Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

ÖSTERREICHISCHE ZEITSCHRIFT FÜR KUNST UND DENKMALPFLEGE (Jahrgang I /1947 —V/1951 ist als „Österreichische Zeitschrift für Denkmalpflege" erschienen) In Nachfolge der einstigen „Mitteilungen der Zentralkommission für Denkmalpflege in Wien" Herausgeber: Österreichisches Bundesdenkmalamt • Redakteure: Walter FrodI und Otto Demus XVII. JAHRGANG 1963/HEFT 1 INHALT Antje Kosegabten : Die Chorstatuen der Kirche Maria am Gestade in Wien / Bbüno Thomas : Die Neuaiifstelhmg der Rüstkammer im Stift Kremsmünster. 0. Ö. / R. Meischke: Die Entwicklung der niederländischen Denkmalpflege / W. Hentsghel: Ein unbekanntes Porträt von Gregorio Guglielmi / E. Fbodl-Kbaft: Die vierte Tagung des Corpus Vitrearum Medii Aevi 1962 in Erfurt / Nachtrag zum Verzeichnis der Werke von Dagobert Frey in der Österreichischen Zeitschrift für Kunst und Denkmal pflege Jahrgang XVI/1962, Heft 4, S. 154 ff. / Buchbesprechungen / Aktuelle Denkmalpflege: Wien (Zur Rekonstruktion des Deckenfreskos in der Akademie der Wissenschaften / Die Restaurierung des Deckenfreskos im großen Marmorsaal des Unteren Belvedere), Steiermark (Die Pfarrlfirche von Aflenz und deren Innenrestaurierung), Monumenta Deperdita Die Zeitschrift erscheint jährlich in 4 Heften Es wird gebeten, Einsendungen an die Redaktion der Zeitschrift im Bundesdenkmalamt, Wien I, Hofburg, Schweizerhof, Säulenstiege, zu richten Bezugspreis: Jährlich 4 Hefte S 80.— Anzeigenannahme durch den Verlag ■ Printed in Austria VERLAG VON ANTON SGHROLL&GO.IN WIEN

Antje Kosegarten DIE CHORSTATUEN DER KIRCHE MARIA AM GESTADE IN WIEN Als bedeutendste Zeugnisse der ursprünglichen plastischen Innenausstattung der Maria-Stiegen-Kirche sind vier Baldachinstatuen einer Verkündigungsgruppe und zwei Könige aus einer Anbetung des Kindes erhalten. Es sind die einzigen monumentalen Bildwerke, welche die Plünderung der bis 1805 dem Stift Passau zugehörigen, alsdann säkularisierten und 1809 den siegreichen Franzosen als Magazin und Pferdestall überlassenen Kirche überdauertenBis vor kurzem standen sie in unzusammenhängender Aufstellung, zum Teil kaum sichtbar, an den nördlichen Pfeilern der ersten beiden Langhausjoche^, nach ihrer Restaurierung in den Werkstätten des Bundesdenkmalamtes im Sommer 1961 verteilte man je zwei Figuren auf die dem Eintretenden entgegengewandten Seiten der Westpfeiler des ersten, an den Chor anschließenden Langhausjoches. Maria (an der Südseite) und der Engel stehen an den Schiffsseiten der Pfeiler einander gegenüber, die Könige flankieren sie. Es ist dankenswert, daß man den Statuen jetzt einen angemessenen Platz in gutem Licht und damit eine deutliche Funktion im Kirchen raum gegeben hat. In ein stilles, von Süden kommendes Streiflicht getaucht, betonen sie als Seiten figuren des Choreingangs in fast bühnenmäßiger Weise den für Maria am Gestade charakteristischen Kontrast des schmalen dunklen Langhauses zu der Helligkeit des leicht aus der Achse verschobenen, weiträumigen Chors. Die Verkündigungsfiguren zeichnen sich durch die Geschlossenheit ihrer plastischen Erscheinung und besonderen Liebreiz vor der Gruppe der Könige aus (Abb. 1-4). Die Marienfigur kommt der Vor nehmheit französischer Madonnenbilder nahe. Finder fühlte sich an Marien des 13. Jahrhunderts erinnert. In sorgfältig ausgewogener Verteilung der plastischen Elemente spitzt sich der Aufbau der schmalen, gebogenen Gestalt auf das leicht nach rechts vorgestreckte Köpfchen zu, dessen Lauschen die Geste der erhobenen Rechten unterstreicht, während die ein offenes Buch haltende Linke abwärts gerichtet ist. Alle Teile sind innerhalb eines von den Gelenken her faßbaren Systems feiner räumlicher Spannungen aufeinander bezogen; der Umriß schließt sich in langen, elastischen Schrägen. Man braucht sich nur der Marienfigur aus der Eligiuskapelle des Stephansdoms zu erinnern®, um inne zu werden, wie sehr die Verkündigungsmaria der Stiegen-Kirche noch in bildhauerischen Überlieferungen der ersten Jahrhunderthälfte wurzelt. Daß sie ein Spätling dieser Epoche ist, bezeugen die eigentümliche Reduktion der plastischen Substanz, die Verdünnung der Einzelformen bei höchster Verfeinerung des ,,graphischen" Elements. Der Marienfigur verleiht die Regelhaftigkeit ihrer Gewandanordnung einen Hauch ruhiger Klassizität, der Engel dagegen wirkt expressiver. In nachdrücklicher Bewegung biegt sich der lange, relativ flach gehaltene Körper zur Seite, stumpfe Wölbungen, tiefe Faltenschluchten und hängende Bündelungen kontrastieren. Das Ausspielen höchst differenzierter plastischer Werte ist hier besonders geistreich gewagt und gelöst. Gotischer Formenschliff der ersten Jahrhunderthälfte und das Bemühen um neuen plastischen Ausdruck begegnen einander in der gleichzeitigen deutschen Skulptur wohl selten in dieser Schärfe. In den Königsstatuen (Abb. 5, 6) überwiegt das Streben nach Individualisierung. Auf vereinheit lichenden Schwebestand und reich instrumentierte Gewandbildung ist hier verzichtet, statt dessen tritt das Problem einer kontrapostischen Organisation der Figur deutlich in den Vordergrund. Der Rumpf des bärtigen Königs schiebt sich über dem zurücktretenden Spielbein nach vorn, das aufgereckte Haupt blickt in die Richtung des entlasteten Beins, der Oberkörper vollzieht mit hochgezogenen Schultern und angeklemmten Armen eine steife Drehung im Gegensinn. Die eng anliegende Zeittracht mit wenigen stark schattenden Faltenmotiven unterstreicht die Bewegung. Noch intensiver wirkt der junge König; mit weit geöffnetem, strahlendem Blick Und vorgestreckten Lippen, deren Lächeln ihm die Wangen ^ Zur Baugeschichte von Maria am Gestade: R. K. Donin, Geschichte der bildenden Kunst in. Wien, II. Band, Gotik, Wien 1955, S. 29, Anm. 47, mit älterer Lit. 2 Aufstellung der Statuen bis 1961: der bärtige König an der Westseite des nördlichen Triumphbogenpfeilers, Maria und der junge König an den Schiffsseiten des Pfeilers zwischen der Clemens Hof bauer-Kapelle und der Josephskapelle, der Engel an der Westwand der Josephskapelle. ^ H. Tietze, Geschichte und Beschreibung des St. Stephansdomes in Wien, Österreichische Kunsttopographie, Bd. XXIII, 1931, S. 391, Abb. 440. 1 Denkmalpflege 1

höhlt, will er sich vorwärtsbewegen. Aus dem unterhöhlten Figurenblock treten Leib und Schenkel vor. Aber es entsteht keine reine Identität von Absicht und Verwirklichung, aus der Bewegtheit er wächst keine zwingende Ranmvorstellnng, in der ausgeprägten Formgebung bleibt alles wie erstarrt. Solche Divergenzen drücken sich in den Königsstatuen, wo schon die Spielarten der zeitgenössischen Tracht zu kontrastreicher plastischer Ausgestaltung anregten, naturgemäß deutlicher aus als in den Gewandfiguren der Verkündigung, die überlieferten Vorbildern enger verpflichtet sind. Die Untersuchung der Statuen anläßlich der Restaurierung (von der nur der junge König ausgenommen war) ergab folgendes: Das Material der etwa 175-180 cm hohen Figuren ist ein hellgelber feinkörniger Sandstein (Schleifstein). An allen fanden sich Reste von Bemahmg, die aber kaum von der Original fassung herrühren dürften. Die ältesten Fassungsspuren an der Engelsfignr (Rot am Mantel) liegen ohne Grundiernng direkt auf dem Stein, darüber hinaus lassen sich mehrere Überfassungen rekonstruieren. Vermutlich anläßlich der Neuaufstellung der Statuen im Zuge der Restaurierung und Regotisierung der Kirche im frühen 19. Jahrhundert wurde die Fassung grob abgearbeitet, so daß von der feinen glatten Oberfläche, außer in den oberen Teilen des Rückens der Maria (Abb. 7), nichts erhalten ist. Besonders rücksichtslos wurde die zarte Linearität der heute kränklich aussehenden Gesichter angegriffeiV. Die Bildwerke wurden in der Literatur wiederholt genannt. Die Verkündigungsmaria gilt seit ihrer Würdigung durch Rinder als eine der eindrucksvollsten, charakteristisch wienerischen Schöpfungen der österreichischen Skulptur des 14. Jahrhunderts. Eine zusammenhängende Betrachtung dieser Gruppe und der Versuch einer Präzisierung ihrer knnsthistorischen Situation wurde aber nicht unter nommen. Rinder bildet die Maria als Werk eines vorwiegend nordfranzösisch orientierten Bildhauers des 8. Jahrzehnts ab, allerdings ohne auf die zugehörigen Figuren einzngeheiF. Das westliche, ,,höfische" Element wird von Rinder unter Hinweis auf die französischer Hofkunst verpflichtete Skulptur der ,,Herzogswerkstatt" stark betont. Vorher erwähnte Kieslinger die Statuen kurz in seinem Buch ,,Znr Geschichte der gotischen Plastik in Österreich" und datierte sie in die Zeit der Fürstenportale um 1380; später schlug er den von ihm nachgewiesenen Baumeister der Herzöge, Michael, als ihren Bildhauer vor, dem er auch die Grabstatuen Rudolfs IV. und seiner Gemahlin sowie die Fürstenstatuen vom Stephans turm zuschrieb®. Einen anderen Weg beschreitet H. Bachmann in ihrem Buch ,,Die böhmische Plastik vor Reter Parier"', indem sie als einzige versucht, die Verkündignngsmaria, die sie wie Rinder von den zugehörigen Statuen isoliert, in einen Wachstumszusammenhang südostdeutscher Marienbilder ein zureihen. Im Gegensatz zu Rinders und Kieslingers Äußerungen versuchte sie, Verbindungen mit Werken der ersten Jahrhunderthälfte nachzuweisen. Die von ihr beobachteten Beziehungen zu böhmi schen Arbeiten sind indessen nach unserer Meinung zu wenig spezifisch, als daß sie zur Klärung des komplizierten Verhältnisses böhmischer zu österreichischer Bildnerei, außerhalb der schon immer betonten Verbindungen der parlerischen Skulptur des Veitsdoms zu der ,,Herzogswerkstatt", wesentliche Aufschlüsse zu geben vermöchten. Die letzte kurze Würdigung der Statuen durch Ginhart hält an der alten Datierung ins 8. Jahrzehnt fest und bringt über die ältere Forschung hinaus nichts Neues®. Dieser Stand der Forschung rechtfertigt daher den Versuch, die kunstgeschichtliche Stellung der Skulpturen von Maria am Gestade zu präzisieren. Man hat stets vermutet, daß die Statuen ursprünglich in den um 1330 begonnenen, vor 1369 im Bau vollendeten Chor der Maria-Stiegen-Kirche gehört haben. Da der Grundstein zum Langhaus der Kirche '• Zur Erhaltung der Statuen: 1. Maria: ergänzt rechte Hand, Teil der Draperie rechts unten, vorderer Teil der Plinthe, Teil der großen Schüsseifalte. 2. Engel: ergänzt 1., 2., 3. Finger der rechten Hand; Ausbrüche im Spruchband und im Faltenwerk. Rückseits in Schulterhöhe vier rechteckige Löcher (zur Anbrmgung von Flügeln?). Zahlreiche Spuren einer einstmals roten Bemalung ohne Grundierung dii-ekt auf den Stein, darüber mehrere jüngere Farbschichten. 3. Bärtiger König: ergänzt l., 2. Finger der rechten Hand. Wenige Fassungsreste im Inkarnat und in. den Gewandteilen. 4. Junger König: ergänzt linker Unterarm mit Hand. '' W. Findel', Die deutsche Plastik des 14. Jahrhunderts, München 1920, S. .Iti, Alib. 71; ders., Die deutsche Plastik vom ausgehen den Mittelalter bis zum linde der Renaissance, in: Handbuch der ILunstwissonschaft, hrsg. von F. Burger, Bd. 1, S. 64. " ,F. Kieslinger, Zur Geschichte der gotischen Plastik in Österreich, Belvedere III, 1923, S. 149ff.; 3. Fortsetzung in Bolvedere IV (S. 43ff.), S. 40; ders.. Mittelalterliche Plastik in Österreich, Wien 1926. S. liIO. ' H. Bachmann, Die böhmische Plastik vor Peter Parier, 1943, S. 22. Zur Situation der österreichischen und böhmischen Skulp tur der ersten Jahrhunderthälfte siehe auch G. Schmidt, Der Ritter von St. Florian und der Manierismus in der gotischen Plastik, Festschi'ift K.M. Swoboda, Wien 1959, S. 249ff. ® K. Ginhart, Die gotische Plastik in Wien, in: Geschichte der bildenden Kunst in Wien, a. a. O., S. 102.

1, 2. Wien, Maria am Gestade. Chorstatue: Maria aus der Verkündigung (BDA, E. Mejchar) erst 1394 gelegt wurde und der spezifische Stil der Skulpturen zweifellos älter ist, spricht nichts gegen diese Annahme. Die erhaltene Bauplastik am Westportal und an der Musikbühne im Innern bezeugt, daß die zur Bauhütte des Langhauses gehörenden Bildhauer bereits in den voll entfalteten Formen des sogenamiten ,,Weichen Stils" arbeiteten, womit ein gültiger terminus ante für die Aufstellung unserer Statuen gegeben ist. Tatsächlich läßt sich deren frühere Aufstellung im Chor nachweisen. Eine in Kupfer gestochene Innenansicht der Kirche gegen Westen, die den Zustand vor 1817 reproduziert, zeigt den jungen König an der Nordwand des Chors im zweiten Pfeilerbaldachin von Westen®. Daraus ist zu folgern, ® Denlcniahle der Baukunst und Bildnerey des Mittelalters im österreichischen Kaiserthume, hrsg. von. Eduard Füi'st von Lichnowski, Wien 1817; s. auch P. Josef Löw, Maria am Gestade, Wien 1031, S. 29, T. VII, Abb. 10.

i 3, 4. Wien. Maria am Gestade. Chorstatue: Verkündigungsengel (BDA, E. Mejchar) daß sich die Statuen bis zur Säkularisation der Kii'che und ihrer Uemolierimg in der Franzosenzeit im Chor befanden. Ihre Neuaufstellung datiert vermutlich von der ersten Restaurierung und Neuaus stattung ab 1818 unter der Leitung des Oberbaudirektors Cerini; denn schon eine Innenansicht der Kirche Amn 1825 zeigt die auf die Cerini'sche Restaurierung zurückgehenden Apostelfiguren in den Chorbaldachinenl". Man darf sich also vorstellen, daß ursprünglich vier der nördlichen Pfeilerbaldachine des Chors die Bildwerke der — wahrscheinlich thronenden — Muttergottes und der drei Könige auf nahmen, wovon zwei Königsstatuen erhalten blieben; daß auch die Verkündigungsgruppe ihren Platz Löw, a. a. 0., S. 30, T. VIII, Abb. II.

5, 6. Wien, Maria am Gestade. Königsstatuen aus dem Chor (BDA, E. Mejchar) im Chor hatte, ist sehr wahrscheinlich, denn das ikonographische Programm der Chorausstattung war offenbar eng auf die Muttergottes als Patronin der Kirche bezogen: auch die Glasfenster des Chors lassen zwei Marienzyklen rekonstruieren, von denen der ältere der Zeit des Chorbaus angehört'^. Als Analogie für ein solches Chorprogramm drängt sich der Figurenzyklus des Frauenchors von St. Stephan auf: dort sind u.a. die Statuen eines Verkündigungsengels, einer thronenden Muttergottes und eines jungen Königs erhalten, die von Tietze in die Zeit der Chorvollendung um 1335-1340 datiert wurden^^. E. Erodl-Kraft, Die Chorf'enster von Maria am Gestade, Österreichische Zeitschrift f. Kunst und Denkmalpflege, I, 1947, S. 156ff., und Corpus Vitrearum Medii Aevi, Österreich I (Wien), Wien 1962, S. 75f. 12 Tietze, a. a. O., S. 238, 24.5ff., Abb. 210-214.

I'l stehen damit vor der Frage, ob die Gestade-Figuren der ursprünglichen Chorausstattuiig angehört haben können, oder ob sie, wie bislang unausgesprochen angenommen ^^ILsiHIHR^hI^bI wurde, erst später in dem schon vollendeten Chor aufgestellt wurden. In den zahlreichen Archivalien zum ('horbau wird uns leider nichts über die Skulpturen gesagt Die i Legate beziehen sich durchwegs nur auf den ,,paw" bzw. I p .,.. l ■ , auf das ,,werch" von Maria am Gestade, auf einzelne Glasfenster oder auf Meßstiftungen. Mdr entnehmen ihnen nur bekannte Datum 1369 als terminus ante für die Chor- ^ ,1,-^ Vollendung, das sich aus einer Meßstiftungaufeinen Andreasaitar ,,binden in der alden chirichen der obgenannten chapellen" ergibt, derzufolge man annehmen muß, daß 1369 bereits ein neuer Kirchenteil (chapellen = Chor) an den noch stehenden romanischen Vorgängerbau (,,alden chirichen") angeschlossen hat. Vielleicht dürfen wir aber vm-" aus einer im Jahr 1363 zweimal bezeugten Meßstiftung ^uf der ,,aindlef tausend maid altar der do stet dacs Unser Vrow auf der Stetten ze Wienne in dem chor in der r abseiten" bzw. ,,auf dem altar in der chapellen Unser * i ^ rowen auf der Stetten ze Wienn in dem chor in den ern der K f^ii'^cllef tausend maide"" schließen, daß der Chor schon Anfang der Sechziger jähre im wesentlichen fertig stand; die Bezeichnung ,,chapellen" in der zweiten LTrkunde läßt sich, HHHUk IL ^mlHH genannten von 1369, nur auf den Chor ^ Wm ; JB beziehen. Will man also davon ausgehen, daß die Statuen, * ^ ^ ähnlich wie die früheren der Glasmalereien, im Zuge des /■ , Chorbaus entstanden, dann ergibt sich ein Spielraum nur bls lu das 7. Jahrzehnt. Ob sich eine Datierung der Skulptiiren in diese Zeit stilistisch rechtfertigen läßt, ist im 7 Wien, Maria am Gestade. Rüdrenans^ht der folgenden ZU untersuchen. Maria aus der Verkunchgung (BDA, E. Mejchar) o Die Verknüpfung der Statuen mit den seit etwa 1360 entstehenden Skulpturen der an der Ausstattung von Langhaus und Südturm von St. Stephan arbeitenden ,,Hofwerkstatt" Rudolfs des Stifters will nicht gelingen. Mit deren an Prag orientiertem, wienerisch geprägtem Parler-Stil verbinden sie keine wesentlichen gemeinsamen Züge. Die Tendenzen der Hofwerkstatt richten sich - entsprechend dem neuen Verständnis eines Bildwerks als primär räum- und wirklichkeitsbezogenem Organismus - auf eine fühlbare Verselbständigung der Figur geigenüber der rahmenden Architektur. Für die Statuen von Maria am Gestade aber bleibt eine gewisse altertümliche Gebundenheit an Pfeiler, Baldachin und Konsole deutlich kennzeichnend. Eher bahnt sich eine retrospektive Verbindung zu den Skulpturen der M^estportale der Mdener Minoritenkirche an, die sich als wichtigstes Bindeglied zwischen den Komplex der um 1340 fertigen Nord- und Mittelchorstatuen des Stephansdoms und die Fürstenbildwerke einschieben. Daß ihr Stil von französischen Vorbildern mitbestimmt sei, hob vor allem Kieslinger in seiner bis heute grundlegenden Besprechung der Portale hervor^®; die französischen Vorstufen ließen sich bisher aller dings noch nicht überzeugend nachweisen. Die Oberfläche dieser Gewändefiguren ist durch wiederholte Überarbeitungen, besonders im späten 18. Jahrhundert, vollkommen zerstört, zahlreiche Einzelheiten 7. Wien, Maria am Gestade. Rückenansicht der Maria aus der Verkündigung (BDA, E. Mejchar) Urkunden und Regesten aus dem Archiv der K. K. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien, I, 1289-1430, hrsg. von K. Uhlirz, in: Jahrb. der Kunsthist. Sammlungen des /Vllorhöchsten Kaiserhauses, 1 6, 1895, LX, Nr. 12.695, 12.702, 12.726, 12.732, 12.734. - kS. auch J, Feil, Die Kirche Maria am Gestade zu Wien. Berichte des Altcrthums-Vereins zu Wien, 10/11, 1866—1870, >S. 248ff. 14 Uhlirz, a. a. O., Nr. 12.732, 12.734. 1^ F. Kieslinger, Der plastische Schmuck des Westportales bei den Minoriten in Wien, Belvedere XI, 1927, S. lOSfi".; Ginhart, a. a. O., S. 72.

FÄüü n '-rr' f.v M W y sriö^,;. "i 8. Wien, Minoritenkirche, Westfront, Hauptportal (Bildarchiv der Österr. Nationalbibliothek) sind ergänzt; bei den Heiligenfiguren im linken Gewände fehlen ganze Gewandpartien i®. Die vergleichende Betrachtung wird daher immer eine Minderung der Aussagekraft dieser Minoritenstatuen berücksichtigen müssen. Kennzeichnend für die Pfeiler-Madonna der Minoritenkirche (Abb. 8) ist die klare Einbindung aller Elemente in eine blockartig steile Grundform. Manche Züge erinnern merklich an Trumeau-Madonnen des 13. Jahrhunderts: die klare Erontalität, das hoch erhobene, steil sitzende Kind, die zügigen Falten schrägen. In der Verkündigungsmaria der Stiegen-Kirche erscheint bei aller Einbuße an Tektonik das Mit bloßem Auge lassen sich folgende Eingriffe erkennen: 1. Pfeiler-Madonna: Kopf und rechte Hand des Jesuskindes. 2. Rechtes Gewände: Kopf der mittleren Heiligen (Margarethe), alle Hände mit Attributen, segnende Hand der Helena. 3. Linkes Gewände: Johannes der Evangelist: Kopf, Attribut, Ende des vom linken Arm herabhängenden Faltenbiindels ab geschnitten, Oberfläche besonders stark überarbeitet. Johannes der Täufer: Attribut, Kopf? Philippus: Attribut, Kopf?, Ende des vom rechten Ai'm herabhängenden Faltenbündels abgeschnitten. 4. Bogenfeldrelief: Überarbeitet. 5. Türsturzpropheten des südlichen Westportals: stark geglättet.

m m, IV, ■ , nP^i i i ■! l i 9. Wien, Minoritenkh'che. Westfront, Hauptportal, rechtes Gewände, weibl. Heilige (Bildarchiv der Österr. Nationalbibliothek) „westliche" Element in verwandter Deutung. Ähnliches klingt in der Organisation des Gewandes, im Standmotiv an, vor allem liegt ihrem K,opftypus das feine Gesicht der Pfeiler-Maria in der klaren Ab kantung der Grundform, den in der unteren Gesichtshälfte zusammengefaßten, zierlichen Zügen zu grunde. Hielt sich der Bildhauer der Pfeilerfigur bewußt an Bindungen, die ihm seine Aufgabe auferlegte und ihn der Überlieferung enger verpflichtete, so kommen die weiblichen Heiligen im rechten Portal gewände (Abb. 9) der Verkündigungsmaria in vieler Hinsicht näher. Die mittlere Gestalt (Margaretha) mit dem im Sinne des 18. Jahrhunderts gar nicht ungeschickt ergänzten Kopf ist gleichsam nach oben verlängt und gebogen, Standmotiv und Bewegung sind gelockert, die Gewandbehandlung in der Motivierung angereichert und verfeinert. Einzelheiten der Darstellung, vor allem gewisse Züge der Faltengebung, rücken diese Figur von der Pfeiler-Madonna ab und bezeugen eine Annäherung an die Verkündigungsmaria, deren spätere Entstehung umso sinnfälliger erscheint. Im Gewände stehend ist sie kaum mehr vorstellbar; sie braucht vielmehr die Stille eines Innenraums. Den zeitlichen Abstand zwischen den Skulpturen der Minoritenkirche und denen der Stiegen-Kirche macht die eigenwillige Figur des Verkündigungsengels noch deutlicher. Seine merkwürdig zugespitzte plastische Behandlung trennt ihn von der motivisch in mancher Hinsicht vergleichbaren, indessen durchsichtiger strukturierten Helena außen rechts im Minoritenportal. Sein leicht gedunsenes Gesicht zeigt deutlich spätere Merkmale. Der Bildhauer der Königsfiguren modifiziert den Stil der Minoritenwerkstatt sehr weitgehend. Daß auch er von dort kommt, bezeugen aber einzelne Figuren des Kreuzigungs reliefs der Minoritenkirche, dessen stilistische Ausnahmestellimg und feine Belebtheit man mit Kieslinger auf Kontakte mit der Malerei der Zeit zurückführen möchte. Ein den Königsstatuen verwandtes

10, 11. Wien, 8fr. Sfrcphaii. Singerfror, linke und roclito Türsfrurzkonsole, Propheten mit- Spruchbändern (Bildarchiv der Österr. Nafrionalbibliofrhek) Interesse an Ponderierung und Eigenbewegung äußert sich in der Kreuzigungsdarstellung vor allem in der Gestalt des jungen Mannes rechts außen im Bogenfeld. Sie löst sich spürbar vom Grund und tappt vorwärts, das Antlitz starr aufreckend und lächelnd, ähnlich marionettenhaft wie die Könige in der Stiegen-Kirche. Und ebenso offensichtlich ist das lebhafte Beobachten der Verlagerungen stützender und lastender Körperteile, die Nahsicht der Einzelheiten der Gewandung bei der Figur des Haupt manns. In diesem Zusammenhang sind auch die beiden Propheten an den Türsturzkonsolen des Singertors, des südlichen der beiden Prachtportale Rudolfs des Stifters am Stephansdom, aufschlußreich^'(Abb. 10, 11). Beide halten Spruchbänder schräg vor sich, der rechte mit einer spitzen Mütze auf dicken Locken blickt den Eintretenden aufmerksam an, der linke, ganz in seinen Mantel gehüllte, erscheint patriarcha lisch-ruhig. Mit großer Sicherheit sind die Elemente des Aufbaus beider Figuren im Zusammenspiel des Ganzen gegeneinander ausgewechselt, spiegelbildlich verkehrt und variiert. Innerhalb eines A-erhältnismäßig beschränkten, aber virtuos beherrschten Formenrepertoires gelingt die Gegenüberstellung eines fein differenzierten Gegensatzpaares. Der Abstand zu den halbfigurigen Konsolpropheten des südwestlichen Franziskus-Portals der Minoritenkirche ist sehr groß, eine Relation ist fast nur noch in Einzelheiten der Motivierung wahrnehmbar. Die Beweglichkeit dieser Prophetenfiguren, ihr zeichnerischer Schliff, das Auskosten zarter Oberflächenbrechungen ordnet sie unmittelbar zu der Marienfigur der Stiegen-Kirche, der sie auch im künstlerischen Rang gleichkommen. Der schmale Kopf des HerausTietze, a. a. O., 8. 148, Abb. 102, 103; Otto Kletzl, Zur Parler-Plastik, Wallraf-Richartz-Jahrbuch II/III, 1933/34, S. 141, Abb. 127. 2 BcnkmalpdejiC

blickenden mit den dünnen, scharfen Zügen, den einzeln aufgedrehten Locken, läßt sich dem (leider stark überarbeiteten) Kopf des bärtigen Königs vergleichen, die Faltenbehandlimg hat in der Ver kündigungsgruppe enge Analogien. Zum weiteren Werkstattumkreis sind ferner die künstlerisch minderwertigen vier Apostelstatuetten in der Arcbivoltenspitze des Singertors zu zählenes sind brettartig flache Gestalten, in ledern kompakte Gewandmassen gehüllt, mit kleinen maskenhaften Gesichtern. Sie leiten sich von den männlichen Heiligenfiguren im linken Gewände des Minoritenportals her und illustrieren gleichzeitig den Verfall dieser im Grund bereits überholten Stilrichtungi®. Ebenfalls vom Stephansdom stammt eine ursprünglich am Südturm aufgestellte, heute im Museum der Stadt Wien befindliche, eindrucksvolle Statue einer heiligen Dorothea vom Typus der Maria der Stiegen-Kirche, spiegelbildlich abgewandelt (Abb. 12)^". Umriß und Bewegung sind jedoch altertümlich gebunden und raumlos, das Verhältnis des schweren Kopfes, der großen Gliedmaßen zu dem vergleichsweise steifen, ungegliederten Rumpf ist vollkommen abweichend und verweist die Statue, deren Entstehung wohl nicht allzu weit von den Maria-StiegenEiguren gedacht werden kann, in ihrem stilistischen Grundgehalt als Werk eines traditionell arbeitenden Bildhauers zurück in die Zeit um 1340-1345. Abschließend soll hier noch eine Marienfigur aus Holz genannt werden, die sich im Stift Schlierbach in OberÖsterreich befindet (Abb. 13)^i. Ähnlich wie bei der Minoriten-Pfeiler-Madonna sitzt das Jesuskind mit entblößtem Oberkörper steil auf dem linken Arm Mariens. Der schmale, etwas eckige Figurentypus, die Organisation und die Anlage der Gewandung, der feine Kopf mit den rundlich aufgedrehten Locken erinnern stark an die Verkündigungsmaria, gleichzeitig erhellt aber der Vergleich, in welch überlegener, großartiger Tradition monumentaler Bildhauerkunst die Stiegen-Maria entstanden ist. In der Schlierbacherin ist diese Sprache in die eines Bildschnitzers übersetzt, vereinheitlicht und versteift, ,,ein gedeutscht". Das aus der Berührung mit bedeutenden Vorbildern erwachsene innere Pathos des Stein bildwerks weicht der freundlichen Eindeutigkeit eines klösterlichen Andachtsbildes. Wann sind die Statuen aus St. Maria am Gestade entstanden? Die Datierung der Portalplastik bei den Minoriten hat von den Untersuchungen Kieslingers auszugehend^. Auf Grund der Baugeschichte kam er zu einer kontinuierlichen Ansetzung der drei Westportale: vor 1350 Nordwestportal, um 1350 Haupt portal und nach 1350 Franziskus-Portal. Ginhart wollte die Figuren des Haupt- und Franziskus-Portals schon in die frühen Vierzigerjahre datierend^. Der zeitliche Abstand in der Entstehung beider Skulpturen portale ist vermutlich nicht erheblich. Verbinden sich doch die Türsturzpropheten des FranziskusPortals, von denen wir trotz ihrer unangenehmen Glätte annehmen, daß sie alt sind, mit den Skulpturen des Hauptportals, die sich als vergleichsweise,,westlicher" von den schwereren, organischer empfundenen Gestalten des bekanntlich von einem giottesken Vorbild unmittelbar abhängigen Franziskus-Reliefs abheben. Dürfen wir den Forschungen zur Baugeschichte der Minoritenkirche trauen, so erscheint eine Datierung der Skulpturen beider Portale in das fünfte Jahrzehnt am glaubhaftesten, wobei man mit Rücksicht auf die Rittertracht des Hauptmanns und seines Begleiters im Kreuzigungsrelief zu einer Ansetzung gegen oder um 1350 neigen wird. Der anliegende Waffenrock mit tiefsitzendem Gurt und ausgezaddeltem Saum, der ein breites Stück des knielangen Plattenrocks freiläßt, wurde nach 0. Gambers Forschungen erst in den Fünfzigerjähren getragen^''. Einen entsprechenden Harnisch trägt auch der Hauptmann auf der Kreuzigungstafel des Hohenfurter Altars^®. Damit ist eine ungefähre obere Grenze Tietze, a. a. O., S. 147, 158, Abb. 109, 110. Von links nach rechts: Bartholomäus, Thomas — Judas Thaddäus, Jacobus maior. Der Stil dieser Figuren wird von Tietze wohl nicht zu Recht von dem der Statuen im Apostelchor des Stephansdoms abgeleitet. Tietze nennt im Zusammenhang mit den Apostelfiguren des Singertors zu .Recht auch das untere Relief im Bogenfeld des nördlichen Bischofstors mit der Darstellung des Marientodes, dessen Bildhauer das Erbe der Minoritenwerkstatt etwas ab weichend interpretiert. S. hierzu auch A. Kosegarten, Plastik am Wiener Stephansdom unter Rudolf dem Stifter, ungedr. Diss. phil., Freiburg/Br. 1960, S. 131 ff. Tietze, a. a. 0., S. 519, Abb. 652; Bachmann, a. a. O., S. 21. F. Kieslinger, Österreichs frühgotische Madonnenstatuen, Jahrbuch der österreichischen Leogesellschaft, 1932, S. 200. 22 F. Kieslinger, Belvedere XI, 1927, S. 103ff.; G. Schmidt, Das Marientympanon der Wiener Minoritenkii'che, Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, 1957, XI, S. 119. 23 Ginhart, a. a. 0., S. 72. 2^ 0. Gamber, Stilgeschichte des Plattenharnisches von den Anfängen bis um 1440, Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien, 50, 1953 (S. 53ff.), S. 56, Abb. 42. 2^ A. Matejczek, Gotische Malerei in Böhmen, Prag 1939, S. 51, Nr. 3—11, Abb. 14.

lA 12. Hl. Dorothea vom Hohen Turm von St. Stephan in Wien. Historisohes Museum der Stadt Wien (Lucoa Chmel, Wien) h i I 13. Schlierbaoh, O.Ö.. Stift. Marienkapelle, Holzfigur, Madonna mit Kind (Kunsthistorisches Institut der Universität Wien) für die Entstehung unserer Statuen gegeben; eine Eingrenzung nach unten ermöglichen die Propheten konsolen des Singertors, dessen Eigurenschmuck im Lauf des siebenten Jahrzehnts, in seinen Haupt teilen vermutlich noch vor dem Tod Rudolfs des Stifters, 1365, erstellt gewesen sein dürfte^®. Die Pro pheten repräsentieren offensichtlich die gleiche Stufe der Weiterentwicklung des Stils der Minoritenwerkstatt wie die Statuen der Stiegen-Kirche. Man wird daher annehmen dürfen, daß auch sie um diese Zeit, um oder bald nach 1360, entstanden sind und somit zu der ursprünglichen Ausstattung des vermut lich in diesen Jahren abgeschlossenen Chors der Stiegen-Kirche gehört haben. Kosegartei), a. a. 0., S. 13611.

Charakteristischerweise nahm Kletzl die Konsolpropheten des Singertors in seinen Aufsatz ,,Zur Parier plastik" a\if und bezeichnete ihre Köpfe als ,,Derivate der Prager Prsemyslidenköpfe"^'. Es war unaus bleiblich, daß die Bildhauer dieser älteren Wiener Werkstatt, die zur Ausstattung des vergrößerten Doms hinzugezogen wurden, sich mit den Absichten der ,,Hofwerkstatt" auseinandersetzten. Die absichtsvolle Bewegtheit der Königsfiguren, in denen das bei allen Habsburgerstatuen vom Dom wiederholte und abgewandelte Motiv des vom Mantel schalenartig hinterfangenen Körpers aufgenommen wird, bestätigt einen solchen Kontakt. Wie sich der Name Rudolfs IV. mit den JStifterportalen des .Doms verknüpft, so repräsentieren uns die Minoritenportale das plastische Hauptwerk aus der Regierungszeit seines Vaters, Albrechts II. des Weisen, dessen Persönlichkeit sogar in einer direkten Beziehung zu ihnen stellt^*®. Zwischen beiden Gruppen von Portalskulpturen, die — in jeder Hinsicht voneinander unabhängig und verschieden — zu den Gipfelleistungen deutscher Trecentoskulptur zählen, liegen nur etwa fünfzehn Jahre. Als die künst lerischen Zielsetzungen der Minoritenwerkstatt von den neuartigen Absichten der Bildhauer der Statuen im Nikolaus-Chor der Michaelerkirche"'^'-' und der Fürstentore bereits überholt waren, muß diese ältere Werkstatt noch eine beträchtliche Bedeutung gehabt haben, wie die Chorstatuen der Stiegen-Kirche bezeugen. Daß es möglich ist, diese vier Sludpturengruppen in einem Zusammenhang zu nennen, beleuch tet die Lebendigkeit und die Vielfalt der Mfiener Steinplastik der Zeit um 1350-1370, deren besondere Situation von der Spannung zwischen starker Traditionsbezogenheit und großer Aufgeschlossenheit für Neuerungen bestimmt ist. Kltitzl, a. a. O., S. 141. 1)D Toteubut4i der Minoritenkircho wird ein Ki'atur Jacobiis von Paris. Beichtvater Albreehts .1.1., als Bi'bauer der ,,porta piilchra" genannt. 8. hierzu Kieslinger, a. a. O., S. 105. O. Deinus, Der Meister der Michaeler Plastiken, Österreichische Zeitsclirift für Kunst und .DenktnalpOege, VII, 1953, S. Iff. VORBEMERKUNG DER REDAKTION Der folgende Aufsatz ist der erste einer Reihe, welche die Aufmerksamkeit auf das Wiedererstehen der Sammlungen des Stiftes Kremsmünster lenken soll. Im nächsten Heft wird Dr. E. Neumann über die Kunstkammer berichten. Bküno Thomas DIE NEUAUFSTELLUNG DER RÜSTKAMMER IM STIFT KREMSMÜNSTER, O.Ö. Jedes der alten österreichischen Ordensstifte stellt, was seine Architektur, seine Lage in Natur und Landschaft betrifft, einen gewachsenen Organismus von ausgeprägter Eigenart dar. Nirgends kommt das, auf die knappste Form gebracht, so konzentriert und greifbar zum Ausdruck wie in dem Jahresband für 1961 des Notrings der österreichischen wissenschaftlichen Verbändet Ähnlich gilt es für die in Jahrtausenden erwachsenen Sammlungen Tind Kunstschätze unserer Stifte. Allerdings hat die Aufhebung so manchen Klosters, haben Abverkäufe unter widrigen Umständen unwiederbringlich höchste Werte zerstört oder in alle Winde zerstreut. Bis in die großen Museen der Vereinigten Staaten sind Hauptstücke gelangt. Immer noch beliefern jedoch die Stifte sämtliche Kunst ausstellungen, die Österreich aus seiner großen Vergangenheit heraus veranstaltet, mit Leihgaben aus der karolingischen Ära bis zum Barock. ^ ÖstoiToichischo. Ordensstifte, Notring-Jahrbuch 1961, Wien 1961. Darin der .Beitrag itbor Kreinsinünstcr vom KuvStos der Kunstsammlungen, Univ.-Doz. Dr. P. Willibrord Neumüller, S. 62-66, 2 Tafeln.

Das oberösterreichische Benediktinerstift Kremsmünster, hoch über dem Kremstal, dreißig Kilometer südlich von Linz, mit seinem herrlichen Blick auf das Tote Gehirge in anmutiger Landschaft gelegen, nimmt unter allen Stiften mit seinen Sammlungen einen besonderen Platz ein, nicht nur durch Einzig artigkeit bestimmter unvergleichlicher Zimelien, sondern vor allem auch durch die Vielseitigkeit der Bestände, die vom weiten Umkreis der sammlerischen und künstlerischen Interessen seiner Mitglieder durch alle Jahrhunderte heute noch überzeugend Kunde geben. Was das Kaiserhaus in seiner Residenz zur Repräsentation seiner geistigen und seiner politisch-sozialen Stellung sammelte und bewahrte, das förderten und hüteten in wechselvollen Zeiten, in allen Geschichts und Stiiperioden unsei'er europäischen Mitte, in ihrem Bereiche die Äbte und Patres dieses Monasterii Cremifanensis. Der Wiener Burg- und Forumsbezirk umfaßt in seinem Kunsthistorischen und Natur historischen Museum, in Schatzkammer und Albertma, in Nationalbibliothek und Staatsarchiv die großartige Erbschaft eines Herrschergeschlechtes. Sie ging zusammengefaßt hervor aus Urkunden, Handschriften- und Büchersammlungen, aus Kunstkammer und Bildergalerie, aus den Rüstkammern, aus Münzkabinett und Raritätenkammer, Naturalienkabinett und mathematisch-physikalischem Instrumentarium, erwachsen an Ort und Stelle aus eigenstem Gebrauch, immer wieder aus verschiedenen Schlössern und Teilresidenzen derselben Dynastie zusammengetragen. In keinem anderen Stift aber ist ein gleiches ganzheitliches Konzept in gewachsenen Beständen heute noch so verfolgbar wie in Krems münster, wobei hier der Rahmen durch den äußeren und inneren Umkreis des stiftlichen Herrschafts gebietes gezogen ist. Ganz entsprechend dem kaiserlichen Programm findet man heute noch in Kremsmünster von einzelnen Fach-Kustoden, bedeutenden Kennern ihrer Materie, verwaltet; Schatzkammer und Musiksammlung (so Autographen wie musikalisches Instrumentarium), Gemäldegalerie und Plastiksammlung, Kunst kammer, Rüstkammer und Jagdkammer, Münz- und Medaillenkabinett, graphische sowie Hand schriften-Sammlung, Archiv und Bibliothek, naturwissenschaftliche Kabinette aller Fachrichtungen (diese seit je im einzigartigen barocken Sternwartenbau sinngemäß untergebracht). Gewiß wird der oder jener Teil davon in anderen Stiften und Klöstern übertroffen. In der Gesamtheit seiner Gliederung steht der ,,Schatz" von Kremsmünster einzigartig da. Zudem hat er seine Rolle als lebendig wirksames Anschauungs- und Arbeitsinaterial an einer Lehr- und Forschungsstätte, für das alte Gymnasium und seine wissenschaftlich tätigen Lehrkräfte ungebrochen bewahrt. Zeugnis davon sind nicht nur die Veröffentlichungen, die von Kremsmünster ausgehen, sondern - und davon ist hier im besonderen Rechenschaft abzulegen - die laufend fortgesetzte Neuordnung und neu gestaltete Darbietung der hochbedeutsamen Sammlungsbestände, mit der verständlicherweise eine Neukatalogisierung Hand in Hand gehen muß, ebenso wie eine Reinigung, Sicherung und Wieder herstellung der Gegenstände. Innerhalb der Kunstsammlungen hat damit die Rüstkammer deji Anfang gemacht. Dies geschah aus verschiedenen Gründen. Sie war am unbefriedigendsten untergebracht, in einem kleinen Raum, dessen Wände vom Boden bis zur Decke mit Waffen gepflastert waren. Der Zustand der Objekte war am meisten gefährdet, Schmutz und Rost hatten sie teilweise recht unansehnlich gemacht. Ein ehemaliger Absolvent des Stiftsgymnasiums, Dr. jur. Otmar Baron Potier des Echelles, Schüler des Altmeisters der historischen Waffenkunde Wendelin Boeheim, des Direktors der Kaiserlichen Waffensammlung in Wien, hatte 1906 (unter Verwendung von ausgeschiedenen Vitrinen der k. k. Ambraser-Sammlung) auf gedrängtem Raum vor pompejanisch-rot gemalten Wänden die letzte Aufstellung durchgeführt und einen für seme Zeit ausgezeichneten Katalog mit inhaltsreicher historischer Einleitung verfaßt^. Damit war bereits ausdrücklich auf die Vielseitigkeit und Bedeutsamkeit des Bestandes aufmerksam gemacht. Wie weit man über Potier noch hinauskommen konnte, das erwies die Heraushebung eines einzelnen Werkes, wohl des kostbarsten aus der gesamten Rüstkammer: des gotischen Jagdbestecks Kaiser Maximilians I. (Kat.Nr. 45)®. Die gelungene Reinigung des Objektes im Jahre 1953 zog die ® O. Bu. Potier, Die Waffeukaminer des Stiftes Kremsmünster, in: Zeitschrift für historische Waffenkunde 4, 1906, S. 9-24, 78-83, 181-183, 21,5-222, 23.5-240, 19 Abb., 26 Marken. An diese .Darstellung knüpft an; Führer durch die Schauräume des Stiftes Kremsmünster, Wels 1947, vgl. S. 35-37. ^ B. Thomas, The hunting knives of Emperor Maximilian I, in: The Metropolitan Museum of Art Bulletin 13, Nr. 6. Februar 1955, S. 201-208, 14 Abb.

-»f- II tlil i1l m ^ H );fT|pÄ4.--^,-> 14. Stift Kremsmünster, Innenansicht der Rüstkammer gegen die Fensterwand (Presse-Bild-Poss, Regensburg) sorgfältige Instandsetzung des gesamten Bestandes von 359 Objekten im Laufe der Jahre 1954—1958 nach sich. Sie wurde in den Werkstätten der Waffensammhmg des Kunsthistorischen Museums in der Neuen Burg in Wien durch die beiden Restauratoren Rupert Hehnreich und Ferdinand Seewald nach gewissenhaft festgelegten Richtlinien durchgeführt. Für die textilen Materialien wurde Anni Brezina, für die Panzerhemden Robert Holl" beigezogen. Die Entfernung von Oxydationen hat, wie erfahrungs gemäß zu erwarten war, unbemerkte Inschriften und Marken zu Tage gefördert, sie hat zugleich die beabsichtigte farbige Musterung von Gold und Silber auf Eisen und Leder wieder hergestellt. Der schützende Überzug mit einem - übrigens jederzeit entfernbaren - nicht störenden Kunstharz hat während der Jahre der Lagerung, während der gesamten Montierungs- und Aufstellungsarbeiten, ferner während des inzwischen bereits wieder abgelaufenen ersten Besuchsjahres keinen einzigen Handgriff der Instandhaltung nötig gemacht. Im Sommer 1959 war der monumentale Saal des 17. Jahrhunderts, Voi'halle zwischen alter Prälatur und Bibliothek, für eine platzgreifende Neuaufstelhmg ausersehen worden, nach der das reiche, wirkungs volle, geschichtsträchtige Inventar dieser alten Rüstkammer drängte (Abb. 14, 15). Das Unternehmen fand von Anfang an die freundliche Zustimmung S. G. des Herrn Abtes Ignaz Schachermair und die tatkräftige Unterstützung des P. Priors Rudolf Hundstorfer. Voranzugehen hatte die Sicherung der schwer gefährdeten alten Kassettendecke, die Ausbesserung des originalen Ziegelpflasters mit alten Reserveziegeln, die noch im Vorrat aufgefunden wurden, die Verlegung eines ausgeklügelten, einheitlich praktischen Beleuchtungssystems zugleich für den Raum und die Vitrinen, ferner die Ausmalung in heUer Tönung, um Licht zu gewinnen. Es folgte 1960/61 die Ordmmg und Aufstellung der Sammlung

15. Stift Kremsmünster, Innenansicht der Rüstkammer gegen die Südwand bei geöffneten Schränken (Presse-Bild-Poss, Regensburg) nach einverständlich festgelegten Richtlinien. Treibende Kraft aller Unternehmung war und ist weiterhin Kustos der Kunstsammlungen des Stiftes P. Willibrord Neumüller. In der Durchführung aller tech nischen und handwerklichen Arbeit bewährte sich einmal mehr das autarke System einer Institution, wie sie eben ein altes Ordensstift darstellt. Wurden auch für manchen Arbeitsgang auswärtige Kräfte und Firmen herangezogen, so lag doch die Hauptaufgabe auf den Schultern der ausgezeichneten Tischler und Zimmerleute des Stiftes. Bezeichnend ist, daß die Holzteile sämtlicher Ausstellungsbehelfe von einem einzigen Balken stammen, der um 1610 als Tram oberhalb der Rüstkammer eingebaut worden war; seinen Jahresringen nach wurde der Baum in der Zeit Kaiser Maximilians I. gepflanzt. Es empfahl sich, die Bestände nach den historischen Perioden zu gliedern, aus denen sie erwachsen sind und für die sie Zeugnis ablegen. In chronologischer Gruppierung erläutern sie die aufeinander folgenden Phasen der Landesgeschichte und der Geschichte des Stiftes. Dies ist der ursprüngliche Sinn ihrer Bewahrung, ihrer Auswahl aus einer Vielzahl von Gebrauchsgegenständen, deren Anschaffung meist von zwingender Not, vom blutigen Ernst der Lebenserhaltung diktiert war. Aus dem Vorhandenen scheint sehr wohl deutlich hervorzugehen, daß die Patres - bei aller Reduzierung des anwachsenden, durch die kriegstechnischen Fortschritte überholten Überflusses an Waffen und Rüstzeug - stets darauf sahen, daß von allem etwas, aus jeder entscheidenden historischen Wendung eine charakteristische ,,Probe", gleichsam von Symbolwert, immer noch übrig blieb. Dazwischen eingebettet lagen die Zimelien hohen kunstgewerblichen Ranges, die auf diesem Gebiet zum Splendor des Hauses und seiner Äbte gehörten und deren ästhetisches Gewicht ihr Überdauern sicherte.

-.rV.«-' \ 1 i führen zur Anhäufung von Ausrüstung > 1 aller Art, zum Schutz der bloßen Existenz in V ' ,]b ■ffl höchster Gefährdung. Portschreiten der Kriegsd K ' kunst und Kampftechnik mindern dauernd den rfl ' ' '' praktischen Wert des eben noch modernen , 1 Hw m Rüstzeuges oder setzen es ganz außer Kurs. Hier i{'K' i ' Ii" n ^ Erinnerungsmoment, das Gedenken ' g r'* 1 iMM , ' das drangvolle, entscheidungsreiche Ereignis 'I iBw wirksam, bei dem die Waffe das nackte Leben er1"*^ ■ Dieses lebendige Gedenken verhindert die Ver- ' «'ff ' Ift'tI ' A| nichtung jedenfalls eines letzten Restes von allem. ^^1 * ^ ^ '* ^ In diesem Gefühlsbereich hat der museale Gedanke, 1 I breiteten Organismen führte, die man ,,Waffen- ' R Ä Sammlungen" nannte, seine tiefen Wurzeln, die man K il IIIh y zurück verfolgen kann. jilL '' jll^H ' inPS^H r >r'' •" ■"B Zur Ehrfurcht vor historischen Erinnerungsstücken H Kt j'JlBf » kommt die Bewunderung der Schönheit dieser und I 1"'4m ' ' jener besonderen Primkwaffe des Anführers, die ' J überlegene oder die sentimentale Freude am AlterjP|. ' tümlichen, der Hang des Menschen zum Kuriosen, zur Rarität. Genau dieselben inneren und äußeren Beweg16. Stift Kremsmünster, Rüstkammer. gründe führten zum Heranwachsen und zur Armbrustschäfte und Boizenköeher in .spätgotischer Schrank- Bildung der äbtliclien Jagdkammer, Seite an Seite türrahmung; süddeutsch, spätes 1.5. Jahrhundert , .-c.i. i n j.i T\.r oj. i ctj.-cj. j Kij'oViliof) iTiiI} cl©r stiitliciTGii Jrviistl^äiiTiiTiGr. IVluijuC clcis otiiu darauf bedacht sein, für seine Verteidigung selbst aufzukommen, so war andererseits der Abt der oberste Jagdherr in seinem Gebiet. Aus dem bloßen Nahrungserwerb des Urmenschen war in der hochentwickelten Gesellschaft der Jagdsport geworden, mit dem der Mensch zur Erhaltung des Gleich gewichts in der Natur eingriff. Der barocke Abt des 17. und 18. Jahrhunderts trat gewiß nicht nur gelegentlich an die Spitze einer geladenen Jagdgesellschaft. Die Jagd bedeutete den höheren Ständen eine ihrer Repräsentationsverpflichtungen. Kremsmünster verdankt seine für ein Stift bemerkenswert vielseitigen Rüstkammerhestände seinem Traditionsgefühl auch auf diesem Gebiete der Kulturhistorie und Kunstförderung. Sie sind aus Zeiten der Not wie aus Perioden gehobenen Lebensgefühls erwachsen. Sie verbinden Rauhes und Ernstes mit Anziehendem und Heiterem, Reihenerzeugnisse mit höchst Individuellem, rein Zweckhaftes mit spie lerisch Festlichem. Andere österreichische Stifte bewahren wohl dieses und jenes einzelne Waffenstück aus ihrer geschichtlichen Vergangenheit. Klosterneuburg hatte bis vor kurzem noch die bescheidenen Reste seiner Verteidigung aus dem 16. und 17. Jahrhundert in seinen MaueriP. Mit Kremsmünster kann sich auf diesem Gebiete heute keine klösterliche Institution Europas vergleichen. Diesen Erkenntnissen und Gesichtspunkten war bei der Neugestaltung des monumentalen Rüstkammer saales Rechnung zu tragen. Hier war keine Lehr- und Entwicklungssystematik von Waffentypen, -formen und -gattungen darzustellen, ebenso wenig wie eine ästhetisierende Herausziehung einzelner reicher und künstlerisch hochwertiger Leistungen aus dem Gesamtzusammenhang am Platze gewesen 16. Stift Kremsinünster, Rüstkammer. Armbrustschäfte und Boizenköeher in spätgotischer Schrank türrahmung; süddeutsch, spätes 15. Jahrhundei-t {,B.DA, .1. Kirchhof) Sie wurden 1952 en bloc an das Heeresgeschichtliche Museum in Wien verkauft.

17. Stift Ki'Piiismünstei', Htistkammer. Linker, ritterlicher Ra(ls|)orn; süddeutsch, 1480-1490 (B.ÜA, J. Kirchhof) wäre. Der Eindruck von Schönheit erwächst bei so vielen Gegenständen aus der reinen und einfachen aber doch gestalteten Zweckhaftigkeit. Welches Zeitalter sollte dafür mehr Gefühl und Verständnis bereit haben als die gegenwärtige, so sehr technisch bestimmte Zeit ? Die Vorgangsweise war also sozusagen von innen heraus durch die Natur des Gegenstandes bestimmt. Darüber herrschte eine höchst ergiebige völlige Übereinstimmung zwischen dem organisierenden Kustos der Stiftssammlungen und den beiden herzugebetenen wissenschaftlichen Kräften der Wiener Waffen sammlung, die die Bestimmung, Ordnung und Gruppierung der Bestände im einzelnen durchführten. Der Unterzeichnete und Ortwin Gamber teilten sich in die Verantwortung. Der letztere lieferte die genauen zeichnerischen Entwürfe für sämtliche Ausstellungsbehelfe; Schaukästen, Wandborde, Gestelle. Sie hatten im Charakter den alten Zeughaus- und Rüstkammergepflogenheiten zu folgen, wie sie uns in Zeugbüchern und Stichen, aber auch in ursprünglich erhaltenen Gebäuden und Einzelräumen, wie im Grazer Landeszeughaus und auf Burg Forchtenstein, Burgenland, oder in kleinerem Maßstab auf der Riegersburg, Steiermark, überliefert sind. Wir erklären uns damit durchaus konform mit der Neuauf stellung der Zeughausreste im Baseler Historischen Museum in der aufgelassenen Barfüßerkirche durch Hans Reinhardt und Wolfgang Schneewind. Idealdarstellungen wie die beiden leider anonymen und undatierten Augsburger Stiche, kolorierte Guckkastenbilder von etwa 1750, ,,perspektivische Vorstellung des unteren bzw. oberen Teiles eines Zeughauses" geben dazu die anschaulichen Unter lagen. An ,,sammlungsfremden" Werken wurden in die neue Aufstellung eingegliedert: die schönfarbigen alten Scheiben des 15. Jahrhunderts, die passend sich eingliedernde Serie der Kaiserbilder des Dionys Paur von 1671 (sie reicht von Rudolf I. von Habsburg bis Josef I.), ein kleines Tafelbildnis Maximilians I., eines vom Abt Erhard Voit, ein bemaltes äbtliches Wappen, der gekrönte Doppeladler als Symbol der Reichsherrschaft, unter der sich auch die Geschichte des Stiftes abspielte, eine gotische Schrank einfassung mit einem Türflügel, die als Rahmung stilgleiche Waffen aufnimmt, schließlich die beiden Barockschränke, datiert 1661 und 1668, die sich, von innen her beleuchtet, zur Aufnahme der Kostüm figuren des 17. Jahrhunderts bestens eignen. Von der Eingangstür des Saales gleich rechts nimmt ein Wandstreifen die gesamte spätgotische Waffen überlieferung, darunter große Kostbarkeiten auf: einen reich geschnittenen Sporn (Abb. 17), Armbrüste mit Hornbogen, Bolzenköcher (Abb. 16), ein reizvolles bronzenes Hakenbüchsenrohr mit dem öster reichischen Bindenschild, vor allem aber das einzigartige Jagdbesteck, das Maximilian I., der,,Letzte Ritter", 1496 auf den Tod Erzherzog Siegmunds des Münzreichen von Tirol anfertigen ließ (Abb. 18). 3 ])enkraali)üege

Hat er es im Bereich Kremsmünsters auf der Jagd verwendet und hier als Geschenk gelassen? Jedenfalls verdankt es seine Entstehung demselben Meister, dem königlichen Messerschmied Hanns Sumersperger von Hall in Tirol, und demselben hochpolitischen Anlaß wie das Zeremonienschwert in der Wiener Schatzkammer und die garniturmäßig zugehörigen Prunkschwerter in der Wiener Waffensammlung und im Kopenhagener Nationalmuseum. Daneben steht noch ein Panzerhemd, das in seinen Proportionen und seinem Schnitt ganz offensichtlich der spätgotischen Kostümmode entspricht. Die Eingangswand setzt chronologisch fort mit zwei Ständern mit Auflagehaken, die ganz den alten Vorbildern entsprechen, wie sie bildlich die Zeugbücher Kaiser Maximilians I. in Wien überliefern. Zwischen ihnen steht ein Halbharnisch oder Harnasch (Abb. 19), Nürnberger Arbeit um 1550-1560, Typus der Rüstung eines Anführers von Fußvolk, den sehr wohl ein Offizier der Stiftsverteidigung getragen liaben konnte. Auf dem einen Hakengestell ruhen die Schlachtschwerter der äbtlichen Garde um 1575 (das 19. Jahrhundert erfand für diesen Waffentypus der Doppelsöldner den Namen Zweihänder oder Bidenhänder; Abb. 14, rechts vorne). Auf dem rechten Gestell liegen gebündelt die entsprechenden Helmbarten einer Leibwache. Es ist erstaunlich zu bemerken, wie jedes dieser Stücke aus dem Gebrauch auf dem Boden des Stiftes erwachsen ist und wieviel heimisches Erzeugnis aus dem engsten Umkreis dieses uralten Eisenschmiedegebietes vertreten ist. So offen der Blick der Besteller war, wenn es sich darum handelte, das zuverlässigste an Rüstzeug jeweils aus Süd- oder Mitteldeutschland und Ober italien, aus Spanien oder aus den Niederlanden zu beschaffen, so auffallend ist doch die Bedeutung, welche die ständigen Beziehungen zu den entsprechenden Handwerksmeistern nach Steyr und Wels, Linz und Bad Hall haben. Zwei von etwa zwei Dutzend Helmbarten eines festen Tj^pus (Abb. 20) tragen neben der Jahreszahl 1585 das Wappen und den Namen des damaligen Abtes Erhard Voit (regiert 1571-1588). Dadurch ist nicht nur die ganze Serie datiert, sondern durch gleichzeitige Zahlungsbelege auch die Herkunft dieser Kriegswaffenreihe, ja sogar ihr Meister: Pankraz Taller im nahen Hall-Pfarrkirchen, und dazu noch seine Meistermarke festgestellt. Dies stellt einen ganz einzigartigen Fall dar. Die schönen originalen Eschenschäfte tragen zudem den Brandstempel des Ebers, das ist das Wappentier des Stiftes, als Besitz vermerk, Beweis für die Gewachsenheit der Sammlung. Man wird ihm später ebenso auf den Gewehren des Stiftes aus dem 18. Jahrhundert begegnen. Über den Schlachtschwertern sind die Sturmhauben, über den Helmbarten die Morione der Mannschaften zusammengefaßt. Die Südwand zeigt in fortschreitend chronologischer Folge drei Paare von schweren Schwerttypen des späten 16. Jahrhunderts (Abb. 15, links im Hintergrund): für Reiter und Fußknechte, ferner sogenannte Schiavonas nach dalmatinisch-venezianischem Muster, dazu geordnet weitere heimische Helmbarten der gleichen Zeit. Es folgen die Haken- und Wallbüchsenrohre mit ihren Daten 1575, 1590 und 1591, also aus den Perioden der Äbte Erhard Voit und Johannes Spindler, dessen Monogramm ein Rohr trägt. Daran reihen sich die Luntenschloß-Musketen samt Ladstöcken, Auflegegabeln und Luntenspieße mit den zugehörigen Schützenhauben, und vor allem den vielen seltenen Patronenbandelieren. Die Musketen tragen die Marke der Stadt Suhl in Thüringen, die damals das ganze Reich belieferte, und sind wahrscheinlich mit einer Zahlung von 1621 zu verbinden. Hat diese Ausrüstung der Stiftsverteidi gung offenbar in den Bauernkriegen von 1625/26 gedient, so die anschließenden Steinschloßgewehre mit ihren Kremsmünsterer Eberbrandstempeln Generationen später in der schweren Türkenkriegszeit. Drei Wandfelder veranschaulichen also die Schießwaffenausrüstung dreier Jahrhunderte. An der Westwand (Abb. 14, im Hintergrund) entspricht eine alternierende Folge von drei Wandstreifen und drei Fensterleibungen mit Pultvitrinen in geschichtlichem Fortschreiten der Wehrentwicklung vom späten 16. bis zum 18. Jahrhundert. Die Wände zeigen in Reihen den Massenbedarf des Kriegers, des Fußvolkes wie der Reiterei: die langen Piken und Fußknechtschwerter, die schweren Nürnberger Rundschilde der Rundtartschierer des frühen 17. Jahrhunderts; die Zischäggen (Sturmhauben von öst lichem Typus), Reiterpistolen und -karabiner, Pferdegebisse und Solinger Reiterdegen des hohen 17. Jahr hunderts; Pistolen und Gewehre mit mediterranen (sogenannten Miguelet-) Schlössern, türkischen Läufen, französischen Schaftformen, die Schlösser und Schäftungen von spanischer oder neapolitanischer Herkunft - in dieser Mischung Zeugnis der Lage Österreichs um die Wende zum 18. Jahrhundert, mit seinen spanisch-süditalienischen dynastischen Beziehungen und seinen Türkenkriegen.

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