Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

Die Ursachen dieser unterschiedlichen Reaktionen von Malschicht und blankem Glas auf die Atmosphärilien sind in der verschiedenen chemischen Zusammensetzung beider zu suchen. Grundsätzlich besitzt der Glas-Bestandteil der Mal farbe (des Schwarzlots) einen niedrigeren Schmelzpunkt als die Scheibe selbst. Dies könnte infolge des erhöhten Alkali gehaltes eine geringere Resistenz der Malschicht im Vergleich zum Gruiidglas gegen die Verwitterung bewirken. Dieses Verhältnis wird aber durch die sowohl dem Glas der Scheibe wie der Malfarbe beigemengten Metalloxyde und andere Bestandteile nicht nur beeinflußt, sondern häufig sogar in sein Gegenteil verkehrt, wozu vor allem auch der höhere Bleigehalt der Malfarbe beiträgt. Für das Verhalten von Glas und Malschicht gegenüber der Verwitterung entscheidet letzten Endes nicht das Vorhandensein einer einzelnen Substanz, sondern sowohl das Zahlenverhältnis, in dem die Bestandteile des ganzen chemischen Komplexes zueinander stehen, wie auch die Güte ihrer Verschmelzung. Es ist also a priori keiner lei Regel für das gegenseitige Verhältnis von Glas und Malfarbe im Hinblick auf die Resistenz gegen Verwitterung aufzustellen. Dies mag die Abbildungsreihe 123a—c verdeutlichen, die ein und derselben Fensterfolge entnommen ist. Wohl aber kann die subtile chemische Analyse, verbunden mit einer GefügeUntersuchung dieses Verhältnis jeweils nachträglich verständ lich machen. Für den Kunsthistoriker sind indessen die Verschiebungen wichtiger, die der unterschiedliche Erhaltungszustand von Glas und Malfarbe in der optischen Erscheinung des Glas gemäldes bewirkt hat, denn es liegt auf der Hand, daß sowohl die einseitige Veränderung eines der Faktoren, die das Er scheinungsbild aufbauen, wie die allerdings verschiedene Veränderung beider die ursprüngliche künstlerische Wirkung nicht unberührt lassen können. 1. Bernalung intakt, blankes Glas verwittert: Abb. 122 gibt in Durchsicht einen häufigen und optisch ver hältnismäßig günstigen Fall wieder: Durch die Schutzschicht des intakt gebliebenen Schattenauftrags (Wangenkontm*en, Mund- und Nasenfalte, Augenschatten) hat der Verwitterungs prozeß, der in Form kleiner Krater die oberste Glasschicht angreift, kaum einen Ansatzpunkt gefunden; das ursprüngliche Erscheinungsbild ist dort, ebenso wie zwischen den Verwit terungskratern, bewahrt geblieben. Denkt man sich die dunklen Krater weg, tritt das plastische Konzept des Kopfes mit seinen von schmalen Schatten gerahmten großen Lichtflächen klar zutage. Eine stärkere Verfälschung der ursprünglichen Erscheinung tritt ein, wenn die Verwitterung des bemalungsfreien Glases dessen ganze Fläche ergriffen und mit einer undurchsichtigen Schicht bedeckt hat: Die ursprünglichen Lichter erscheinen nunmehr dunkel, von helleren ,,Schatten'' gerahmt (Abb. 124, 125). An prägnanten Bei8j)ielen dafür fehlt es weder in der französischen noch in der deutschen Glasmalerei. 2. Bemalung verwittert, unbemaltes Glas intakt: Je nachdem, ob es sich um ein bloßes Abwittern der Bemalung, wobei das blanke Glas zurückbleibt, oder um die Bildung einer Verwitterungsschicht handelt, kann der Eindruck in der Durchsicht vollkommen verschieden sein: Im ersteren Fall wii'd die Transparenz-Differenz zwischen bemalten und unbemalten Stellen aufgehoben, die Schattengebung bzw. das Ornament ist verschwunden. Im zweiten Fall vermindert die Verwitterungsschicht die Transparenz der bemalten Stellen noch über das ursprünglich beabsichtigte Maß hinaus, die Helligkeitskontraste sind verstärkt (Abb. 121). ■3. Be/nalung und unbemaltes Glas zeigen verschiedene Formen un,d Grade der Verwitterung: Hier sind alle Varianten möglich: vom gleichen Grad der Verwitterung, die sich nur in verschiedenen Formen vollzieht, je nachdem ob es sich um ursprünglich bemalte oder unbemalte Stellen handelt (Abb. 120), bis zu dem in seiner optischen Wirkung extremen Fall, den Abb. 123c in Aufsicht zeigt: Hier sind die Schattierungen (Haar, Nasen-, Brauen- und Kinnlinie) bis auf das blanke Glas abgewittert, während die ursprünglich blanken Partien mit einer die Transparenz mindernden Verwitterungsschicht bedeckt sind. In der Durchsicht scheinen also die Schatten vollkommen transparent , die Lichter dunkel belegt. Die auf diese Weise erzielte völlige Umkehrung der ursprünglichen Wirkung zeigen sehr schön einige Köpfe aus St. Patroklus in Soest (Abb. 126). Wie an den vorgeführten Beisj^ielen der Klosterneuburger Folge lassen sich auch im Soester Zyklus ganz verschiedene Stadien der Verwitterung feststellen. Vgl. H. Wentzel, Meisterwerke der Glasmalerei, Abb. 12, 14 und 15. Ein Sonderfall der Verwitterung von Bemalung und Glas war schließlich auch an der außenseitigen Damaszierung von Glasgcmälden der Erfurter Barfüßerkirche zu beobachten (Abb. 127): Das weiche Glas mancher Scheiben ist dort, wo der Schutz der Bemalung fehlte, beträchtlich abgewittert, d. h. in seiner Stärke dezimiert, während die Verwitterung aul den bemalten Stellen eben erst die Farbschicht konsumiert, das Glas selbst aber noch nicht oder nur unbeträchtlich ergriffen hat, so daß es hier in seiner ursprünglichen Stärke erscheint. Die Oberfläche des Glasstückes bildet nunmehi" ein so kräftiges Relief, daß es vorübergehend sogar als Ausschliff gedeutet werden konnte. Diese ,,Technik" - in Wahrheit das Ergebnis eines gestuften Verfaüsprozesses — mußte umso rätselhafter erscheinen, als das Relief in der Durchsicht von der Innenseite her keinerlei optische Wirkung hat. Glas -1nnense ite: Naturgemäß ist die Innenseite des Glases dem Angriff der Atmosphärilien in minderem Maß ausgesetzt als die Außen seite; normalerweise kommt es daher hier nicht zur Bildung von Verwitterungsschichten, und zwar weder auf den bemalten noch auf den blanken Stellen des Glases. Wenn dennoch eine Abwitterung der Bemalung eintritt, so ist die Ursache entweder in ungewöhnlich schlechten Aufbewahrungsbedingungen zu suchen (Lüftungsflügel!) oder aber, und dies ist sogar viel häufiger der Fall, in den bereits von Dr. Frenze! aufgezeigten technischen Mängeln der Ausführung: ungeeignete Zusammen setzung der Malfärbe, zu schwacher Brand. Diese Fehler können sich auf die Halbtonlagen ebenso auswirken wie auf die Strich zeichnung. doch neigt natürlich eine Massierung von Farb partikeln zu einer Schicht von gewisser Dicke, wie sie im Konturstrich auftritt (vgl. Abb. 109), besonders zum Ab springen. War die Farbe überhaupt nicht in das Glas ein geschmolzen, so bleibt, nachdem sie abgewittert ist, das blanke Glas zurück, die Zeichnung erscheint negativ (Mund,

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