gesehenen Figuren demonstrieren der linke Apostel des Marientodes und Zachäus (Abb. 3, 7) ebenso wie die Schergen der Geißelung oder der Stifter im Kanonbild (Abb. 6, 10). Uneinbeitlicber wirkt der Faltenstil: Die Hauptfiguren der Kreuzigung tragen straff um den Körper gezogene Gewänder, deren Säume teils in flach gespannten Kurven schwingen und nur leicht auf dem Boden aufschleifen, teils - wenn sie von Armen oder Händen gerafft werden - in weichem Geriesel herabgleiten. Eine vergleichbare Gewandbehandinng zeigt nur noch der Christus der Zachäus-Initiale, während sich in der Verkündigung oder im Marientod die Stoffe knitterig zu stauen scheinen. Freilich sind auch in dem Nürnberger Kanon blatt derart kleinteilige und komplizierte Bildungen nachweisbar: im Chorrock des Stifters etwa oder in den Gewändern der tierköpfigen Evangelisten in den Medaillons der Rahmenecken, wo übrigens auch die aus zarten goldenen Strahlen bestehenden Heiligenscheine begegnen, die für die Initialfiguren so kennzeichnend sind. Nimmt man noch hinzu, daß weder die New Yorker Initialbilder, noch die Nürnberger Miniaturen auf Goldgrund gemalt sind, sondern allesamt auf farbigen (und zwar meist purpurroten oder blauen) Hintergründen stehen, und weiters daß die Rankenformen im Rahmen des Kanonbildes mit den Rankenformen der New Yorker Initialen und Randleisten völlig übereinstimmen, bedarf es kaum noch äußerer Beweise für die Zusammengehörigkeit der insgesamt sechs in Rede stehenden Fragmente. Doch können auch solche Argumente beigebracht werden. Zu ihnen zählen zunächst die Formate der drei Nürnberger Stücke: Der kleine Marginal-Kruzifixus, an dessen oberem Rand noch die unterste Rahmenlinie des Schriftspiegels und die Schlinge eines g auszunehmen sind, mißt reichliche 90 x 90 mm; der hier verfügbare untere Randstreifen der Seite entsprach also etwa dem von M. 884-2, der 95 mm hoch ist. Das Blatt mit der Kreuzigung mißt 415 x 285 mm, was mit den beiden New Yorker Fragmenten (420 X 286 bzw. 439 X 283 mm) wieder gut zusammenstimmt. Schließlich ist auf der Rückseite des Nürnberger Kanonblattes mit roten Strichen ein leerer Schriftspiegel eingetragen; seine Maße (innerhalb der rahmenden Doppellinie) betragen zwar nur 318 x 210 mm gegenüber 340 x 212 mm auf den New Yorker Blättern, doch ist der Abstand der beiden Rahmenlinien voneinander auf allen Fragmenten (außer Mm 41, wo eine Kontrolle nicht mehr möglich ist) mit 5 bis 5,5 mm gleich. Daß die Größe des Schriftspiegels im Kanon des Missales gegenüber den anderen Teilen geringfügig variiert, läßt sich unschwer dadurch erklären, daß hier eine etwas größere Schrift in durchlaufenden Zeilen verwendet wurde, während man die übrigen Texte mit kleineren Lettern in zwei Kolumnen schrieb. Tatsächlich beträgt die Zeilenhöhe in den Fragmenten von New York und Zürich 13 mm, auf der Rückseite der Nürnberger Te-igitur-Initialeaber 15-16 mm; die monumentalere Schrift des Kanons wurde also durch einen etwas niedrigeren Schriftspiegel in ihrer Wirkung noch unterstrichen. Gewichtiger scheint dem gegenüber die Beobachtung, daß der Schriftspiegel auf allen unseren Fragmenten durch rote, bis an den Seitenrand durchgezogene Doppellinien begrenzt wurde: Ist schon die konsequente Verwendung roter Farbe für die Linierung recht selten, so sind es doppelte Rahmenlinien noch viel mehr. Wo sie ausnahmsweise doch auftreten, beschränken sie sich entweder auf die waagrechten oder, noch seltener, auf die senkrechten Begrenzungen - eine ungefähr zeitgenössische Handschrift aber, die sie in einer unseren St. Pöltener Fragmenten völlig entsprechenden Form zeigen würde, ist mir überhaupt nicht bekannt geworden. Den letzten Beweis liefert schließlich noch die auf der Rückseite des Nürnberger Fragments Mm 39 erhaltene rote Schrifti^. gjg stammt von der gleichen Hand, die auch die Einzelblätter von New York und Zürich schrieb, wovon ein Vergleich unserer Abb. 2 mit Abb. 1 und 3 ohne weiteres überzeugt^®. Die Zusammengehörigkeit dieser Einzelhlätter mit den Nürnberger Miniaturen kann angesichts so vieler Übereinstimmungen kaum bezweifelt werden. Daß der auf dem Kanonbild dar gestellte Stifter die Tracht eines Propstes der Augustiner Chorherren trägt (weißer Chorrock, maulNach freundlicher Auskunft von Hofrat DDr. Franz Unterkircher handelt es sich bei diesem Textfragment nicht um einen normalen Bestandteil der Meßgebete; eher dürfte hier eine jener privaten Fürbitte-Formeln vorliegen, wie sie in spätmittel alterlichen Missalien, die persönlicher Besitz eines Geistlichen waren, nicht selten sind. " Die etwas abweichende Form der Kürzungsstriehe sowie die strengere Vertikalität und geringfügig stärkere Brechung der einzelnen Buchstaben in Nürnberg ergeben sich wohl wieder aus der größeren Sorgfalt, die der Schreiber auf den Kanontext wandte; dennoch stimmen alle charakteristischen Details (Eiuzellettern, Buchstabenverbindungen, Haarstriche) so vollkommen mit New York überein, daß beide Schriften nicht nur dem gleichen Skriptorium, sondern mit Sicherheit auch der gleichen Hand gegeben werden müssen.
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