Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

BUCHBESPRECHUNGEN UND ANZEIGEN Friedrich Mielke, Die Geschichte der deutschen Trep pen. Verlag Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin-München 1966. XV u. 388 S. Treppen gehören zu jenen Kunstwerken, die nur zu bestimm ten Zeiten die künstlerische Gestaltungskraft herausgefordert haben. Während Alberti in ihnen ein die Architektur störendes Element erblickte, boten sie Balthasar Neumann die Mög lichkeit zur höchsten Entfaltung seiner Gestaltungskraft. Solch künstlerische Spannung macht die Treppen zu einem faszinierenden Problem, bei dem konstruktiv-statische Mo mente sowie Aufgabe und Funktion zu berücksichtigen sind; für seine Lösung ist der räumliche Zusammenhang, die transitorische Aufgabe, die ein Bewegungsmoment einschließt, ebenso wichtig wie die Ikonographie eines Bauteiles, der etwa im Barock eine wesentliche Rolle im höfischen Zeremoniell spielt. Die Vielfalt der Möglichkeiten, Höhendifferenzen zu über winden, legt eine Gruppierung des Materials nach Typen nahe, die im vorliegenden umfangreichen und schön ausgestatteten Buch den Leitfaden abgibt, wobei — wie bei einer typologischen Betrachtung leicht — die Übersichtlichkeit in der Darbietung des Materials gelegentlich auf Kosten des historischen Aspektes geht, welchen der Titel verspricht. Imponierend ist die Fülle der Beispiele, die aus dem Bereich der deutschen Kunst hier zusammengetragen, höchst eindrucksvoll beschrieben und gut illustriert wurde. Die Reihe setzt mit Werken des 13. Jahr hunderts ein (auch die Treppen im Dom zu Trient sind nicht früher entstanden) und führt bis zur Gegenwart, wobei sich manch überraschendes Phänomen ergibt. Für die Gotik, in der sich an den Lettnern die frühcsten kunstvoll gestalteten Treppen finden, sind die Leistungen von Peter Parier am Prager Turm, von Ulrich von Ensingen in Ulm, Straßburg und Mailand sowie die von Johannes Hültz ins rechte Licht gerückt, wobei die von letzterem verwirk lichte großartige Idee des in Straßburg aus 52 sechsseitigen Wendeltreppen aufgebauten Turmhelmes nicht allein aus der Liebe zur Treppenkunst erwachsen zu sein scheint, sondern — wohl nicht unähnlich dem Zikurat-Motiv bei Borrominis St. Ivo - einen Bedeutungsinhalt ahnen läßt. An den Wendel treppen ergeben sich bemerkenswerte Konnexe zwischen Gotik und Barock, wie sie etwa aus der Typenverwandtschaft der Grazer Burgtreppe und Fischer von Erlachs Treppe der Kollegienkirche ersichtlich sind. Als ein köstliches Beispiel einer eisernen Wendeltreppe mit zwei Spindeln aus dem 18. Jahrhundert wäre jene in der Bibliothek des Stiftes Vorau in der Steiermark nachzutragen. Die der Wendeltreppe immanenten Möglichkeiten für die Architektur des 20. Jahr hunderts sind am deutschen Material nur in kleinem Umfang zu demonstrieren. Zahlreicher sind die geraden Treppenläufe, bei denen aller dings sowohl die Einschränkung der Darstellung auf deutsches Material wie auch die typologisehe Gliederung manche Schwie rigkeiten mit sich bringen. Wemi auch in kurzen Abschnitten der Versuch gemacht wird, die wichtigsten italienischen und französischen Beispiele anzuführen (die große Treppe von Fontainebleau scheint nicht auf), so reicht dies nicht aus, um die historischen Zusammenhänge, welche für die Geschichte der deutschen Treppe von Wichtigkeit sind, darzulegen. Als Prokrustesbett erweisen sich hier wohl gelegentlich auch die Typen. Es ist sicher ein fruchtbarer Gedanke, bei einer ganzen Reihe von Treppenanlagen das Faktum zu betonen, daß hier Elemente der Außenarchitektur in den Innenraum gezogen werden. Manche Eigentümlichkeit läßt sich damit sehr gut erklären. Anderseits wird man aber wohl dieses Denkschema nicht überfordern dürfen und vorsichtig sein müssen, wenn die eigentlich dem Außenbau zugehörige Freitreppe immer wieder als integrierender Bestandteil der bedeutendsten Barocktreppen angesprochen wird, die dann ihrem Typus nach ein Zwitterding, nämlich „Freitreppe im Innenraum" ist. Pommersfelden, Wion-Belvedere, Berlin-8chloß usw. erfahren dabei nur in sehr begrenztem Maße eine ihrer indi viduellen Erscheinung adäquate Würdigung. Eigenartiger weise fehlt bei den barocken Treppen die spannungsreiche, das ,, Aufsteigen" so großartig zum Ausdruck bringende Treppe aus dem Winterpalais des Prinzen Eugen in der Himmel pfortgasse in Wien. Besonders schätzenswert ist das Bemühen des Werkes, auch dem Treppenbau des 19. Jahrhunderts gerecht zu werden, wobei sich ganz klar eine logische Weiterführung und Voll endung dessen, was im Barock begonnen hat, erkennen läßt. Bei Balthasar Neumann oder in Klosterneuburg wird das Treppenhaus nicht mehr als Teil eines Traktes gestaltet, sondern bildet einen Trakt für sich. Im 19. Jahrhundert, das sehr weitgehend dem Kommunikationssystem die repräsen tativen Aufgaben überträgt, führt die Treppe nicht mehr zum Festsaal, sondern ist, wie in Gärtners Bayrischer Staats bibliothek in München, selbst der repräsentative Raum. Um 1900 erreicht dann die Treppenanlage etwa im Münchner Justizpalast oder in Berlin-Moabit eine Freiheit und Leichtig keit der Führung, die nicht nur den Forderungen der Pracht treppe, sondern auch den Aufgaben des Verkehrs zu genügen vermag. Daß es sich bei diesen die Treppenanlagen des 20. Jahr hunderts künstlerisch vorbereitenden Werken um Leistungen des Späthistorismus handelt, sollte zu denken geben und davon abhalten, die Übernahme barocker Treppentypen in den soziologisch ganz neuartigen Privatbau des 19. Jahr hunderts zu sehr zu kritisieren. Interessant ist die kluge Bemerkung, daß die großartigen Treppenanlagen in Waren häusern ein bisher den begüterten Schichten vorbehaltenes Raumerlebnis allgemein zugänglich machen sollten und daher folgerichtig mit dem Schwinden der Standesunter schiede nach dem Ersten Weltkrieg ihre Bedeutung verloren. Unter Hinweis auf das Phänomen der Rolltreppe gelangt der Autor schließlich zu den Idealvorstellungen der Gegenwart, wo man durch möglichst geringe Materialstärke und Ver wendung durchsichtigen Materiales (Plexiglas) gleichsam die Schwerkraft zu überwinden sucht — ein vom Architektonischen her gesehen als utopisch zu bezeichnendes Streben, das aber anderseits dem Zeitalter der Astronautik doch adäquat erscheint. Wenn man alles in allem diesem schönen Buch auch nicht zugestehen möchte, daß es tatsächlich eine „Ge.schichte" der deutschen Treppen bietet, so enthält es doch eine Fülle von ausgezeichnet dargebotenem Material und viele grundlegende Gedanken, welche für die weiteren Arbeiten zu diesem Thema den Ausgangspunkt bilden können. R. Wagner-Rieger

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