I 69, 70. Graz, Stadtpfarrkirohe; Inneres vor und nach der Regotisierung in den Jahren 1875—1883 (Bildarchiv der Österreichi schen Nationalbibliothek) Jahr 1781 erstaunliche Retardation in der Wahl formaler Mittel, die hier allerdings zu einem außergewöhnlichen und im Lande einmaligen. Ergebnis führten. Der Skulpturenschmuck der Turmfassade ist eher bescheiden. Im Erdgeschoß die er wähnten vier Sandsteinfiguren J. Schokotniggs: innen, zu beiden Seiten des Portales die Apostelfürsten Petrus und Paulus, in den Außennischen der heilige Johannes Nepomuk und der heilige Ivo. Uber den Säulen des Portalvorbaues zwei Vasen, auf dem Segmentbogen zwei Engel, zwischen denen einst die Statue des Heilands mit den Blutstrahlen aus den fünf Wunden stand. Die Figur wurde 1885 wegen ihrer „reali stischen Form'"' entfernt, durch ein Kreuz mit dem Herzen Jesu ersetzt und in jüngerer Vej'gangenheit im Hof der Propstei aufgestellt. Auch die beiden Engel fehlen heute ebenso wie die aus Gitterwerk, Rocaillen und Engelköpfen über dem Portal und den inneren Nischen aufgesetzten Stuck zierate, die auf alten Photographien festzustellen sind®. Der Giebel wird seitlich von Personifikationen mit den Symbolen von Glaube um.l Hoffnung, in der Mitte von zwei Engelputti mit dem flammenden Herzen der Liebe bekrönt. Zwei Vasen stehen auf den eckigen Mäandervoluten des Giebeldreiecks, in der Mittelachse, zwischen den beiden Fenstern, ist in einem profilierten Stuckrahmen die Jahreszahl der Fertigstellung, 1781, angebracht. Aus schriftlichen Quellen sind die Perioden der mehrmals wechselnden Einrichtung der Kirche bekannt®. Die mittelalterlichen Glasmalereien wurden um 1640 entfernt, Altäre und andere Einrichtungsstücke dmch neue ersetzt. Diese mit ,,Renaissancestil" bezeichnete Ausstattimg erfuhr etwa hundert Jahre später eine Erneuerung im üppig prunk vollen Stil des Hochbarock; an ihr wirkten die namhaftesten Künstler der Zeit — die Bildhauer Johann Jakob Schoy, Joseph Schokotnigg, Philipp Johann Straub und der Bau meister Joseph Hueber — mit. Diese künstlerisch hoch bedeutsame und wirkungsvolle Einheit von gotischem Bau werk und barockem Interieur, die nur mehr in wenigen jDhotographischen Aufnahmen festgehalten ist^®, wurde, mit Aus nahme des Gestühls, 1875-1883 einer radikalen Regotisierimg nach Plänen des Architekten August Ortwein geo])fert (Abb. 69, 70). Die damalige Aversion gegen die Kunstwerke des Barock, die als ,,hölzern, verschnörkelt, zopfig, bombastisch aufge putzt'' apostrophiert wurden, übertrifft noch um einiges die Ansichten heutiger, im Zuge der neuen Liturgiebestrebungen tätiger extremer Reformisten. .Die der ,,Wiederhei'stellimg des gotischen Stiles" zugrunde liegenden Gedankengänge hat der Architekt Prof. Hans Petschnigg vor 100 Jahren, vom Geist des Purismus beseelt, vorgetragen^^ Die Forderung nach dem ,,stilreinen" Denkmal gipfelt in dem Projekt, nach abgeschlossener Innenrenovierung auch die Johannes Nepomuk-Kapelle in einen ,,gotischen" Chorschluß zu verwandeln und schließlich ,,die angeklebte Fa9ade mit dem auf Täuschung berechneten Thurm, der nebenbei gesagt für jene Zeit und den damaligen Styl ein schönes Werk genannt werden muß" wegen der verursachten Störung des gotischen Charakters der Kirche ,,den gegebenen Innenformen anzuschließen imd statt dem Scheingebilde eines steinernen Thm'mes... einen hölzer- ' Die Stadtpfarrkirche zum Heiligen Blut in Graz, von ihrem Ebenda, S. 63 und 85. Entstehen bis zur Gegenwart, zusammengestellt von Georg Schabl, Stadt^Marrpropst, Graz 1916, S. 60. ® Ebenda, S. 59. ® Ebenda, S. 40ff. H. Petschnigg, Unsere Zeit und die Restauration, nebst specieller Behandlung des Restaurationsprojectes für die Stadtpfarrkirehe zum heiligen Blut in Grätz, in: Mitt. der k. k.Centr.-Comm., XIII, Wien 1868, S. LXXXIIff. 6 Denkmalpflege
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