu kennen. Als Voraussetzung für jede Erziehungsarbeit im Pfadfindertum gilt, daß sich die Pfadfinderführer selbst von ernster sittlich=religiöser Gesinnung und von hohem Idealismus leiten lassen. Dann ist das Pfadfindertum eine vornehme und wertvolle Hilfe, um gemeinsam mit der Schule eine Jugend heranzubilden, die sittlich=religiös, vaterländisch, sozial und volkstreu fühlt, denkt und handelt. Der Direktor eines Bundesgymnasiums besuchte im Vorjahre das Lager des Landeskorps Kärnten und sagte dann spontan zum Lagerführer: „Wenn nur unsere Bundesregierung das Einsehen hätte, daß die Pfadfinderbewe¬ gung, wie keine andere Jugendbewegung, die Jugend wirklich an sich zieht und hält. Die Pfadfinder sprechen nicht vom vaterländischen Geist, sondern sie üben ihn.“

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2