Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

Renate Wagnee-Riegeb STILWANDEL DER STÄDTEBAULICHEN KOMPOSITION IM BEREICHE DER WIENER RINGSTRASSE Der Stil einer Epoche bestimmt das Erscheinungsbild ihrer Bauten, er bestimmt aber auch die Art, in der sich die Gebäude zu einer Straße, zu einem Platz oder einer größeren städtebaulichen Einheit verbinden. Der bei der Aufteilung des zur Verfügung stehenden Areals gewählte Grundplan und die Anordnung der Baublöcke, ihr Verhältnis zur Umgebung, ihre Stellung im Straßenzug und ihre Be ziehung zu den Grünflächen bewahren die stilistischen Elemente der Entstehungszeit meist viel reiner als die sich darüber erhebenden Bauten selbst, die bei entsprechender Umgestaltung die ursprüngliche künstlerische Wirkung der Anlage völlig verschleiern können, so daß von ihr lediglich der Grundriß - einem übermalten Bild gleich - übrigbleibt. Die Bindung städtebaulicher Kompositionen an den Zeitstil bedeutet, daß sie im Verlauf ihrer Entstehung einen dem Stilwandel parallel gehenden Umformungsprozeß mitmachen. Zur Beobachtung eines solchen Ablaufs bietet die Wiener Ringstraßenzone ein ideales Gebiet. Hier wurde auf dem unverbauten Glacisgelände, bei dem auf keine Vorgängerbauten Rücksicht genommen zu werden brauchte, eine Stadt erweiterung durchgeführt, welche die verschiedenen Stilströmungen der sechzig Jahre, die man dazii benötigte, spiegelte. Sie war aber dem zeitlichen Wandel insoferne nicht völlig unterworfen, als die einheitliche Grundplanung, welche der Durchführung des Unteriiehmens zur Basis gegeben wurde, naturgemäß den Stempel ihrer Zeit trug. Es war von größter Bedeutung für die städtebauliche Erscheinung Wiens, daß der Entschluß Kaiser Franz Josephs I. vom Dezember 1857, die Stadtmauern um die Innere Stadt Wien schleifen und den bislang freigehaltenen Eestungsrayon verbauen zu lassen^, nicht das Signal zu einer wilden und speku lativen Verbauung gab, sondern daß man dabei ganz planmäßig vorging. Die Ausschreibung eines Wettbewerbs, an dem sich beste Kräfte beteiligten, sicherte eine Fülle wertvoller Ideen, die in einen 1859 vom Kaiser genehmigten Stadterweiterungsplan (Abb. 98) einflössen, den man der tatsächlichen Verbauung zugrunde legte. Die damit in die Gesamtkonzeption der Ringstraßenzone eingegangene Stil form der Zeit um 1859 blieb für sie auch weitgehend verbindlich, obwohl während der Ausführung an vielen Punkten ganz bedeutende Veränderungen eintraten, so daß sich das Bild am Ende der Monarchie von der ersten Planung sehr wesentlich unterschied. Die Gründe für das Abweichen vom ersten Konzept waren viel weniger von unabweislichen praktischen Erwägungen diktiert als vielmehr von den Inten tionen der auf die Gründer folgenden Generationen, die ihren eigenen künstlerischen Vorstellungen Rechnung tragen wollten. Dieses Geschick teilt die Wiener Ringstraße mit den großen Kathedralen, für die einmal eine Planung festgelegt wurde, deren Durchführung die daran arbeitenden Geschlechter aber im Sinne ihrer eigenen Auffassung modifizierten, ohne dabei jedoch die einmal gewählte Maß einheit oder den Grundgedanken aufzugeben. Wenn hier versucht wird, in der Betrachtungsweise des Kunsthistorikers, von der künstlerischen Er scheinung ausgehend, einen Stilablauf in der städtebaulichen Komposition der Wiener Ringstraße und der ihr zugehörigen Zone aufzuzeigen, so kann es sich naturgemäß nicht um eine städtebauliche Analyse dieses großen Areals handeln. Eine solche setzt eine Fülle von Untersuchungen voraus, die vorläufig noch fehlen^ und die auch den kunsthistorischen Rahmen überschreiten. Wenn diese Arbeit geleistet sein wird, mag mancher der hier vorgetragenen Gedanken der Korrektur bedürfen. Als man um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Bebauung des Glacis in Angriff nahm, beherrschte das architektonische Denken ein Hang zur rationalen, klar gegliederten Form, für die der rechte Winkel (im Grundrißsystem der Raster und für den Aufriß der kubische Block) das künstlerische Ideal dar stellte. Als Ludwig Chr. v. Förster^, dessen Initiative die Wiener Stadterweiterung Außerordentliches ^ Robert Messner, Wien vor dem Fall der Basteien, Wien 1958. v i. a i + 2 In einer in Vorbereitung befindlichen groß angelegten Untersuchung der Wiener Ringstraße wird der städtebauliche Aspekt von Prof. Rudolf Wurzer behandelt werden. ® Österreichisches Biographisches Lexikon 1815—1950, I. Bd., 1957, S. 332. 9 Denlvinalpflege

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