relativ großen Figuren die Kreuztragung (Abb. 154, 166, 167); Christus steht im Mittelpunkt, links Simon von Cyrene, das Kreuz aufnehmend, rechts Veronika mit dem Schweißtuch; Christus ist von den Peinigern, die ihn antreiben, umgeben, rechts am Rande steht ein Häscher mit besonders realistischen Gesichtszügen (Abb. 165). Nach rechts oben bewegt sich im Mittelgrund die Gruppe der gefesselten Schacher, von links kommen aus einer Schlucht, dem Betrachter unmittelbar entgegen, ein Priester und ein Schriftgelehrter zu Pferd sowie, in noch stärkerer Verkleinerung, die Gruppe der trauernden Muttergottes mit dem Jünger Johannes. Der rechte Teil des Retabels (Abb. 151) zeigt zwei getrennte Szenen vor einem Landschaftshintergrund: im oberen beziehungsweise hinteren Teil des Bildfeldes die Kreuzabnahme, im Vordergrund die Beweinung Christi. Christus ruht diagonal im Schöße der von den Frauen umgebenen Mutter, rechts und links hinten stehen, die Szene umrahmend, Joseph von Arimathea und Nikodemus. Diese Gruppe ist jedoch kleiner und flacher gearbeitet als die ihr auf der linken Seite entsprechende IH'euztragung. Die Seitenteile des Retabels sind dadurch charakterisiert, daß es sich einerseits um reliefartig gearbeitete Szenen, andererseits um freiplastische Ausbildungen handelt, wobei die aus Eichenholz geschnitzten Figureii vor dem Hintergrund wie zu einer Szene vor einer Kulisse zusammengebaut sind. Es mag sein, daß diese Art der Gestaltung tatsächlich auf die Darstellungsweise der Mysterienspiele zurückgeht, wie dies schon oft vermutungsweise ausgesprochen worden ist. Die Konstruktion der Seitengruppen aus zusammengebauten Einzelfiguren vor einem Hintergrund gab die Möglichkeit für einen Raub, dem im Jahre 1956 drei kostbare Figuren zum Opfer flelen; sie konnten jedoch durch die erfolgreichen Erhebungen der Interpol bald wieder zustandegebracht werden. Es handelte sich um die hl. Veronika mit dem Schweißtuch (.?)*, um Joseph von Arimathea (33) und Nikodemus (-35). Dieser Diebstahl war Anlaß für das Bundesdenkmalamt, sich mit dem Altar näher zu beschäftigen und die Restaurierung einzuleiten. Die einzelnen Gruppen waren nicht nur vollkommen verschmutzt, sondern hatten anscheinend bereits zweimal eine ,,Restaurierung" erfahren (Abb. 158-161); zuletzt waren sie wohl nach Erwerbung durch die Votivkirche zur Gänze übermalt und damit unansehnlich gemacht worden. Die Schicksale des Retabels bis zu seiner Aufstellung in der Votivkirche sind folgendermaßen zu rekonstruieren: Nach den Angaben Thausings stammt der Altar aus dem Liebfrauenstift Pfalzel bei Trier, welches in der Napoleonischen Zeit aufgelöst wurde^. 1830 kaufte der Dichter Guido von Görres, der Sohn des berühmten Joseph Görres, den Altar in einer Kirche in Frankfurt, um ihn der Liebfrauen kirche in München zu übergeben. Ohne Wissen des Dichters wurde der Altar in München um 300 Taler veräußert, bevor er noch seine Bestimmung in der Liebfrauenkirche fand. Er ging durch verschiedene Hände, bis ihn der Bildhauer Hans Gasser in München um 8000 Gulden erstand. Kaiser Franz Joseph kaufte ihn 1858 von Gasser, um ihn zunächst der Ambraser Sammlung einzuverleiben. Auf Bitten des Kardinals Rauscher machte er ihn dann der Votivkirche zum Geschenk. 1879 nun berichtet M. Thausing, daß über die Verwendung eines aus Holz geschnitzten alten Altarschreines aus dem 15. Jahrhundert noch keine Entscheidung getroffen sei, woraus geschlossen werden darf, daß vor der nach 1879 erfolgten Aufstellung in der Votivkirche eben jene Veränderungen durchgeführt wurden, die das Kunstwerk so unansehnlich gemacht haben. Die Freilegungsarbeiten wurden einer erfahrenen Restauratorin, Frau Giovanna Zehetmaier, über tragen. Sie brachten ein erfreuliches und überraschendes Ergebnis: Eine originale Polychromierung von hoher Qualität, wie sie nur selten erhalten i.st, kam zutage. * Die kursivgesetzten Ziffern beziehen sich auf die schematischen Zeichnungen neben den Abb. 150, 1.51, ISil. 2 Es mag kein Zufall sein, daß sich in der Wallfahrtskirche in Klausen unweit von Trier ein weiterer Altar aus Antwerpen findet, auf welchen Pfarrer Bidinger von Pfalzel freundlicherweise aufmei'ksam machte. Dieses besonders reiche Passionsretabel hat ikonographisch manche Beziehung zum Altar der Votivkirche und stellt mit seinen Schilderungen nach den Visionen der hl. Birgitta eine zeitlich nur wenig spätere Stufe der Antwerpener Plastik dar. In der Konzeption ist die Gruppe mit Kreuz abnahme und Beweinung unserem R-etabel besonders verwandt. Ikonographisch von besonderer Eigenart ist die Gruppe mit der Darstellung der Vorbereitungsarbeiten am Kreuz. Das Retabel in .Klausen (Eberhards-Klausen) besteht tatsächlich aus einem dreiteiligen Schrein mit zwei großen und zwei kleinen Flügeln, so daß daraus auf die ursprüngliche Erscheinung des Retabels der Votivkirche geschlossen werden kann. Vielleicht ist auch für beide Retabeln der gleiche Besteller und die gleiche Werkstätte anzunehmen. Siehe: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Die Rhcinlande, München-Berlin 1949, S. 501; Franz Eckert, Beschreibung des großen Flügelaltars in der Wallfahrtskirche zu Eberhards-Klausen, Trier.
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