Österreichische Zeitung für Kunst und Denkmalpflege

10. St. Pöltener Missale: Te-igitur-Initiale mit Geißelung Christi. Nürnberg, German. Nat.-Mus., Mm 39 (Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg) 11. Missale des Dompropstes Wilhelm Turs: Te-igitur-Initiale mit Geißelung Christi. Wiener Hofwerkstatt (AlbreehtsMiniator?),um 1425/30. Wien, Diözesanmuseum (Kunsthistor. Inst. d. üniv. Wien, Johanna Fiegl) schafft erst die ergreifende Beziehung zwischen dem toten Christus und der Gruppe betender Figuren (Maria, dem Stifter und Longinus), die rechts vor dem Kreuz angeordnet sind; zuletzt bezieht sie auch den Betrachter in die lautlose Inbrunst dieses Gegenübers ein. Obwohl wir uns des außerordentlichen künstlerischen Ranges des böhmischen Meisters voll bewußt sind, will uns doch scheinen, daß der österreichische Buchmaler nicht nur das ausdrucksvollere, sondern auch das weitaus modernere Werk schuft". Die Faszination, die von den Hauptfiguren seiner Komposition ausgeht, und manches geistvolle oder schön empfundene Detail machen es dem Betrachter leicht, über einige unleugbare Schwächen des Blattes (wie die zwar interessante, doch auch ein wenig störende Einführung der Leiter oder die allzu abrupte Erscheinung des Kelch-Engels) hinwegzusehen. Kennzeichnend ist etwa, wie der Hasenburg-Illuminator die Figuren seiner zweiten Raumschicht ,,schweben" läßt: .Die Beine der Pferde können unmöglich bis zu der rechts vom Kreuzesfuß, in Höhe des Zubers mit dem Essigwasser, angedeuteten Horizont linie herabreichen. Der St. Pöltener hingegen läßt zwar den Horizont nirgends sichtbar werden, doch bildet sich im Betrachter sogleich die Vorstellung, daß die Kreuzigung auf einer Anhöhe stattfindet, hinter der das Terrain wieder abfällt, also noch Raum vorhanden ist. So erhalten auch die gemusterten Bildgründe einen jeweils anderen Sinn: In dem St. Pöltener Blatt wirken die zarten Rauten völlig indifferent und können ohne weiteres als tief hinten liegende Raumbegrenzung verstanden werden, während das dichte Goldfiligran des Hasenburg-Missales eher an einen kostbaren Teppich gemahnt, der unmittelbar hinter der Szene herabgelassen wurde. Gerade die suggestive Geräumigkeit der St. Pöltener Kreuzigung wii'kt überraschend modern und reiht den Schöpfer dieses Blattes unter die Wegbereiter renaissancemäßiger Bildideen ein. Zu der Problematik des Bildraumes in der Malerei des 14. und 15. Jahrhunderts vergleiche man M. Meiss, ,,Highlands" in the Lowlands (Gazette des Beaux-Arts 1961, S. 273ff.).

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