Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

M'i / 35, 36, 37. Links: Wien, St. Stephan; Blattmaske aus der Kehle der Wandeinfassung der Eligiuskapelle; Mitte und rechts: Schlußsteine mit Blattmasken aus den Seitenschiffen der Augustinerkirche {G. Balack, Wien, BDA, W. Wellek) In der Malteserkirche in Wien findet sich an einem Schlußstein unter der Westempore eine Darstellung der Physiologus-Szene mit dem Löwen und seinen Jungen, welche dem gleichen Schlußstein im Chor von St. Stephan ikonographisch und auch stilistisch nahesteht. Die Physiologus-Darstellungen der 1392 geweihten ehemaligen Kartäuserkirche in Aggsbach (Abb. 28 a—c), die vor kurzem restauriert wurde, zeigen bereits einen deutlichen stilistischen Abstand. Sie sind feingliedriger und weniger wuchtig. Man könnte versucht sein, auch die Schlußsteine der Katharinenkapelle in Imbach mit denen von St. Stephan in Verbindung zu bringen, zumal ja ikonographisch manche Gegenstände völlig identisch sind, wie eben die Physiologus-Darstellungen: die Jungfrau mit dem Einhorn, der Löwe mit Jungen und der Pelikan, der sein Blut für die Jungen hingibt. In der Tat ist die Verwendung von PhysiologusDarstellungen auf Schlußsteinen nicht allzu häufig. In der Klarissinnenkirche in St. Veit an der Glan begegnen wir dem Pelikan mit seinen Jungen im Schlußstein schon 1327. Man muß jedoch zwischen allenfalls gemeinsamen literarischen Quellen und der künstlerischen Abhängigkeit unterscheiden. In der künstlerischen Konzeption und der Anwendung auf den bestimmten Bauteil lag die Leistung, die zu ähnlichen oder abweichenden Lösungen führte. So kann ein Bezug zwischen den Physiologus-Dar stellungen in Imbach und denen in der Stephanskirche in Wien nur insoferne hergestellt werden, als an beiden Orten fast zur gleichen Zeit die gleiche Aufgabe gestellt wurde. (In Imbach etwa um 1330".) Dasselbe trifft für die Physiologus-Darstellungen an den Konsolen im Kreuzgang der Zisterze in Neu berg zu", die wohl im gleichen Jahrzehnt (zwischen 1330 und 1340) fertiggestellt wurden, in der lite rarischen Vorlage vielleicht miteinander zusammenhängen, stilistisch aber voneinander unabhängig sind. Auffällig ist freilich, daß der solchen Tierdarstellungen abgeneigte Zisterzienserorden Darstel lungen aus dem Physiologus im Kreuzgang zuließ. Das sogenannte Musterbuch des Stiftes Rein (heute Codex 507 der Österreichischen Nationalbibliothek) kommt als direkte Vorlage nicht in Frage, zeigt aber mit seinen acht Darstellungen zum Physiologus, daß die meisten Gegenstände nicht nur literarisch bekannt waren, sondern daß auch bildliche Darstellungen Verbreitung fandeni®. Das Programm der Schlußsteine von St. Stephan ist hinsichtlich der Physiologus-Darstellrmgen fast so reich wie das Programm der Konsolen im Kreuzgang von Neuberg. Die bisher unbeachteten Schlußsteine des Chores von St. Stephan, die den Ausgangspunkt dieser Aus führungen bilden, sind ein wichtiger Komplex, der ohne Zweifel Nachwirkungen gehabt hat, von denen wir einige aufzuzeigen versucht haben, ohne freilich eine endgültige Einordnung oder Bewertmrg vor nehmen zu wollen. R. Wagner-Rieger, Gotische Kapellen in Niederösterrcich, in: Festschrift K.M. Swoboda, Wien 1959, S. 293 und passim. — R. K. Donin, a. a. O., S. 155ff., schlägt eine frühere Datierung vor, die jedoch nicht gehalten werden kann. G. Heider in: Mittheilungen der k. k. Centrai-Kommission, Wien 1856, S. 3ff. Siehe Anin. 10

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