Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

ergibt sich zwanglos aus der Tatsache, daß die Malerei, in diesem Fall als die bedeutendste der Künste auftretend, sich in einem geschlossenen Bestand durch einen längeren Zeitraum hindurch verfolgen läßt (St. Gallen, Reichenau, Schaffhausen, Weingarten usw.), während Architektur und Plastik dieser beispiellosen künstlerischen Entfaltung zunächst nichts von annähernd gleichem Rang gegenüberstellen können. So fügen sich in das Bild, das die Kunstgeschichte von der Malerei zwischen dem 8. und 14. Jh. zu entwerfen vermag, die Linien gleichsam von selbst ein, welche die übrigen Künste umreißen. Diese Anordnung erscheint uns durchaus gerecht fertigt und zweckmäßig. Sollte, was bei jedem größer angelegten Vorhaben unvermeidbar ist, das eine oder andere Objekt übersehen oder nicht entsprechend berücksichtigt worden sein, so fällt dies u. E. angesichts des Konzeptes einer Gesamt darstellung nicht allzusehr ins Gewicht. Diese Gesamtdarstellung allerdings erregt unseren Widerspruch, und wir bitten den Verfasser, dem wir uns seit Jahren aus mancherlei Gründen verbunden fühlen, es uns nicht übel zu nehmen, wenn wir unsere Bedenken offen geltend machen. Er selbst hat im 2. Absatz seiner ,,]^inleitung" die uns bewe genden Fragen angeschnitten; wir können uns seiner Auf fassung nicht anschließen. Ein Werk, das unter dem im Titel ausdrücklich festgelegten Anspruch einer ,,Kunstgeschichte" auftritt, darf sich heute nicht mehr darauf beschränken, im 8. Jh., noch dazu mit einem Bestand zu beginnen, der so sehr dem ,,Zufall der Erhaltung" verdankt wird. Kommt dazu, daß es sich um einen geographisch immerhin recht ausgedehnten Raum handelt, der trotz seiner Einheit überaus vielgestaltig ist und von den Anfängen seiner nicht unbedeutenden und tief gestaffelten Vorgeschichte bis zu der Zeit, in der die Darstellung einsetzt, eine ganze Reihe von Kulturstufen besitzt, deren künstlerische Dokumente keineswegs völlig versunken sind. Die Arbeit ist, wenn wir es recht verstehen, unternommen worden, um die ,,Einheit" des Raumes auf dem Gebiet der bildenden Kunst aufzuzeigen. Aus diesem Thema gewinnt sie Sinn und Aktualität. Es könnte ebenso möglich sein, daß ein Buch mit der Absicht geschrieben würde, zu demonstrieren, daß diese Einheit lediglich gefühlsmäßig existiere, und die Vorstellung sich unter der Beweiskraft der Dokumente nicht aufrecht halten lasse. In beiden Fällen müßte zu dem Begriff dieser ,,Einheit" Stellung genommen werden. Sie scheint jedenfalls nicht von vornherein selbst verständlich zu sein, denn: ,,Bei aller Betonung der umfassen den Einheit dürfen wir uns nie verleiten lassen, diese als Tatsache von einfachster Struktur vorauszusetzen." (Ein leitung, S. 9.) Worin liegt aber nun das Außergewöhnliche der Erscheinungen, das die Einheit bestätigt ? Läßt es sich doku mentieren oder bleibt es unfaßbar? Sind seine Voraus setzungen — um mögliche Bezüge herauszugreifen — geopolitischer, ethnographischer, wirtschaftlicher Natur, oder sind sie die Resultierende aus diesen und noch mehr Kompo nenten? Die Einheit müßte doch schon vor dem S.Jahr hundert in irgend einer Form bestanden haben, oder wird sie erst durch die auf Grund der Denkmäler sich erhebende Frage nach dem Vorhandensein einer ,,Bodenseeschule" nahegelegt, oder tritt sie viel später im 14. Jahrhundert oder gar erst in der Barockzeit auf? Diese Fragen klingen primitiv und extrem, aber sie erscheinen uns nicht ohne Berechtigung in Anbetracht des Umstandes, daß der Text alle Voraus setzungen überspringt, die eine ,,Kunstgeschichte" nicht außer acht lassen dürfte, und ziemlich überraschend mit der St. Galler Stiftsbibliothek einsetzt. Wir suchen aber auch vergebens nach Hinweisen, die uns einen Fingerzeig über die wichtige Position des behandelten Gebietes als Gelenk - um auch aus diesem Komplex eine Möglichkeit herauszugreifen — etwa zwischen der Kunst des Westens und der des Ostens geben würde. Oder bestand eine solche Funktion gar nicht? Die Frage der Beziehungen der in Wien um und nach 1300 geübten Kunst und den Schöpfungen in den sogenannten vorderösterreichischen Besitzungen der Habsburger ist oft angeschnitten, aber u. W. erst in einem Fall glaubhaft beant wortet worden (E. Maurer, Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau, Band II, Das Kloster Königsfelden, Basel 1954, an verschiedenen Stellen, bes. S. 313 ff.). Solcher und ähnlicher Art könnten nach unserer Auffassung die Leitgedanken sein, die eine ,»Kunstgeschichte", also eine aus höchstmöglicher Distanz ins Werk gesetzte Überschau zu verfolgen und auszuführen gehabt hätte. Im vorliegenden Fall ist es bei einer Sammlung von zum großen Teil sehr ein gehenden, oft brillanten und weitausholenden Beschreibungen einzelner Denkmäler oder Denkmalgruppen geblieben. Diese Einwendungen sollen nun freilich nicht das hohe Ver dienst, das sich der Verfasser durch seine Leistung rühmlich erworben hat, herabsetzen. Wir sind ihm sehr zu Dank ver pflichtet. Wir halten nur den Titel verfehlt, der Erwartungen wachrief, deren Erfüllung wohl von vornherein nicht in der Absicht des Autors gelegen war. W. Frodl Alfred Stange: Deutsche Malerei der Gotik, 10. und 11. Band. Salzburg, Bayern und Tirol in der Zeit 1400-1500; Österreich und der ostdeutsche Siedlungsraum von Danzig bis Siebenbürgen in der Zeit von 1400-1500; MünchenBerlin 1960, bzw. 1961. Das große Verdienst, das sich der Verfasser der Bände über die ,»Deutsche Malerei der Gotik" um die internationale Kunstforschung erworben hat, ist oft und dankbar anerkannt worden. Auch die beiden neuen Bände, die das kaum überseh bare Material Bayerns, der österreichischen Alpen- und Donau länder und der ostdeutschen Siedlungsgebiete vei'arbeiten, veranlassen uns neuerdings, vorweg unserer Dankbarkeit für die nicht hoch genug zu schätzende Leistung Ausdruck zu geben. Für uns sind begreiflicherweise die Kapitel von besonderem Interesse, die der Malerei der österreichischen Länder gewidmet sind, und nicht ohne Resignation denken wir daran, daß nach dem, vom Verfasser in seiner Vorbe merkung zum 11. Band rühmlich vermerkten Schwung, der die österreichische Forschung der Zwanziger- und Dreißiger jahre auf diesem Gebiet auszeichnete, von uns nicht mehr allzu viel getan worden ist, um die Fülle des Materials weiter zu sichten. Immerhin hat die Ausstellung von Bozen (1949), haben die österreichischen Ausstellungen von Innsbruck (1950) und Krems (1959) vieles wettmachen können, was die Einzelforschung versäumt hat; ihre Kataloge haben längst ihren Wert als wichtige wissenschaftliche Arbeiten, die künftighin immer wieder herangezogen werden müssen, bewiesen. Jedenfalls hatte der Verfasser die Möglichkeit, anläßlich der Betrachtung einzelner bedeutender Kunstgebiete und künstlerischer Leistungen, von gründlichen Vorarbeiten ausgehen und herrschende Auffassungen sichten zu können; andere Gebiete wieder präsentierten sich ihm gleichsam im

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