Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

Während die Salzburger Abwandlungen der Typen Pilsen und Krumau® den beiden namengebenden Statuen böhmischer Provenienz gerade dadurch unterlegen scheinen, daß sie die Drapierungsmotive schematisieren und die raffinierte Grazie der Bewegungen nicht nachzuvollziehen vermögen, besticht die hiesige Nachfolge der Madonnen von Thorn und Breslau durch Eigenwilligkeit und liongenialität. Diese beiden besonders massigen, ihre absolute Tiefe auch künstlerisch betonenden Figurentypen mögen dem lokalen Salzburger ,,Kunstwollen" unmittelbarer entsprochen und daher auf die hiesigen Bild hauer anregender gewirkt haben als andere. Von ,,Repliken" im engeren Sinn kann da nur selten die Rede sein; meist handelt es sich um Paraphrasen einer Grundidee, deren künstlerische Möglich keiten sehr selbständig erprobt werden. Als beispielhaft für diese Tendenz darf die Schöne Madonna aus Feichten bei Altötting gelten, die ihr Breslauer Vorbild besonders energisch dynamisiert; zugleich übersetzt sie dessen Faltenmotive in das voluminöse Salzburger Stilidiom und steigert gewaltig ihre raumschaffende Wirkung^®. Aus einem ganz ähnlichen Geist muß jene halblebensgroße Sandsteinfigur einer weiblichen Heiligen im Salzburger Museum geschaffen worden sein, die, mangels Attribut, nicht mehr identifiziert werden kann (Abb. 4). Auch sie sollte ihrer sehr charakteristischen Stilmerkmale wegen in die Diskussion um die Salzburger Schönen Madonnen einbezogen werden^. Die Üppigkeit ihrer Formensprache verweist auf Feichten, in zweiter Linie wohl auch auf Mariapfarr und Thorn; das Bewegungsmotiv aber wurzelt in der stilistisch so andersartigen Tradition Pilsen—Krumau. Der Fall unserer hl. Margareta liegt nun genau umgekehrt: Ihr Typus verbindet sie mit der Salzburger Nachfolge der Thorner Madonna, während formale Kriterien eher in die Richtung der Krumauerin weisen. Ihr hochovales, fast dem Rechteck angenähertes Antlitz mit den wie erstaunt hochgezogenen Brauenbögen ist - bei allem Abstand in der Qualität - dem der Krumauer Madonna auffallend ver wandt (Abb. 1). Das gleiche gilt für ihr Haar, das an der geneigten Seite des Kopfes locker herabfällt und sich dabei weit von Wange und Hals emanzipiert. Selbst die Salzburger ,,Repliken" des Krumauer Typus aus Hallstatt und Bad Aussee stehen diesbezüglich dem Prototyp ferner; Ihre rundlicheren und viel ausdrucksärmeren Gesichter werden von schematisch gerillten Locken gerahmt, die den Sinn des Krumauer Meisters für Stofflichkeit und Elastizität des Haares durchaus vermissen lassen. Unsere Margareta hingegen betont eben diese Qualitäten und weist insofern auf die anonyme Heilige des Salzburger Museums voraus, deren Lockenfülle die Haartracht der Krumauerin ebenso barockisiert, wie ihr Faltenstil einzelne Drapierungsmotive der Thornerin übersteigert. Von solchen Details ausgehend, wird man unsere Statue also am ehesten im Salzburger Milieu beheimaten dürfen, wo vergleichbare Kombinationen heterogener Motive durchaus üblich gewesen zu sein scheinen. Einige ihrer besonders kennzeichnenden Züge, wie das dynamische Schreitmotiv oder die ,,naturali stische" Lockerung des Haares, haben hier entweder Vorstufen oder klingen in anderen Figuren nach. Schwieriger ist es, diesen Befund stilistisch zu bekräftigen, wenn man den Begriff ,,Stil" in seinem engsten Sinn faßt und damit die Formgewohnheiten einer Werkstatt oder die persönliche Handschrift eines Bildhauers meint. Diesbezüglich besteht gerade zwischen unserer Margareta und Salzburger Statuen in der Art der Madonna von Maria-Pfarr oder der Heiligen des Museums keinerlei Verwandt schaft; auch Feichten, Großgmain und die Schwesternpaare Hallstatt-Bad Aussee bzw. Louvre—Liebighaus scheiden aus. Dagegen scheint die Heilige in Marseille stilistisch mit einer Figur verwandt, die wir bisher noch nicht in den Kreis der Vergleichsbeispiele einbezogen haben: mit der Schönen Madonna des Salzburger Fran ziskanerklosters (Abb. 2). Auch deren Kopf leitet sich von der Krumauerin her und ist - wie bei unserer Heiligen — im Gegensinn geneigt. Der Gesichtsschnitt beider Statuen weist einige markante Übereinmadonna des Nino Pisano in der Orvietaner Domopera anstellen läßt (P. Toesca, II Trecento [Turin 1951], Fig. 287); ganz all gemein sollte die Bedeutung Nino Pisanos und seiner Nachfolge für die Ausbildung von Figuren- und Faltenmotiven der inter nationalen Gotik südlieh wie nördlich der Alpen, nicht unterschätzt werden. ^ Auf den Typus Pilsen gehen die Madonnen in Großgmain, im Liebighaus und im Louvre zurück, auf den Krumauer Typus die Madonnen aus Haltstatt {jetzt Prag) und in Bad Aussee {vgl. Salzburger Katalog, Abb. 11—13, 25, 26). Kutal {zit. Anm. 2), Abb. 17, 18. Beschriebtm und abgebildet in Österr. Kunsttopogr., Bd. XVI, Die Kunstsammlungen der Stadt Salzburg (1919). S. 244; auch K. Garger (Kunst u. Kunsthandwerk, XXIV, 1921, S. 117ff.) hat zwei Ansichten dieser Figur reproduziert. Im Zusammen hang mit unserem Problem wurde sie m. W. nur von Kutal (zit. Anm. 4, S. 100) kui'z gestreift.

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