INNENRESTAURIERUNG DER WALLFAHRTSKIRCHE SONNTAGBERG, NÖ. ,,Diese künstlerischen Eindrücke — die eine über den Alltag und dessen materielle Sorgen und Bestrebungen sich erhebende Stimmung auszulösen vermögen - können auf den Altersspuren beruhen, die Denkmäler adeln und zugleich im Beschauer Vorstellungen vom Werden und Vergehen erwecken... Ver nichtet man aber diesen ursprünglichen Charakter, vernichtet man in den meisten Fällen auch jede andere Wirkung, die ein unberührtes Denkmal auf den Beschauer ausübt." Diese Worte schrieb einer der Großen der Wiener kunst historischen Schule, Max Dvofäk, 1916 in seinem,,Katechismus der Denkmalpflege"^. Man muß diesen Gedanken zuerkennen, daß sie heute, nach fünfzig Jahren, an Gültigkeit nichts ein gebüßt haben. Hans Sedlmayr hat seines Lehrers Dvofak Maximen kürzlich besonders aktuell auf ,,die demolierte Schönheit" der Salzburger Altstadt angewendet. Nachdrück lich konstatiert Hans Sedlmayr: ,,Seit Dvofak das schrieb, hat sich eine geheime Verachtung gegen das Alte — die man nicht offen einzugestehen wagt — noch gesteigert: man will nicht altern und nichts Altes sehen, das Alte an sich gilt als Unwert. Und das paradoxerweise in derselben Zeit, in der die Werte des alten Schönen mehr und mehr entdeckt worden sind. Was sich übrigens in materiellen Fakten ausdrückt: die Preise für Antiquitäten steigen unaufhörlich, und das große Geschäft der Kunstreisen blüht" Diese Präambel soll zu einem Begriff hinführen, den die öster reichische Denkmalpflege seit Dvofaks Zeiten sehr gut kennt, auch ernsthaft und aktiv beachtet und nach außen hin uner müdlich verteidigt: den Begriff vom Alterswert eines Kunst werks. Walter Frodl hat ihn, aus den Erfahrungen der prakti schen Denkmalpflege heraus, als spezifischen ,,Denkmalwert" definiert^: Man könne - wegen der stark emotionellen Wirkung, ■welche Altersspuren beim Betrachter hervorrufen — von einem Alterswert (valore deiretä) sprechen. Danach ist die Oberfläche eines Kunstwerkes wie die Haut eines Menschen. Sie reagiert höchst sensibel auf jede Verwundung und auf den Prozeß der Alterung; aber mit ihren Runzeln und Narben bildet sie ein Gleichnis zum menschlichen Charakter und Schicksal. Ebenso ist die Oberfläche eines Kunstwerkes ein Lebendiges. Darüber hinaus kann der Alterswert, z. B. durch Patina, einen gesteiger ten künstlerischen Wert hervorbringen. Es sei schon hier vorweggenommen, daß Denkmalpfleger in anderen europäi schen Ländern diesen Begriff nicht grundsätzlich anerkennen (daß sie ihn - unwissentlich! - oft genug praktizieren, ändert daran nichts. Denn das bedeutet nur das unbewußte Durch eilen einer an sich schwerwiegenden Entscheidung). Wir glauben, daß bei entsprechender Einstellung zum Ganzen der Kunst Dvofaks Feststellung zutrifft: ,,Man wendet zuweilen ein, die Anschauungen darüber, was vom Standpunkt der Denkmalpflege in diesem oder jenem Falle zu geschehen hat, ^ Max Dvofäk, Katechismus der Denkmalpflege, Wien 1916, S. 22, 31. 2 Hans Sedlmayr, Die demolierte Schönheit, Salzburg 1965, S. 16. ® Walter Frodl, Concetti e valori del monumento; Facoltä di Architettura, Scuola di perfezionamento per lo studio ed il restauro dei monumenti, Rom 1962/63, S, 6f. wären unklai-, und die Entscheidung sei schließlich Geschmack sache, in der es keine Vorschriften gibt. Das ist ganz und gar unrichtig"^. Diese Grundsatzfragen wurden aufgeworfen, als Ende 1963 der hochwürdigste Abt des Benediktinerstiftes Seitenstetten in Niederösterreich den Wunsch anmeldete, das Innere der seiner Abtei inkorporierten Wallfahrtskirche auf dem Sonntagberg einer durchgreifenden Restaurierung zu imterziehen. Un mittelbaren Anlaß gab zunächst ein kleiner Bauschaden, ein abgestürztes Gesimsstück an der Südostecke des Langhauses. Es bestand von vornherein prinzipielle Übereinstimmung dar über, daß außer der künstlerischen Substanz auch deren Alterswert pietätvoll zu achten und möglichst alles zu vermei den sei, was einer Renovierung statt einer Restaurierung ent spräche. Dieser Leitgedanke stand bei jeder folgenden Ent scheidung über allem, in vielen Fällen auch über finanziellen Erwägungen. Der Referent hat an dieser Stelle dem hochwürdigsten Herrn Abt Prälat KR. Albert Kurzwernhart für die diesem bedeu tenden Kunstwerk erwiesene, von geradezu demütiger Pietät bestimmte Gesinnung aufrichtigen Dank zu sagen, zuletzt auch dafür, daß von der Planung bis zur Vollendung das ganze Vor haben einvernehmlich mit dem Landeskonservator für Nieder österreich durchgeführt wurde. Die organisatorische Abwick lung lag in den Händen von Herrn Verwalter Ing. Wilhelm Redl, dem eine reibungslose Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkrnalamt geradezu selbstverständlich war. Die Wallfahrtskirche auf dem Sonntagberg wurde anstelle einer 1490 erbauten spätgotischen Kirche, die nach und nach mit barocker Einrichtung versehen wurde und die sich ihrer seits über einer kleinen gotischen Salvatorkapelle aus der Mitte des 15. Jahrhunderts erhoben hatte, errichtet. Der heutige Bau wurde 1706—1732 zuerst von Jakob Prandtauer selbst, nach 1718 von seinem Schüler Josef Munggenast nach Prandtauers Plänen erbaut. Von außen hat der Bau die durch schnittliche Qualität eines spätbarocken, sehr großen Kirchen baues; an der Westfassade ist er durch Gesimsprofile von fast ,,borrominesker" Kraft, an den übrigen Wandflächen ziemlich wenig gegliedert. Um so mehr überrascht die überreiche Ausstattung im Inneren (Abb. 49). Den Eintretenden mnfängt ein in solcher Geschlossenheit und künstlerischer Einheit nur selten wieder zufindendes Ensemble; es ist eine höchst komplexe, aus zunächst unerfaßbar vielen Teilen zusammengesetzte Einheit, deren erster anschaulicher Charakter ein farbiger ist; es sind gleichsam vom Licht getragene, scheinbar emporgehobene Farben, die von einer wohl bunten, aber doch von einer Palette stammen. Diese lichte und leichte, zarte Farbigkeit beherrscht den Gesamteindruck. Sie besteht nirgends aus großen Flächen, sondern ist klein- und vielteilig zusammen gesetzt und überspielt geradezu mosaizistisch die ihrerseits möglichst klein gehaltenen Wandflächen. Das architektonische Gerüst des Baues tritt hinter dieser Dominanz der lichten, hellen, bunten Farben stark zurück. Über dem ganzen Raum ^ Max Dvofäk, a. a. O., S. 36f.
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