Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

DE.R ANTvVER,.PENEH, ALTAR .l N DER Wll~NER VOTlVKlRCl-ll~ UN:U f:iE.LNE RE~TAURL.ERLTNG Die Votivkirche in vVicn hcRitzt seit. dem .Jahre 1878 ein Kunstwerk, dessen .Bodc11t11ng clC'I' lrnnstgeschichtliche11 :Forseh11ng bis heute entgangen ist, sei es, weil der dunkle Auf::;kllungsort eine nilhore Betrachtung unmöglich nrnchte, sei es. \rnil der Zustand durch die übermalte Oborf-liiche so nnanselllllich 1rnr. da,IJ eine nähere ßf'8chäftigu11g nicht lohneJld erRchien. l•:s handelt ::;ich 11111 ein dreiteiliges geschnitztes und pol_vchrnmiel'tes .Retahel. das bi::;lwr in einer Seitennische des La,ngliau::;e::; a11f der E pisteJ„eik stand. Eine kn,rge En vä hn11ng in der Likmt11 l' 1 gibt nur an. daß cln Altar typi::;cli niederländische Art mit vielen kleinen Figuren zeige. rn der Mitte i::;t die Kreuzigung <'hristi, an den Nciten sind links die Kreuztmg11ng. recht::; die Kreuza,l)IJahme und die lkweinung dargefcitellt (Abb. 149). Es handelt sich hiebei nicht um einen Schrein im eigentlichen Sinn des \\'ortes. Die :\littelgrup_pe (Abb. J/i:Z) ist allerdings in ein neuzeit,liches Gehiinsc eingefügt. das man als Schrein hezeich1w11 kiinnte und das in seiner Gestaltung wohl auch der urspriinglichon Erscheinung entspricht. Der ne11zeitliche Unterba,11 des Retabels, in dem predollenartig eine die Nchenkung a,11 die Votivkirclw dokumentiernnde Wappenzone (Habsburg, Wittelsbach und in der Mitte das Wappe1t des Wieiier l ◄:rzbi sc h ofs ) c•ingcfügt ist, hebt die }Iittelgrnppe <'t\\'aS höher empor. Das (:e8prenge iibn dem ~litfrlteil cliirfte ('illern ursprünglich vorlrnndenell nachgebildet f-l' in . .Die Gesprenge über dl'n Reitenteilen si1tcl echt 111Hl zeigen eine großartige nnd strC'nge a,rchitektonische Gesta,lt·u1tg. was auf einen relativ friihen Urnpn111g des Retabels schließen läßt. Die .Rückw.-tnd des 1\llittclschrcines 8tammt, ebenso wie die Ri.ickermiinde der beiden Reitengn1ppcn n.us dem vorigen Jahrllllnclert. Der vergoldete Hi1ttorgrnnd wirkt, trntz des sorgfältig in Kreicl<· gcschnitt,enP11 Granatmusters etwas faeh. Das Rc•lid' des )littelsti.icks (Abb. Li:{) besteht (entgegen dem ersten Anschein) aus Z\\'Ci geleimten Teile1t: einem schmalen Stück Nuß uncl einem breiteren Stück l~iche. Jrn \'orde.rgruncl ist die Annagelt1ng Christi ans Kreuz dargestellt. Die linke Seite zeigt das ,.Nvanirnento" Mariae, mimlich den Augpnf>lick, da die Uottesmutter, umgeben von den frommen J◄'rnu en , ohrnniichtig in die Arme des ,Jüngers ,Joha111tes si1tkt. eine Darntellung. die in den brnbantischen Passio1tsrctabeln (alR ein Niedornchlag der Yisio1te11 der hl. ßirgitta) hänfig vorkommt und der italienische1t Vorstellt111g des .,Stahat matcr'· widerspricht. Den i\1ittelgru11d nehmrn Schriftgelehrt<' ein. die mit spottenden C:eliiirclen \"Oll rechts 11ach links durch eine Felslandschaft gcge1t Kalvaria reiten. .Der Hintergrund ist einerseits mit Soldaten und ,Juden, die das K.renz umstehen, gefüllt (rechts). andrerseits ist die Legende vom blinden Longi1H1s zur .Darstellung gebracht (links): lhrn flei von einem a1tderen SolclaJ.e11 diP Lanze zum Stoß in die :-,eite Christi gelenkt worden. und ein Blutstropfen habe sein Auge getroffen. das nun \1·ipder sehend \1·urde (.:-\bb. 1 iiG) . Die .Figur des gekreuzigten Christus über dem Relief 80\rie die Ge8talten der beicl<'11 Nch.'icher Ri11d Yollplastisch und für sich gearbeitet, ebe11,-;o die adoriere1tde11 Engel und jene, welche die Seelen der t,otcn Schächer fortführen. Das Gedränge de,; Reliefs mit dnn kleinfigurigen .Darstellungen zeigt einen wahren ,.horror vacui". eine Hii.ufong gleich grnf.ler Figuren bis zu einem hohen Horizont,. wiihrcncl die l<'iglll'en der drei Gekreuzigten isoliert. für sich. dari.iber Rtehrn. An den Einzelheiten ist immerhin ein einheitliches Konzept und eine gemeinsame Hand zu erkenm•n. Die beiden Seitenteile unterscheiden sich wesentlich von der :Vlittelgruppe und folgen H,ll(lerc11 Gestaltungsprinzipien. Ma11 kann insoforne nicht von Flügeln oder ::fohreinen spreclrnn, als diese 8eitengrnppen weder beweglich noch in sich vollkornnw11 ge8chlossen si1td. Die seitliche \'crstrolnmg cler durchaus originalen baldachinartigen oberen Al>sehliissc der ~eitentcile mag lll'ttzeitlich sein. 11:s iRt anzunehmen, daß die beiden Seiten ursprünglich C'inc Art Uehiinse besaßen. Die Figlll'engrupJwn füllen hier die Bühne nicht so gleichmiißig wie im i\'littcltcil. ,-\nf der linken Seit<, des Hctabels (Abb. 1 iiO) bewegt flieh a,us einer roich gegliederten Landschaft mit, der Stadt ,Jernsalern am Horizont der Zug nn,ch vorne. wohei eine starke perspektivische \'erkürztlllg gegeben ist,. Den Vordnrgrn1Hl beherrscht mit. 1 H. K. Do11i11. (:l•sr·hir-hte clr·1· 1,ildencl,•n K1111st in \\'il'11. :2. ll d .. \\"i,· 11 1!1i55. ,\hl1:111dl1111g „D i,· µ:.. Lis,•l lf• l'l nslik in \\"i,·11 ·· ,.,,,, K. Gi11hnrL S. 11171'.: f'rüh,•r \1. Thausi11g. Di<' \'11ti,·ki1Tl1C' in \\"i""· \\"it'11 187!1. S. -IS. Si"h" n1J('h l'f"nrrhlntt" """ l'rnpst1,f',11·1·,, in d pi.• Voti,·k i,·c·lw . .Kr. :!.~. l)pzc•1nl ,c• r 1!Hlii 1-'c• IH'r 1!llili, S . 58. 1 ti Dcnkn1alpttcge L29

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