Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

dieser Zeit durchgeführten Reparaturen beschränkten sich noch mehr als im vorhergehenden Zeitabschnitt auf die Er haltung des Gebäudes in konstruktiver Hinsicht mit Preisgabe fast aller Einzelheiten. Und doch waren die Vernichtungen an kirchlicher Architektur, sowohl quantitativ wie qualitativ, gering im Vergleich zu dem, was den sonstigen Gruppen von Bauwerken widerfuhr. Am stärksten wurden die Schlösser getroffen. Wenn man auch in der Literatur immer mehr für die Romantik der mittel alterlichen Burgen schwärmte, so hatten sich doch in Wirklich keit die Wohnansprüche zu sehr verändert, als daß man alte Schlösser noch bewohnen hätte können. Im 17. Jahrhundert wurden die meisten mittelalterlichen Schlösser tatsächlich noch bewohnt und nach Kriegsschaden oder Verfall wieder instand gesetzt. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts wurden sehr viele noch unversehrte mittelalterliche Schlösser abgebrochen. Einige blieben bewohnt und wurden so verbaut und verunziert, daß sie nie mehr wiederhergestellt werden können. Nicht nur die mittelalterlichen Schlösser, sondern auch viele schöne Landhäuser der reichen Kaufleute aus dem 17. und 18. Jahr hundert fielen mit ihren schönen Gärten der Armut der französischen Zeit und später dem veränderten Geschmack zum Opfer. Diese Entwicklung ist um so beklagenswerter, als die Schlösser und Landhäuser in unserem Land immer sehr kleine, beinahe bürgerliche Ausmaße hatten, so daß es möglich gewesen wäre, sie zu erhalten. Die Stadtbauten, wie Stadttore, Waagen, Verkaufshallen und Rathäuser, fielen in dieser Periode, nachdem sie lange Zeit der Stolz der Städte gewesen waren, nacheinander der Moderni sierungssucht oder der Abbruchswut zum Opfer. Selbst die großen Kirchentürme, die jahrhundertelang von den Städten sorgfältig instand gehalten worden waren, wurden ernstlich bedroht. Sogar die schönsten Türme unseres Landes, wie die Türme des Utrechter Domes und die Tiü'me der ..Oude Kerle" in Delft, liefen Gefahi', abgebrochen zu werden. Der historische Aspekt, den Holland noch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts bewahrt hatte und der sich aus zahlreichen, m schöner Landschaft gelegenen Städten mit bedeutenden mittelalterlichen Kirchenbauten, Rathäusern aus dem 17. Jahr hundert, Bürgerhäusern und Waagen zusammensetzte, wurde in einer kurzen Zeitspanne durch Abbruch und verständnislose Erneuermigen fast gänzlich vernichtet. Mit der geistigen De pression als Folge der Trennung von Belgien, das von 1813 bis 1839 mit dem Königreich der Niederlande verbunden gewesen war, erreichte dieser Zeitabschnitt in vieler Hinsicht einen Tiefstand. Nach dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts ist es das zweite Viertel des 19. Jahrhunderts, in dem unsere Denkmäler das ärgste Schicksal erlebten. Gegen die Mitte dieses Jahrhunderts begann eine neue Periode der Restaurierungen. Allerdings erfolgten diese Wiederherstel lungen auf eine Weise, die sich noch weniger als dies im vorigen Jahrhundert der Fall war, der ursprünglichen Bautechnik anpaßte. Das Steinmetzgewerbe war tot und man untei-nahm nichts, um es wiederzubeleben. Es bestand vielmehr die Tendenz, die neuesten Baumaterialien, wie Gußeisen und Portlandzement, an den alten Baudenkmälern zu erproben. Man versuchte also auf billige Weise die Gebäude in ungefährer Bewahrung ihres alten Charakters aufzufrischen. Im Süden des Landes wurden aber einige Versuche zu besserer Arbeit unteri\ommen, vermutlich untci- dein Einfluß von Belgien, wo man damals sehr viel restaurierte. Die ersten Schwalben, die noch lange keinen Sommer machten, waren die Restau rierungen des Turms von Breda (1843-1870) und der St. Johannoskirche in Hertogenbusch, beides gotische Bau werke mit sehr reichem Dekor. Bei diesen Restaurierungen wurden zum ersten Mal seit dem 17. Jahrhundert in unserem Land wieder Erneuerungsarbeiten in Naturstein durchgeführt und neuerdings eine Bauhütte errichtet (Abb. 33). Die St. Johanneskirche in Hertogenbusch war bereits im 18. Jh. ,,restauriert" worden, wobei das Fonstermaßwerk in Holz erneuert und viele Natursteine weggenommen worden waren. Die zentrale Persönlichkeit in dieser Strömung, die auf die Wiederbelebung des Baufaches hinzielte, war der Limburger Architekt P. I. H. Cuypers (1827-1921), der in Antwerpen seine Ausbildung an der Kunstalcademie und im Büro des Stadtbaumeistei's genossen hatte. Er sollte unser wichtigster neugotischer Baumeister werden. Überdies war er der Schöj^fer des Reichsmuscums in Amsterdam und wui'de auch zur Wieder herstellung des Mainzer Domes, 1871-1877, beigozogen. Nach seiner Rückkehr aus Antwerpen begann er mit der Wieder herstellung einiger romanischer und gotischer Kirchen in Limburg. Am imponierendsten war die Wiederherstellung der niederrheinischen Klosterkirche aus dem frühen 13. Jahr hundert in Roermond, mit der man 1851 begonnen hatte. Die Denkm.\lpflege 1875-1945 Die Erneuerung der Restaurierungsmethoden, die sich im »Süden des Landes unter belgischem Einfluß abzuzeichnen begannen, vollzog sich völlig ohne Mithilfe der Obrigkeit. Der Staat gab häufig beträchtliche Beträge für die Erhaltung der alten Kirchengebäude aus, kümmerte sich aber nicht darum, auf welche Weise dies geschah. Die Auffassung, daß der Staat sich um die Denkmalpflege zu kümmern habe, wurde deutlich, als ein Artikel des Maastrichter RechtsanwaltesDr. Victor de Stuers die in un.serern Land herrschenden Mißstände anpi-angerte. Mit .seiner Ernennung zum Obergerichtsrat beim Ministerium des Innern im Jahre 1874 hatte er seine »Sache durchgesetzt. Damit begann eine neue Periode der Geschichte der Denkmalpflege. Die Denkmal- ])flege, die im 17. Jahrhundert die »Sache städtischer Gemein schaften gewesen war und die im 18. und 19. Jahrhundert allmählich aufgehört hatte, kam im ausgehenden 19. Jahr hundert als Tätigkeit des Staates zu neuem Leben. Durch persönliches Eingreifen von de Stuers, dem der Haus haltsplan Ausgaben in beschränkter Höhe bewilligte, wurden viele unfachmännische Repai'aturen, Modernisierungen oder Abbruchpläne abgewendet und in Restaurierungen um gewandelt. Diese Restaurierungen mußten den Glauben an den früheren Glanz der Baukunst wecken und ihre Wieder belebung möglich erscheinen lassen. Die verfallene ,,Haut" der Gebäude wurde von Grund auf erneuert, dabei ZutateJi aus späterer Zeit entfernt und fehlende Details im Stil ergänzt. Diese Stilformen waren manchmal ausländischen Vorbildern entlehnt, da die baugeschichtliche Forschung und das Studium der individuellen Gegebenheiten eines Bauwerkes noch wenig entwickelt waren. Obwohl durch die Restaurierungen viele alte Gebäude erhalten und manchmal auch ästhetisch verbessert worden sind, verloren sie als Dokument fast ebensoviel von ihrem Wert, als hätte man sie so wie früher abgebrochen oder mo dernisiert.

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