Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

in der sowohl der gestreckt-gedrehte Christustyp als auch die eigenartige Klagegeste der Maria (ver hüllte, bis vor das Kinn angehobene Hände) dem Nürnberger Kanonblatt entsprechen®^. Der besonders ungewöhnliche, vom Kreuz abgewandte Nürnberger Johannes wieder hat sein einziges mir bekannt gewordenes Gegenstück in dem Kanonbild eines St. Florianer Missales, das ebenfalls in den Umkreis der Wiener Werkstatt gehört®®. Ikonographisch steht ferner der Nürnberger Augustinus (Abb. 13) der airalogen, von Meister Nikolaus stammenden Darstellung auf fol. 310r des Wiener Rationale Durandi außerordentlich nahe®^. Später scheinen manche Bilderfindungen des St. Pöltener Meisters auch wieder auf die Wiener Buchmaler zurückgewirkt zu haben: Einzelne Bewegungs- und Gewandmotive in der Te-igitur-Initiale des Turs-Missales im Wiener Diözesanmuseum (Abb. 11) dürften kaum anders als durch wenigstens mittelbare Kenntnis der Nürnberger Geißelung (Abb. 10) zu erklären sein®=. Alles in allem ist die besonders enge Verbundenheit der St. Pöltener Handschrift mit der Wiener höfischen Buchkunst des späten 14. und frühen 15. Jahrhunderts nicht zu bezweifeln. Hier aber, in dem besonderen und eigenartigen Milieu der kulturell aufblühenden habsburgischen Residenz, dürften dem St. Pöltener Meister auch jene Stilqualitäten vermittelt worden sein, von denen wir weiter oben vermuteten, sie stünden in Zusammenhang mit den Miniatoren des Jean de Berry. In der bisher vorliegenden Literatur über die Wiener Hofwerkstatt und über ihr frühes Hauptwerk, das Rationale Durandi, ist zwar immer wieder von böhmischen, daneben auch von italienischen Anregungen die Rede®®, doch hat man die nicht weniger bedeutende westliche Komponente übersehen, die sich vor allem in den figürlichen Malerien dieser Handschrift ausprägt. Der Illuminator der fol. 30v und 47r etwa ist zweifellos mit solchen französischen Buchmalern in Verbindung zu bringen, die an den ersten, um 1380/90 für Jean de Berry geschaffenen Handschriften mitgearbeitet haben®'. Die noch keineswegs erschöpfte historische Problematik der Wiener Hofwerkstatt kann hier freilich nicht in ihrem vollen Umfang behandelt werden, doch war wenigstens andeutungsweise eine Erklärung für die erwähnten westlichen Stileigenarten des St. Pöltener Missales zu geben. Daß diese Handschrift zu Werken der Wiener Hofminiatoren in enger Wechselbeziehung steht, erleichtert ihre Datierung sehr wesentlich. Nach dem Stil bzw. dem Typus der Initialen und Randleisten zu urteilen, muß sie etwa gleichzeitig mit den beiden Handschriften des Lyra-Meisters und mit den letzten Arbeiten am Wiener Rationale Durandi im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts illuminiert worden sein. Daß unser Maler Formulierungen des ausgereiften ,,Weichen Stils" nur zögernd und in Einzelfällen (etwa in der Maria der Darbringung, Abb. 12) annimmt, erklärt sich wohl aus seiner Verwurzelung in der Kunst des späten 14. Jahrhunderts, welcher er zweifellos die entscheidenden Eindrücke seines Bildungs ganges verdankte. Zudem stand ja die Malerei im Wiener Raum der graphischen Präzision und den reichen GewandmotiA^en des ,,Weichen Stils" böhmischer Prägung bis tief in das zweite Jahrzehnt ganz allgemein sehr reserAuert gegenüber; neben den Buchmalereien der Hofwerkstatt bezeugen dies auch die ersten Wiener Tafelbilder, die um oder kurz nach 1410 entstanden. In der Wiener Anbetung, der Budapester Epiphanie und dem Berliner ,,Christus in der Trauer"®® treffen wir auf Stil- und Stim mungsqualitäten, die mit denen unserer St. Pölteuer Miniaturen, namentlich der kleineren Initialbilder Stange, a. a. O., Band II, Abb. 87. Der gleiche Kruzifixus-Typ, der den Wiener Hofminiatoren offenbar besonders teuer war, findet sich noch in einer Gnadenstuhl-Darstellung von der Hand des Nikolaus auf fol. 3v des großen Klosterneuburger Anti phonars (cod. 67 der Stiftsbibliothek) aus den Jahren 1421/24 - hier übrigens, wie in Nürnberg, mit einem schleierartig durch sichtigen Lendentuch bekleidet (vgl. Oettinger, a.a.O., Anm. 28, Abb. 4). St. Florian cod. III, 205; vgl. Kletzl, a. a. 0., S. 3, Abb. 1. Kletzl bemüht sich hier mit großem Aufwand, diese Handschrift in die böhmische Entwicklung des späten 14. Jahrhunderts einzuordnen; demgegenüber hat sie Holter (a. a. O., S. 221) zweifellos richtig mit den Wiener Hofminiatoren in Zusammenhang gebracht. Mit der Vermutung, das St. Florianer Missale sei ebenfalls ein Werk des Lyra-Meisters, dürfte Holter allerdings um einen Schritt zu weit gegangen sein. ^ Oettinger, a.a.O., Anm. 28, Abb. 9. Das Missale des Dompropstes Wilhelm Turs entstand um 1425/30. Sein Kanonbild (Oettinger, a. a. 0., Anm. 31, Abb. 15) ist ein Spätwerk des Meistors Nikolaus, während das Te-igitur-Bild und einige andere Bildinitialen möglicherweise als die ältesten bekannten Malereien des in Wien von ca. 1435 bis gegen 1450 dominierenden Albrechtsminiators anzusprechen sind (vgl. zu diesem Holter, a. a. 0., S. 222f.). Oettinger, a. a. O., Anm. 31, S. 153, und Holter, a. a. O., S. 220. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Maler der meisten Psalmen-Illustrationen im Psalter des Herzogs von Berry (Paris, Ms. Fr. 13091), den die Forschung zugunsten des berühmteren Andre Beauneveu, der die schönen Prophetenbilder dieser Hand schrift schuf, meist allzusehr vernachlässigt. (Es handelt sich hier um jenen Künstler, den Millard Meiss in Art Bulletin 1956, S. 191, als Hand B dieser Handschrift bezeichnet.) Stange, a. a. O., Band XI, Abb. 6, 7, 25.

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