der stilistischen Voraussetzungen, die den Rahmen eines Corpus-Werkes nahezu zu sprengen droht, hat freilich in der kunstgeschichtlichen Situation ihre gute Begründung. Sie wurzelt in der Auffassung des Autors, wonach sich die Ent wicklung ,,wohl nur zu einem geringen Teil auf Gotland ab gespielt hat". In der norddeutschen Glasmalerei seien vielmehr die Zentren zu suchen, von denen aus die ,,kostbaren, aber ver einzelten Bruchstücke" auf Gotland zu verstehen wären. Diese Thesen, mit denen sich Andersson im Gegensatz zu den von Roosval bislang vertretenen stellt, lassen sich im einzelnen um so schwerer begründen, als die norddeutsche Glasmalerei im Verhältnis zur gotländischen noch viel größere Verluste erlitten und in der deutschen Literatur deswegen bisher über haupt keine zusammenfassende Darstellung erfahren hat. H. Wentzel, der beste Kenner des norddeutschen Materials, hat sich in der zitierten Rezension {vgl. Anrn. 1) ausführlich mit Anderssons Ableitungen auseinandergesetzt. Hier mögen einige Anmerkungen genügen. Die ältesten Glasmalereien, die auf Gotland den ,,spätrornanisch-byzantinischen Stil" vertreten, nämlich die von Dalheni (1230-1250), sind zugleich die bedeutendsten - es wird sich innerhalb der europäischen Glasmalerei dieser Epoche nicht allzuviel nennen lassen, was an formaler Eleganz und ornamentaler Pracht der Majestas Domini in Dalhem gleich zusetzen wäre. Aber dieser Hochstand war freilich nicht zu halten, schon in Endre (Mitte des 13. Jhs.) ist ein Absinken der Qualität unverkennbar. Die zweite Hälfte des 13. Jhs. bietet das Bild einer engstens miteinander verknüpften umfangreichen Grupj^e von Glasmalereien, für die trotz indi vidueller Abweichungen eine Werkstatt angenommen werden muß (Dfi^/iew-Margaretenscheibe, Sjonhem, Lojsta, Rone, Lau, Eksta und Barlingbo). So sind etwa von ein und demselben ikonographischen Vor wurf (Geburt Christi bzw. DarV^ringung) fünf analoge Fas sungen erhalten; damit bietet sich ein Studienmaterial für die Arbeitsweise und die Verzweigungen einer spätromanischen Glasmalerwerkstatt, wie es in ähnlicher Fülle und Geschlossen heit unter den anonym gebliebenen Werkstätten nur jenes Wiener Atelier der Spätgotik zur Verfügung stellt, dessen Arbeitsweise kürzlich an dieser Stelle erörtert wurde"'. Andersson begreift diese spätrornanische Glasmalerei Gotlands als Teilerscheinung jener umfassenden Entwicklung, die sich im Baltikum unter Verarbeitung der aus Niedersachsen und Westfalen kommenden Impulse abgespielt hat. Nach dem Höhepunkt der Spätromanik muß der mit der Durch setzung gotischen Formgefühls zunächst Hand in Hand gehende Qualitätsabfall {Träkumki!) auffallen. Die noch romanischer empfundenen Glasgemälde von Alskog sind qualitativ besser. Damit scheint sich eine für künstlerische Randlandschaften ganz allgemein geltende Regel zu bestäti gen, wonach hier bedeutende individuelle Schöpfungen keines wegs an den Impetus künstlerischer ,.Entdeckungen" ge knüpft sind, sondern sich vielmehr erst im festgefügten Rahmen überkommener Traditionen eigentlich entfalten. Auch dafür bietet die österreichische Glasmalerei des ausgehenden 13. und beginnenden 14. Jhs. Parallelen. Erst in der eigentlichen Hochgotik werden wieder Lei.stungen erreicht, die sich auch an überlokalen Maßstäben bewähren, E. Frodl-Kraft, Die österreichischen Glasgemälde der Sammlung Bremen in Krefeld, in: Österr. Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, 1966, Heft 1, S. 33-45. wobei die Chorfenster von Lye (um 1325-1340) ,,das Höchst maß an Verfeinerung in der hochgotischen Glasmalerei Got lands" zeigen. Im Gegensatz zu Roosval, der dem Meister bereits ein umfangreiches Oeuvre zugeteilt und die Wurzeln seines Stils in England gesucht hat, leitet Andersson ihn von Lübeck ab. Zu der Problematik dieser Ableitung hat sich Wentzel in der zitierton Besprechung im einzelnen geäußert. Die auf das hochgotische btilideal folgende und mit den Fenstern von GröiUngsho eingeleitete Phase der gotländischen Glasmalerei nennt der Autor nach schwedischer Gepflogenheit ,,kontragotisch". Dieses der ,,Kontragotik", d. h. der zweiten Hälfte des 14. Jhs. gewidmete Kapitel ist insoferne problema tisch, als es zum Teil Glasmalereien zum Gegenstand hat, die im Grunde bereits unter den Begriff der ,.Volkskunst" fallen. Sie sind dadurch charakterisiert, daß übernommene Stil formeln in einem zeitlosen Sinn graphisch-ornamental aus gemünzt werden. Diese Erscheinung ist in der anbrechenden Bürgerzeit, in der kleine lokale Werkstätten ihre Rolle zu spielen beginnen, ganz aligemein zu beobachten. Vorweg nehmend sei dafür auf die im Schweizer Corpus-Band behan delten Scheiben von Greyerz verwiesen. Auch in Osterreich gibt es Parallelen: So gemahnen die verstreuten Scheiben von Hablingbo an gewisse Glasmalereien der Pfarrkirche von Weiten, die in dem in Vorbereitung befindlichen niederöster reichischen Corpus-Band (zum Unbehagen der Verfasserin) Berücksichtigung finden müssen. Derartige volkstümliche Erzeugnisse entziehen sich wohl den Kriterien einer Stilanalyse, die Ajidersson auf Grund seiner ebenso ausgebreiteten wie ver tieften Kenntnis der kunstgeschichtlichen Zusammenhänge in diesem Raum auch auf sie anwendet. Diese letzte Bemerkung soll den Wert von Anderssons Arbeit, deren Ergebnis eine im großen und ganzen wohlfundierte stilistische Einordnung der gesamten schwedischen Glas malerei des Mittelalters ist, in keiner Weise einschränken. Nicht ganz gelöst erscheint jedoch die formale Aufgabe, eine so umfassende kunstgeschichtliche Einleitung mit den Er fordernissen einer corpusmäßigen Darstellung in Einklang zu bringen. Einerseits glaubte der Autor, dem Ziel einer voll ständigen Erfassung des Materials auch im zusammenfassenden Kapitel ,,Stil" dadurch Rechnung tragen zu müssen, daß er darin auch jedes kleine Fragment berücksichtigte; durch diese katalogmäßige Behandlung in der Einleitung hat er selbst den Charakter einer .Synthese, einer Zusammenschau, der ihr durchaus zukommt, wieder in Frage gestellt und die Lesbarkeit erschwert. Diese den Einzeldenkinälern bereits in der kunst geschichtlichen Einleitung zuteilgewordene ausführliche Be handlung hat aber andrerseits den Autor dazu geführt, um Wiederholungen zu vermeiden, die unmittelbare KatalogEinleitung zu jedem Zyklus ganz knapp zu halten. So findet man dort zwar die Baudaton der betreffenden Kirche, nicht aber die Datierung der Glasgemälde selbst, für die man wiederum das allgemeine Kapitel ,,Stil" zu Rate ziehen muß. Der Leser ist also gezwungen, immer an mehreren Stellen nachzu schlagen; nur aus der gleichzeitigen Benutzung der kunst geschichtlichen Einleitung am Anfang und der Katalog-Ein leitung erhält er ein \'ollständiges Bild der betreifenden Glas malereien. Der alphabetisch geordnete Katalog selbst ist vorbildlich in der konzisen Knappheit seiner Angaben; ebenso vorbildlich, klar und schön ist das Satzbild. Die Bebilderung in Schwarz weiß ist nicht nur von hervorragender Qualität, sondern auch
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