Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

OSTERREICHISCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE XXII /1968 HEFT 1 INHALT UERHARD 8<'1ülrn'l': l~ine hl. 1VIargareta aus dem Umkreis der „Schönen Madonnen" in Marseille/ J·osEl•' ZYKAN: Zm Bauplastik von St. Stephan / W. BLAUENSTEINJfü: Restaurierungsarbeiten im Winterpalais des Prinzen Eugen / J!'RANZ EPPEL: Innenrestaurierung der Wallfahrtskirche Sonntagberg, NÖ. / U. OcmmBAIJER: Die Außenrestaurierung der Propstei-, Haupt- und Stadtpfarrkirche zum Heiligen Blut in Graz / Ü'l'TO WÄCHTER: Die Restaurierung einer armenischen Evangelien-Handsclu·ift (Cod. 242) aus der Bibliothek der .Mechitaristen-Congregation in ·wien / H. FRIESINGER und H. Mn·scHA-MÄRHEIM: Die Ausgrabungen in der Wallburg „Schanze" in Thunau bei Gars, NÖ. Ein Vorbericht / J. PFUNDNER: Nachtrag zum Bestand der historischen Glocken Österreichs / Buchbesprechungen / Eduard Hütter zum Gedächtnis 'l 'itelb ilct: \ViC'n ·1. Hi111melpfo1'tgnssc. ehern. Wintc-l'palais dPs P,·inzen Eugen; Ausschnitt aus der Ü-l'oteskenmalerci ,·on einem der Tiii'flügnl des Roten Salons (BDA. E. Mcjchar) H orn.usgC'ge bC' 11 ,·um B11ndescle11k111alumt, Hofburg, Sü.ulcnstic•go. I 0 III Wien. E,·schoint in de•,· NuC'hfolgc• clP1' 1856 begcrnnenon ..i\'litteil11n - ge11 dc•r k. k. Cc•nl,rnl-Corn111ission z111· Erforschung und E1·haltung clcr Kunst- und histo,·iRChl'll Denk111ulc" seit, 1!)47 jähdic·h in ,·icr Hd"tt-n und (sC'it dem J"g. XX/ l!Jfi(j) mit einem :-:onclcdwf"t, eins jeweils L•i,w Juhrl'sliibliogrnphi<" zur östcrrC'ir-hisrlwn K,11,sLgC"schichtc C"nthält. Der durc·hschnittliche Gesumturnfang einus Jahrgangos betriigt ohne das Sonderlwft 170 ::ioit.on uuf" Kunstdruc·kpapier· mit 1911 Abbildungen. Die öwrnrumrnHföCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE ist gegliedert in kunstgeschichtliche Aufsätze und aktuelle Berichte w1· Denkmalpflege (Restauriernng, Altstudterhaltnng. Revitalisierung). In beiden Thernenkroison kommen auch ausländische Autornn zu \\7ort. In den bisher erschienenen Jahrgängen sind vor allem die zahlreichen Erstpublikationen von KunRtwerken hervorzuheben. Bezugsprnis: prn Heft ö. :::. 25.- . J ahrnsabonncme11t (5 Hefte): ö. S. J 2IJ.- . Die Zeitschrift erscheint im Verlag Anton Schroll & Co. ::ipengergassc 37. A-1050 Wien. und ist durch alle Buchhandlungen oder direkt beim Verlag zu beziehen. VERLAG ANTON SCHROLL & CO WIEN

C:EH IL\HD Sc 11~u1> T El:N"~ HL. :.\[ARUARETA AUS DEM UM:KRElS DER „SCHÖNE J MADONNEN" IN 1\1:ARSELLLE Die vom Geschmack einer großbürgerlichen Sammlerfamilie des 19. ,Jahrhunderts gcprägteJl Bestände des ·;\l11scc Groliet-Labadi6 in :i\larseillc schließen nur wenige mittelalterliche Skulpturnn ein. l<:ines dc•r intcrcssalltcsten Stücke a11s der kleü1eJ1 Zahl gotischer Bildwerke ist zweifelloR rlic 80 cm hohe vollplastische Figur einer hl. M,wgareta, die sich schon dem ersten Blick als Repräscntantin des böhmischösterreichischen „Weichen Stils" der Zeit um lA00 zu erkennen gibt (.Abb. 3). ]hr :Nlatcrial ist von hellgrauer .Farbe, \\-irkt an den exponierten Partien gcclunkclt,. fast ein ,rnnig speckig. und läßt an den Brnchstcllen seine feinkörnige Struktur erkennen. Die Frage. ob es sich um eine Statue aus gC\n1chsencrn Kalkstein oder 11111 Steinguß handelt, könnte wohl nur aufgrund technischer U.ntersuchunge11 beant- ,1·ortct werdell 1 . Tn den l◄'alte nrnul dell haben sich rn1r gnnz spärliche Reste einer alte11, rnöglicher\\'eise ur.-prünglichen Pol,vchromierung erhalten; außerdem lii,ßt eine leichte Verfärbung des Steines erkcn11en. daß der 1\fantel früher mit einer _jener brniten Goldborten gesiiurnt war, wie man sie an Figuren dieses Stilbereiches häufig beobachtet (vgl. etwa Abb. 2). .Im übrigen darf der Zustand der Statue als gut bezeiclmet werden. \'on 11nwesentlichcn Bestoß11ngen der Faltenstege und der Krone abgesehen. fehlt von der Substanz nur die vcrlornnc linke .Hand samt der metallcne11 ( ?) Kette, die sie gehalten haben muß. Diese wa,1· jenem kleinen Drachen um den Hals gelegt, der - großenteils vorn weiten Uewand der Heiligen bedeckt - nahe ihrem rechten Fuß am Boden kauert. Der ebenfalls ahgebrochcne, aber ori«inal erhaltene Kopf dieses nicht allz11 gefährlichen Tieres ist. wie ülterc Photos zeigen (Abb. 6), eine Zeitlang falsch angebracht gewesen. Er sah dnrnals geracleiws, während er jetzt wieder seine ursprüngliche Stellung einnimmt: Der Drache erhebt. bei starker .Linksdrehung des .Halses, den .Blick zu der über ihm l':ltehenden Jungfrau. \\·odurch er sich auch eiern .Rhythmus der Gesamtkomposition vorzüglich eingliedert. Die ~tat11e gehört dem engeren Umkrois _jener „Schönen Madonnen" an, derell hil':ltorischc Problematik seit einigen Jahren wieder lebhaft disknticrt wircP. Urnen entspricht sie im _Format (etwa halbe Lebensgröße). in ihren cha,rakter.istischcn Stilrnerkrnalen und nicht zuletzt in der Lieblichkeit des Ausdrucks und dC'r raffinierten A:nm11t der Bewegungsmotive. Rie vermehrt die kleine Gruppe \ 'Oll Heiligenfiguren. die \ 'Oll den ::\[adom1en-Werkstätten offenbar rn11· 110benbei und in geringer Za hI hcrgestel lt \\·urckn . um ein künstlerisch hochl>edeutendes und stilistisch recht aufschlußreiches Stiick:1 . DiC' J,unsthistmische Bedeutung der hL 2\'Iargarcta des i\lusec Grol>et-Labadi6 liegt nicht zuletzt darin. daß sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit itls salzlmrgisch bestimmen liißt . .Im .Rahmen der K.ont.rnverse. die neuerdings (narnc.11tlich v011 Croßmann und Kutal) um das Ursprungsgebiet der Sc hiin e 11 iVIado1111on gcfiihrt wird, ka.1111 sie vielleicht dazu beitragen, die spezifischen Stilqualität,011 der ~alzbmger Procluktio.11 schärfer z11 fassen und diese vo11 _jener Böhmens und seiner nördlichen Nachharlandschafte11 abz11grcnzen. Es ist das Yerdie.nst Großmanns, 11achge\\·iescn zu haben. daß seit dem Ende des U.. .Jahrhunderts aus den Salzburger ,,vcrkstiittcn zahlrniche Scl1ö1w :i\lladm111c11 hervorgingen, wobei die hier offenbar zu besonderer Vollendung gediehe11e 8teü1gußtcclrnik eine fast serienmäßige Prnlluktion gestattete. ' D i,· ,·i 11,,· h läl(igl0 II J-;q.!L'l>nissc• L. ,\. Spl'ill)!l'l's (Di,· baycr·isr-h-ii,tl'l'l'Cic·hisc·h,, StC'inl(td.lplast,ik c!Pr' \\',·11clt• cit's 14. Zlllll l:'i. Jahrhu ndrnt. l)iRs.. \-\1iil'zlJ1 11·g U)30) wu rd en n o11t•1·di11g:-, w iPdet' in Frago g<~:--tt• ll t,: \·gl. ·K . l{ossnnhor·. T t•<·hnik und :\lntt·rialicn dt•r· Stc•i11gul.lplastik 11111 1-111(1 (Alt<- 1111C! IIHHienw l<u11st, l!Jß4. llof't 7'2. S. l~ff.). \'iöglic,hpr•wnisC' kö1111t,011 !Vi11tg,·111111t,•1·s11eh11ngi•11. wit• :-: it• l!Hi:1 en-,t,1n,il:-- , ·ur gC' nu111111t •11 wurden. nul' di1.:-•sP1Tl U1•!iil't, r-ndli<·il l( lnrheit sl'hnfft•n. Vgl. a1wli hierz.11 J(. Ho:-;snchcr (i11: Alte• 1111cl rrrodcrm• K1111sL J!JfHi. 1-1,·l't S3, S. ii). :! l)j4• IH•stP Zu~n1n1111•11f'as:-:ung dt• r F o r :::;c h11n g:-: lu gC' gibt IJil'f·pr C:ror.\111111111 i111 J(atnlog dP1· A11:--:-:tl'lli111g .. ~f'hi)tll' :\lndon1u•11 l:{,ilJ- 1-1::ill" (Salzl>11l'g ltl(i:'i): hi,·r n1l<'h c,i11 V,•1'Z<'id1ni~ d,·r ii.lt<•n•11 Lit,·1·at111'. Dazu kritisr·h 1111d l'rgii11z,•11d: A. K11htl. n,•111<•1·- ku11gi•11 z11l' A11s~t<-ll1111g „Sehö11,· \lndo111w11„ i11 Sah1b11rg (Ll1111·•11i. X.I V. l!ltifi. :-:. 4:{:{IT.) . a :\'lf'i11<•s \r\'issons 1111d 11.ic·h frrn111dlicd10.1' Atu-;kunft, des Nlusc· u111 s ,vurdt' 1.111 :-;t• 1·0 :--;tatul' bisher wcclnr ahgnhildet, 110C'h i11 dAr Litt•- 1·c1 1"11r t'l'Wiihnt. - 1-1 C' i lig<.' 11 fig ur(• 11. d i<' 1nit cl c·11 ~c·hiincn :\1 nd o111H'll i11 un rnit h·I har•pn1 ~tilz11sa1111ncnhn11g st<·hC'n. Hincl l't' lH t i\· seit Pll. Zu ,·n\·iil11 u·n wän·n lt·d ig lich d i1· hl. E lisaht•t h i11 Brt•1ncn. clP1' Pt'tn1s aus ~li,·ic·c i11 df' r· Pl'ngl'r Xatio11algul<•riC'. die· hl. :\larthn d(•1· Öst f' l'J'l'ic· hi ~r·hP11 ( :n l,·rif' in \\ ~it> 11. di,· Anna ~<•lhd r·itt in ~ o,·;'1 iHSr und die· Jwi cl r 11 a uf Pinen gP111t•i11~n1110n Prot-<,t~·p zu1·lkkg"t'hc•1u!P11 Kuthari11t•11 i11 ~t. Jako!, zu fglau u1ul i,n PosrnPr i\ll1 sc•u1n (l1·tztt' r·c· f'rühPr in B!'f'::;)uu). Ahhildu11gt>11 1lif'ser \YPrk1• he i A. l,11tu l. Üe,;I«~ gotieke snc,hai•,;tvi .1:l5\l-14fitl (Prng l !lti:!). Tcxta.hh. XXVHa. i>, Tal'. J4:l, 144. l+:'i. 15ii, 175 . .Fü r d ,·11 Salzl111rgt·r Hurei<·h clurf auf cli1• 11i1·ht, ide11t;if-izi1..•rhare ·H:oiligr i111 l\ilu:•H'tllll C'nrolinn Aug11sf;1..•111n v<·rwil•:-;pn wcrcll'n. ciil' uns n1H"h lw,;c•hiirtiw•11 wil'd (Ahl,. +)- 1 D u11lrnmlpf-Jege l

1. Wien, Kunsthistorisches Museum; Kopf der Schönen Ma donna aus Krumau (Kunsthistorisches Museum, Wien) 2. Salzburg, Franziskanerkloster; Schöne Madonna (Resi denz-Verlag, Dapra, Salzburg) Rossacher trug, obwohl in manchen Punkten divergierender Meinung, durch seine Studien ebenfalls wesentlich zur Bekräftigung dieser Grundthese bei, die in ihrem Kern auch von Kutal anerkannt wird. Als gesichert kann ferner gelten, daß man in Salzburg mit allen ,,klassischen" Grundtypen der Schönen Madonnen (Thorn, Breslau, Pilsen, Krumau) vertraut war, sie paraphrasierte und teilweise auch kreuzte. Umstritten ist nach wie vor die Herkunft mancher Einzelstücke, vor allem aber die Frage, inwieweit Salzburg und allenfalls auch Wien an der Ausbildung der Grundtypen schöpferisch beteiligt wareid. Im Rahmen eines kurzen Beitrages kann zu diesen komplizierten Problemen natürlich nicht Stellung genommen werden. Wir begnügen uns daher mit einigen Hinweisen, die sich aus unserem viel beschei deneren Vorhaben ergeben, die künstlerische Heimat der hl. Margareta von Marseille wenigstens ver suchsweise zu eruieren. Wir sagten bereits, daß wir diese Figur für salzburgisch halten; nun wäre diese Vermutung (die sich schon bei der ersten Begegnung mit dem Original spontan einstellt) auf ihre Gültig keit zu überprüfen. Auffallend ist zunächst das weite Ausholen des Körperschwunges, der nicht nur den lebhaft bewegten Umriß der frontal gesehenen Figur bestimmt, sondern auch ihre Dreidimensionalität ungewöhnlich ^ Hierzu vergleiche man, außer Großmann (zit. Anm. 2), insbesondere K. Rossacher, Die Schöne Madonna von Mariapfarr im Lungau imd ihre Bedeutung für die Geschichte der Plastik um 1400 (Alte und moderne Kunst, 1964, Heft 72, S. 2ff.), rmd A. Kutal, Die Franziskaner-Madonna in Salzburg und ihre Stellung in der mitteleuroj^äisehen Plastik um 1400 (Sbornik k sedmdesatinam Jana Kveta, Acta Universitatis Carolinae, Phil, et Hist. 1, Prag 1965, S. 94ff.).

3. Marseille, Musee Grobet-Labadie; hl. Margareta (Foto Giraudon, Paris) stark zur Wirkung bringt. Die Spiralbewegung, die hier Rumpf, Schultern und Kopf erfaßt, ist denn auch keineswegs als bloßer Ausgleich zur schrägen Hüftlage zu verstehen, die sich - bei den Schönen Madonnen wie bei vielen anderen gotischen Rundfiguren - zwingend aus der ungleichen Belastung von Stand- und Spielbein ergibt. Hier handelt es sich vielmehr um ein Schreitmotiv von durchaus transitorischem Charakter, um eine echte Vorwärtsbewegung der Figur also, die nur dadurch zu momen tanem Stillstand gekommen zu sein scheint, daß der kleine Drache sich störrisch niedergelegt hat, anstatt weiterhin vor der Heiligen herzulaufen. So hält sie in ihrem Gehen inne und rafft den Mantel, um besser sehen zu können, was es mit dem Tier zu ihren Füßen auf sich hat: Das ist der anekdotische Einfall, der dieser geistvoll-komplizierten Komposition zugrunde liegt und der auch jenes auffällige

4. Salzburg, Museum Carolino Augusteum; Weibliche Heilige (Museum Carolino Au gusteum, Salzburg) 5. Cleveland, Ohio, Museum; Schöne Madonna aus Mariapfarr; (Cleveland Museum of Art, J. H. Wade Fund) 6. Marseille, Musee Grobet-Labadie; hl. Margareta, älterer Zustand (Musee Grobet-Labadie, Marseille) Streben nach einer Blickverbindung zwischen Margareta und ihrem Attribut rechtfertigt, das bei korrekter Anbringung des Drachenkopfes so unverkennbar ist und zunächst ein wenig überrascht (Abb. 3). Eine solche raumgreifende, dem Schreiten nahekommende Bewegung ist nun bei Schönen Madonnen höchst selten. Andeutungsweise gewahren wir sie bei der Madonna aus Altenmarkt, hier motiviert durch das Gewicht des ungewöhnlich großen und überdies extrem weit ausgelagerten Bandes®. Viel radikaler noch ist das Schreitmotiv an der sicher salzburgischen Madonna von Mariapfarr ausgeprägt (Abb. 5); gerade in den Seitenansichten vdrd hier eine kraftvoll aus der Tiefe nach vorne führende Bewegung spürbar, die — wie bei unserer Margareta - durch ein entschiedenes Vorsetzen des rechten Beines hervor gerufen wird. Die Holzmadonna der Sammlung Pasetti, Wien, zeigt eine spätere, seitenverkehrte Abwandlmig der gleichen Grundidee®. Wir zögern zwar, uns Rossachers Meinung anzuschließen, der in der Madonna von Mariapfarr ein frühes Werk des Thorner Meisters erkennen möchte', halten sie aber für eine charakteristische und entwicklungsgeschichtlich sehr wichtige Vertreterin einer bestimmten Salzburger Richtung, die sich nicht mit der Wiederholung schon vorge]3rägter Typen begnügte, sondern diese schöpferisch abwandelte. Die Mariapfarrer Madonna mag von der Thorner angeregt gewesen sein, doch ist bei ihr die dort nur von Schultern und Armen vollführte Bewegung in eine sehr andersartige Aktion des ganzen Körpers übertragen. Hierin und in den mehr zentrifugal schwingenden als weich fallenden Faltenkurven ihres Mantels dürften - wie schon Rossacher vermutete - gewisse italienische Erfahrungen ihres Autors zur Geltung kommen®. ® Kutal (zit. Anm. 3), Taf. 138; vgl. auch die Schrägansicht im Salzburger Ausstellungskatalog, Abb. 9. Für unsere Frage ist es irrelevant, ob die Altenmarkter Madonna ein böhmisches oder ein salzburgisches Werk ist. Wir halten (mit Kutal) ersteres für wahrscheinlicher, doch dürfte sich diese Statue schon 1393 an ihrem heutigen Ort befunden und daher erheblich in die Ent wicklung der Salzburger Plastik eingegriffen haben. ® Salzburger Katalog, Nr. 38, Abb. 28. Diese Figur ist kaum salzburgischer, dot^h sicher alpenländischer Herkunft. Kossacher (zit. Anm. 4), S. 9f. ® Gerade das aus dem Schreiten entwickelte Standmotiv der erwähnten Salzburger Beispiele hat zweifellos trecenteske Wurzeln. Diesbezüglich ist etwa ein Vergleich aufschlußreich, wie er sich zwischen der Statue der Sammlung Pasetti und der Marmor-

Während die Salzburger Abwandlungen der Typen Pilsen und Krumau® den beiden namengebenden Statuen böhmischer Provenienz gerade dadurch unterlegen scheinen, daß sie die Drapierungsmotive schematisieren und die raffinierte Grazie der Bewegungen nicht nachzuvollziehen vermögen, besticht die hiesige Nachfolge der Madonnen von Thorn und Breslau durch Eigenwilligkeit und liongenialität. Diese beiden besonders massigen, ihre absolute Tiefe auch künstlerisch betonenden Figurentypen mögen dem lokalen Salzburger ,,Kunstwollen" unmittelbarer entsprochen und daher auf die hiesigen Bild hauer anregender gewirkt haben als andere. Von ,,Repliken" im engeren Sinn kann da nur selten die Rede sein; meist handelt es sich um Paraphrasen einer Grundidee, deren künstlerische Möglich keiten sehr selbständig erprobt werden. Als beispielhaft für diese Tendenz darf die Schöne Madonna aus Feichten bei Altötting gelten, die ihr Breslauer Vorbild besonders energisch dynamisiert; zugleich übersetzt sie dessen Faltenmotive in das voluminöse Salzburger Stilidiom und steigert gewaltig ihre raumschaffende Wirkung^®. Aus einem ganz ähnlichen Geist muß jene halblebensgroße Sandsteinfigur einer weiblichen Heiligen im Salzburger Museum geschaffen worden sein, die, mangels Attribut, nicht mehr identifiziert werden kann (Abb. 4). Auch sie sollte ihrer sehr charakteristischen Stilmerkmale wegen in die Diskussion um die Salzburger Schönen Madonnen einbezogen werden^. Die Üppigkeit ihrer Formensprache verweist auf Feichten, in zweiter Linie wohl auch auf Mariapfarr und Thorn; das Bewegungsmotiv aber wurzelt in der stilistisch so andersartigen Tradition Pilsen—Krumau. Der Fall unserer hl. Margareta liegt nun genau umgekehrt: Ihr Typus verbindet sie mit der Salzburger Nachfolge der Thorner Madonna, während formale Kriterien eher in die Richtung der Krumauerin weisen. Ihr hochovales, fast dem Rechteck angenähertes Antlitz mit den wie erstaunt hochgezogenen Brauenbögen ist - bei allem Abstand in der Qualität - dem der Krumauer Madonna auffallend ver wandt (Abb. 1). Das gleiche gilt für ihr Haar, das an der geneigten Seite des Kopfes locker herabfällt und sich dabei weit von Wange und Hals emanzipiert. Selbst die Salzburger ,,Repliken" des Krumauer Typus aus Hallstatt und Bad Aussee stehen diesbezüglich dem Prototyp ferner; Ihre rundlicheren und viel ausdrucksärmeren Gesichter werden von schematisch gerillten Locken gerahmt, die den Sinn des Krumauer Meisters für Stofflichkeit und Elastizität des Haares durchaus vermissen lassen. Unsere Margareta hingegen betont eben diese Qualitäten und weist insofern auf die anonyme Heilige des Salzburger Museums voraus, deren Lockenfülle die Haartracht der Krumauerin ebenso barockisiert, wie ihr Faltenstil einzelne Drapierungsmotive der Thornerin übersteigert. Von solchen Details ausgehend, wird man unsere Statue also am ehesten im Salzburger Milieu beheimaten dürfen, wo vergleichbare Kombinationen heterogener Motive durchaus üblich gewesen zu sein scheinen. Einige ihrer besonders kennzeichnenden Züge, wie das dynamische Schreitmotiv oder die ,,naturali stische" Lockerung des Haares, haben hier entweder Vorstufen oder klingen in anderen Figuren nach. Schwieriger ist es, diesen Befund stilistisch zu bekräftigen, wenn man den Begriff ,,Stil" in seinem engsten Sinn faßt und damit die Formgewohnheiten einer Werkstatt oder die persönliche Handschrift eines Bildhauers meint. Diesbezüglich besteht gerade zwischen unserer Margareta und Salzburger Statuen in der Art der Madonna von Maria-Pfarr oder der Heiligen des Museums keinerlei Verwandt schaft; auch Feichten, Großgmain und die Schwesternpaare Hallstatt-Bad Aussee bzw. Louvre—Liebighaus scheiden aus. Dagegen scheint die Heilige in Marseille stilistisch mit einer Figur verwandt, die wir bisher noch nicht in den Kreis der Vergleichsbeispiele einbezogen haben: mit der Schönen Madonna des Salzburger Fran ziskanerklosters (Abb. 2). Auch deren Kopf leitet sich von der Krumauerin her und ist - wie bei unserer Heiligen — im Gegensinn geneigt. Der Gesichtsschnitt beider Statuen weist einige markante Übereinmadonna des Nino Pisano in der Orvietaner Domopera anstellen läßt (P. Toesca, II Trecento [Turin 1951], Fig. 287); ganz all gemein sollte die Bedeutung Nino Pisanos und seiner Nachfolge für die Ausbildung von Figuren- und Faltenmotiven der inter nationalen Gotik südlieh wie nördlich der Alpen, nicht unterschätzt werden. ^ Auf den Typus Pilsen gehen die Madonnen in Großgmain, im Liebighaus und im Louvre zurück, auf den Krumauer Typus die Madonnen aus Haltstatt {jetzt Prag) und in Bad Aussee {vgl. Salzburger Katalog, Abb. 11—13, 25, 26). Kutal {zit. Anm. 2), Abb. 17, 18. Beschriebtm und abgebildet in Österr. Kunsttopogr., Bd. XVI, Die Kunstsammlungen der Stadt Salzburg (1919). S. 244; auch K. Garger (Kunst u. Kunsthandwerk, XXIV, 1921, S. 117ff.) hat zwei Ansichten dieser Figur reproduziert. Im Zusammen hang mit unserem Problem wurde sie m. W. nur von Kutal (zit. Anm. 4, S. 100) kui'z gestreift.

Stimmungen auf, die nicht ohne weiteres auf das gemeinsame Vorbild zurückgeführt werden können: so die flach mandelförmigen Augen und der sehr kleine Mund, die ungewöhnlich hohe Stirn, die kreis förmige Rundung, die Kinn und Wangen weich zusammenfaßt, und schließlich auch der ein wenig zu kräftig geratene, ungegliedert zylindrische Hals. (Manche dieser Eigenheiten flnden sich einzeln auch an anderen Salzbm'ger Madonnen wieder, doch nie in dieser spezifischen Kombination.) Noch auffälliger ist die Bildung der Hände, die hier wie dort unproportioniert klein, sehr dünngliedrig und zu wenig artikuliert erscheinen. Der Ealtenstil läßt ebenfalls Vergleiche zu: Der Duktus der Saumschlingen, das Volumen der Ealtenwülste, der Geschmeidigkeitsgrad des Stoffes, die Art, wie das Gewand auf der Bodenplatte üppig aufruht, auseinanderfließt und weich in die Gegenrichtung umschlägt — das alles spricht für einen konkreten, werkstättenmäßigen Zusammenhang (Abb. 2 und 3). Zu beachten ist freilich, daß die Franziskaner-Madonna mit ihren 108 cm Höhe nicht nur absolut größer, sondern auch in der Faktur ein wenig derber ist. Das gilt für die Technik der Gewand- und Haarbehandlung ebenso wie für die Gesamtkonzeption, in der sie - auch wenn man sich die verstümmelte Faltenkaskade ihres linken Armes verlängert denkt — hinter der ausgereiften Lösung der viel subtiler komponierten Margareta nicht unbeträchtlich zurücksteht. Dennoch möchten wir vermuten, daß beide Figuren aus dem gleichen Milieu — konkret: aus einer etwa im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts tätigen Salzburger Werkstatt — hervorgegangen sind^^. Volle Gewißheit wird man diesbezüglich erst dann gewinnen können, wenn die Materialuntersuchungen zu bündigen Ergebnissen führen oder ein glücklicher Zufall die Konfrontierung der beiden Originale erlauben sollte. (So wäre etwa noch die Rückseite unserer Figur, die in ihrer gegenwärtigen Aufstellung nicht sichtbar ist, mit jener der Franziskaner-Madonna zu vergleichen.) Bis dahin mag die hl. Margareta des Musee Grobet-Labadie wenigstens an dem figurenreichen Rätselspiel um Herkunft und Filiation der Schönen Madoimen nach Gebühr teilhaben; zugleich wird auch die Frage zu stellen sein, ob ihr geistvolles Bewegungsmotiv (samt dem extravaganten, durch das kokette Anheben des Mantels bestimm ten Faltenschema) in Salzburg selbst entwickelt wurde oder oh es in seinen Grundzügen auf einen fremden — etwa einen böhmischen — Prototyp zurückgeht. In jedem Falle wird man die eigentliche Invention dieser außerordentlichen Figur nur einem der wenigen ganz großen und schöpferischen Meister aus dem Kunstkreis der Schönen Madonnen zutrauen dürfen. Kutal (zit. Anm. 4) gibt eine meisterhafte und ungemein feinfühlige Analyse der Franziskaner-Madonna; zugleich zieht er - mit m. E. noch nicht restlos überzeugenden Argumenten - ihren salzburgischen Ursprung in Zweifel. Josef Zykan ZUR BAUPLASTIK VON ST. STEPHAN* Gewiß wäre eine erschöpfende Untersuchung der Plastiken von St. Stephan eine vordringliche Aufgabe; hier aber soll zunächst nur einzelnes, was bisher kaum bekannt war, ohne eingehende wissenschaftliche Bearbeitung aufgezeigt werden. I. Funde im Geund- und Füllmauerwerk Die Beobachtungen, welche während der Restaurierungsarbeiten an der Stephanskirche in Wien gemacht wurden, gehen mancherlei Aufschlüsse über bautechnische Gepflogenheiten, die bisher nicht immer genügend bedacht wurden. Über der Leistung des Lapicida wurde vielfach vergessen, daß auch heim gotischen Kirchenbau der Maurer eine wichtige Funktion hatte. Die alte Unterscheidung zwischen ,,murator" und ,,cementarius" ist insoferne durchbrochen, als der mittelalterliche Lapicida nicht gut murator genannt werden konnte, das Wort cementarius aber nicht immer verständlich und geläuflg war. Trotzdem wird zum Beispiel Pierre de Montreuil ,,cementarius" der Abtei von Saint-Denis ge- * wertvolle Mitteilungen möchte ich vor allem dem üombaumeister von St. Stephan, Dipl.-Ing. Kurt Stögerer, und dem Hauptpolier der Dombauhütte, Herrn akad. Bildhauer Franz Oelzant, aufrichtigen Hank aussprechen.

nannt, obwohl er gewiß Hüttenmeister war^. Maurer werden bei St. Stephan oft erwähnt, spielen jedoch gegenüber dem Meister eine untergeordnete Rolle. Sie hatten den Grund zu legen (Fundierungsarbeiten) und hatten vor allem für das Füllmauerwerk zu sorgen, welches in den meisten struktiven Teilen vor handen ist. Die Aushubarbeiten für die Heizung der Stephanskirche haben am Nordturm genauen Aufschluß über die Art des Fundamentes gegeben^. Es handelt sich um ein wannenförmiges, ,,schwimmendes" Funda ment von geringer Tiefe, das an den Ecken, die den Strebepfeilern entsprechen, verstärkt ist (Abb. 7). Die Feststellung eines solchen Fundamentes beim nachträglich aufgeführten Nord türm berechtigt zur Annahme, daß hierbei die Erfahrungen am Südturm weitergewirkt haben und mithin dort eine ähnliche Fimdamentierimg vorliegt. Damit wäre die technische Frage geklärt, auf welche Weise man an den romanischen Bau einen so schweren Turm anbauen konnte, ohne unter die Fundamente der Süd wand des romanischen Querschiffes zu gehen. Es wären damit aber auch alle Angaben hinfällig, die von einem besonders tiefen Fundament des Südturmes sprechen. Für die Grundfesten wurden, wie wir wissen, Grundsteine, billiges Material, meist Wiener Sandstein aus Hetzendorf und Hietzing, verwendet®. Dies war schon aus wirtschaftlichen Gründen notwendig, weil die Transportmittel teuer waren. Neben den ,,Grundsteinen" kennen die Rechnungen auch den Ausdruck ,,Füllstein", Begriffe, die oftmals synonym verwendet wurden. Übrigens wird ja auch die Fundamentgrube mit Füllmauerwerk gefüllt. Struktive Teile, wie die Säulen des Chores, sind aus Ziegeln gemauert und vom Lapicida mit Quadern und Profilen umkleidet. Es handelt sich wahrscheinlich um gleichzeitige Arbeitsvorgänge, so daß gewissermaßen von einem Mauerwerk ,,a cassa" gesprochen werden kann. In welcher Art die schweren Konstruktionen der Türme mit Mauerwerk gefüllt sind, konnte sowohl am Südturm wie am Nordturm bei den Restaurierungsarbeiten eingesehen werden. Es ist nun festzustellen, daß mit dem Beginn des Abbruches der romanischen Kirche keine neuen ,,Füllsteme" mehr gebraucht wurden, sondern das Material der romanischen Kirche nach und nach verbaut wurde. Als die obersten Mauerteile des Nordturmes 1956 wegen der Erneuerung des Saphoyschen Aufbaues aufgebrochen wurden, konnte man das Füllmaterial sehr genau sehen. Es handelt sich um Steine und einzelne Ziegelbrocken, die durch einen sehr festen, zementartigen Mörtel gebunden sind. Die Wiederverwendung von Material war nicht nur sehr wirtschaftlich - nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges hat die Bauwirtschaft mit der Herstellung von Splittbetonstein einen ähnlichen Vorgang eingehalten -, sondern die Abfuhr so großer Schuttmassen wäre im Mittelalter wohl auch schwer möglich gewesen; auch das ständige Anwachsen des Niveaus weist ja auf die Schwierigkeit hin, Bauschutt nach Katastrophen wegzuräumen^. Es war aber auch eine ideelle Argumentation maßgebend: Das Material des konsekrierten Baues sollte keine profane Verwendung finden. Durch die Wiederbenützung im neuen Kirchenbau war es aber durch aus vertretbar, auch figurale Darstellungen mit sakralem Inhalt als Füllmauerwerk zu verarbeiten. Die Verwendung des Materials von alten Kirchen für Kirchenneubauten ist noch im 18. Jahrhundert nachweisbar. Als typisches Beispiel hiefür, ebenfalls durch die Kriegsereignisse bekannt geworden, kann die barocke Apsis der Kirche in Gerersdorf angesehen werden, welche, nach dem Umbau der St. Pöltener Stiftskirche, aus deren Abbruchmaterial ausgeführt worden ist (Abb. 10)®. Es fanden sich dort die frühgotischen Rippen aus der Stiftskirche und der Schlußstein mit der Darstellung des Hauptes Christi, welcher sich heute im Diözesanmuseum in St. Pölten befindet, eingemauert (Abb. 11). Die großartige plastische Wirkung des Hauptes wird nun durch die freigelegte Polychromierung gesteigert. ^ M. Aubert, Pierre de Montreuil, in: Festschrift K. M. Swoboda, Wien 1959, S. 21. ^ M. Zykan, Der Hochturm von St. Stephan, Dissertation, Wien 1967, S. 66. ® K. Uhlirz, Rechnungen des Kirchenmeisteramtes von St. Stephan, Wien 1902, S. 247 und 291. ■' K. Oettinger, Die Grabimgen von St. Stephan 1945-1948, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, LVII, Graz 1949, S. 345 luid passim. ^ Mitteilungsblatt des Kulturamtes der Stadt St. Pölten, 1953, Folge 15. - K. B. Frank, Bedeutsamer Fund romanischer Schluß steine aus der Domkirche in St. Pölten, in: Christliche Kunstblätter, 91. Jg., Linz 1953, S. 87ff.

Selbstverständlich wurden manchmal plastische Teile, wie Schlußsteine und Konsolen, auch an den Außenseiten neuer Kirchen sichtbar eingemauert. Wenn un.sichtbar, könnte dies auch aus rein prak tischen Gründen geschehen sein, so etwa bei den plastischen Teilen des spätromanischen Portales des Karners von Hadersdorf, die einfach bei der Exeki'ierung des Bauwerkes zur Vermauerung des Portales mitverwendet wurden®. Durch den Umstand, daß die zerschlagenen Teile in der Vermauerung gefunden wurden, war die vor einigen Jahren vorgenommene Rekonstruktion möglich geworden. Bei dem verhältnismäßig schmalen Schacht, welcher für den Einbau der Heizanlage in das Fundament des Nordturmes von St. Stephan geschlagen wurde, fand man nun eine spätromanische Säulenbasis mit einem Grundriß von 55 x 63 cm, 48 cm hoch, und das Fragment einer spätromanischen Tierfigur, 52 X 28 X 37 cm (Abb. 8, 9). Bei der Säulenbasis mit den Eckwülsten handelt es sich sicher um den Unterbau einer vor der Wand stehenden vollen Säule, welche eine Trennungsgurte zwischen den Raumkompartimenten eines Seitenschiffes trug. Das Werkstück griff nur 8 cm in das Mauerwerk ein. Es besteht die Möglichkeit, daß die letzten Teile des romanischen Nordschiffes erst abgerissen wurden, als um 1450 mit dem Aushub für den Nordturm begonnen wurde. Das Stück mag aber auch länger mit anderen für diesen Zweck aufgestapelt gewesen sein. Die verhältnismäßig kleine romanische Tierfigur (Löwe?) könnte von der Nordseite des Querschiffes stammen, wo sich das Portal für die Propstei be funden haben muß. Der starke Verwitterungszustand und die beträchtliche Beschädigung der plasti schen Details lassen leider keine genaue Datierung zu, doch werden wir mit der Annahme nicht weit fehlgehen, daß die Plastik relativ spät im 13. Jahrhundert entstanden ist. Die Einmauerung romanischer Portallöwen in späterer Zeit ist uns auch von der Schottenkirche bekannt. Einer der dort gefundenen Löwen steht heute im Germanischen Museum in Nürnberg, der andere steckt noch im Mauerwerk hinter dem Denkmal Heinrich Jasomirgotts. Der gleichen Epoche mag der stark fragmentierte Schlußstein angehören, welcher in der Hochmauer des Chores eingemauert war (Abb. 12). Dieser Schlußstein kann jedoch nicht aus dem romanischen Lang haus stammen, sondern müßte ein Rest des romanischen Chores sein, da ja bei der Erbauung des gotischen Chores das Langhaus noch stand. Das Fragment läßt lediglich erkennen, daß es sich um einen Schlußstein mit Stengel- und Blattornament handelt, ähnlich den Kapitellen, wie sie sich in der Vorhalle der Gozzoburg in Krems befinden (Abb. 13). Schließlich birgt das Lapidarium der Stephanskirche noch einen Schlußstein, der ebenfalls aus einer Vermauerung stammen muß und über dessen Herkunft keine Angaben gemacht werden können (Abb. 14). Daß Spolien schon im romanischen Vorläuferbau Verwendung fanden, erweisen die Grabungsbefunde aus den Jahren 1945-1948. Die schönste damals im Chor gefundene Spolie ist ein romanischer Grabstein des Kreuztypus aus dem 13. Jahrhundert, der sich heute ebenfalls im Lapidarium befindeU. Erwähnung verdienen auch jene frühgotischen Marmorgrabsteine, die in sekundärer Verwendung gefunden wurden, wie jene an der Nordseite des Langhauses, welche beim Bau der neuen Dombauhütte aufgedeckt wurden, oder jene, welche den Gang von der ehemaligen Wendeltreppe des Nordturmes (heute Lift) zum Dach raum abdecken, und einige Fragmente, die in den späteren Teilen des Stiftergrabes verbaut sind. Gut behauene Quadern haben verständlicherweise am Außenbau eine sekundäre Verwendung gefunden, wie dies etwa beim Vorbau des Riesentores zu sehen ist®. Vor kurzem konnte Frau Dr. Doberer feststellen, daß in den obersten Steinscharen des südlichen Heidenturmes im Inneren einzelne profilierte Steine verwendet wurden, die jedenfalls auch vom ab gebrochenen romanischen Bau stammen müssen. Schließlich ist noch ein Fund zu erwähnen, der bei der Freilegung der romanischen Radfenster auf der Westempore der Stephanskirche gemacht wurde®. In der Vermauerung des durch die BartholomäusKapelle nicht mehr lichtführenden Rundfensters im südlichen Heidenturm fand sich em lebensgroßer Kopf aus Sandstein, roh gearbeitet und stark beschädigt, welcher unmittelbar über der Fundstelle ® F. Eppel, DavS WaUlviertcl, seine Kunstwerke, historischen Lebens- und Siedlungsfornien, Salzburg 1960, 8. 122. ' SieheAnm. 4. ® E. Doberer, Der plastische Schmuck am Vorbau des Riesentores, in: Festschrift Karl Oettinger, Erlangen 1967. ^ J. Zykan, Die Restaurierung von Plastiken und Gemälden, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, 1952, h. 32f.

S '.».u ^ ■ ' ■ ' ef'' - V.'" *^. ' ■•4 t??,« -»■"•« » 7. Wien, St. Stephan; Nordturmfundament, ca. 3,50 m tief {BDA, Archiv) I#. J # h-M'j 8, 9. Wien, St. Stephan; Fragment einer spätroma nischen Tierfigur und spätromanische Säulenbasis, die in den Fundamenten des Nordturmes gefunden wurden {BDA, V. Knuff) auf eine kleine Steinkonsole gestellt wurde. Es handelt sich dabei wohl um ein Ausstattungsstück der romanischen Empore. Der Zeitpunkt seiner Vermauerung ist ungewiß, da keine Anhalts|)unkte dafür gegeben sind, ob diese Arbeit schon bei der Herstellung der Bartholomäus-Kapelle oder erst 10, II. Unten: Schematische Skizze von den im barocken Chor der Pfarrkirche Gerersdorf, NÖ., eingemauerten spät romanischen Werkstücken und Skulpturenfragrnenten aus dem Dom von St. Pölten. Rechts: Der jetzt im Diözesanmuseum in St. Pölten befindliche Schlußstein mit der Darstellung des Hauptes Christi (Foto Eder, St. Pölten). 2 Denkmalpflege

F f>sS' V - 'i t Ä'l/ 1 Ä«?,..--i-,'"'esiaJ 1 18, 19, 20. Wien, St. Stephan; links und Mitte: Schluf3stcin mit der Darstellung der Jungfrau mit dem Einhorn aus dem Nordchor vor und nach der Beschädigung im Jahre 1945; rechts: Schlußstein mit dem Symbol des Evangelisten Matthäus aus dem Südchor (BDA, Archiv und V. Knuff)

ft \ \ * l ' '' 21, 22. Wien, St. Stephan; die Abbildung links zeigt die in der Dombauhütte angefertigten Kopien und Bossen von Schluß steinen für den Süd- und Mittelchor, die Abbildung rechts die Montage der neuen Stücke beim Wiederaufbau der Gewölbe {Foto B. Beiffenstein, Wien) beim Abbruch der romanischen Westempore erfolgte. Über den Verwendungszweck können nur Ver mutungen angestellt werden. Diese wenigen Funde lassen ahnen, was alles noch im Mauerwerk der Stephanskirche verborgen sein mag. 2. ScHLXJSSTEINB Die oben behandelten plastischen Teile waren bisher nicht sichtbar gewesen, konnten also auch nicht beschrieben werden. Erstaunlich aber ist es, daß wichtige Bauplastiken von St. Stephan, die jederzeit wahrnehmbar waren, bis heute keine Erwähnung in der Literatur gefunden haben. Es handelt sich um die Schlußsteine des Chores, die weder bei Hans Tietze in Band XXIII der Österreichischen Kunst topographie, 1931, genannt sind noch anderswo aufscheinen. Wahrscheinlich war es Tietze unmöglich, sich Photographien dieser Schlußsteine zu beschaffen, auch dürfte die Dunkelheit des Chores die Betrachtung zu sehr erschwert haben. Wohl sind vor der Katastrophe im Jahre 1945 einige Aufnahmen gemacht worden; sie genügten jedoch nicht, um nach Kriegsende die Ikonographie aller Schlußsteine vollständig zu klären. Im allgemeinen zeigen die Schlußsteine die Stilstufe der Plastiken des Frauenchores, wobei anzunehmen ist, daß die Fertigstellung in der Reihenfolge Frauenchor, Hauptchor, Zwölfbotenchor erfolgte. Im Haupt des Frauenchores ist das Antlitz Clrristi (Abb. 15), im Chor selbst sind Physiologus-Szenen: die Jungfrau mit dem Einhorn (Abb. 18, 19), der Vogel Phönix und der Pelikan mit den Jungen (Abb. 27)1" dargestellt. Sie beziehen sich auf die Menschwerdung Christi, die Auferstehung und die Einsetzung der Eucharistie. Im Chorschluß des Hauptchores ist über dem Altar das Lamm Gottes mit dem Kreuz dargestellt. Über dem großen anschließenden Joch findet sich eine weitere symbolische Darstellung aus dem Physiologus: der Löwe, der seine Jungen anbrüllt und zum Leben erweckt^^ (Abb. 24), eine Anspielung auf die Auferstehung Christi, auf die sich auch die Darstellung im Schlußstein des nächsten Joches, Jonas, der dem Walfisch entsteigt (Abb. 23), bezieht. Welche Gegenstände die zwei weiteren J. Hermann, Beschreibendes Verzeichnis der illustrierten Handschriften in Österreich, VIII, II. Teil, Die deutschen romani schen Handschriften, Leipzig 1926, S. 352ff. Die leoninischen Verse des ,,Renner Musterbuches" lauten zum Einhorn: ,,Virgineis digitis capienda fit hic fera mitis Qui mundum salvuni feeit intrat virginis alvum", Leoninische Verse des ,,Reuner Musterbuches" zum Löwen: ,,Emittit flatum quo vivificat deo natum luce quidem terna surgit virtute paterna", zum Phönix: ,,Phenix sponte perit repit volitando recedit Christus morte cadit surgit super ethera vadit". Zum Pelikan enthält das ,,Reuner Musterbuch" keinen Vers.

, y.,.. V ; \ \ VM 23, 24, 25. Links und Mitte: Wien, St. Stephan; Schlußsteine mit den Darstellungen des Jonas, der dem Walfisch entsteigt, im Lapidarium, und des Löwen, der seine Jungen zum Leben erweckt, im Hauptchor; rechts: Wien, Georgskapelle; Schluß stein mit der Darstellung des Löwen, der seine Jungen zum Leben erweckt (IBDA, V. Knuff, Foto B. Reiffenstein, Wien) I 26, 27, 28. Links: Wien, Maria am Gestade; Schlußstein mit der Darstellung eines Engels als Symbol des Evangelisten Matthäus; Mitte und rechts: Schlußsteine mit der Darstellung des Pelikans mit seinen Jungen aus dem Nordchor von St. Stephan und der Georgskapelle (BDA, V. Knuff, Foto B. Reiffenstein, Wien) 28a—c. Aggsbach-Dorf, Pfarrkirche; Schlußsteine mit den Darstellungen eines Einhorns, des Pelikans mit seinen Jungen und des Löwen, der seine Jungen zum Leben erweckt (BDA, V. Knuff)

ii), 30, 31. Schlußsteine mit der Darstelking des Löwen als Symbol des Evangelisten Markus; links: aus dem Südehor von St. Stephan, heute durch Kopie ersetzt; Mitte; aus dem Langhaus der Augustinerkjrche; rechts: aus der Georgskapello (BDA, W. Wellek, V. Knuff) ■. ijv • SV4V-.- 32, 33, 34. Schlußsteine mit der Darstellung dos Stieres als Symbol des Evangelisten Lukas; links: aus dem Südehor von St. Stephan, das Original heute im Lapidarium; Mitte: aus der Kirche Maria am Gestade; rechts: aus der Georgskapelle (BDA, Archiv, V. Knuff) Schlußsteine im Hauptchor zeigten, konnte nach der Katastrophe nicht mehr festgestellt werden, so daß hier bei der Rekonstruktion zwei andere passende Symbole verwendet werden mußten (Samson mit den Toren von Gaza und das Symbol der zu einer Einheit verbundenen drei Hasen, eine Dar stellung, die schon von Villard de Honnecourt für die Trinität verwendet wird). Im Zwölfbotenchor waren in den Schlußsteinen die Symbole der vier Evangelisten dargestellt, womit in diesem Chor neben den zwölf Aposteln auch die vier Evangelisten besonders vertreten sind (Abb. 20, 29, 32). Die durch den Brand des Chores und durch den Einsturz des Zwölfboten- und des Hauptchores schwer beschädigten vier Evangelistendarstellnngen mußten erneuert werden, ebenso die Darstellung des Propheten Jonas im Hanptchor. Der Brand im Frauenchor wiederum hatte die Darstellung der ,,Jung frau mit dem Einhorn" sowie des ,,Vogel Phönix" so stark beschädigt, daß eine Erneuerung notwendig erschien (vgl. Abb. 18, 19). Vor allem wurde bei der Wiederherstellung des Chores befürchtet, daß die originalen, vom Brand ausgeglühten Schlußsteine nun der statischen Belastung nicht mehr gewachsen wären. Vielleicht würde man heute eine Festigung einzelner Steine versuchen bzw. man hätte trachten können, die originalen plastischen Teile an gesundes neues Steinmaterial zn applizieren. Die getroffene Lösung bietet freilich den Vorteil, daß die mehr oder minder erhaltenen Fragmente der Schlußsteine im Lapidarium in der Krypta des Domes gut betrachtet werden können.

Von den Darstellungen aus dem Frauenchor weist die Einhorndarstellimg durch eine Absplitterujig an der rechten Seite und durch Sprünge relativ geringe Beschädigungen auf. Von der Darstellung des Vogels Phönix sind nur Fragmente, wie Kopf und Flügel, erhalten gehliehen. Dem Propheten Jonas im Mittelchor fehlt der Kopf. Relativ gut erhalten ist die Darstellung des Symbols des Evangelisten Matthäus, ein kniender Engel mit Spruchhand. Das Lukas-Symhol weist am Kopf des Stieres heträchtliche Beschädigungen auf. Beim Adler des Johannes ist am Original eine Ergänzung am Kopf vorge nommen worden. Der Markus-Löwe ging vollkommen verloren. Bei der Rekonstruktion der Evangelisten-Symhole bediente sich der beauftragte Restaurator, Prof. Franz Barwig, aller noch vorhandenen Fragmente der originalen Schlußsteme und modellierte die fehlenden Teile nach den teilweise vorhandenen Photographien in Gips, um danach die 'ICopie zu punk tieren. Abb. 21 zeigt in der rückwärtigen Reihe vier originale und zur Kopierung zurechtgemachte Schlußsteine des Chores, davon drei aus dem Zwölfbotenchor und einen (Jonas) aus dem Mittelchor. Davor befinden sich die angefertigten Kopien und im Vordergrrmd schließlich Bossen, die für die Dar stellung des Markus-Löwen im Zwölfbotenchor sowie für neu angefertigte Darstellungen des Mittel chores bestimmt waren. Abb. 22 zeigt, wie die Montage dieser neuen Stücke erfolgte. Die Darstellungen für die Schlußsteine des Frauenchores (Phönix und Einhorn) wurden in Flachrelief hergestellt und an den Körper der noch vorhandenen Schlußsteine appliziert, nachdem die beschädigten Originaldar stellungen abgesägt worden waren. Dies dürfte beim Schlußstein mit der Darstellung des Phönix miß glückt sein, weswegen von diesem Original nur Fragmente vorhanden sind. Der Vollendung des Baues um 1340 entsprechend, kann angenommen werden, daß die Schlußsteine im 4. Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts entstanden sind. Das Haupt Christi hat eine nahezu völlige Ent sprechung im Schlußstein des Chorhauptes der Katharinenkapelle der Michaeierkirche, wobei dessen weichere Formen auf einen geringen zeitlichen Abstand von der Darstellung des Schlußsteines im Frauenchor schließen lassen (Abb. 16). Dieselbe Breite des Vortrages wie im Christushaupt in St. Stephan ist in der Darstellung der Jungfrau mit dem Einhorn festzustellen, während die Darstellungen des Phönix und des Pelikans von kraftvoller Monumentalität sind. Die nächsten Verwandten der Schlußsteine im Chor von St. Stephan finden sich in der zweischiffigen Kapelle des Georgsritterordens neben der Augustinerkirche, die ungefähr gleichzeitig mit dem Chor von St. Stephan vollendet und 1341 geweiht wurde^^. Hier finden sich zwei Physiologus-Darstellungen, nämlich die des Löwen mit den Jungen und des Pelikans (Abb. 25, 28), die große ikonographische Ähnlichkeit mit denen der Schluß.steine in St. Stephan haben, wie auch die Evangelistensymbole (Abb. 31, 34) und das Lamm Gottes auf einen unmittelbaren Zusammenhang mit St. Stephan schließen lassen. Lediglich die Darstellung Christi als Lehrer, der in der Linken das erhobene Buch hält (Abb. 17), weicht in ihrer körperlichen Erscheinung stark von der Darstellung in St. Stephan ab und ist auch in ihrem Stil moderner. Die Schlußsteine im Langhaus der Augustinerkirche vertreten eine spätere Stufe und sind hinsichtlich der Evangelistensymbole wohl von den Schlußsteinen des Chores von St. Stephan und auch schon von der Georgskapelle abhängig (Abb. 30), hinsichtlich der Darstellung des hl. Augustinus jedoch ohne Vor bild. Die mit Blattmasken ausgestatteten oder ganz vegetabil gehaltenen Schlußsteine der Augustiner kirche setzen offenbar schon die Blattmasken der Eligiuskapelle in St. Stephan voraus und sind daher erst um 1366 anzusetzen (vgl. Abb. 35—37). Dies würde auch bedeuten, daß die frühe Weihe der Augu stinerkirche im Jahre 1349 keineswegs bereits die Vollendung des Bauwerkes in sich schließt, das ja im Gegensatz zur früher fertiggestellten Georgskapelle nicht auf österreichische IConzeption zurückgeht^®. Näher als die Schlußsteine der Augustinerkirche stehen den Schlußsteinen des Chores von St. Stephan die vier Schlußsteine im Chor der Kirche Maria am Gestade. Sie zeigen in den Symbolen Löwe, Stier und Adler eine unmittelbare gestaltliche Abhängigkeit, die sich bis auf Einzelheiten erstreckt (Abb. 33), in der Darstellung des Engels hingegen eine ungewöhnlich individuelle Auffassung (Abb. 26). R. K. Donin, Die Bettelordenskirchen in Österreich, Baden bei Wien 1935, S. 203ff. Beachtenswert sind die Hinweise Donins auf die Dominikanerkirche in Regensburg und auf die Sessionsnisohe der Pfarrkirche Marchegg, S. 176. R. K. Donin, a. a. 0., S. 225ff.

M'i / 35, 36, 37. Links: Wien, St. Stephan; Blattmaske aus der Kehle der Wandeinfassung der Eligiuskapelle; Mitte und rechts: Schlußsteine mit Blattmasken aus den Seitenschiffen der Augustinerkirche {G. Balack, Wien, BDA, W. Wellek) In der Malteserkirche in Wien findet sich an einem Schlußstein unter der Westempore eine Darstellung der Physiologus-Szene mit dem Löwen und seinen Jungen, welche dem gleichen Schlußstein im Chor von St. Stephan ikonographisch und auch stilistisch nahesteht. Die Physiologus-Darstellungen der 1392 geweihten ehemaligen Kartäuserkirche in Aggsbach (Abb. 28 a—c), die vor kurzem restauriert wurde, zeigen bereits einen deutlichen stilistischen Abstand. Sie sind feingliedriger und weniger wuchtig. Man könnte versucht sein, auch die Schlußsteine der Katharinenkapelle in Imbach mit denen von St. Stephan in Verbindung zu bringen, zumal ja ikonographisch manche Gegenstände völlig identisch sind, wie eben die Physiologus-Darstellungen: die Jungfrau mit dem Einhorn, der Löwe mit Jungen und der Pelikan, der sein Blut für die Jungen hingibt. In der Tat ist die Verwendung von PhysiologusDarstellungen auf Schlußsteinen nicht allzu häufig. In der Klarissinnenkirche in St. Veit an der Glan begegnen wir dem Pelikan mit seinen Jungen im Schlußstein schon 1327. Man muß jedoch zwischen allenfalls gemeinsamen literarischen Quellen und der künstlerischen Abhängigkeit unterscheiden. In der künstlerischen Konzeption und der Anwendung auf den bestimmten Bauteil lag die Leistung, die zu ähnlichen oder abweichenden Lösungen führte. So kann ein Bezug zwischen den Physiologus-Dar stellungen in Imbach und denen in der Stephanskirche in Wien nur insoferne hergestellt werden, als an beiden Orten fast zur gleichen Zeit die gleiche Aufgabe gestellt wurde. (In Imbach etwa um 1330".) Dasselbe trifft für die Physiologus-Darstellungen an den Konsolen im Kreuzgang der Zisterze in Neu berg zu", die wohl im gleichen Jahrzehnt (zwischen 1330 und 1340) fertiggestellt wurden, in der lite rarischen Vorlage vielleicht miteinander zusammenhängen, stilistisch aber voneinander unabhängig sind. Auffällig ist freilich, daß der solchen Tierdarstellungen abgeneigte Zisterzienserorden Darstel lungen aus dem Physiologus im Kreuzgang zuließ. Das sogenannte Musterbuch des Stiftes Rein (heute Codex 507 der Österreichischen Nationalbibliothek) kommt als direkte Vorlage nicht in Frage, zeigt aber mit seinen acht Darstellungen zum Physiologus, daß die meisten Gegenstände nicht nur literarisch bekannt waren, sondern daß auch bildliche Darstellungen Verbreitung fandeni®. Das Programm der Schlußsteine von St. Stephan ist hinsichtlich der Physiologus-Darstellrmgen fast so reich wie das Programm der Konsolen im Kreuzgang von Neuberg. Die bisher unbeachteten Schlußsteine des Chores von St. Stephan, die den Ausgangspunkt dieser Aus führungen bilden, sind ein wichtiger Komplex, der ohne Zweifel Nachwirkungen gehabt hat, von denen wir einige aufzuzeigen versucht haben, ohne freilich eine endgültige Einordnung oder Bewertmrg vor nehmen zu wollen. R. Wagner-Rieger, Gotische Kapellen in Niederösterrcich, in: Festschrift K.M. Swoboda, Wien 1959, S. 293 und passim. — R. K. Donin, a. a. O., S. 155ff., schlägt eine frühere Datierung vor, die jedoch nicht gehalten werden kann. G. Heider in: Mittheilungen der k. k. Centrai-Kommission, Wien 1856, S. 3ff. Siehe Anin. 10

■n 38. Wien I, Himmelpfortgasse; Finanzministerium, ehem. Winterpalais des Prinzen Eugen; Grundriß der Prunkräuine im Hauptgeschoß. 1696 wui'de der Kernbau im Umfang von 7 Achsen nach einem Entwurf von Johann Bernhard Fischer von Erlach errichtet (A = Roter Salon, B = Blauer Salon, C = Goldkabinett, D = Kapelle). 1708—1711 wurde die Anlage durch Johann Lukas von Hildebrandt gegen Osten um 5 Achsen erweitert (E = Gelber Salon, F = Gästeschlafzimmer; beide Räume waren ursprünglich ein einziger großer vSaal, die sogen. Galerie). 1723/24 wurde von Johann Lukas von Hildebrandt ein weiterer Zubau, ebenfalls o Achsen umfassend, hinzugefügt (G = Schlachtenbildersaal, H = Grüner Salon; auch hier wurde die Zwischen wand sj^äter eingezogen, der Raum war ursprünglich die Bibliothek) (BDA, Dixd.-Ing. Masanz) RESTAURIERUNGSARBEITEN IM WINTERPALAIS DES PRINZEN EUGEN Im Jahre 1947 waren die Instandsetzung-sarbeiten im Winter- Prunkräume im Haui:)tgeschoß zu restaurieren. Diesen Arbeiten palais des Prinzen Eugen in der Himinelfjfortgasse (jetzt waren infolge der damaligen Materialknai:)pheit jedoch enge Finanzministerium), die der Behebung von Kriegsschäden im Grenzen gesetzt. So mußte man sich bei der Restaurierung Stiegenhaus galten, zum Anlaß genommen worden, auch die der vergoldeten Holzverkleidungen auf Reinigung und AusIi - 39. Wien I, Himmelpfortgasse, ehem. Winterpalais des Prinzen Eugen; Roter Salon, Gesamtansicht. Die Aufnahme zeigt das Aussehen des Raumes bis zum Jahre 1947 (Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek)

40. Wien I, Himmelpfortgasse, ehem. Winterpalais des Prinzen Eugen; Roter Salon, Deckengemälde nach der Restaurierung (BDA, V. Knuff) besserung in Metall beschränken, bereits vorhandene Metall vergoldungen mußten belassen werden. Auch die stark zer schlissene Damasttapete im Blauen Salon konnte nicht er neuert werden. Zur Verkleidung der Wände dieses Raumes stellte das Kunsthistorische Museum drei große Tapisserien zur Verfügung. Die Deckonfresken in den Räumen wurden von Verschmutzungen gereinigt und zum Teil von späteren Öl farbenretuschen befreit^. Nach einem Zeitraum von zwanzig Jahren war nun eine neuerliche Behandlung der Räume und ihrer Dekoration not- ^ Ausführlicher Bericht über die damals durchgeführten Arbeiten mit Literaturangaben in: Österr. Zeitschrift f. Denk malpflege, I, 1947, S.62ff.: Die Restaurierungsarbeiten im Winterpalais des Prinzen Eugen (Finanzministerium) von Eva Kraft. wendig geworden. Das Bundesministerium für Finanzen hat sich mit Rücksicht auf die besondere Bedeutung des Gebäudes zu einer großzügigen und durchgreifenden Restaurierung ent schlossen, die sich wegen des Umfanges der Arbeiten voraus sichtlich über drei Jahre erstrecken wird. Heuer wurden der Rote Salon und der Gobelinsaal (früher Blauer Salon) in Angriff genommen. Beide Räume liegen ebenso wie das anschließende Goldkabinett im ältesten Teil des in drei Bauabschnitten errichteten Gebäudes (Abb. 38). Das sehr bewegte Schicksal des Palais nach dem Tode seines Bauherrn hatte zahlreiche Veränderungen mit sich gebracht. Schon die Erbin des Prinzen Eugen, seine Nichte Anna Vic toria von Savoyen, ließ einen großen Teil der Einrichtungs gegenstände entfernen. Als dann Kaiserin Maria Theresia das Gebäude zur Unterbringung der Montanbehörde erwarb 3 Denkmalpflege

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