dieser Handschrift irgendwie antiquiert ausnimmt. Dieselbe Feststellung gilt aber auch für ein Beispiel mit Rankengeflecht (91. Ps., fol. 149r, Abb. 224), wo wir in den Bögen altertümliche Palmettenformen finden. Die Schwere dieser Initiale steht in auffallendem Gegensatz zur Gestaltung der gleichen Initiale in dem um eine Generation älteren St. Gallener Psalter, Zürich, C. 12^^ (vgl. Abb. 225), obwohl der Dekor dieser Handschrift weitgehend den gleichen Quellen entstammt, auf die auch unsere Initialen zurück gehen. Als Gegensatz mögen die Initialen zum 71. Psalm vorgeführt werden, die im Züricher Psalter (fol. 75V, Abb. 227) verwandte Ornamentmotive in zierlicher Ausführung zeigen, während in der Göttweiger Handschrift (fol. 114r, Abb. 226) der moderne Formenschatz der franko-sächsischen Richtung überraschend dominiert. Noch deutlicher wird die angeführte Altertümlichkeit, wenn wir zunächst die weiteren Initialen des 118. Psalms ins Auge fassen und uns dann den übrigen Zierbuchstaben im kleinen Format zuwenden. Wir finden hier den ganzen Motiv-Vorrat, den wir am Beispiel der Salzburger und Mondseer Hand schriften studiert haben und der in seinen Grundzügen auch der rätischen und alemannischen Buch malerei der Zeit um 800 eigentümlich war. Wir folgen bei der Darstellung der Reihung, die wir für das Ornament des Psalters von Montpellier gewählt haben^®. Dort stand an erster Stelle das Fischmotiv, das dem Formenbestand der Frühzeit angehörte und im Alpenbereich durch runde Formen gekennzeichnet war (Abb. 229). Es ist in unserer Handschrift in zahlreichen Beispielen^® vertreten (Abb. 230). Das Zickzackband findet sich zwar nicht in seiner einfachsten Form, wohl aber bereichert mit knospenartigen Ansätzen^' in den stumpfen Winkeln (Abb. 231), gerundet auch mit Verdoppelung dieser kleinen Knoten (Abb. 232). Palmettenformen^®, zusammengebogen (Abb. 233) und weit geöffnet (Abb. 224, 228), gehören ebenso zum Grundbestand dieser Initialen wie die zwei- oder dreiteiligen Knospen, die dem gesamten alpinen Bereich in den Jahrzehnten um 800 gemeinsam sind (Abb. 233, 234). Auch das gedrückte Wellen band (Abb. 234 links) ist im 8. Jahrhundert verwurzelti®. Wir nennen als weiteres Motiv das Zopfband (Abb. 235) und die kreisförmige Einfassung von Knotenmotiven (Abb. 234)^®, um bei einem Vergleich mit den Sf. Gallener Psalterien aus dem Anfang des Jahrhunderts festzustellen, daß dort der gleiche Motivkreis, freilich in feinerer Art, vorhanden gewesen ist (vgl. Abb. 225 und 231). Auch ein Blick nach dem Westen, etwa zum Ornamentschatz des verlorenen Rachio-Codex ausStraßburg^^, zeigt uns, daß die gedrun gene, massive Gestaltung dieser Zierelemente dort schon am Ende des 8. Jahrhunderts überholt war. Trotz starker Verwurzelung im St. Gallener Kreis — mit dem in den Formen verwandten Sangallensis 367 besteht keine Schriftgleichheit - nimmt unsere Handschrift durch ihre Charakteristika eine Sonder stellung ein. Einerseits ist dies der überraschend zoomorphe Charakter im und neben dem Band geschlinge der Hauptinitialen, andererseits ist es die Altertümlichkeit der kleineren Zierbuchstaben, die in ihrer wuchtigen Geschlossenheit und in ihrem Formenschatz mehr Verwandte im Südosten besitzen als in St. Gallen selbst. Es drängt sich daher die Frage auf, ob der Göttweiger Psalter tatsächlich dem St. Gallener Skriptorium entstammt, oder ob er nicht vielmehr einer der Parallelschulen zugewiesen werden muß. Wir wissen heute nur sehr wenig über Konstanz^^ oder die Reichenau in dieser Zeit, und ebenso ist Augsburg ein weithin offenes Problem. Ob mit einer dieser Schreibschulen gerechnet werden kann, muß letztlich die Paläographie entscheiden. Denn die Vielfalt, die in den Ornamenten der Göttweiger Handschrift zum Ausdruck kommt, scheint nicht nur eine einzige Erklärungsmöglichkeit anzubieten. In der Geschichte des Fort lebens der Formen der frühen Karolingerzeit wird die Handschrift stets eine bedeutende Rolle einnehmen. Zur Hs. Zürich, Zcntralbibl., C. 12, vgl. Holter, 1. c., S. 437-, Aum. 39. W. Neumüller u. K. Holter, Der Codex Millenarius, Graz—Köln 1959, S. 137f. — Zur Verdeutlichung der Ornamente vgl. auch K. Holter, Zur Ornamentik des Cutbercht-Codex {Stucohi e mosaici alto medioevali, Mailand 1962), S. 325, 327, fig. A, B. Vgl. z. B. die Initialen fol. 23r, 38r, 49r, 78r, IBOr: 101. Psalm, im rechten Bogen gegenständig je zwei Fische. Fol. 58V, Verdoppelung; 84v. Fol. 38r, 50r, 104r, 122r, 124r, 149r, 203r, 232r, daselbst auch ein Diagonalkreuz mit Knotenansätzen. Palmettenranke: Fol. 215, 177r, 183v. Fol. 234r. Ein eckiges, inäanderartiges Motiv (fol. 71 r; Abb. 220) hat in Hss. der Reichenau Parallelen. 2« Fol. 78r, 104r, 147v, 21 O. Homburger, Ein vernichtetes Denkmal merowingischer Buchkunst aus frühkarolingischer Zeit, der ,,Rachio-Kodex der Bongarsiana (Festschrift Hans R. Hahnloser zum 60. Geburtstag, Dez. 1959, Basel und Stuttgart 1961), b. 191f., Abb. 6, 7. 22 Vgl. J. Autenrieth, Die Domschule von Konstanz zur Zeit des Investiturstreits (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgesch., 3, Stuttgart 1956), S. 16ff., 28f.
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