Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

Die sammlerische Haltung, die der Anlage einer spätrinascimentalen Kunstkammer oder der Anlage eines barocken Kabinettes vorauszusetzen ist, darf, im Prinzip zumindest, als eine enzyklopädische bezeichnet werden; ihr Interesse war gleichermaßen dem Reiche der Natur, dem Reiche der Wissenschaft nnd dem Reiche der Kunst zngewendet, nnd das Ideal, das ihr vorschwebte, war, zumindest im Zeitalter des Barock, das ,,Universal-Mnseum". Dementsprechend lassen sich die Kollektaneen eines barocken Kabinettes im Idealfall in drei Gruppen kategorisieren: in die Grnppe der ,,naturalia", in die Gruppe der ,,scientifica" und in die Gruppe der ,,artefacta"®. In einer derartigen barocken Universal-Sammlung befanden sich also nicht nur jene von der Hand des Menschen geschaffenen Gegenstände, die man als ,,Werke der Kunst" oder als ,,Werke der Kunstfertigkeit" bezeichnen kann, sondern auch alle jene Gegenstände, die wissenschaftlichen Zwecken dienten, und vor allem die verschiedenartigen Specimina der verschiedenen Reiche der Natur. Die Leistung, der sich das Stift Kremsmünster auf diesem Gebiete rühmen darf, ist eine doppelte. Einerseits ist es diesem Stift gelnngen, im Laufe jahrhundertelanger Sammeltätigkeit eine außer ordentlich bedeutende und wirklich umfassende Universal-Sammlung dieser Art zustandezubringen nnd, was nicht weniger wichtig ist, auch zu erhalten. Ihr Zustandekommen ist einerseits dem kulturellen Mäzenatentum seiner Prälaten und Mitglieder zuznschreiben und andererseits der unablässigen didak tischen Tätigkeit des Stiftes^. Die andere außerordentliche Leistung des Stiftes Kremsmünster bestand darin, daß es diesen seinen reichen Sammlungen zu einer Zeit, in welcher es kaum schon eigene Museums bauten gab, ein eigenes bauliches Heim errichtete: die sogenannte Sternwarte. Bei genanerem Zusehen zeigt sich nämlich, daß das Gebäude der Kremsmünsterer Sternwarte nach dem Grundgedanken seiner Erbauer nicht nnr zn astronomischen Zwecken errichtet wurde, sondern, eben im Sinne der vorhin apostrophierten enzyklopädischen Denkungsart, zur Pflege und Förderung der Gesamtwissenschaft im Sinne einer ,,LIniversitas scientiarum" nnd damit auch zur Unterbringung des gesamten zu einer der artigen Institution gehörigen Realien-Apparates®. Tatsächlich wurden schon in den Sechziger jähren des 18. Jahrhunderts die gesamten Sammlungen des Stiftes in diesem Bau untergebracht, und zwar nicht nur die naturgeschichtlichen und wissenschaftlichen Sammlungen nnd die unmittelbar dazugehörigen bibliothekarischen Behelfe, sondern auch die verschiedenartigen Artefakte einschließlich des sogenannten türkischen Kriegszenges, der Münzensammlung und der Gemälde. Die Leistung, die das Stift Krems münster mit der Errichtung dieses Universal-Museums vollbracht hat, ist eine ganz außerordentliche; sie hat noch längst nicht die ihr gebührende museologische Würdigung erfahren®. Ein rundes Jahrhundert blieben die gesamten Sammlungen des Stiftes in diesem ihrem Heim vereinigt. In den Sechziger jähren des 19. Jahrhnnderts wurde dann, dem sich differenzierenden Kultnrbewußtsein der Zeit entsprechend, eine Sonderung der Realia und der Humaniora durchgeführt ; die naturwissen schaftlichen Sammlungen verblieben in der Sternwarte, die Artefakte hingegen wurden in einige - Das grundlegende Werk über die Geschichte des Kuiistkamrnerwesons ist nach wie vor: Julius von Schlosser, Die Kunst-und Wunderkaminern der Spätrenaissance, Leipzig 1908. Gewisse Verzeichnungen der historischen Sachverhalte, die sich insbesondere aus einer inadäquaten Beurteilung der naturwissenschaftlichen Aspekte des ältcn-en Sammelwesens ergeben und sich aus der einseitig geisteswissenschaftlichen Grunddisposition des Verfassers erklären lassen, können den Wert dieser genialisch geschriebe'uen Darstellung nicht mindern. Als Materialsarnrnlung wird ferner stets heranzuziehen sein das heute ein bißchen in Vergessen heit geratene Buch von Gustav Klemm, Zur Geschichte der Sammlungen für Wissenschaft und Kunst in Deutschland. Zerbst 1838, in welchem die gesamte ältere museographische Literatur verzeichnet ist, und aus dem auch Schlosser ausgiebig geschöpft hat. ^ Diese Dreiteilung ist besonders klar formuliert in der für die Kremsmünsterer Sternwarte entworfenen Sammlungs-Ordnung {Laurenz Doberschitz, Specula Cremifanensis; Beschreibung der in dem mathematischen Thurme zu Cremsmünster befindlichen Naturalien, Instrumenten und Seltenheiten, 1764- [Cod. nov. 1048 in der Stiftsbibiiothek], S. 25f.; zitiert nach : Konstantin Werner, Die Sammlungen des Stiftes Kremsmünster in Oberösterreich, ihre Entstehung und Geschichte. Sonderdruck aus dem Jahi'buch des Städtischen Museums zu Wels 1936, Wels 1937. S. 25). ^ Zur Geschichte der Lehrtätigkeit des Stiftes Ki'emsmünster vgl.; Theodorich Hagn, Das Wirken der Benediktiner-Abtei Kremsmünster für Wissenschaft, Kunst und Jugendbildung, Linz 1848, und: Pankraz Stollenmayer, Aus der Geschichte unseres Gymnasiums, in: Festschrift des Professorenkollegiums zum vierhundertjährigen Bestände des öffentlichen Obergymnasiums der Benediktiner zu Kremsmünster, Wels 1949, S. 137ff. ^ Zur Geschichte der Sternwarte vgl. vor allem Sigmund Fellöcker, Geschichte der Sternwarte der Benediktinerabtei Krems münster, Linz 1864. ® Sub specie ,.eigener Museumsbau" betrachtet, ist das Gebäude der Kremsmünsterer Sternwarte anscheinend eines der frühesten der Art. Das Kasseler Museum Fridericianum wurde erst 1769—1779 nach Entwürfen von Simon Louis du Ry erbaut, die Ent würfe Hallers von Hallerstein für die Münchener Glyptothek entstanden 1814, dann erst folgten die Museumsbauten Schinkels in Berlin.

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