Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

ÖSTERREICHISCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE XXII/1968 HEFT 2 INHALT Renate Wagnbe-Rieger: Stilwandel der städtebaulichen Komposition im Bereiche der Wiener Ring straße / Gustav Künstler; Der „Traditionalist" Adolf Loos / Gerhardt Kapner: Monument und Alt stadtbereich. Zur historischen Typologie der Wiener Ringstraßendenkmale / Aktuelle Denkmalpflege: W. Frodl: Altstadterneuerung / Internationale Carta über die Erhaltung und Restaurierung von Kunstdenkmälern und Denkmalgebieten, Venedig 1964 / H. Wbsjak; Sanierungsmaßnahmen an der Festung Hohensalzburg und am Linzer Schloß im Hinblick auf die Sanierung von Althäusern / H. Foramitti: Die Photogrammetrie im Dienste der österreichischen Denkmalpflege (mit Anhang: Literatur über die Architekturvermessung des Bundesdenkmalamtes) / Buchbesprechungen und Anzeigen Titelbild: Luftbildaufnahme des Sohwarzenbergplatzes (Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, Landesaufnahme, in Wien) Herausgegeben vom Bundesdenkmalamt, Hofburg, Säulen stiege, 1010 Wien. Erscheint in der Nachfolge der 1856 begonnenen ,,Mitteilun gen der k. k. Central-Commission zur Erforschung und Erhal tung der Kunst- und historischen Denkmale" seit 1947 jährlich in vier Heften und (seit dem Jg. XX/1966) mit einem Sonderheft, das jeweils eine Jahresbibliographie zur öster reichischen Kunstgeschichte enthält. Der durchschnittliehe Gesamtumfang eines Jahrganges beträgt ohne das Sonderheft 170 Seiten auf Kunstdruckpapier mit 190 Abbildungen. Die ÖSTERREICHISCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE ist gegliedert in kimstgeschichtliche Aufsätze und aktuelle Berichte zur Denkmalpflege (Restauriermig, Altstadterhaltung, Revitalisierung). In beiden Themenkreisen kommen auch ausländische Autoren zu Wort. In den bisher erschienenen Jahrgängen sind vor allem die zahl reichen Erstpublikationen von Kunstwerken hervorzuheben. Bezugspreis: pro Heft ö. S. 25.—. Jahresabonnement (5Hefte): ö. S. 120.—. Die Zeitschrift erscheint im Verlag Anton Schroll & Co, Spengergasse 37, A-1050 Wien, und ist durch alle Buch handlungen oder direkt beim Verlag zu beziehen. VERLAG ANTON SCHROLL & CO • WIEN

Renate Wagnee-Riegeb STILWANDEL DER STÄDTEBAULICHEN KOMPOSITION IM BEREICHE DER WIENER RINGSTRASSE Der Stil einer Epoche bestimmt das Erscheinungsbild ihrer Bauten, er bestimmt aber auch die Art, in der sich die Gebäude zu einer Straße, zu einem Platz oder einer größeren städtebaulichen Einheit verbinden. Der bei der Aufteilung des zur Verfügung stehenden Areals gewählte Grundplan und die Anordnung der Baublöcke, ihr Verhältnis zur Umgebung, ihre Stellung im Straßenzug und ihre Be ziehung zu den Grünflächen bewahren die stilistischen Elemente der Entstehungszeit meist viel reiner als die sich darüber erhebenden Bauten selbst, die bei entsprechender Umgestaltung die ursprüngliche künstlerische Wirkung der Anlage völlig verschleiern können, so daß von ihr lediglich der Grundriß - einem übermalten Bild gleich - übrigbleibt. Die Bindung städtebaulicher Kompositionen an den Zeitstil bedeutet, daß sie im Verlauf ihrer Entstehung einen dem Stilwandel parallel gehenden Umformungsprozeß mitmachen. Zur Beobachtung eines solchen Ablaufs bietet die Wiener Ringstraßenzone ein ideales Gebiet. Hier wurde auf dem unverbauten Glacisgelände, bei dem auf keine Vorgängerbauten Rücksicht genommen zu werden brauchte, eine Stadt erweiterung durchgeführt, welche die verschiedenen Stilströmungen der sechzig Jahre, die man dazii benötigte, spiegelte. Sie war aber dem zeitlichen Wandel insoferne nicht völlig unterworfen, als die einheitliche Grundplanung, welche der Durchführung des Unteriiehmens zur Basis gegeben wurde, naturgemäß den Stempel ihrer Zeit trug. Es war von größter Bedeutung für die städtebauliche Erscheinung Wiens, daß der Entschluß Kaiser Franz Josephs I. vom Dezember 1857, die Stadtmauern um die Innere Stadt Wien schleifen und den bislang freigehaltenen Eestungsrayon verbauen zu lassen^, nicht das Signal zu einer wilden und speku lativen Verbauung gab, sondern daß man dabei ganz planmäßig vorging. Die Ausschreibung eines Wettbewerbs, an dem sich beste Kräfte beteiligten, sicherte eine Fülle wertvoller Ideen, die in einen 1859 vom Kaiser genehmigten Stadterweiterungsplan (Abb. 98) einflössen, den man der tatsächlichen Verbauung zugrunde legte. Die damit in die Gesamtkonzeption der Ringstraßenzone eingegangene Stil form der Zeit um 1859 blieb für sie auch weitgehend verbindlich, obwohl während der Ausführung an vielen Punkten ganz bedeutende Veränderungen eintraten, so daß sich das Bild am Ende der Monarchie von der ersten Planung sehr wesentlich unterschied. Die Gründe für das Abweichen vom ersten Konzept waren viel weniger von unabweislichen praktischen Erwägungen diktiert als vielmehr von den Inten tionen der auf die Gründer folgenden Generationen, die ihren eigenen künstlerischen Vorstellungen Rechnung tragen wollten. Dieses Geschick teilt die Wiener Ringstraße mit den großen Kathedralen, für die einmal eine Planung festgelegt wurde, deren Durchführung die daran arbeitenden Geschlechter aber im Sinne ihrer eigenen Auffassung modifizierten, ohne dabei jedoch die einmal gewählte Maß einheit oder den Grundgedanken aufzugeben. Wenn hier versucht wird, in der Betrachtungsweise des Kunsthistorikers, von der künstlerischen Er scheinung ausgehend, einen Stilablauf in der städtebaulichen Komposition der Wiener Ringstraße und der ihr zugehörigen Zone aufzuzeigen, so kann es sich naturgemäß nicht um eine städtebauliche Analyse dieses großen Areals handeln. Eine solche setzt eine Fülle von Untersuchungen voraus, die vorläufig noch fehlen^ und die auch den kunsthistorischen Rahmen überschreiten. Wenn diese Arbeit geleistet sein wird, mag mancher der hier vorgetragenen Gedanken der Korrektur bedürfen. Als man um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Bebauung des Glacis in Angriff nahm, beherrschte das architektonische Denken ein Hang zur rationalen, klar gegliederten Form, für die der rechte Winkel (im Grundrißsystem der Raster und für den Aufriß der kubische Block) das künstlerische Ideal dar stellte. Als Ludwig Chr. v. Förster^, dessen Initiative die Wiener Stadterweiterung Außerordentliches ^ Robert Messner, Wien vor dem Fall der Basteien, Wien 1958. v i. a i + 2 In einer in Vorbereitung befindlichen groß angelegten Untersuchung der Wiener Ringstraße wird der städtebauliche Aspekt von Prof. Rudolf Wurzer behandelt werden. ® Österreichisches Biographisches Lexikon 1815—1950, I. Bd., 1957, S. 332. 9 Denlvinalpflege

' AUeriioclist geaerimigter Plaa i m Zum Besten der Armen beim Beginne des Jabres 98. Der fttaclterweiterungsplan von 1859; Flugblatt aus dem Jahre 1860 (Bildarchiv der Österr. Nationalbibliothek) zu verdanken hat, seinen Wettbewerbsentwurf für den Bebauungsplan 1858 mit dem Kennwort versah; ,,Der gerade Weg ist der beste", wählte er einen Satz, der für die ganze Planung ein mehr oder weniger bewußtes Programm enthielt. Der alte Stadtkern von Wien, der seinen Umfang seit dem 13. Jahrhundert kaum verändert hatte, war ein vieleckiges Gebilde gewesen, dessen dem Kreis ungefähr angenäherter Umriß sich im Nordosten ausweitete, um hier einen Brückenkopf beim Donaukanal einzubeziehen. Dieses Areal, erfüllt mit einem unregelmäßigen Straßennetz, dessen Geflecht die stilistischen Eigentümlichkeiten der jeweiligen mittel alterlichen Stadterweiterungsepoche herauslesen läßt^, wurde im Stadterweiterungsplan von 1859 in ein Vieleck eingebunden, das trotz der Knickungen in der Umfassung annähernd ein Quadrat zu er reichen trachtete. Anstelle des Brückenkopfes zieht sich nun der Kai mit dem im Westen ganz neu angelegten Stadtviertel um den Rudolfsplatz entlang des Donaukanals hin und bildet die Basislinie, über der sich gegen Süden zu das Stadtgebiet aufbaut, wobei neu geplante Zonen nach Möglichkeit die Unregelmäßigkeiten des alten Stadtrandes ausgleichen. Dies geschah einerseits durch möglichst lange gerade geführte Strecken der Hauptader des ganzen Gebietes, nämlich der Ringstraße, anderseits durch die Bebauung des freien Geländes im Sinne des Rastersystems mit Häuserblocks im rechtwinkeligen Straßennetz. Dieses orthogonale Ordnungsprinzip, das man gerne als Reißbrettarchitektur abtut, mußte überall dort, wo es auf die bewegten Grenzen des historischen Stadtkernes traf, den Gegebenheiten Karl Oettinger, Das Werden Wiens, Wien 1950.

IMJiSflll -J .«ii iiHWYi^mnifi r '^'1 gys.rvapiB' i'pf1 ' M: MiMiiim Biajmmu ai ?!?i:iiiiu « nifiüiiia «iJiaiiimig.i.g«iii!i!i!" ii^irr ff i nuuili.^ J 4. lUUVMw ■llltj« BillULtti I -. ■ >«« M i a I«, U A.amm« imfe, ;pt.m mi ef p£=3 51 21 ■ äS''"'^' »"Sja—'l— '■ 1 - !f I J I r 100. Wien I, Schottenring 24; Mitteltrakt der Wohnhausanlage von Theophil Hansen (Bildarchiv der Österr. Nationalbibliothek) anlage Schottenring 24 (Abb. 100) schuf er künstlerisch meisterhaft bewältigte Beispiele des GroßWohnhauses in Hofform, einen Typus, der in der Tradition des Wiener Wohnhausbaues die Lösung des Historismus zwischen den älteren Klosterhöfen (Schottenhof, Melkerhof usw.) und den Gemeinde bauten der Nachkriegszeit repräsentiert. Mitbestimmend für den Reiz der Wiener Ringstraße ist der Umstand, daß dieser Haustypus sich nicht allein durchsetzte, sondern daß daneben auch ein sehr lebendiger Individualismus in der Gestaltung des Einzelhauses zu Worte kam. Er hat sich besonders in der ursprünglichen Erscheinung der Wohn häuser der Operngasse niedergeschlagen, die ebenso wie die anschließenden Bauten am Opernring in den Portalen, Eensterrahmungen und Dachlösungen eine geistreiche Vielfalt zeigten (Abb. 101). Ob man nun den Häuserblock einheitlich gestaltete oder dem einzelnen Haus seine Individualität zugestand - entscheidend war für das Bild der frühen Bauphase der Wiener Ringstraße, daß die durch die Hausfassade gebildete Straßenwand, die auch die Monumentalbauten in ihre Flucht zwingen wollte, mit einem Relief übersponnen erscheint, dessen Verankerung in horizontalen Fensterreihen und verti kalen Achsen dem gleichen Stilgefühl entspricht wie das im Grundriß festgelegte Rastersystem. Die Fassaden der Opernring- und Kärntner Ring-Häuser (Abb. 102) zeigen im allgemeinen die Tendenz, eine kleinteilig ornamentierte Wanddekoration, wie sie seit den vierziger Jahren gebräuchlich war, zugunsten einer großzügigeren Wandgestaltung zu überwinden; bei dieser erlangen die Motive der Hochrenaissance wachsende Bedeutung, wobei auch gerne Malerei und andere koloristische Mög lichkeiten verwendet Averden.

mit Iii m i 101. Wien I, Opernring, Ecke Goethegasse (Bildarohiv der Österr. Nationalbibliothek) Die gerade Straßenfluoht von Opern- und Kärntner Ring wird durch die Wohnhausfassaden bestimmt, aus deren Kette nur die Monumentalbauten durch Risalitbildung und aufgegliederte Dachzone heraus wachsen. Dies tat der ehemalige Heinrichhof, ein von der Architektur, aber nicht vom Zweck her konzipierter Monumentalbau, ferner das Grand Hotel und schließlich das Operngebäude, welches etwa die Mitte dieses zunächst in Angriff genommenen Ringabschnittes einnimmt. Für die städtebauliche Vorstellung der frühen Ringstraßenzeit ist es ungemein aufsctilußreich, daß man die Oper nicht auf einen eigenen Platz stellte, sondern die ,,Opernkreuzung" schuf, welche die Funktion des alten Kärntnertores übernahm und den Anfang der Ausfallstraße aus der Innenstadt nach dem Süden bezeichnet. Damit wird das Opernhaus unmittelbar an den lebendigen Verkehr heran gerückt, zumal auch auf die Ausbildung einer distanzierenden Sockelzone verzichtet wurde. Wenn auch die nachträgliche Terrassierung manches verschoben hat, so bewirkte sie nur graduelle, aber nicht prinzipielle Verschiebungen. Das Operngebäude bedeutet in städtebaulicher Hinsicht nicht mehr als die monumentale Gestaltung eines Häuserblocks, etwa wie die des Heinrichhofs durch Hansen. Die ein ander gegenüberliegenden Komplexe haben im Straßenbild eine wichtige Funktion zu erfüllen, nämlich die Geschlossenheit der Randverbauung nicht abreißen zu lassen. Die Diskussion um die Neugestaltung des Areals des bombenbeschädigten Heinrichhofes nach dem Zweiten Weltkrieg' zeigte, daß jüngere städtebauliche Vorstellungen das Verständnis für die hier vorliegende Situation sehr stark beeinträch tigen. Zum Glück hat die Bebauung des Platzes des alten Heinrichhofes durch Schließung der Straßen wand die außerordentlich bedeutende Konzeption der frühen Ringstraßenzeit in diesem einen wesent lichen Punkt gerettet, wenn man sich auch in der architektonischen Durchgestaltung des Komplexes ein dem verlorenen Hansen-Bau künstlerisch adäquateres Werk gewünscht hätte. Wenn das Opernhaus am Ring trotz seiner Einfügung in das Rastersystem der Häuserblocks echte Monumentalität besitzt und auch im Ablauf der Straße einen dominierenden Akzent bildet, so liegt dies nicht allein in seiner architektonischen Aufgliederung mit Loggia, kuppeligem Dach und reich gestaltetem Wandrelief, sondern auch darin, daß es sich als Durchdringung eines Längstraktes mit zwei hinterein ander geschalteten Quertrakten und durch die Einbeziehung von Grünflächen und Brunnen einen Julius Fleischer, Zum Abbruch des Heinrichhofes, in: Österr. Zeitschr. f. Kunst u. Denkmalpflege, 1953, S. 32.

^"1 M i tlill fÜ Jl Jl 1 jMfll 1 l'tra^e^-iTSi Iii i. 1 i ilLI l'Lpt-?p,rtfl f i'®°" El.! Ptr-«- wn 'grUj^ m r. S « S; 102. Wien I, Kärntner Ring, Häuser Nr. 3-7, Aufnahme aus der Zeit kurz nach Fertigstellung dieses Ringstraßenab schnitts (BDA, Archiv) mMmi Ii M "J eigenen Hoheitsraum schafft. So gesehen, scheint die Oper weniger den Platz eines Häuserblocks einzunehmen als vielmehr eine städtebauliche Komposition in sich zu vereinigen - gleichsam als Nach klang der verschiedenen älteren Planungen einer Stadterweiterung beim Kärntnertor, in der, vde etwa bei Franz Xaver Lössls Ferdinandsbau®, das Theater den Mittelpunkt bilden sollte. Nicht weniger aufschlußreich als der Verzicht auf eine Platzanlage bei der Oper ist die Situation des Schwarzenbergplatzes (Abb. 103). Er wurde dort eingefügt, wo die beiden Geraden von Opern- und Kärntner Ring einerseits und von Schubert- und Parkring andrerseits im stumpfen Winkel aufeinander treffen. Um eine solche Knickstelle im Sinne des Rastersystems zu bewältigen und dabei die übereck gestellten dreieckigen Baufelder möglichst zu vermeiden, wählte der Stadtplan von 1859 ein System, das er in verwandter Weise auch für das Dreieck des Votivkirchenplatzes heranzog. Beim Schwarzen bergplatz wurde der zwischen den beiden Ringabschnitten entstehende Winkel durch die Schwarzen bergstraße halbiert; radial verlaufend, ohne jedoch in der Altstadt eine Fortsetznng zu finden, bewirkt sie schräg geführte Fronten der angrenzenden Häuserblocks, die man wohl als relativ geringen Eingriff in den rechtwinkelig gezogenen Raster empfand. Über die an der Stadtseite abgeschrägte und durch symmetrisch gestaltete Häuser betonte Ringstraße hinweggeführt, wird diese Radialstraße nun stadt auswärts zum Platz ausgeweitet. Dabei entsteht in sehr einheitlich konzipierter Bebauung, die von Heinrich von Ferstel sowie von Romano und Schwendenwein ansgeführt wurde, eine zweiachsig sym metrische Anlage. Die den Platz flankierenden Bauten treten an den Enden mit betonten Risaliten vor und umschließen so eine architektonisch weniger betonte Ausweitnng, in deren Zentrum das Reiter standbild des Siegers von Leipzig steht. Man ging bei der Organisation dieses Platzes vom Denkmal aus, welches seinen künstlerischen Mittelpunkt bildet und in jeder Ansicht mit dem Vorhandensein einer entsprechenden architektonischen Rahmung rechnet. Es ergibt sich daraus, daß die Platzgliede rung, die heute durch eine bestehende^Baulücke bedroht ist, vernichtet wäre, wenn man bei dem Neubau nicht die hier obwaltenden Gesetze der Symmetrie znr Geltnng brächte. ® Alphons Lhotsky, Festschrift zum 50jährigen Bestand des Kunsthistorisehen Museums, I, Die Baugeschichte der Museen und der Neuen Burg, Wien 1941, Abb. 23.

1 103. Wien I, Schwarzenborgplatz, in einer Aufnahme von 1893 (BDA, Archiv) Der Sehwarzenbergplatz, der zunächst nur bis zur Mondscheinbrücke an die Wien heranreichte, wurde nach der Flußeinwölbung um 1900 stadtauswärts um einen weiteren Platzraum erweitert, der aber den älteren Bestand nicht beeinträchtigte, sondern sich ihm als selbständige Einheit angliedert. Dies war infolge der interessanten Lösung möglich, die darin besteht, daß sich der Schwarzenbergplatz, trotz seiner um das Denkmal konzentrierten Geschlossenheit, entlang einer radial ausstrahlenden Achse entwickelt. Ohne zum Platz selbst zu gehören, erfüllen die beiden stadtseitig gelegenen Ringhäuser, welche die Mündung der Schwarzenbergstraße flankieren, die Aufgabe eines abschließenden Prospekts; auf der anderen Seite ergibt der Hochstrahlbrunnen, der im Zusammenhang mit der Ersten Hoch quellenwasserleitung 1873 angelegt wurde, einen Point de vue, den das barocke Palais Schwarzenberg und das Belvedere überhöhen. Auf diese Weise ist der homogen gestaltete Platz in einen sehr weit räumigen Zusammenhang hineingestellt, der einerseits durch die ihn beherrschende Achse, anderseits durch die Bindung an die Ringstraße gegeben erscheint. Hier begegnet ein Verhältnis von kleineren zu größeren Einheiten, welches sich sehr wesentlich von der Subordination barocker Räume unterscheidet. Eine exakte Definition würde eine Reihe von Analysen notwendig machen. Vielleicht darf man statt dessen das vorliegende städtebauliche Phänomen mit der Art vergleichen, in der man bei den frühen Weltausstellungen, etwa in London 1851 oder in Paris 1867®, dem Beschauer die Exponate darbot. In riesigen, aus Glas und Eisen konstruierten Hallen, die ein sehr bedeutendes ästhetisches Eigenleben führten und so die übergeordnete Einheit repräsentierten, arrangierten die einzelnen Aussteller ihre Exponate in der W^eise, daß sie nur bei Betrachtung aus nächster Nähe allein ins Bild rückten, darüber hinaus aber wohl keinen Augenblick vergessen werden konnte, welche Fülle anderer Objekte die Aufmerksamkeit an sich zu ziehen suchte. Eine Abfolge von- ® Sigfried Giedeon, Space, time and architecture, .3rd ed., Cambridge 1954.

104. Blick vom Opei-nring gegen den Schillerplatz mit der Aka demie der bildenden Künste (BDA, D. Scholze) ^ •a ■lllVlLÄ» 105. Blick auf die Baugruppe Handel sakademie,Künstlerhaus und Musikvereinsgebäude vor der Wienflußverbauung (BildarchivderÖsterr.Nationalbiblio thek) .illliilllllfHlill S^'I? ""di •J ^ ^ V-.-r'W einander unabhängiger Werke versammelte sich in einer durchsichtigen und daher mit der Außenwelt verbundenen Architektur, die ihrerseits keinerlei Bezug zu den Exponaten besaß und doch zu viel Eigenbedeutung aufwies, um neutrale Folie zu sein. Eine solche Ausstellungs-Situation war im Bereich der Architektur hei den Landschaftsgärten mit ihren spätbarocken, klassizistischen, gotischen, chinesischen oder indischen Gartenhäusern schon früher

m K 106. Luftbild des Hofbvirg-Museen-Bozirkes (H. Fasching, Wilhelmsburg) aufgetaucht - und etwas von einer Architekturausstellung in einem Landschaftspark eignete bis zu einem gewissen Grad der Ringstraßenzone auch, zumal das nur zu einem Fünftel verbaute Gelände neben dem Donaukanal noch mit dem Wasserlauf der Wien als ästhetischem Faktor rechnen durfte. Um nochmals zum Schwarzenbergplatz zurückzukehren: Es ist festzuhalten, daß er sehr wesentliche Züge seiner Eigenart dem Streben verdankt, eine Knickstelle der Ringstraße im Sinne des von der Zeit bevorzugten Rastersystems zu bewältigen und eine Lösung zu finden, welche die Regelmäßigkeit des orthogonalen Straßennetzes am wenigsten trübt. Zurückblickend auf die Opernkreuzung, ergibt sich ebenso wie dort das Moment der Kreuzung einer Ausfallstraße mit dem Ring, die aber nun zum städtebaulichen Ansatzpunkt der Platzgestaltung genommen wurde. Nicht unwichtig erscheint dabei, daß der sich um das Schwarzenbergdenkmal ordnende Platz seinen optischen Abschluß in den beiden als Kulisse wirkenden, den Eingang der Schwarzenbergstraße flankierenden Risalitfassaden am stadtseitigen Straßenufer des Ringes findet und damit in die Ringstraße eingebunden wird. Derartige optische Mittel werden auch beim Schillerplatz eingesetzt (Abb. 104); seine Gebäude weichen zwar in der Ausführung von der Planung von 1859 ab, doch wird an der damals vorgesehenen Ver bindung zur Ringstraße festgehalten. Dem Schillerplatz wurde ein aus der Rasterbebauung ausge spartes rechteckiges Feld gewidmet, das sich zum Ring mit der platzartig erweiterten Goethegasse öffnet. Diese bildet ein Intervall in der eng aufgeschlossenen Häuserfront des Rings, von dem aus man den quergelagerten Platz mit dem im Hintergrund sich breit entwickelnden Gebäude der Akademie 1" Johannes Langner, Lodoux und die ,,Fabriques". Voraassetzungen der Revolutionsarchitektur im Landschaftsgarten, in: Zoit,Schrift für Kunstgeschichte, 1963, S. Iff. 10 Denlmialpflege

107—109. Links: Attikafigur vom ehem. Palais Erzherzog Ludwig Viktor, Wien I, Schwarzenbergplatz 1; Mitte und rechts: Ausschnitt aus einem Eckpavillon und Karyatide des ehem. Palais Ephrussi, Wien I, Luegerring 14 (BDA, V. Knuff) der bildenden Künste gleichsam durch einen bühnenartigen Rahmen erblickt. Dieser theatralische Effekt wurde noch gesteigert, als man dem 1876 aufgestellten Schiller-Denkmal im Jahr 1900 dasjenige Goethes gegenüberstellte und durch die Aufeinanderbezogenheit der beiden Dichterfürsten auch eine vom Schillerplatz über den Ring hinweggreifende Achse zur Entfaltung brachte. Abgesehen von derartigen optischen Bildwirkungen, kannte der Stadterweiterungsplan von 1859 kein Ubergreifen der städtebaulichen Einheiten von einem Ringstraßenufer zum anderen. Meist wurden die Plätze an Stelle von Häuserblöcken angelegt, wie dies etwa beim Beethovenplatz der Fall ist. Da dieser außer dem Akademischen Gymnasium von Friedrich von Schmidt nur von Wohnhausbauten eingefaßt wird, scheint er in seiner Anlage auf die Front dieses ,,Monumentalbaues" bezogen zu sein. Durch die Aufstellung des Beethoven-Denkmals, 1880, das damals stadtwärts, gegen die Kantgasse, blickte, erhielt der Platz eine neue Hauptachse, die auf die vorherige senkrecht stand. Mit der Wientaleinwölbung und der Ausweitung des an den Platz anschließenden Geländes aber empfand man eine Wendung des Denkmals um 180 Grad als angemessen. Dieser außerordentlich intime und für die städte bauliche Konzeption seiner Epoche sehr aufschlußreiche Platz hat also bereits dreimal seine Orientierung gewechselt, allerdings immer nur im Rahmen seines durch den Rastergrundriß festgelegten Bezugs systems. Sein Charakter wäre vernichtet, wollte man das Denkmal aus diesem System herauslösen und etwa schräg stellen. Trotz eingehender Planung verblieb im Bereich der Glacisbebauung doch auch Platz für gewachsene städtebauliche Einheiten. Eine solche entstand in Form der Trias: Handelsakademie, Künstlerhaus, Musikvereinsgebäude(Abb. 105). Die Handelsakademie, der älteste der drei Bauten, wurde 1862 eingeweiht. Ursprünglich um ein Geschoß niedriger, wandte sie die Hauptfront in der Akademiestraße einem Felde zu, welches nach dem Plan von 1859 als Park gestaltet werden sollte - somit eine Situation, Hans-Christoph Hoffmann, Die Wiener Handelsakademie — das erste öffentliche Gebäude der Ringstraße und sein Architekt Ferdinand Fellner d. Ä., in: Alte und moderne Kunst, 1967 (94), S. 14.

il 110. Wien I, Luegerring 14; das Palai.s Ephrussi mit den Re.sten des später demolierten Schottentors (Bildarchiv der Österr. Nationalbibliothek) welche dem Verhältnis von Akademischem Gymnasium und Beethovenpark entsprach. Erst als 1865 mit dem Bau des Künstlerhauses begonnen wurde, das zunächst nur aus dem Mitteltrakt bestand, zeichnete sich eine neue städtebauliche Gruppierung ab. Die hier angelegten Möglichkeiten hat dann Theophil Hansen mit dem 1867 begonnenen Musikvereinsgebäude zur Reife gebracht. Indem er das Motiv des Mittelrisalits mit den großen Rundarkaden, welches Ferdinand Fellner der Ältere bei der Handelsakademie angewandt hatte, beim Musikvereinsgebäude abwandelte und dem der Handels akademie symmetrisch gegenüberstellte, wurde zwischen beiden Gebäuden ein architektonischer Bezug hergestellt und dem Künstlerhaus dazwischen die Aufgabe eines Zentralmotivs zugewiesen. Diese städtebauliche Komposition kam zur Zeit ihrer Entstehung viel eindeutiger zur Wirkung, da sie durch die Zäsur des offenen Wienflusses gegen die Vorstadt hin klar abgegrenzt war. Erst mit der Einwölbung der Wien um 1900, als die Gruppe zu dem sich nach allen Seiten ausweitenden ,,Karlsplatz" dazugeschlagen wurde, erfuhr ihre Selbständigkeit eine empfindliche Einbuße. Sie wieder zurückzu gewinnen, wäre von größter Bedeutung und Hilfe für eine ästhetisch befriedigende Lösung des Kails platz-Problems^^. In ihrer ursprünglichen Anlage sind alle genannten 1859 festgelegten Plätze jeweils nur auf ein Ufer der Ringstraße konzentriert. Erst Gottfried Semper hat mit seinem Plan für das sogenannte Kaiser forum 1869, durch die Verbindung von Hofburg und Museen zu einem großen, über die Ringstraße 12 Für diese und andere Fragen vgl. Dagobert Frey, Städtebauliche Probleme des Wiederaufbaues von Wien, Denkmalpflegerische Betrachtungen, in: Ö.sterr. Zoitschr. f. Kunst u. Denkmalpflege, I, 1947, S. .3ff., und II, 1948, S. 98ff.

- ^mW: . s 111—113. Ausschnitt aus der Fassado und Attikastatuen vom ehem. Palais Erzherzog IVühelm, AAien I, Parkring 8 (BDA, Archiv, Y. Knuff) nicht nur optisch, sondern auch räumlich sich ausweitenden Platz, dieses Prinzip durchbrochen und damit eine neue Großräuinigkeit in die Gestaltung der Stadterweitung und der Ringstraße getragen (Abb. 106). Dieser neuen Dimensionierung im Städtebaulichen entsprach eine gewandelte Auffassung in der Architektur. Hatte man bisher bei Monumentalbauten ebenso wie bei Wohnhäusern die Wand gliederung unmittelbar vom Boden an aufwachsen lassen, so verwendete man nun einen deutlich akzentuierten Sockel, über dem dann der Baukörper durch die zuvor ebenfalls wenig gebräuchliche Riesenordnung zusammengefaßt und in seinen Stockwerken differenziert wurde. Die damit erreichte Steigerung der Monumentalität und Distanzierung vom Betrachter eröffnete ganz neue Möglichkeiten der städtebaulichen Wirkung. Zudem hat Semper durch die Aufnahme einer gekurvten Front in die Hofburg-Planung das strenge Rastersystem überwunden. Mit diesem gewaltigen Schritt, der in der Abfolge der Stilphasen an der Wiener Ringstraße eine neue Ära markierte, war auch eine gesteigerte Bedeutung der Plastik verbunden. Dies zeigt sich nicht nur darin, daß die beiden Reiterdenkmäler von Fernkorn, Erzherzog Carl und Prinz Eugen, zu den Brenn punkten des geplanten, gleichwohl Torso gebliebenen ovalen Heldenplatzes wurden und damit eine verblüffende Sicherheit in der Abstimmung von Monument und Burgbau dokumentieren, daß ferner auch das vielfigurige Maria-Theresien-Denkmal großartig auf die Architektur der sie rahmenden Museen abgestimmt ist^^, sondern auch im Heraustreten der Bauplastik aus ihrer bisher relativ gebundenen Funktion und in ihrer formal wie inhaltlich größeren Bedeutung. Ansätze dazu finden sich schon vorher, vor allem im Palastbau: bei Forstels Palais Erzherzog Ludwig Viktor (Abb. 107), bei Hansens Palais Erzherzog Wilhelm (Abb. 111-113) oder beim Palais Ephrussi (Abb. 108-110), wo die oberste Zone des Baues in auffallender Weise mit plastischem Schmuck bedacht Rudolf Zeitler, Die Kunst des 19. Jhs., Propyläen-Kunstgeschichte, Bd. II, Berlin 1966.

114. Attikastatucn vom Parlament, Wien I, Dr. Karl Renner-Ring (BDA, V. Knuff) ist. Bei den Museen ebenso wie bei der Hofburg steigert sich dieses Phänomen: Neben den Figuren auf der Dachbalustrade erlangen nun auch die in das Wandrelief einbezogenen größere Bedeutung. Noch weiter geht man diesbezüglich dann bei den großen Bauten von Rathaus, Parlament (Abb. 114), Uni versität (Abb. 115) und Burgtheater (Abb. 116, 117), welche auf dem 1870 zur Bebauung freigegebenen Paradeplatz entstehen. Bei den riesigen Komplexen für Verwaltung oder Schule, die den einer einzigen Aufgabe gewidmeten Baublock größenmäßig an die Grenzen der Möglichkeit führten, hat man der Sockelzone eine ganz besonders wichtige Funktion zugewiesen. Am deutlichsten ist dies beim Parlament, dessen griechische Tempelfront ja nur durch die Anwendung eines hohen Unterbaues künstlerisch auswertbar wurde; aber auch bei der Universität erzielt die zu den hochgelegenen Repräsentationsräumen geführte Auf fahrtsrampe im Verein mit einer kräftig akzentuierten Sockelzone einen verwandten Effekt. Beim Rathaus bildet ein Stufenunterbau, der die Arkadenreihe des Erdgeschosses trägt, die Basis, und mit dem gleichen Mittel erhielten auch die seitlich des Rathauses sich hinziehenden Arkadenhäuser ihre für die gesamte Platzwirkung notwendige Steigerung. Für den Rathausplatz stand lange eine architektonische Gestaltung zur Diskussion, die man schließlich zugunsten einer Grünanlage aufgegeben hat. Während diese — ähnlich dem Stadtpark — zum Zu fluchtsort zahlreicher Denkmäler wurde, für die eine Einbindung in ein städtebauliches Konzept nicht gegeben war, kam es nicht zur Ausführung eines großen, zentral gesetzten Monumentes, obwohl es dafür, etwa von Olbrich, 1895^^, Vorschläge gab. Schließlich hat man die Statuen, welche ehemals die Elisabeth brücke vor der Opernkreuzung schmückten, nach vollendeter Wieneinwölbung als Spalier der breiten Straße aufgestellt, die das Burgtheater mit dem Rathaus verbindet. Es ist dies das Spannungsfeld jener beiden Bauten, die allein dem großen Platz ihre Front zukehren und von dort aus auch in der gesamten Entwicklung ihrer Fassaden erfaßt werden können. Parlament und Universität dagegen wenden dem Rathausplatz nur eine Seitenfront zu und nicht, wie zunächst geplant war, ihre Hauptfront. Diese blickt auf den Ring, auf den sich demnach alle vier Großbauten, die den Platz umstellen, orientieren. Die Größenordnung dieser Architekturen schließt es aus, alle Bauten von einem terrestrischen Stand punkt aus in den Blick zu bekommen. Es ist notwendig, den Ring abzuschreiten und damit in die Abfolge der Ansichten ein zeitliches und ein Bewegungsmoment zu bringen. Das gilt aber nicht nur für die gesamte Platzanlage, sondern jeweils auch für die beiden seitlich errichteten Komplexe, nämlich Parlament und Universität. Betrachtet man den Grundriß der Bebauung des Paradeplatzes, so erkennt man deutlich, daß er dem Rastersystem folgt, wie es schon seit 1859 zum Programm der Stadterwei terung gehörte. Nun erheben sich aber die Komplexe von Parlament (Abb. 118) und Universität am äußersten Rand des großen, rechteckigen Feldes; sie stehen damit zwar noch in der Flucht der gerade verlaufenden Ringstraße, doch setzt diese eben dort zum Kinicki an. Damit erscheinen die Bauten von " Kobert Judson Clark, Olbrich and Vienna, in: Kunst in Hessen und am Mittelrhein, Schriften der Hessischen Museen, 7, 1967, iS. 3.3.

115. Wien I, Dr. Karl Lueger-Ring; Ausschnitt aus der Gebälkzone eines Eckpavillons der Universität (BDA, V. Knuff) den angrenzenden Teilen des Ringes aus in Übereck-Ansicht, ja von dieser Blickrichtung aus werden ihre weitläufigen und im Sinne eines Pavillonsystems entwickelten Fronten, die man zufolge geringer Distanzierungsmöglichkeit von vorne gar nicht in ihrer Gesamtheit sehen und aufnehmen kann, bevor zugt. Trotz des Rastersystems im Grundriß zeigt sich hier ein tiefgreifender Wandel in der Auffassung der städtebaulichen Konzeption, die nun zur Auflösung der rechtwinkeligen Bebauung tendiert. Freilich konnte sich dieser Wandel zufolge der als bindend erachteten Grundplanung nicht voll durchsetzen, aber es ist wohl mehr als Zufall, daß man nun die bisher offensichtlich wenig geschätzten, uimegelmäßigen Flächen zwischen den rechteckig parzellierten Sektoren der Ringstraße einer Bebauung zuführte. Die Placierung des Justizpalastes, der sich nach der an der Rückfront vorbeiführenden Lastenstraße orien tiert und damit gegen den Ring eine eigentümliche Schräglage einnimmt, ist ebenso typisch wie die Übereckstellung beim Deutschen Volkstheater. Daß man es hier nicht einfach mit Notlösungen zu tun hat, weil dieser Spätphase der Ringstraßenzeit nur mehr Lücken zu schließen geblieben wären, geht daraus hervor, daß die als malerisch empfundene Übereckstellung, die auf einen bestimmten Blick winkel hin komponierte städtebauliche Anlage den Leitgedanken des epochemachenden Werkes ,,Der Städtebau" von Camillo Sitte, 1889, bildet, der seine Ideen etwa am Beispiel der ümgebung der Votivkirche darlegt^®. Die neue Auffassung beschränkte sich nicht allein auf die Monumentalbauten, deren reich aufgegliederte Baukörper einer bildwirksamen Schrägansicht Vorschub leisteten, sondern sie begegnet auch an den Fronten der stärker in das Rastersystem der Stadtplanung eingebundenen Wohnhäuser. In der Frühzeit der Ringstraße haben sich deren Fassaden zu großen, feinlinig gegliederten Flächen aneinandergefügt und in der vorgeschriebenen Bauhöhe mit einem kräftigen Gesims abgeschlossen worden. Turmaufsätze, Kuppeln oder Risalite beschränkten sich auf die Monumentalbauten. Von diesem Straßenbild unter scheidet sich etwa jenes des Schottenrings (Abb. 119) durch die Überhöhung fast aller Ecken der Häuser blocks mit Türmen und Kuppeln, welche in ihrer ursprünglichen Erscheinung — das heißt vor der immer stärker um sich greifenden Purifizierung der Fassaden - dem Straßenbild eine sehr aufgelockerte, gelöste Silhouette verliehen haben. Diese durch dekorative und oft sehr voluminöse Eckbekrönungen Camillo Sitte, Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, 6. Aufl., Wien 1965, 8. 154ff.

f" V.v Ja 116, 117. Wien I, Dr. Karl Lueger-Ring, Burgtheater; Gruppe über der Feststiege und Eckpylon (Kamin) (BDA, V. Knuff) akzentuierten Häuserblocks ordnen sich naturgemäß viel weniger der „Straßenwand" ein als die älteren Wohnhäuser. Sie wollen vielmehr als plastische Gebilde gewürdigt werden und fordern zu einer Betrach tung in der Eckansicht auf. Daß man in der Epoche Makarts auf diese Weise im Sinne der barocken Seena del angolo baute, verwundert kaum; auch sonst spielen ja szenografisch wirksame Kompositionen eine große Rolle. Eine solche ergab sich etwa durch die kuppelbekrönten Bauten von Maria Theresienund Maximilianshof, die am Votivplatz den Eingang der baumbestandenen Kolingasse flankierten und sich mit der am Ende dieser Avenue sich erhebenden turmbekrönten Roßauer Kaserne zu einer sehr reizvollen Gesamtwirkung zusammenschlössen, die leider durch den Verlust der Kuppeln zerstört wurde. Von besonderer Aussagekraft für das Stilgefühl, das solche städtebaulichen Kompositionen entstehen ließ, war der ehemalige Philippshof von Karl König, 1883, auf dem dreieckigen Areal vor der Albertina; er besaß eine Eckkuppel, die sich Fischers Kuppeln der Hofburg zum Vorbild genommen hatte. Solche architektonischen Konzeptionen setzten ein plastisches Empfinden voraus, welches den fast kristallin erscheinenden Wandaufbau der Frühzeit der Ringstraße durch weiche Modellierung ver drängte. Im Zuge der Integration der Plastik mit der Architektur weitet sich das plastische Empfinden auf diese selbst aus und greift von der Oberzone mit ihren Kuppeln und Türmchen auf den ganzen Bau über. Um 1900 war diese Stufe erreicht, und die Bebauung der ehemaligen Exerzierfelder der damals niedergelegten Kaiser-Franz-Josephs-Kaserne mit dem Stubenringviertel demonstriert sie in eindrucks voller Weise. Das ehemalige Kriegsministerium und der Bau der Handelskammer mit kuppeligen Dächern, die abgerundeten Ecken, die ondulierenden, durch Erker und Balkone plastisch geformten Baublöcke verraten eine Auffassung, die sich als späthistoristisch geprägter Jugendstil definieren läßt. Das weich Fließende der kurvilinearen Formen dieser Epoche teilte sich in eigenartiger Weise nicht nur der Architektur, sondern auch der städtebaulichen Konzeption mit. An Stelle der straffen Determiniertheit des Rasterstiles und der großen, mit spätantiken Maßstäben arbeitenden ,,Fora", denen immer noch eine stationäre Haltung eignet, gewinnt die städtebauliche Komposition eine neue Dynamik. Sie beginnt schon bei der Tendenz zur Übereck-Ansicht, die mit einem Bewegungsmoment rechnet und überdies gelegentlich durch eine kopfschwere Bekrönung, wie etwa bei der Kuppel des Hauses der Staatsgewerbeschule, Ecke Schwarzenbergstraße, einer radikalen perspektivischen Verkürzung Vorschub leistet — ein Phänomen, das auch der zeitgenössischen Malerei bekannt ist. Gegen 1900 erfährt das dynamische Moment in der städtebaulichen Komposition eine weitere Steigerung; damit mag es auch zusammenhängen, daß damals die größten Investitionen baulicher Art der Anlage der Stadtbahn, der Systemisierung des Donaukanals und der Wientaleinwölbung zugute kamen, Unternehmen, von denen jedes in seiner Art mit der Lenkung einer Bewegung zu rechnen hatte.

—m* T» 1 J fcÄBBijUJuEtÄi IVW'JT ir 118. Blick auf den Dr. Karl Kenner-Ring mit dem Parlament im Vordergrund links (Bildarchiv der Osten'. Nationalbibliothok) Am tiefsten in das Stadtbild griff die Einwölbung des Wienflusses ein, da sie, im Stadterweiterungsplan von 1859 nicht berücksichtigt, eine etwa ein Drittel der Innenstadt umziehende eindeutige Begren zungslinie aufhob und durch ein neu geschaffenes Terrain ersetzte, welches den Außenrand der Stadt erweiterungszone mit dem Areal der Vorstädte niveaugleich verband. Es gehört wohl zu den Konstanten des Wiener Städtebaues, der etwa die Lage an der Donau nur äußerst zögernd auszunutzen bereit ist, daß man die verschiedenen Schwierigkeiten, welche das Bett des nur ungleichmäßig Wasser führenden Wienflusses mit sich brachte, durch Überbauung löste und damit - ebenso wie bei der Einwölbung der verschiedenen Gewässer, die von den Abhängen des Wienerwaldes der Donau zustreben - zum Ver schwinden brachte^®. Bei dieser Wieneinwölhung wurde der sanitäre Nutzen mit beträchtlichen städtebaulichen Schwierig keiten erkauft, die sich beim Karlsplatz als schier unüberwindlich erweisen. Hier ist durch die Ver schmelzung der Stadt- und Vorstadtseite ein sehr weites, nach allen Seiten ausfließendes Gebiet ent standen, dem jede natürliche Grenze fehlt. Man könnte vielleicht auch in dieser mit starker vegetabiler Durchsetzung rechnenden Anlage eine Auswirkung des Zeitstiles im städtebaulichen Konzept sehen, wenngleich die Zeitgenossen sich davon wenig befriedigt zeigten und selir bald in eine eifrige Diskussion des Problems eintraten. Die Hauptschwierigkeit liegt ja darin, daß durch die Beseitigung der Stadt und Vorstadt trennenden Zäsur das künstlerische Übergewicht der Karlskirche auf einmal für ein Gebiet wirksam wurde, für das es niemals berechnet war. Die gegen die Hofburg hin orientierte Karlskirche war von der Stadterweiterung 1859 nur in einem kleinen Wirkungsfeld berücksichtigt worden, nämlich durch die Parkanlage, die heute vom Künstlerhaus eingenommen wird und von wo aus eine Brücke zur Kirche hinüber geschlagen werden sollte. Sie als einen Point de vue in einen größeren Zusammenhang hineinzustellen, scheiterte offensichtlich an der Schwierigkeit, das Rastersystem und die sich aus ihm ergebenen Radiallinien mit der Schrägstellung der Karlskirche in Einklang zu bringen. Paul Kortz, Wien am Anfang des XX. Jahrhunderts, Wien 1905, I. Bd., S. 193.

II B11 B ini iVBiE'f !'•'[?; i'v 5'if. i"i f 1 119. Blick von der Universität gegen den Schottenring (Bildarchiv der Österr. Nationalbibliothek) Der Karlsplatz, der zeigt, wie gefährlich es ist, städtebauliche Einheiten, die aus einer bestimmten historischen und künstlerischen Situation heraus geschaffen wurden, mit einem neuen Konzept zu über lagern, ist nicht als repräsentatives Beispiel für eine städtebauliche Planung des frühen 20. Jahrhunderts im Rahmen der Wiener Stadterweiterung anzusehen. Im Zuge der Wieneinwölbung ergab sich aber eine durchaus befriedigende Lösung bei der Ausweitung des Schwarzenbergplatzes^'. Durch die Terrain gewinnung war es möglich, den Point de vue des älteren, um das Denkmal gruppierten Platzes, nämlich den Hochstrahlbrmmen, zum Zentrum eines neuen Platzes zu machen, der sich in die von der Stadt ausgehende Hauptachse einfügt, zugleich aber auch als eine Art Sternplatz mit nach allen Seiten aus strahlenden Straßen erscheint (Abb. 120). Eine solche Lösung, bei der auf die Platzmitte die abgerun deten, auch überkuppelten Ecken der Häuserblocks zustreben und so die Flucht des strahlenförmigen Straßensystems zur Wirkung bringen, taucht im Gefüge der Ringstraße auch beim Aspernplatz auf, wo der Brückenkopf zum Donaukanal durch einen halben Sternplatz mit der Ringstraßenbebauung verzahnt wird. Trotz großer Weite und fließender Linien, die bei beiden Plätzen auch in der ursprüng lichen architektonischen Bebauung dominierten, bezeugen die beiden Anlagen ein städtebauliches Konzept, welches sich besonders dort bewährt, wo es um die Verteilung von Verkehrslinien geht. Mit diesen Lösungen, die ästhetisch dem Jugendstil durchaus verbunden sind, in denen sich aber auch schon die funktionalistischenQualitäten einer neuen Sachlichkeit abzeichnen, hat die städtebauliche Konzeption der Wiener Ringstraße den Weg vom Historismus zur Moderne gefunden. " Ebenda, S. 378. Zur Problematik der Wioneinwölbung für den Städtebau vgl. D. Frey, zit. Anm. 12. 11 Denkmalpflege

Gustav Künstlee DER „TRADITIONALIST" ADOLF LOOS^ Es ist Tatsache, daß im Architekturschaffen wie in den Schriften von Adolf Loos bahnbrechend moderne Leistung und entsprechend radikale Gesinnung neben überlieferter Formgebung und manchmal sogar antimodernistischer Äußerung stehen. Sobald 'man die Komplexqualität dieses Phänomens dialektisch aufspaltet, scheint Unvereinbares hervorzutreten, was geistiges Unbehagen bereiten kann. Eine so bequeme Annahme wie die, daß die Kraft des Modernisten nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gewirkt habe und dann geschwunden sei, wäre völlig falsch : Im Jahre 1899 hat Adolf Loos für den Bau der Kaiserjubiläums-Gedächtniskirche an der Reichsbrücke in Wien projektiert, zwar originell aber im Formalen traditionell, und gleichzeitig das Cafe Museum geschaffen, dessen sachliche Strenge der Kritiker Ludwig Hevesy durchaus anerkannte, obwohl er sie zugleich ,,sehr nihilistisch" nannte, und als fragwürdig hinstellte; oder: das Adolf Loos als schwerster Sündenfall und Anachronismus angelastete Werk, sein Entwurf des ,,Chicago Tribüne Tower" in der Strukturform^ einer samt Unterbau rund 120 m hohen dorischen Säule, datiert von 1922, und 1930 — drei Jahre vor seinem Tod und bereits schwer leidend - baute er das Haus Müller in Prag, das die reinste Verwirklichung seiner ingeniösen Gestal tungsidee des ,,Raumplans" geworden ist. Es mengt sich deshalb in das Gesamturteil über Adolf Loos leicht eine gewisse Ratlosigkeit. Ein so gründlicher Kenner der neuen Architekturentwicklung wie Nikolaus Pevsner gesteht offen: ,,Man müßte eigentlich annehmen, daß ein Mann, der so glänzend und so essentiell geschrieben, und der wie er in seiner Architektur so früh und so ausgezeichnet die An wendung von betont kubischen Formen, von offenen Grundrissen einander durchdringender Räume, von stufenweise zurücktretenden Terrassen, ja von bindungsfreier Eensterverteilung und nicht über einstimmenden Bodenhöhen (split levels) wagte - daß dieser Mann sich selber widerlegte. Das kann jedoch entschieden nicht der Fall sein; niemand kann sich selber verfälschen."^ Ist solcherart die Tat von Adolf Loos als einem Bahnbrecher gebührend anerkannt, soll im Folgenden ausschließlich sein traditionalistisches Schaffen erörtert werden, am Beispiel von drei Wiener Werken, von denen allerdings nur eines ausgeführt worden ist. Bei dem 1907 vom ,,k. u. k. Reichskriegsministerium" veranstalteten Preisausschreiben für Entwürfe eines neuen Amtsgebäudes am Wiener Stubenring blieb, neben vielen anderen der miter Kennworten eingereichten Projekte, auch den von Otto Wagner und von Adolf Loos stammenden der Erfolg versagt. Die Arbeiten der beiden Architekten sind in sonst nichts miteinander vergleichbar als darin, daß nur sie beide verstanden und darauf Rücksicht genommen haben, an welcher Stelle der Ringstraße das kolossale Gebäude sich erheben sollte, im Anschluß nämlich an das von Heinrich Eerstl 1875—1877 erbaute Ensemble von Kunstgewerbemuseum und Kunstgewerbeschule, von dieser nur durch den nicht breiten Kopalplatz getrennt. Otto Wagner führt seine Gebäudefront vom Boulevard zum Platz nicht eckig über, sondern in den Untergeschossen mittels einer Abrundung, und er gleicht deren Höhe der des gegenüberliegenden, fast villenartig proportionierten Schulhauses an, während die oberen Stockwerke erst hinter einer Terrasse aufsteigen und damit wieder Anschluß an die durchgehend gleich hohen Fronten an Straße und Platz finden. Adolf Loos ändert zwar nicht die Höhe des Baukolosses, er läßt ihn aber leichter erscheinen, als bei dessen Massigkeit zu erwarten wäre: ,,Die Fassade zeigt im Hoch parterre eine starke Rustica... in Kalkstein. Die oberen Stockwerke sind in gelben Terrakottaver blendern, mit Streifen durchsetzt..., nach dem Ring zu in schwarzem polierten belgischen Granit ^ Der Aufsatz ist die Ausarbeitung eine.s Teiles des Vortrags über Adolf Loos, den der Verf. am 8. Nov. 196/ auf Einladung der „Gesellschaft für vergleichende Kunstforschung", Wien, gehalten hat. 2 Strukturform: mit dieser Benennung soll auf die Unrealität der Form aufmerksam gemacht werden. Die Kannelüren bieten Platz für die Fensterreihen und vermindern durch sie entscheidend die materielle Festigkeit der Säule, so daß es die scharfen Kanten allein sind, die den Eindruck des Emporragens erwecken. Die lauterste Strukturform eines antiken Motivs in der neueren Architektur bietet wohl der Eiffelturm: ein Obelisk auf zweigeschossigem Sockel, wobei die Flächen des Obelisken in verstrebendes Gestänge aufgelöst sind; dadurch sind es auch hier die Kanten allein, die das Emporragen vorführen. Adolf Loos hat den Eiffel turm auf diese Art verstanden, was der Turm seines Wiener Projekts der Kirche an der Reichsbrücke beweist, einer RückÜber tragung der strukturierten Itormelemente des Pariser Turms in Realformen. ^ N. Pevsner in seiner Einleitung des Buches von L. Münz und G. Künstler, ,,Adolf Loos, Pioneer of modern architectme , London 1966, S. 22 (in Übertragung): es handelt sich um die englische (und gleichlautende amerikanische) Ausgabe der Mono graphie „Der Architekt Adolf Loos" von L. Münz und G. Künstler, Wien 1964. Alle rein sachlichen Angaben des vorliegenden Aufsatzes sind diesem Buch entnommen, und der Schroll-Verlag lieh daraus mehrere Klischees zum Wiederabdruck.

.i».i,l - i- ' ^'■■ ■ '5 'I III ? laß mä-4W^ ■ =®äl^r=r' P.iP'" ^4^''- 121. Adolf Logs, Projekt des Kriegsministermms in Wien; Teilansicht der Ringstraßen-Fassade (Klischee: Verlag Anton Schroll & Co.) (Kalkstein) oder in derselben Farbe in Matscheko ausgeführt... Das Hauptgesims ist in reicher Pressung in gelber Terrakotta projektiert."^ Entscheidend für das Zusammenstimmen mit den Ferstl-Bauten - insbesondere der Schule - wäre demnach nicht nur die helle Leichtigkeit der riesigen Wände gewesen, sondern die Farbigkeit als solche; denn auch Ferstl hat farbig gearbeitet: grauer Kalkstein im niedrigen Sockel, kräftig roter Backstein und bunte Majolikatondi in den Wänden. Was Adolf Boos von der Ringstraße als städtebaulicher Leistung hielt und wie er über sie dachte, hat er einmal in einem öffentlichen Vortrag, 1911, ausgesprochen: „Wäre die Ringstraße in den letzten zehn Jahren gebaut worden, so besäßen ivir heute keine Ringstraße, sondern ein architektonisches Unglück. Der Kärntner Ring - das ist Wien, die Kaiserstadt, die Millionenstadt. Aber der Stubenring ist fünfstöckiges Mährisch-Ostrau."® Die vorgenommene Lokalisierung ,,Kärntner Ring" darf nicht wörtlich genommen werden, gemeint ist die Ringstraße mit ihren Monumentalbauten einschließlich des Kärntner Rings bis zum Schwarzenbergplatz, nicht dagegen die Gartenbau-Gründe und der Auslauf zu Aspernplatz und Kai, der Stubenring also. Auf alle Fälle wird klar, daß dem Architekten in der Abfolge der Monumentalbauten deren Historisieren nicht unerträglich erschienen sein kann, und das wohl hauptsächlich deshalb nicht, weil er die Großzügigkeit der Gesamtplanung anzuerkennen vermochte. Solche Objektivität ist erstaunlich, weil damals und noch für lange Zeit der Architektur-Historismus von einem völlig gewandelten Geschmack verpönt wurde. Wahrscheinlich haben eigene bittere Erfah rungen Adolf Loos dazu gebracht, von Urteilen über Architektur, die sich mehr auf Äußerliches als auf das Wesentliche beriefen, so wenig zu halten wie von vergänglichen Moden. Und infolge einer ^ Aus den (von Adolf Loos gegebenen) Erläuterungen zu dem Konkurrenz-Entwurf für das Projekt des Kriegsministeriums in Wien, Kennwort ,,Homo", 1907. ® Der Vortrag wurde in Wien am 11. Dez. 1911 gehalten, anläßlich der Vollendung seines aus ästhetischen und allen möglichen anderen Gründen hart umstrittenen Hauses am Michaelerplatz.

122. Adolf Loos, Projekt de.s Kriegsministeriums in Wien, 1907; Grundriß {Klischee: Verlag Anton Schroll & Co.) WIEN - P L U 3 123. Situationsskizze des Kriegsministeriums (Projekt Loos) an der Ringstraße; durch deren unmittelbare Verbauung zwar geschieden, aber in Front gegenüber das Postspar kassengebäude (Klischee: Verlag Anton Schroll & Co.) STUBEN R,in erstaunlichen Distanzierung von sich selbst konnte er schon 1914— nach den 1910/11 durch ihn erregten Stürmen - die kühle Sentenz drucken lassen: „Das Haus auf dem Michaelerplatz mag gut oder schlecht sein, aber eines müssen ihm auch seine Gegner lassen: daß es nicht provinzmäßig ist. Daß es ein Haus ist, das nur in einer Millionenstadt stehen kann."® Es wird damit abermals auf einen Wertmaßstab angespielt, der für ihn seine Gültigkeit in dem Gelingen von Akzentsetzung und städtebaulicher Ein ordnung hat. Es ist verständlich, daß Adolf Loos auch schon 1907 in solchen Kategorien dachte. Was sein Kriegsministeriums-Projekt betrifft, so verdient die von ihm vorgesehene Aufstellung des Radetzky-Denkmals besondere Beachtung (Abb. 121, 123). Dieses mußte vom ursprünglichen Standort vor dem alten Kiriegsministerium auf dem Platz ,,Am Hof" entfernt und in eine Verbindung mit dem Neubau am Stubenring gebracht werden. Dies war eine der Bedingungen der Wettbewerbsausschreibung. ® Aus dem Aufsatz ,,Heimatkunöt"' in dem Sammelband ,,Trotzdem" (jetzt in: Adolf Loos, Sämtliche Schriften, Bd. 1, Wien 1962, S. 333).

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