ÖSTERREICHISCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE (Jahrgang l/1947-V/1951 ist als „Österreichische Zeitschrift für Denkmalpflege" erschienen) In Nachfolge der einstigen „Mitteilungen der Zentralkommission für Denkmalpflege in Wien" Herausgeber: Österreichisches Bundesdenkmalamt Redakteure: Walter Frodl und Otto Demus XVII. JAHRGANG 1963 / HEFT 2/3 INHALT ERWIN NEUMANN: Zur Neueinrichtung der Kunstkammer des Stiftes Kremsmünster / HEINZ ALTHÖFER: Zur Dokumentation in der Gemälderestaurierung / G. FRENZEL, E. FRODL-KRAFT: Referat auf der Tagung ,,Corpus Vitrearum Medii Aevi", Erfurt 1962 / A. HIRAM: Das Denkmalwesen in Israel / Buchbesprechungen / Aktuelle Denkmalpflege: Wien (Die Abtragung der Häuser in Wien I, Stemgasse Nr. 5 und 7 / Barocke Unterfangungen älterer Bauteile in den Häusern "\Vien I, Stemgasse 5 und 7 und Marc Aurel-Straße 2), Kärnten (Ein Domplatz für Klagenfurt / Hirt - ehern. Hochofenanlage) Die Zeitschrift erscheint jährlich in 4 Heften Es wird gebeten, Einsendungen an die Redaktion der Zeitschrift im Bundesdenkmalamt, Wien I, Hofburg, Schweizerhof, Säulenstiege, zu richten Bezugspreis: Jährlich 4 Hefte S 90.-, Einzelheft S 25.-. Anzeigenannahme durch den Verlag Printed in Austria VERLAG VON ANTON SCHROLL&CO.INWIEN
ZUR NE UElNRICHTUNG DER KUNSTKA~LVIER DES STIFTES KREMSMÜNSTER l.m Yorausgehemlen Hcft der Östel'reichischen Zeitschrift für Kn nst und Denknrnlpf-lege hat Brnno Thornato ii ber die N eua.nfstcll ung der Rüstkammer des Stiftes K.rernsmiinster berichtet 1. Die fo lgenden Bemerkungen sind einem \\·eiteren Teilbestand des Kremsmi.instel'er 8ammlungskomplcxes gml"idrnet, de1: im ,fahre 1!)62 ebenfalls eine neue museale l◄: in l'ichtung erfahren ha,t : der sogenannten .. Kunstka.mmer·'. Innerhalb des kirchlichen Sektors des österreichischen i\Iuscalwesens scheint der Kunstkammer des Stiftes Kremsmünster in ganz besonderem Maße paradigmatischer Charakter :,,;11zukommen; der Verfasser möchte es sich da.her gestatten, dem eigentlichen Gegenstande seines Bcl'ichtes einige allgemeine .-\usfi.ihrungen Yom11s,-,uschicken. die der Definition einer barocken Kunstkammer und der .Bestimmung ihres Ortes innerhalb eines klösterlichen Organismus dienen sollen. Der mobile .Besit,-, eines Klosters crn·ächst. in der Hauptsache zumindest. Bediirfnissen dreierlei .-\l't: einerseits den Bcdi:irfnissen des Gottesdienstes, andererseits den didaktischen und kulturellen Aufgaben. rnr die sich die betreffende klösterliche Kommunität je nach der B,cgel, nach del' toie lebt, gestellt gesehen hat, und schließlich den praktischen Erfordernissen des klöstel'lichen Lebens. Auf die Bediirfnisse liturgischer Art ist die Summe jener (~egenstände w1·üchufiihren, die in unmittelha,rel' Weise der Dnrchföhrung des Gottesdienstes gerlient haben und dienen: das Altargerät. die Paramente und die liturgischen Bücher. Diese Uegenstände biltlen. sofern sie noch in Uebrauch stehen, den Jnhalt der Sakristeien oder. sofern sie infolge besondel'er Kostbal'keit aus dem Uebrauch gezoge11 si11d. den Inhalt beso11derer Schat,-,karnmern. A11ch die Kategorie der }Jusikalia ist lct,-,tlich auf die .Bediid'nisse des Gottesdienstes wrückznführen. Den f)";rforden1issen praktischer Art verdanken - außer der Uesamtheit der Ute11silien ansschließlich ökonomischer Nat11r - die folgenden Uegonstaudsgruppen ihr Zustandekommen: wnächst das ::Vlobiliar im engeren Sinne des Wortes, nnd zwar sowohl das einfn,chere Uebrauchsmobilia,r als auch das reichere l{epräsentationsmoliiliar einschließlich aller clazuzurech11enden Dekorations- und Ausstattu11gsstiicke (z. 13. Teppiche. Tapisscl'ien, Uhren, Tafelaufsätze us\\·.): dann: die \\'aJfcn, die im Xotfalle der \'el'- t·eidignng der Klosteranlage zu dienen hatte11, n11d die .Jagclmiffen: sie werden, im 1dealfalle, in eige11en H,i.ist- und Jagdkammern aufbewahrt ; und schließlich: die Summe der Urknnden und Archirn,lien, die a.us den Yerschiede11en Verwaltungs- und R,echtsgeschäften de,• Klosters erwachsen ist; sie bildet den Körper des betrnffenden K.losterarchives. Auf die Aufgaben und Bedürfnisse didaktischer, wissensclrnftlicher und kultmeller Natul' sind hingegen die folgenden Gegentotandskategorie11 ,-,111·iickzuföhre11 : einerseits d ie Gesamt heit des B ücherbestandes, dessen ~..\.ufbeW1thrnngsort die Bibliothek ist; a,ndererscits: allfällige Samml11nge11 , ·011 Lehrmitteln und Sammlungen naturgeschichtlicher. urgeschichtlicher. archäologischer. ethnogrnphischer oder lande:·- kuncllicher Ausrichtu11g, die in der Ha,uptsache dem U11terricbt und gegebenenfalls speziellen wissenschaftlichen Unternehmungen einzelner Konventualen gedient haben und dienen: und schließlich: die Uesamtbeit des mobilen Kunstbesit,-,eto, sofern es sich nicht um Gegenstände liturgischer Bestimmung und nicht um :VIobilien handelt, die ,·ornehmlich dem prakti:chen Gebrauche und der Ausstattung c.ler vVohn- und Hepräsentationsräume dienen. Der mobile Kunstbesitz eines Klosters in der soeben angedeuteten Einschränkung gliedert toich seinerseits - je nach den ob\\"altenden geschichtlichen Yoraussetzungen natürlich - in: erstens: eine Gruppe ,·on Bildern und Hilclwerken, die einst dem Schmucke des Gotteshauses beziehungsweise dem Schmucke der dem betreffenden .Kloster inkorporiel'ten Pfarrkirchen gedient hatten, mittlerweile aber, infolge vorgefallener Moclernisiernng, dieser ihrer ursprünglichen Bestimmung entfremdet und in eine mnseaJe Daseinsform übergeführt worden sind; in der Praxis handelt es sich dabei ,-,umeist um mittelalterliche Kunstwerke. die innerhalb der klösterlichen Kunstsammlungen manchmal den Inhalt ·ogenannter 1 Bruno Tho m as. Die :--r,, 1111.uf"stellung d er Hi-.st kn.111111er im ::;tift Kn,111s111ü11s1Pr , O.Ö. , in: Ösl..,.,.l'ichisch e Ze itschrift fü r K1111st, u11d DC'nkmalpfif•gc, XVJ.I. l!JUa, ::;_ J:l ff. l Dcnkmalpllcµe 6!)
I y 84. Stift Ki'emsmünster, O. Ö., Einblick in die 1962 neu eingerichtete Kunstkammer (BDA, I. Kirchhof) „gotischer" Abteilungen bilden (dazu gehören auch eventuell vorhandene Glasgemälde); zweitens: eine Gemäldegalerie mit Bildern der Renaissance, der Barockzeit und des 19. Jahrhunderts, die in der Regel auf systematische Ankäufe zurückzuführen ist, von deren Beständen aber immer ein gewisser Teil der Ausstattung der Abtei und der übrigen Repräsentationsräume dient; drittens: eine Kupferstichsamm lung, deren innerer Ort, ihrer Natur nach, etwa zwischen Bibliothek und Gemäldegalerie liegt; viertens: eine numismatische Sammlung, die ihr Entstehen zumeist historischen und epigraphischen Interessen verdankt; und fünftens: eine Sammlung von Objekten der Kleinkunst und des Kunstgewerbes, die alle jene Gegenstände umfaßt, die sich nicht in die übrigen Kategorien des angeführten Schemas einfügen. Sie besteht einerseits aus Gegenständen, deren Erwerbung auf das künstlerische Mäzenatentum der Prälaten zurückzuführen ist, und andererseits aus aufhebenswerten Objekten aus den Nachlässen ver storbener Kapitularen. Diese zuletzt genannte Sammlung von Gegenständen der Kleinkunst und des Kunstgewerbes kann je nach den lokalen Gegebenheiten entweder ein gestaltloses, lediglich auf das Walten des Zufalls zurück zuführendes Kunterbunt von mehr oder weniger ansehnlichen Objekten sein oder aber, wenn ihrer Anlage ein gewisses System zugrunde liegt, ein durchaus beachtenswerter Sammlungskörper eigener Prägung, den man, unter Umständen, als ,,Kunstkammer" bezeichnen kann. Als Kunstkammer wird man einen derartigen Sammlungskörper jedoch nur dann bezeichnen dürfen, wenn sich in seiner Struktur die Herkunft aus einer jener Sammlungen rinascimentalen oder barocken Charakters manifestiert, die man eben als ,,Kunstkammern" oder als ,,Kabinette" zu bezeichnen pflegt, und damit natürlich auch jene spezifische sammlerische Haltung, die der Anlage einer derartigen Kunstkammer oder eines der artigen Kabinettes zugrunde gelegen sein muß^.
Die sammlerische Haltung, die der Anlage einer spätrinascimentalen Kunstkammer oder der Anlage eines barocken Kabinettes vorauszusetzen ist, darf, im Prinzip zumindest, als eine enzyklopädische bezeichnet werden; ihr Interesse war gleichermaßen dem Reiche der Natur, dem Reiche der Wissenschaft nnd dem Reiche der Kunst zngewendet, nnd das Ideal, das ihr vorschwebte, war, zumindest im Zeitalter des Barock, das ,,Universal-Mnseum". Dementsprechend lassen sich die Kollektaneen eines barocken Kabinettes im Idealfall in drei Gruppen kategorisieren: in die Grnppe der ,,naturalia", in die Gruppe der ,,scientifica" und in die Gruppe der ,,artefacta"®. In einer derartigen barocken Universal-Sammlung befanden sich also nicht nur jene von der Hand des Menschen geschaffenen Gegenstände, die man als ,,Werke der Kunst" oder als ,,Werke der Kunstfertigkeit" bezeichnen kann, sondern auch alle jene Gegenstände, die wissenschaftlichen Zwecken dienten, und vor allem die verschiedenartigen Specimina der verschiedenen Reiche der Natur. Die Leistung, der sich das Stift Kremsmünster auf diesem Gebiete rühmen darf, ist eine doppelte. Einerseits ist es diesem Stift gelnngen, im Laufe jahrhundertelanger Sammeltätigkeit eine außer ordentlich bedeutende und wirklich umfassende Universal-Sammlung dieser Art zustandezubringen nnd, was nicht weniger wichtig ist, auch zu erhalten. Ihr Zustandekommen ist einerseits dem kulturellen Mäzenatentum seiner Prälaten und Mitglieder zuznschreiben und andererseits der unablässigen didak tischen Tätigkeit des Stiftes^. Die andere außerordentliche Leistung des Stiftes Kremsmünster bestand darin, daß es diesen seinen reichen Sammlungen zu einer Zeit, in welcher es kaum schon eigene Museums bauten gab, ein eigenes bauliches Heim errichtete: die sogenannte Sternwarte. Bei genanerem Zusehen zeigt sich nämlich, daß das Gebäude der Kremsmünsterer Sternwarte nach dem Grundgedanken seiner Erbauer nicht nnr zn astronomischen Zwecken errichtet wurde, sondern, eben im Sinne der vorhin apostrophierten enzyklopädischen Denkungsart, zur Pflege und Förderung der Gesamtwissenschaft im Sinne einer ,,LIniversitas scientiarum" nnd damit auch zur Unterbringung des gesamten zu einer der artigen Institution gehörigen Realien-Apparates®. Tatsächlich wurden schon in den Sechziger jähren des 18. Jahrhunderts die gesamten Sammlungen des Stiftes in diesem Bau untergebracht, und zwar nicht nur die naturgeschichtlichen und wissenschaftlichen Sammlungen nnd die unmittelbar dazugehörigen bibliothekarischen Behelfe, sondern auch die verschiedenartigen Artefakte einschließlich des sogenannten türkischen Kriegszenges, der Münzensammlung und der Gemälde. Die Leistung, die das Stift Krems münster mit der Errichtung dieses Universal-Museums vollbracht hat, ist eine ganz außerordentliche; sie hat noch längst nicht die ihr gebührende museologische Würdigung erfahren®. Ein rundes Jahrhundert blieben die gesamten Sammlungen des Stiftes in diesem ihrem Heim vereinigt. In den Sechziger jähren des 19. Jahrhnnderts wurde dann, dem sich differenzierenden Kultnrbewußtsein der Zeit entsprechend, eine Sonderung der Realia und der Humaniora durchgeführt ; die naturwissen schaftlichen Sammlungen verblieben in der Sternwarte, die Artefakte hingegen wurden in einige - Das grundlegende Werk über die Geschichte des Kuiistkamrnerwesons ist nach wie vor: Julius von Schlosser, Die Kunst-und Wunderkaminern der Spätrenaissance, Leipzig 1908. Gewisse Verzeichnungen der historischen Sachverhalte, die sich insbesondere aus einer inadäquaten Beurteilung der naturwissenschaftlichen Aspekte des ältcn-en Sammelwesens ergeben und sich aus der einseitig geisteswissenschaftlichen Grunddisposition des Verfassers erklären lassen, können den Wert dieser genialisch geschriebe'uen Darstellung nicht mindern. Als Materialsarnrnlung wird ferner stets heranzuziehen sein das heute ein bißchen in Vergessen heit geratene Buch von Gustav Klemm, Zur Geschichte der Sammlungen für Wissenschaft und Kunst in Deutschland. Zerbst 1838, in welchem die gesamte ältere museographische Literatur verzeichnet ist, und aus dem auch Schlosser ausgiebig geschöpft hat. ^ Diese Dreiteilung ist besonders klar formuliert in der für die Kremsmünsterer Sternwarte entworfenen Sammlungs-Ordnung {Laurenz Doberschitz, Specula Cremifanensis; Beschreibung der in dem mathematischen Thurme zu Cremsmünster befindlichen Naturalien, Instrumenten und Seltenheiten, 1764- [Cod. nov. 1048 in der Stiftsbibiiothek], S. 25f.; zitiert nach : Konstantin Werner, Die Sammlungen des Stiftes Kremsmünster in Oberösterreich, ihre Entstehung und Geschichte. Sonderdruck aus dem Jahi'buch des Städtischen Museums zu Wels 1936, Wels 1937. S. 25). ^ Zur Geschichte der Lehrtätigkeit des Stiftes Ki'emsmünster vgl.; Theodorich Hagn, Das Wirken der Benediktiner-Abtei Kremsmünster für Wissenschaft, Kunst und Jugendbildung, Linz 1848, und: Pankraz Stollenmayer, Aus der Geschichte unseres Gymnasiums, in: Festschrift des Professorenkollegiums zum vierhundertjährigen Bestände des öffentlichen Obergymnasiums der Benediktiner zu Kremsmünster, Wels 1949, S. 137ff. ^ Zur Geschichte der Sternwarte vgl. vor allem Sigmund Fellöcker, Geschichte der Sternwarte der Benediktinerabtei Krems münster, Linz 1864. ® Sub specie ,.eigener Museumsbau" betrachtet, ist das Gebäude der Kremsmünsterer Sternwarte anscheinend eines der frühesten der Art. Das Kasseler Museum Fridericianum wurde erst 1769—1779 nach Entwürfen von Simon Louis du Ry erbaut, die Ent würfe Hallers von Hallerstein für die Münchener Glyptothek entstanden 1814, dann erst folgten die Museumsbauten Schinkels in Berlin.
m"• . 1 -A 85. Stift Kremsmüiister, Kuastkammer; der sogenannte „Elefanteustuhl", Wien 1554 (BDA, I. Kirchhof) Räumlichkeiten des Altstiftes überführt und zu einem „Kunst-Museum" neuzeitlichen Charakters zusammengefügt. Dem aus der Sternwarte ausgeschiedenen Gesamtbestand der Artefakte gab man schon damals jene Gliederung, die im wesentlichen bis heute erhalten geblieben ist: Die Gemälde wurden in einer ,,Gemäldegalerie" vereinigt, die Waffen, das Jagdzeug und die Reste des sogenannten türkischen Kriegszeuges in einer ,,Rüstkammer", die Münzensammlung wurde, aus praktischen Gründen, in der Abtei hinterlegt, und alles übrige kam nun in die sogenannte,,Kunstkammer"'. Der gegenwärtige Inhalt dieser Kimstkammer ist also als ein Rudiment jener barocken Universal-Sammlung zu verstehen, in der er einst mit den übrigen Kunstwerken, mit den Naturalien und mit den wissenschaftlichen Geräten ver einigt gewesen ist. Das, was nach dieser Reduktion in der Kunstkammer verblieb, war noch immer ein imponierender Bestand. Seine Stärken hatte und hat er auch heute vor allem auf dem Gebiete der Holz- und Elfenbein schnitzerei des 17. und 18. Jahrhunderts; daneben gibt es eine Gruppe beachtlicher Gold- und Silber schmiedearbeiten, eine sehr interessante Sammlung von Arbeiten aus Wachs, verschiedenartige Arbeiten aus Stein und Halbedelstein, eine reiche Porzellansammlung, eine noch reichere Sammlung venezianischer und vor allem böhmischer Gläser, interessante Ostasiatica und Turcica, eine umfangreiche DosenVerschiedene Waffen und andere Kunstgegenstände wurden 1801 zur Ausstattung der Franzensburg in Schloß Laxenburg abgegeben; die meisten der alten Musikinstrumente gelangten 1836 als Beisteuer an das neugegrlindete Landesmuseum FranciscoCarolinura in Linz. Werner, a. a. O., S. 33.
I» *l».1 86. Stift Kremsmünstoi', Kuiistkammer; Sil berpokal mit Darstellungen aus der Geschichte des ägyi^tischen Joseph, Augsburg (Peter Winter?), 17. Jahrhundert (BDA, I. Kirchhof) 87. Stift Kremsmünster, Kuiist kammer ; Straußenei-Pokal, deutsch, erstes Viertel des 17. Jahr hunderts (BDA, I. Kirchhof) 88. Stift Kremsmünster, Kunst kammer; Kokosnuß-Pokal, deutsch, spätes 16. oder frühes 17. Jahr hundert (BDA, I. Kirchhof) Sammlung und einen mannigfaltigen Bestand verschiedenartiger anderer Gegenstände (Uhren, Leder arbeiten, Arbeiten aus Schildpatt, Arbeiten aus Koralle, intarsiierte Kästchen, Terracotten, Bestecke, Rosenkränze aus verschiedenartigen Materialien, einige Kameen und Intaglien usw.). Diese aus vielen Hunderten Stücken bestehende Sammlung wurde in den Sechziger jähren des 19. Jahrhunderts in einem verhältnismäßig kleinen und vor allem auch verhältnismäßig dunklen Raum der oberen Abtei unter gebracht, und zwar in jenem Raum, welcher unmittelbar an die Rüstkammer anschließt und in dem sich jetzt, nach der Neuordnung des Jahres 1962, die Kunstgegenstände des 19. Jahrhunderts befinden; an Mobiliar standen damals vor allem sieben schöne spätbarocke Schaukästen zur Verfügung, die wahr scheinlich aus der seinerzeitigen Ausstattung der Sternwarte stammen; dazu wurden dann noch einige andere Vitrinen angeschafft. Die Einrichtung, die damals geschaffen wurde, war für ihre Zeit sehr gut; sie hat abermals ein rundes Jahrhundert vorgehalten. Nicht mehr genügen konnte sie indessen den musealen Ansprüchen der Gegenwart. Sie litt vor allem an zwei Übeln: an einer übermäßigen, dem heutigen Empfinden nicht mehr erträglichen Dichte der Dar bietung einerseits, und am Mangel zureichenden Lichtes andererseits. In dieser ihrer alten Aufstellung bot die Kunstkammer den Eindruck eines verhältnismäßig wirren Gestrüppes ungezählter Gegenstände, Amn denen, mfolge der ungünstigen LichtArerhältnisse, nur die wenigsten in ihrer Individualität perzipiert werden konnten. Bei der Neueinrichtung des Jahres 1962 mußten daher A^or allem zwei Ziele angestrebt werden: eine maßvolle Lockerung der Aufstellung und eine Meliorisierung der Lichtverhältnisse. Die Aufgabe der Lichtung und Lockerung des darzubietenden Bestandes mußte indessen mit allergrößter Vorsicht angefaßt werden, denn zum Charakter einer alten ,,Kunstkammer" - und dieser Charakter
I' »l'A'aaBWMHB 89. Stift Kremsmünster» Kunstkammer; 3 '.J I Wf^7" Gnadenpfennig Kaiser Ferdinands II. . ' (BDA, I. Kirchhof) mußte unter allen Umständen gewahrt bleiben - gehört eine gewisse Dichte der Darbietung. Zu diesem Ende mußte also ein Mittelweg eingeschlagen werden, der einerseits zu einer zureichenden Sichtbarwerdung des Einzelgegenstandes führen und andererseits der Kunstkammer im Ganzen doch noch so viel wie irgend möglich von ihrer spezifischen ,.Fülle" erhalten sollte. Zum Zwecke dieser inneren Auflockerung wurden zwei Maßnahmen ergriffen. Es wurde die Kunstkammer einerseits in einen neuen, größeren und auch von Haus aus helleren Ranm transferiert, nämlich in jenen zwischen Kirche und Bibliothek gelegenen dreifenstrigen Raum, in welchem bis zn diesem Zeitpunkt die Gemälde des 19. Jahrhunderts untergebracht gewesen waren (während diese, wie angedeutet, in das bisherige Domizil der Kunstkammer übersiedelten). Vor der Übertragung der Gegenstände wurde dieser Raum hell gefärbelt und sein Fußboden abgezogen und versiegelt. Andererseits wurden zum Zwecke der inneren Entlastung vier Gruppen von Gegenständen ans der Substanz der Kunstkammer herausgelöst, und zwar die Gruppen jener Gegenstände, deren Charakter dem Wesen einer barocken Knnstkammer am fernsten zu stehen und deren Herauslösung also am ehesten vertretbar zu sein schien, nämlich: 1. die Sammlnng von Schnupftabakdosen®; 2. die Holzschnitzereien und die übrigen Gegenstände der Kleinkunst aus dem 19. Jahrhundert"; 3. die Glassammlnng^"; 4. die Porzellansammlungii. Die Dosen- ® Die Sammlung von Schnupftabakdosen floß aus den Hinterlassenschaften verstorbener Stiftsmitglieder zusammen. Sie umfaßt über 220 Objekte, darunter schöne Kupferemaildosen, Dosen aus Gold, Silber, Schildpatt, Perlmutter, Elfenbein, Holz etc. ' Bei den genannten Holzschnitzereien handelt es sich vor allem um Arbeiten der Linzer Bildschnitzer Johann Rint und Josef Sattler. " Die Glassammlung des Stiftes Kremsmünster, die den Stolz jeder kunstgewerblichen Sammlung bilden könnte, ist in der Hauptsache aus dem äbtliohen Tafelgeschirr erwachsen. Sie beinhaltet einige venezianische Gläser des 16. und 17. Jahrhunderts, einen sehr reichen Bestand an geschliffenen und geschnittenen böhmischen Gläsern des späteren 17. und vor allem des 18. Jahr hunderts und einen beachtlichen Bestand an Biedermeiergläsein. " Auch die Porzellansammlung des Stiftes dürfte im wesentlichen aus dem äbtliohen Tafelgeschirr erwachsen sein. Sie umfaßt verschiedenartige keramische Erzeugnisse und Porzellane aus Sevres, Meißen, Wien und anderen Erzeugungsstätten.
'■ ■ * 1 -4": mJ/^ ^f':/ <f i' 90. Stift Kremsmünster, Kunstkammer; Uhrzifferblatt mit der Darstellung der Trionfi nach Petrarca, Elfenbein, deutsch, vor 1682 (BDA, I. Kirchhof) Sammlung, die Holzschnitzereien des 19. Jahrhunderts und die übrigen aus dieser Zeit stammenden Gegenstände der Kleinkunst wurden sinngemäß in dem mittlerweile ebenfalls neu eingerichteten Raum des 19. Jahrhunderts untergebracht; die ganz hervorragende Glassammlung, die in der Hauptsache aus dem äbtlichen Tafelgeschirr erwachsen ist, wird zu einem späteren Zeitpunkt in transparenten Vitrinen in einem der Säle der Gemäldegalerie dargeboten werden, ebenso die Porzellansammlung. Die Herauslösung der Glassammlung und der Porzellansammlung hat drei von den sieben zur Verfügung stehenden barocken Schaukästen freigemacht, so daß der ursprüngliche Inhalt der vier übrigen Kästen nun auf sieben Kästen verteilt werden konnte. Damit war die erstrebte Bewegungsfreiheit erreicht. Von diesen sieben Kästen wurden drei an die dem Eingang gegenüberliegende östliche Schmalwand des neuen Raumes gestellt, die vier übrigen an die südliche Längswand; an der westlichen Kaminwand und an der nördlichen Fensterwand wurden verschiedene Gegenstände zum Teil in kleineren Vitrinen, zum Teil frei aufgestellt (Abb. 84). Bei der Einrichtung der Schaukästen wurde das alte, einer Kunstkammer barocken Typs einzig gemäße Prinzip der Aufgliederung nach Materialien beibehalten. Im mittleren Kasten der östlichen Schauwand wurden die Gold- und Silberschmiedearbeiten und die Arbeiten aus anderen Metallen untergebracht, in den Oberteilen der beiden flankierenden Kästen die Elfenbein schnitzereien, in ihren Unterteilen die Kunstdrechslereien aus Elfenbein und aus Holz. Von den vier Kästen der südlichen Längswand beinhaltet der östlichste nun die Schnitzereien aus Holz, der folgende die Arbeiten aus Wachs, der dritte die Arbeiten aus Stein (im Unterteil die Turcica) und der vierte und letzte eine Gruppe von Miszellen (im Unterteil die Ostasiatica). In zwei Pultvitrinen in den äußeren Fensternischen wurden kleinere Goldschmiedearbeiten und Emails untergebracht. Auf einem Tisch in der Mitte des Raumes wurden zwei Kassetten des 17. Jahrhunderts aufgestellt, die Kaminnische der
i; 1 Oben: 92. Stift Kremsmünster, Kunstkammer; Christus und die Samariterin am Brunnen, Weihwasserbecken aus Elfen bein, deutsch, 17. Jahrhundert (BDA, I. Kirchhof) Links: 91. Stift Kremsmünster, Kunstkammer; Geißelung Christi, Elfenbeinrelief, deutsch, Mitte des 17. Jahrhunderts (BDA, I. Kirchhof) Westwand konnte den berühmten „Elefantenstuhl" aufnehmen (Abb. 85). Ein von der Decke lierabhängender Kugelfisch und ein ebenfalls von der Decke herabhängendes, aus der Schnauze eines Säge fisches angefertigtes Schwert sollen nicht nur die Gattung der Mirabilia vertreten, sondern auch die Erinnerung wachrufen an den komplexen Charakter des barocken Kabinettes, aus welchem diese Kunst kammer herausgewachsen ist^^. In ihrer Arbeit ließen sich die Aufsteller jedenfalls von der Einsicht leiten, daß eine ,,museale" Darbietung im modernen Sinne des Wortes aus räumlichen, finanziellen und vor allem auch aus historischen Gründen nicht in Frage kommen konnte; hingegen drängten alle Ge gebenheiten in fast zwingender Weise zu einer möglichst intensiven Ausspielung der spezifischen Quali täten dieser Sammlung, das heißt zu ihrer möglichst ,,kunstkammermäßigen" Inszenierung. Zum Zwecke der zureichenden Sichtbarmachung der einzelnen Gegenstände wurde im Inneren der Kästen eine Beleuchtungsanlage eingerichtet, die aus einem System abgeblendeter Fluoreszenzröhren besteht. Mit Hilfe dieser Lichtquelle können die in den Kästen befindlichen Gegenstände auch an düsteren Tagen hinreichend wahrgenommen werden. Bei der Übertragung und Neuordnung der Gegenstände hat sich herausgestellt, daß manche von ihnen einer konservatorischen oder restauratorischen Behandlung bedürfen. Einfache Vorgänge (Reinigungen, Klebungen u.dgl.) konnten zum Teil im Zuge der Neueinrichtungsarbeit durchgeführt werden; die systematische Restaurierung der restaurierungsbedürftigen Objekte wird natürlich noch geraume Zeit in Anspruch nehmen. In dieser Beziehung ist sehr zu hoffen auf die sachkundige Hilfe der Restauratorin Für die Überlassung dieser beiden Objekte ist dem Kustos der naturwissenschaftlichen Sammlungen des Stiftes Kremsmünster, Herrn Oberstudienrat Prof. Dr. Reinhard Windischbauer, bestens zu danken.
93. vStift Kremsmünster, Kunstkammer; Charotte, Horn, viertes Viertel des 18. Jahrhunderts (BDA, I. Kirchhof) des Oberösterreichischen Landesmuseums, Akademische Konservatorin Frau Gisela de Somzee, die schon bisher im Rahmen des Möglichen helfend eingegriffen hat. Dem berechtigten Wunsche nach Lieferung eines Überblickes über die Schätze der Kremsmünsterer Kunst kammer kann im Rahmen dieses Berichtes nur in äußerster Knappheit entgegengekommen werden^®; die genaue Darstellung dieser Sammlung wird Sache eines erst zu erarbeitenden wissenschaftlichen Kataloges sein. Immerhin möge im folgenden eine Auswahl der wichtigsten Gegenstände vorgeführt werden. Aus dem Bestand an Gold- und Silberschmiedearbeiten verdienen in erster Linie hervorgehoben zu werden: ein ausgezeichneter getriebener Deckelpokal mit der Darstellung der Geschichte des ägyptischen Joseph, bei dem es sich möglicherweise um eine Arbeit des augsburgischen Goldschmiedes Peter Winter handelt (Abb. 86)^^, ferner ein schöner, aus dem frühen 17. Jahrhundert stammender Straußenei-Pokal (Abb. 87)1® sowie zwei süddeutsche Kokosnuß-Pokale des späten 16. oder frühen 17. Jahrhunderts (Abb. 88)1®. Ein Steingutgefäß mit einer vergoldeten Silberfassung von 1605, das in den Inventaren der Sammlung als ,,antik" geführt wird, ist in Wirklichkeit ein Erzeugnis der sogenannten Loschitzer Keramik des 15. Jahrhundertsi''. Aus der Gruppe der kleinformatigen Gegenstände der Metallkunst mögen Erwähnung finden; die beiden goldenen Gnadenpfennige Kaiser Ferdinands II., die in Gold emailfassungen der kaiserlichen Hofwerkstatt montiert sind (Abb. 89), ferner eine gravierte Silberplatte Eine erste Übersicht über die Bestände der Kremsmünsterer Kunstkammer lieferte Hermann Ubell: Die Kunstkammer des Stiftes Kremsmünster, in: Kunst und Kunsthandwerk, 13, 1910, S. 374ff. An diesem Pokal haftet die Tradition, daß er auf Grund eines zwischen dem Propste Georg von St. Floi'ian und dem Abte Johannes Spindler von Kremsmünster geschlossenen Abkommens im Jahre 1598 von St. Florian nach Kremsmünster gekommen sei. Der stilistische Befund widerspricht jedoch dieser Tradition, die wahrscheinlich auf ein anderes, vielleicht nicht mehr exi stierendes Objekt zu beziehen ist. Der Pokal trägt ein augsburgisches Beschauzeichen und eine Meistermarke PW, die der Meistermarke 613 entspricht, die Rosenberg dem Goldschmied Peter Winter (vermählt 1651, gestorben 1702) zuordnet. Jedenfalls handelt es sich bei diesem Pokal wohl kaum um eine Arbeit des 16., sondern um eine Arbeit des mittleren oder späteren 17. Jahrhunderts. Am Fuß dieses Pokales befinden sich zwei Punzen, die noch nicht aufgelöst werden konnten. Die Fassung des einen der beiden Kokosnuß-Pokale ist mit der Marke eines Meisters HW (in liegendem Oval) bezeichnet. Sehr verwandte Becher gibt bzw. gab es in der Sammlung Figdor, auf Burg Kreuzenstein, in der Sammlung der Grafen Trapp auf der Churburg, im Franzensmuseum in Brünn und anderwärts. Vgl. Walcher von Molthein, Beiträge zur Geschichte mittel alterlicher Gefäßkeramik, in: Kunst und Kunsthandwerk, 13, 1910, S. 80f. und S. 406, Abb. 6, 7 und 75. Dei- Kremsmünsterer Becher stammt aus der Mineralien- und Petrefakten-Sammlung des Linzer Landesrates Roger von Rutershausen, die im Jahre 1782 vom Stifte Kremsmünster erworben wurde; die in den Boden des Bechers flüchtig eingeritzte Zahl 2595 ist die Nummer der Sammlung Rutershausen. Rutershausen hatte den Becher angeblich in Enns erworben; die ebenfalls in die Bodenfläche ein gravierte Bezeichnung ,,WOLFF RAIDT 1605" ist eine Besitzerinschrift. 2 Denkmalpflege 77
Llr mm 94. Stift Kremsmünster, Kunstkammer; Holzrelief mit der Darstellung der Schlacht der Israeliten gegen die Amalekiter bei Raphidim. "während Moses, gestützt von Aaron und Hur, auf dem Berge betet; von Ignaz Elhafen. knapi? vor 1685 (BDA, I. Kirchhof) 95. Stift Kremsmünster. Kunstkammer; Hausaltärchen mit Halbedelstein-Commesso, Hl. Hieronymus, böhmisch, erstes Viertel des 17. Jahrhunderts {BDA, I. Kirchhof) mit der Darstellung der Kreuzigung Christi, die eine interessante, Dürers Stich B 24 von 1508 repli zierende Arbeit eines namentlich noch nicht bekannten Monogrammisten HIL von 1636 ist^®, mrd schließ lich eine signierte und mit der Werknummer 4176 versehene Taschenuhr des bedeutendsten englischen Uhrmachers des späteren 17. bzw. frühen 18. Jahrhunderts, Thomas Tompion^®. Wahrhaft außerordentlich ist der Bestand an Kleinbildwerken aus Elfenbein und aus Holz. Das promi nenteste Objekt der Elfenbeinsammlung ist das berühmte Uhrzifferblatt mit der Darstellung der Trionfi nach Petrarca (Abb. 90), für dessen Datierung die Erwerbungsnachricht aus dem Jahre 1682 einen ver läßlichen terminus ante quem ergibt^". Zwei Elfenbeinreliefs mit Darstellungen der Geißelung (Abb. 91) und der Dornenkrönung Christi, deren nächststehende Verwandte sich in der Geistlichen Schatz kammer in Wien befinden^i, sind deutsche Arbeiten des mittleren 17. Jahrhunderts^^; ebenfalls deutsch ist das vielleicht etwas jüngere Relief mit der Darstellung Christi und der Samariterin am Brunnen Es handelt sich um eine Gravierung, die von Haus aus nicht zum Abdruck bestimmt gewesen ist. Zu dieser Gattung vgl.: Arpad Weixlgärtner, Ungedruckte Stiche. Materialien und Anregungen aus Grenzgebieten der Kupferstiehkunde, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen .Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, 29, Wien 1910/11, S. 259ff. Geboren 1639, gestorben 1713, tätig in London. Auf Grund der Werlcnummer wird die Kremsmünsterer Uhr etwa in die Zeit um 1710 zu datieren sein. Vgl. R. W. Symonds, Thomas Tompion, his Life & Work, London 19.51. Die Erwerbungsnachricht mitgeteilt von: Bernhard Pösinger, Archivalische Vorarbeiten zur Österreichischen Kmisttopographie (Gerichtsbezirk und Stift Kremsmünster), herausgegeben von Willibrord Neumüller, Wien 1961, Nr. 2236. Zum Ziffer blatt selbst vgl. Ubell, a. a. O., S. 379; Eugen von Philippovich, Elfenbein, Braunschweig 1961, .S. 26.5f.; Enrico Morpurgo, Das Zifferblatt von Kremsmünster, in: Uhren-Journal, 29, 1961, >S. 210f. Der handschriftliche Katalog der Kremsmünsterer Kunstkammer von 1867 teilt auf S. 107 sub Nr. H 1 mit, daß zum Zeitpunkte seiner Abfassung das Ziflerblatt mit einem (mittler weile verlorenen) Uhrwerk des Linzer Uhrmachers Johann Wilhelm Kerler verbunden gewesen ist. Hermann .Fillitz, Katalog der Weltlichen und Geistlichen Schatzkammer, 3. Aufl., Wien 1961, S. 74, Nr. 115, und S. 75, Nr. 117. Die von Philippovich (a. a. 0., S. 183 und 184, in den Unterschriften zu Abb. 137 und 138) versuchte Zuordnung dieser beiden Reliefs zum Werke Georg Petels bedürfte noch einer sorgfältigen kritischen Überpi-üfung.
{)6. Ki'enismünster, Kunstkaininer; Kreuzabnahme, Holzrelief von Johann Georg fSchwanthaler (BDA, I. Kirchhof) (Abb. 92), zu dem es in der Elfenbeinsammlung des Bayerischen Nationalmuseums in München ein Vergleichsstück gibt^®. Eür die Elfenbeinschnitzereien eines schönen Ebenholzaltärchens, welches angeb lich vor dem Jahre 1688 von einem Pfarrer von Vilshofen erworben wurde, hat Philippovich den Bogener Meister Johann Gottfried Frisch namhaft gemachtVon den zahlreichen, sehr interessanten Kunst drechslerarbeiten aus Elfenbein mögen Nennung finden; eine sogenannte ,,Contrefaitkuger', die aus der Nürnberger Werkstatt der Zick stammen solP®, und eine hübsche Charette aus dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts (Abb. 93), die, wie manches andere aus dem Gebiete der Elfenbeindrechslerei, in die Gattung des Spielzeuges für Erwachsene gehört®®. Die bedeutendsten Objekte aus dem Bestand der kleinformatigen Schnitzereien aus Holz sind zweifellos die fünf Reliefs mit alttestamentarischen Kampfszenen von Ignaz Elhafen, die im Jahre 1685 erworben wurden (Abb. 94)®'; ferner befinden sich in diesem Bestand einige bezeichnete Arbeiten von Johann Rudolf Berliner, Die Bildwerke des Bayerischen Nationabnuseums (IV. Abteilung; Die Bildwerke aus Elfenbein, Knochen, Hirsch- und Steinbockhorn), Augsburg 1926, S. 75, Nr. 273, Abb. auf Tafel 175. Philippovich, a. a. 0., S. 201. : ^ Philippovich, a. a. O., S. 305, Abb. 230 und 230a. Eür die Bestimmung des Objektes danke ich Herrn Dir. Dr. Erwin M. Auer, Wien. " Die Erwerbungsnachricht bei Pösinger-Neumülier, a. a. O., Nr. 2366. Zu Elhafen vgl. Christian Scherer, Studien zur Elfenbein plastik der Barockzeit (Studien zur deutschen Kunstgeschichte, 12. Heft), Straßburg 1897, S. Iff., Christian Theuerkauff: Studien zur Elfenbeinplastik des Barock; Mathias Rauchmiller und Ignaz Elhafen (Dissertation der Universität Freiburg i. Br., zur Zeit noch ungedruckt), Freiburg i. Br. 1962 (zu den Kremsmünsterer Reliefs vgl. besonders S. 86 f. und Kat.-Ni'. 1, 2, 9, 70 und 71); Christian Theuerkauff: A signed ivory tankard by Ignaz Elhafen, in; Burlington Magazme, Juli 1962, S. 289 ff.
97. Stift Ki-emsinüiister, Kunstkammer; Kassette mit Elfenbein- und Schildpattbelag, deutsch, erste Hälfte des 17. Jahrhunderts (BDA, I. Kirchhof) Georg Schwanthaler, von denen wir an dieser Stelle eine Kreuzabnahme abbilden (Abb. 96). Besonders erfreulich ist der Umstand, daß zu den meisten der vorhandenen Holz- und Elfenbeinreliefs noch die hübschen barocken Originalrahmen erhalten sind. Bisher völlig unbeachtet ist die interessante Gruppe von Arbeiten aus Wachs, aus welcher als Beispiel ein Profilbildnis des Abtes Alexander a Lacu, das dem Stile des Antonio Abondio nahesteht, hervor gehoben werden möge^®. Ein Hausaltärchen mit einem den hl. Hieronymus darstellenden HalbedelsteinCommesso im Mittelfeld möge für die Gruppe der Arbeiten aus Stein stehen (Abb. 95); es handelt sich um eine böhmische Arbeit des ersten Viertels des 17. Jahrhunderts, zu der es in den Lobkowitzschen Sammlungen auf Schloß Raudnitz ein Gegenstück gegeben hat^®. Aus der Gruppe der Miszellen mögen noch zwei hübsche kleine Kassetten Erwähnung finden; das intarsiierte Klästchen®® gehört der zweiten Hälfte des 16., das mit Elfenbein und Schildpatt überzogene (Abb. 97) der ersten Hälfte des 17. Jahr hunderts an. Schließlich sei noch des notabelsten ,,Kuriosums" dieser Kunstkammer gedacht: des sogenannten ,,Elefantenstuhles'' (Abb. 85). Der Elefant, aus dessen Knochen dieser Stuhl angefertigt wurde, war jener berühmte erste Elefant in Wien, den Maximilian II. im Jahre 1552 aus Spanien mitgebracht hatte und der im folgenden Jahre infolge unsachgemäßer Betreuung einging; auf Wegen, die sich im einzelnen noch nicht genau verfolgen lassen, gelangte dieser Stuhl aus dem Besitze des Wiener Bürgermeisters Fi'itz Dworschak: Die iienaissancemedaille in Österreich, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien, IST. F. 1, 1926, 8. 228, Abb. 159. Das umfangreiche Schrifttum über die Abondio ist am besten zusammengestellt bei Fritz Dworschak: Antonio Abondio. Medaglista e Ceroplasta, Trient 1958. Max Dvofäk und Bob. Matejka: Topographie der Historischen und Kunst-Denkmäler des Königreiches Böhmen, Bd. XXVlI/2. Das Kaudnitzer Schlo(3. Prag 1910, 8. 214, Abb. 128 (bei diesem Raudnitzer Stück handelt es sich angeblich um ein Geschenk Kaiser Rudolfs H. zur Hochzeit Zdenek Adalberts von Lobkovic und der Polyxena von Pernstein, 1603); zur Gattung dieser böhmischen Commessi vgl. Erwin Neumann, Florentiner Mosaik aus Prag, in: Jahrbuch der Kunst historischen Sammlungen in Wien, Bd. 53, 1957, S. 157 ff. Zur Gattung dieser intarsiierten Kästchen vgl. Lieselotte Möller, Der Wrangelschrank und die verwandten süddeutschen Intarsienmöbel des 16. Jahrhunderts, Berlin 1956.
Blasius Huetstocker, der ihn im Jahre 1554 hatte anfertigen lassen, in die Enzmillnersche Kunstkammer auf Schloß Windhag bei Perg und von dort in die Kunstkammer des Stiftes Kremsmünster^^. Dieser merkwürdige Stuhl mag dem heutigen Betrachter in der Tat als nichts anderes erscheinen denn als ein belächelnswertes Kuriosum; es sollte indessen bedacht werden, daß dieses freilich etwas abstruse Gebilde Relikt und Zeugnis einer durchaus ernsthaften Unternehmung ist: Relikt und Zeugnis jener berühmten Tiergärten, die Kaiser Maximilian II. aus echtem zoologischem Interesse in den Sechzigerjahren des 16. Jahrhunderts beim Neugebäude und in Ebersdorf hatte einrichten lassen. Nach der Neueinrichtung der Rüstkammer war die der Kunstkammer die zweite Etappe auf dem Wege zu einer zeitgemäßen Neuordnung der Kunstsammlungen des Stiftes Kremsmünster. Ihre Verwirk lichung ist in erster Linie dem außerordentlichen kulturellen Verantwortungsbewußtsein Seiner Gnaden des Herrn Abtes Ignaz Schachermair und des P. Priors, Herrn Rudolf Hundstorfer zu verdanken; beide Herren haben die Durchführung der Arbeiten in wahrhaft wohlwollender und großzügiger Weise ge fördert. P. Willibrord Neumüller, der Kustos der Kunstsammlungen des Stiftes Kremsmünster, war der Motor des Unternehmens, während Dr. Ortwin Gamber von der Waffensammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien ein beträchtliches Quantum ideellen Treibstoffes beisteuerte; der dynamischen Schub kraft des einen ist es im Verein mit der liebenswerten Besessenheit des anderen gelungen, alle natürlichen Schwerfälligkeiten der Materie zu überwinden und die gestellte Aufgabe binnen kürzester Frist der Erfüllung zuzuführen. Der Neueinrichtung der Kunstkammer soll nun auch die der Gemäldegalerie des Stiftes Kremsmünster folgen. Mit der Neugestaltung des Saales des 19. Jahrhunderts, die von Frau Dr. Friderike Klauner von der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien in Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Ortwin Gamber ebenfalls im Jahre 1962 durchgeführt wurde, ist auch dieser dritte Abschnitt der Reorganisation der Kunstsammlungen des Stiftes Kremsmünster vielversprechend eingeleitet worden. Es wäre zu wünschen, daß die noch ausstehenden Arbeiten eine zügige Fortführung finden und zu einem baldigen Abschluß gelangen mögen. Zur Geschichte dieses Elefanten bzw. des Elefantenstuhles vgl. Wilhelm Kisch, Die alten Straßen und Plätze Wiens und ihre historisch interessanten Häuser, Wien 1883, S. 117; Fritz Dworschak. Die Renaissancemeclaille in Österreich, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien, N.F. 1,1926, S. 220 und Tatel XXV, Abb. 6 {zeitgenössische Medaille auf diesen Ele fanten) ; Werner, a. a. O., S. 19 und 23 (Wiedergabe der Beschreibung aus der Topogj-aphia Windhagiana, 1673); AlphonsLhotsky: Festschrift des Kunsthistorischen Museums in Wien, Il/l, 1941/45, S. 177, Anm. 164 (Mitteilung der Inschrift des Elefanten stuhles). Das Hotel ,,Zum Elefanten" in Brixen verdankt seinen Namen dem Winteraufenthalt dieses Elefanten auf seiner Reise nach Österreich. Heinz Althöeer ZUR DOKUMENTATION IN DER GEMÄLDERESTAURIERUNG Der urkundliclie Wert eines Kunstwerlies^ erfordert bei restauratorischen Eingriffen eine Fixierung des Vorzustandes und genaue Aufzeichnungen über Art und Umfang des Eingriffes. Ebenso müssen alle Ergebnisse naturwissenschaftlicher Untersuchungen, die häufig nur während einer durchgreifenden Restaurierung möglich sind, festgehalten werden (Abb. 98)^. Diese Fakten sind für die spätere konservatorische Betreuung® des behandelten Objektes ebenso nützlich wie für die Erforschung all gemeiner technischer und historischer Fragen der Restaurierung. 1 Vgl. C. Brandl, 11 restauro dell'opera d'arte secondo rinstanza della .storicita. Bolletiiio deiri.stituto Centrale del Restauro, 11-12, 1952, S. 11.5-119. H. Focillon, Lob der Hand, Bern 1958; Einführung von Rene Huyghe, Henri Focillon als Kunst historiker. ö. 7—18. G. Bandmann, Das Kunstwerk als Geschichtsquelle. Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwiss. und Geistesgeschichte, 1950, S. 454—469. Bei der 1854 erfolgten RückÜbertragung der ursprünglich auf Leinwand gemalten und wahrscheinlich Ende des 17. Jahrhunderts auf eine Holztafel geleimten ,,Kirsehenmadonna" von Tizian im Kunsthistorischen Museum in Wien vermerken die Zeitgenossen ausdrücklich die Gelegenheit, Einblicke in Tizians Maltechnik zu gewinnen. Der als Restaurator seinerzeit angesehene Kustos Engert fertigte von der freiliegenden Bildrückseite eine Kopie, die sich im Kunsthistorischen Museum befindet. Vgl. Perger, Die Kun-stschätze Wiens, 16. Heft, Triest 1855. ® E. Willemsen, Die Restaurierungswerkstatt — Aufgaben und Probleme. .Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege, XXIII, 1960, S. 324.
Ir-'w 'v&is 98. Kopie von. Kngort nach der Kilckseito dei" ,,Kirschenrnadonna^' von Tizian im Kun.sthistorischeM Museum in Wien. Ihre Rückseite wurde während der Übertragung des Gemäldes auf einen neuen .Bildträger sichtbar (Kunsthistorisches Museum, Wien) An allen bedeutenden Restaurierinstituten werden solche photographischen und protokollarischen Dokumentationen durchgeführt. Da, wo sie bereits vor Jahren oder Jahrzehnten systematisch in Angriff genommen wurden, machen sie einen bedeutenden Teil der gesamten Einrichtung aus. In steter Korrespondenz mit der praktischen Restaurierung hestimmen diese Unterlagen den Eingriff am Objekt in ähnlicher Weise wie die naturwissenschaftlichen Untersuchungen. Die in der Dokumentation gesammelten und ausgewerteten Ergebnisse können dazu beitragen, die praktische Arbeit rationeller und für das Kunstwerk gefahrloser zu gestalten. Sammlung und kritische Würdigung historischer Belege ebenso wie Fakten vorausgegangener Restaurierungen und Untersuchungen helfen mit, den jeweiligen Eingriff aus der bloßen Empirie zu lösen. Erst wenn alle Vorarbeiten und Erkenntnisse, Erfahrungen und Möglichkeiten sinnvoll bereitgestellt werden, kann der Versuch, die Restaurierung aus Zufälligkeit und Freizügigkeit zu lösen, fruchtbar werden. Da der Restaurator nicht irgendeinen Gegenstand, sondern ein Kunstwerk behandelt*, stellt sich seine Aufgabe nicht nur als technisches Problem. Sie ist vielmehr eine Auseinandersetzung mit ästhetischen und historischen Gegebenheiten®. Es finden sich schon sehr früh Versuche, den dokumentarischen Charakter des Kunstwerks bei der Restaurierung zu respektieren". Das geschah einmal, indem man den originalen Bestand unverändert konservierte, und zum anderen durch eindeutige Hinweise, was am Kunstwerk ergänzt, verändert und durch Restaurierung hinzugefügt wurde. Solche Zeichen, wie Inschriften, Schlagmarken u. ä., halten C. Brandi, II restaui-o e riritei-pretaziono doU'opera d'arte. Atti del Sominaro di Storia deU'Arte, 1-1.5, 1953, p. 92. ^ P. Philipi^ot, Die Integration von Fohlstellen in der Gemäldore.stau]'ierung. Österr. Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, 1962,4,8.119-128. " Vgl. vor allem W. Götz, Beiträge zur Vorgeschichte der Denkmalpflege, Leipzig 1951 (Diss. Manuskript).
/ »p»i -. i .,/. u 99. Stich nach Verriet, Meer bei Mondbeleuchtung, in der Graf Harrach'schen Gemäldegalerie in Wien, hinten rechts die vom Stecher mitreproduzierte Beschädigung des Bildes durch einen Bombensplitter (Graf Harrach'sche Gemäldegalerie, Wien) den restauratorischen Eingriff im Kunstwerk selbst fest. Sie sollen Primärdokumentationen genannt werden. Daneben gibt es Berichte und andere Unterlagen, die mehr oder weniger exakt über liefern, welche Maßnahmen vorgenommen wurden, wo sich Ergänzungen befinden usw. Sie sollen Sekundär dokumentationen genannt werden. Beide Dokumentationsweisen können auch gemeinsam, einander ergänzend, auftreten. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts werden solche Feststellungen unsystematisch, die schriftlichen häufig anekdotisch und literarisch verbrämt, aufgezeichnet. Der gleiche Wert ist fast allen geheimnisvollen Beschreibungen, wie sie in der Alchimie üblich sind, von Restaurierungen dieser Zeit beizumessen. Die wenigen Ausnahmen lassen eine Bewertung als exakte Dokumentation nicht zu. Erst mit dem Klassizismus beginnen die Versuche, durch genaue Unterscheidung von Original und Ergänzung, durch Zeichen und Inschriften und detaillierte Berichte alle restauratorischen Maßnahmen dokumentarisch zu fixiereiP. Diese Bemühungen waren nicht von Dauer®, und bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein herrscht Unklarheit über Notwendigkeit und Art exakter Dokumentation in der Gemälderestaurierung. Erst nachdem sich an der Frage der Fehlstellenergänzung die Diskussion um Originalität und Urkunden charakter entzündet, sind die ersten Vorläufer einer modernen Restaurierdokumentation anzutreffen. In eindeutiger und konsequenter Weise nimmt Max von Pettenkofer dazu Stellung, indem er 1870® auf die Bedeutung des Kunstwerkes als ,,Urkunde" hinweist und ,,kennbar unzweideutige Zeichen" für jede Mit dieser Entwicklung geht die Inventarisierung Hand in Hand. Vgl. dazu P. O. Rave, Anfänge und Wege der deutsehen Inventarisation. Deutsche Kunst- und Denkmalpflege, 1953, 1, S. 73—88, und P. Hirschfeld, Über die Stellung der Denkmalpflege und Inventarisation in der Kunstwissenschaft. Kunst in Schleswig-Holstein, 1951, S. 88—98. ® E. Brües, Raffaele Stern, Bonn 1958 (Diss. Manuskript). ® M. V. Pettenkofer, Über Ölfarbe usw., Braunschweig 1870, 75.
Zutat und Veränderung des Gemäldes durch den Restaurator und jeweilige Bestandsaufnahme vor und nach jeder Restaurierung fordert". Ähnlich äußert sich Adalbert Stifter im Nachsommer". Frimmel fordert bereits um die Jahrhundertwende für alle öffentlichen Sammlungen ausführliche „Protokolle über jeden Schritt zur Erhaltung einzelner Bilder" und deren Publizierung. Diese Protokolle sollen u. a. Hinweise „auf die guten oder schlimmen Erfahrungen, die mit den ausgeübten Methoden früher erzielt worden sind" enthalten^^. Frimmel geißelt mit diesen Forderungen die Geheimnistuerei der Restau ratoren und Museen und vermutet mit Recht, daß öffentliche Protokolle für spätere Restaurierungen und damit für die Bilder nützlich sind. Er vertritt 1896 einen Gedanken, der erst Jahrzehnte später von wenigen Instituten systematisch aufgegriffen wird: die Gründung einer ,,Sammlung für Gemäldekunde'"^. Darunter versteht Frimmel eine Sammlung aller alten Bestandteile, die beim Restaurieren abfallen: Leinwandreste, Malbretter, Marken usw. Er erkennt die Chance des Restaurators, während der Arbeit wichtige Einblicke in Bildschichten zu erhalten, die sonst nicht untersucht werden können. Frimmel regt an, diese Beobachtungen ,,in wissenschaftlicher Weise festzuhalten". Damit ist bereits um die Jahrhundertwende fast der ganze Bereich einer erstrebenswerten wissen schaftlichen Restaurierdokumentation abgesteckt. Alle nachfolgenden Bemühungen und Forderungen können nur noch Erweiterung, Systematisierung und Verfeinerung bedeuten. Vor allem mit der Weiter entwicklung der technischen Mittel, wie Photographie, Röntgenuntersuchungen usw., ergeben sich neue Möglichkeiten der Dokumentation, die anscheinend eine direkte Bezeichnung der Veränderung am Objekt selbst (Primärdokumentation), zumindest was die musealen Kunstwerke betrifft, weitgehend überflüssig machen. Dieser Gesichtspunkt spiegelt sich am deutlichsten in der Frage der Fehlstellen ergänzung. Entwicklung und Vorläufer der photographischen Dokumentation Mit Beginn unseres Jahrhunderts gewinnt die photographische Dokumentation (Sekundärdokumenta tion) immer mehr Bedeutung. Sie baut auf jene Vorläufer auf, die schon kurz nach der Mitte des 19. Jahrhunderts anzutreffen sind. Ein Gemälde von Quaglio (etwa 1830) wird 1859 von Albert photographiert und auf Veranlassung Pettenkofers 1864 nochmals aufgenommen. Der Vergleich zeigt die Zunahme der Sprünge, Risse und Trübung innerhalb der dazwischenliegenden Jahre. Nach der Regenerierung wurde eine Besserung und nach weiteren fünf Jahren keine neuerliche Veränderung festgestellt. Diese Untersuchung - für Pettenkofer eine Bestätigung seines Verfahrens^^ - ist eines der frühesten Beispiele systematischer Auswertung photographischer Dokumentation in der Gemälde restaurierung. Pettenkofer empfiehlt, solche Zustandsphotos (vor und nach der Restaurierung) neben die restaurierten Bilder zu hängen, um so dem interessierten Publikum Einblick zu gewähren und Rechenschaft über den Eingriff zu geben. Von 1877 ist die photographische Dokumentation einer Fehlstellenergänzung im Archiv der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen überliefert": Anläßlich der Spaltung einer Tafel von Lucas van Leyden, die 1874 erfolgte, wurde die Seite mit der ,,Verkündi gung" angesägt. Die anschließend notwendige Retusche führte der Historienmaler Ludwig Löfftz aus. Ein Photo vom 20. April 1877 zeigt die mit Bleistift eingezeichnete Ergänzung. In den folgenden Jahren wird der Wert der photographischen Dokumentation immer mehr erkannt. Nach 1900 weist besonders Bauer-Bolton^® auf die Bedeutung von Zustandsphotos hin und meint, daß gerade für den Restaurator die von Justi und Glück vorgeschlagenen schriftlichen Angaben von Zuständen in Büchern und Unterlagen wertlos seien. Er fordert die Einrichtung eines photographischen Zentralarchivs und schlägt vor, die photographische Dokumentation der einzelnen Museen aufeinander R. Emmerich, Festrede ... zu Ehren Max v. Pettenkofers, München 1915, S. 50. Vgl. E. Bertram, A. Stifter als Bewahrer alter Kunst. Festschrift Paul Clernen, 1926, S. 40. Th. V. Frimmel, Handbuch der Gemäldekunde, 2. Aufl., Leipzig 1904, S. 123. Th. V. Frimmel, Handbuch der Gemäldekunde, a. a. O., S. 30f. " M. V. Pettenkofer, Über Ölfarbe, a. a. 0., S. 45f., 70, 99. Restaurierungsprotokoll von 1877 und zwei Briefe des Bayer. Staatsminist, des Inneren an die k. Centrai Gemäldegallerie vom 4. Okt. 1875. V. Bauer-Bolton, Sollen fehlende Stellen bei Gemälden ergänzt werden? München 1914, S. 45.
abzustimmen Wie Frimmel sieht Bauer-Bolton in diesen photographischen Unterlagen eine Möglich keit, die immer noch herrschende Geheimnistuerei im Restaurierwesen zn überwinden. Mit Entwicklung der photographischen Technik weiten sich die Möglichkeiten dieser Doknmentation immer weiter ans: Routinemäßig wird sie in jede durchgreifende Restanrierung und Bilduntersuchung eingeschaltet Schließlich wird auch versucht, mit Hilfe photographischer Vorlagen die Rekonstruktion fehlender Teile zu ermöglicheni®, und hier und da vertritt man die Ansicht, die Zurschaustellung photo graphischer Dokumentation könne dem Betrachter neue Möglichkeiten der Begegnung mit dem lUmstwerk vermitteln. Zustandsphotos u. ä. versetzen ihn in die Lage, den Reichtum und die Feinheit des Nebensächlichen aufzuspüren2®. Trotz wertvoller Hilfestellung der photographischen Dokumentation muß ihre Begrenzung erkannt werden. Absichtlich oder ungewollt können Photographien den wirklichen Zustand eines Gemäldes außerordentlich entstellt wiedergeben. Die Aussage einer photographischen Vorlage ist darum relativ und ihre Zuhilfenahme in der praktischen Restaurierung nur unter Vorbehalt zulässig^^. Ähnlich wie bei der Verwendung alter Stiche und dergleichen kann sich die Restaurierung verleiten lassen, auf einen fiktiven ursprünglichen Zustand und nicht auf das tatsächliche Original hinzuarbeiten. Wie eine Kopie hat das Photo im Verhältnis zum Original nicht den Charakter eines sicheren Dokumentes, sondern bestenfalls den einer Analogie. Einzig bei der Frage nach tatsächlich vorhandenen Fehlstellen und deren Ergänzung scheint die Photographie weitmögiiche (und bessere als jedes andere Doknment) Klarheit zu vermittelnd^. Auskunft über Oberflächenstruktur, Farbcharakter, Firnis usw. vermag sie nur bedingt zn geben. Darum kann die Photographie - auch die Farbaufnahme - z. B. bei Fragen der Firnisabnahme (Reinignng) kaum stichhaltige Argumente liefernd®, jjgjj meisten Fällen werden schriftliche Protokolle und naturwissenschaftliche Untersuchungsergebnisse aussagekräftiger sein. Noch größere Znrückhaltung ist gegenüber anderen Bildvorlagen, wie Stichen, Kopien und dergleichen, geboten, die als direkte Vorläufer der photographischen Doknmentation anzusehen sind. Hier ist, besonders bei Kopien, das interpretative Element ungleich größer als bei einer vergleichsweise objek tiven Photographied^. Trotzdem gibt es Fälle, in denen ein Stecher in minutiöser Exaktheit den Znstand und eventnelle Schäden eines Gemäldes überliefert hat. So in einem Stich nach Vernet, ,,Meer bei Mondbeleuchtung", in der Graf Harrach'schen Gemäldegalerie in Wiend® (Abb. 99). Der Stecher hat die 1848 erfolgte Beschädigung (ein Loch in der rechten unteren Bildecke, diagonal gemessen 11x9 cm) mit einer Präzision wiedergegeben, die von keiner Photographie übertroffen werden kann. Die Beschädi gung, anläßlich einer Restaurierung am Anfang unseres Jahrhnnderts von Jasper absichtlich belassen, befand sich bis zur Restaurierung von 1961 auf dem Bild und konnte Punkt für Punkt mit dem Stich verglichen werden. Nach der Ergänzung der Fehlstelle hat der Stich die Qualität einer einwandfreien Dokumentation des Vorzustandes. Allerdings ist der Stich nicht als Restaurierungs- sondern als Ders., S. 52ff. M. Hours-Miedan, A la decouverte de la Peinture, Paris 1957, pp. 27ff. E. W, Kudrjawzew, Die Technik des Gemälderestau rierens, Leipzig o. J. (Moskau 1945), S. 155. K. 8chmidt-Thomsen, Rekonstruktion barocker Wandmalereien. Maltechnik, 1955, 3, S. 82-86, und Österr. Zeitschr. f. Kunst u. Denkmalpflege XI.I, 1958, 1/2, 8. 59, Abb. 77. - Bei der Verwendung jjhotographischer Vorlagen, die direkt in eine Fehlstelle eingebaut werden, ergibt sich die Möglichkeit, das Restphoto als Sekundärdokurnent aufzubewahren. Fi-eundliche Mitteilung von Restaurator Reimold, Niedersächs. Landesmuseum, Hannover. M. Horster, Die Ausstellung ,,Quattro Maestri del Primo Rinascimento'' in. Florenz. Kunstchronik, 1954, 8. 177-180. Vgl. Les Primitifs Flamands. III. Contributions ä l'etude des Primitifs Flamands, 2. L'Agneau Mystique au Laboratoire. Examen et traitement. 8ous la direction de Paul Coremans, Antwerpen 1953. Bespr. v. Chr. Wolters in: Kunstchronik 1954, 8. 227f. W. Frodl, Die Romanischen Wandgemälde in der 8tiftskirche am Nomiberg in 8alzburg. Österr. Zeitschr. f. Kunst u. Denkmalpflege, IX., 1955, 8. 90ff. Dazu: M. Friedländer, Von Kunst und Kennerschaft, Berlin 1955. 8. 51 f. u. 131 f. Vgl. Bericht vom 12. Sept. 1923 im Archiv der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Vgl. dazu: C. Brandl, The Cleaning of Pictures in Relation to Patina, Varnish and Glazes. The Burlingtoii Magazine, 1949, pp. 183ff. Gerade die Diskussion um das Thema der Firnisabnahme zeigt die Relativität der Dokumentation bzw. ihrer Aus wertung und Zurschaustellung. Vgl. H. Aulmann, Die Ausstellung ,,Cleaned Pictures" in der National Gallery in London. Kunstchronik, 1948, 8. 1-7, und Verena Hahn, The Problem of Cleaning pictures - subject of international discussion. Zbornik zastite spomenika kulture, 1951, 8. 51-57. Auf die Fragwürdigkeit alter Stiche als Vorlagen bei Restaurierungen weist bereits H. Holey in seinen Erläuterungen zum ,,Denkmalschutzgesetz für Österreich" hin. Vgl. Flugschriften des Vereins zum Schütze und zur Erhaltung der Kunstdenkmäler Wiens und Niederösterreichs, Bd. V, Wien u. Leipzig 1911, 8. 35. Siehe auch H. Althöfer, Die Retusche in der Gemälderestau rierung. Museumskunde, 1962, 2, Anm. 67. Daraufhat mich Robert Keyszelitz, Wien, hingewiesen. 3 Denkmalpflege
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