Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

Gustav Künstlee DER „TRADITIONALIST" ADOLF LOOS^ Es ist Tatsache, daß im Architekturschaffen wie in den Schriften von Adolf Loos bahnbrechend moderne Leistung und entsprechend radikale Gesinnung neben überlieferter Formgebung und manchmal sogar antimodernistischer Äußerung stehen. Sobald 'man die Komplexqualität dieses Phänomens dialektisch aufspaltet, scheint Unvereinbares hervorzutreten, was geistiges Unbehagen bereiten kann. Eine so bequeme Annahme wie die, daß die Kraft des Modernisten nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gewirkt habe und dann geschwunden sei, wäre völlig falsch : Im Jahre 1899 hat Adolf Loos für den Bau der Kaiserjubiläums-Gedächtniskirche an der Reichsbrücke in Wien projektiert, zwar originell aber im Formalen traditionell, und gleichzeitig das Cafe Museum geschaffen, dessen sachliche Strenge der Kritiker Ludwig Hevesy durchaus anerkannte, obwohl er sie zugleich ,,sehr nihilistisch" nannte, und als fragwürdig hinstellte; oder: das Adolf Loos als schwerster Sündenfall und Anachronismus angelastete Werk, sein Entwurf des ,,Chicago Tribüne Tower" in der Strukturform^ einer samt Unterbau rund 120 m hohen dorischen Säule, datiert von 1922, und 1930 — drei Jahre vor seinem Tod und bereits schwer leidend - baute er das Haus Müller in Prag, das die reinste Verwirklichung seiner ingeniösen Gestal tungsidee des ,,Raumplans" geworden ist. Es mengt sich deshalb in das Gesamturteil über Adolf Loos leicht eine gewisse Ratlosigkeit. Ein so gründlicher Kenner der neuen Architekturentwicklung wie Nikolaus Pevsner gesteht offen: ,,Man müßte eigentlich annehmen, daß ein Mann, der so glänzend und so essentiell geschrieben, und der wie er in seiner Architektur so früh und so ausgezeichnet die An wendung von betont kubischen Formen, von offenen Grundrissen einander durchdringender Räume, von stufenweise zurücktretenden Terrassen, ja von bindungsfreier Eensterverteilung und nicht über einstimmenden Bodenhöhen (split levels) wagte - daß dieser Mann sich selber widerlegte. Das kann jedoch entschieden nicht der Fall sein; niemand kann sich selber verfälschen."^ Ist solcherart die Tat von Adolf Loos als einem Bahnbrecher gebührend anerkannt, soll im Folgenden ausschließlich sein traditionalistisches Schaffen erörtert werden, am Beispiel von drei Wiener Werken, von denen allerdings nur eines ausgeführt worden ist. Bei dem 1907 vom ,,k. u. k. Reichskriegsministerium" veranstalteten Preisausschreiben für Entwürfe eines neuen Amtsgebäudes am Wiener Stubenring blieb, neben vielen anderen der miter Kennworten eingereichten Projekte, auch den von Otto Wagner und von Adolf Loos stammenden der Erfolg versagt. Die Arbeiten der beiden Architekten sind in sonst nichts miteinander vergleichbar als darin, daß nur sie beide verstanden und darauf Rücksicht genommen haben, an welcher Stelle der Ringstraße das kolossale Gebäude sich erheben sollte, im Anschluß nämlich an das von Heinrich Eerstl 1875—1877 erbaute Ensemble von Kunstgewerbemuseum und Kunstgewerbeschule, von dieser nur durch den nicht breiten Kopalplatz getrennt. Otto Wagner führt seine Gebäudefront vom Boulevard zum Platz nicht eckig über, sondern in den Untergeschossen mittels einer Abrundung, und er gleicht deren Höhe der des gegenüberliegenden, fast villenartig proportionierten Schulhauses an, während die oberen Stockwerke erst hinter einer Terrasse aufsteigen und damit wieder Anschluß an die durchgehend gleich hohen Fronten an Straße und Platz finden. Adolf Loos ändert zwar nicht die Höhe des Baukolosses, er läßt ihn aber leichter erscheinen, als bei dessen Massigkeit zu erwarten wäre: ,,Die Fassade zeigt im Hoch parterre eine starke Rustica... in Kalkstein. Die oberen Stockwerke sind in gelben Terrakottaver blendern, mit Streifen durchsetzt..., nach dem Ring zu in schwarzem polierten belgischen Granit ^ Der Aufsatz ist die Ausarbeitung eine.s Teiles des Vortrags über Adolf Loos, den der Verf. am 8. Nov. 196/ auf Einladung der „Gesellschaft für vergleichende Kunstforschung", Wien, gehalten hat. 2 Strukturform: mit dieser Benennung soll auf die Unrealität der Form aufmerksam gemacht werden. Die Kannelüren bieten Platz für die Fensterreihen und vermindern durch sie entscheidend die materielle Festigkeit der Säule, so daß es die scharfen Kanten allein sind, die den Eindruck des Emporragens erwecken. Die lauterste Strukturform eines antiken Motivs in der neueren Architektur bietet wohl der Eiffelturm: ein Obelisk auf zweigeschossigem Sockel, wobei die Flächen des Obelisken in verstrebendes Gestänge aufgelöst sind; dadurch sind es auch hier die Kanten allein, die das Emporragen vorführen. Adolf Loos hat den Eiffel turm auf diese Art verstanden, was der Turm seines Wiener Projekts der Kirche an der Reichsbrücke beweist, einer RückÜber tragung der strukturierten Itormelemente des Pariser Turms in Realformen. ^ N. Pevsner in seiner Einleitung des Buches von L. Münz und G. Künstler, ,,Adolf Loos, Pioneer of modern architectme , London 1966, S. 22 (in Übertragung): es handelt sich um die englische (und gleichlautende amerikanische) Ausgabe der Mono graphie „Der Architekt Adolf Loos" von L. Münz und G. Künstler, Wien 1964. Alle rein sachlichen Angaben des vorliegenden Aufsatzes sind diesem Buch entnommen, und der Schroll-Verlag lieh daraus mehrere Klischees zum Wiederabdruck.

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